Reinhold Messner - Antarktis. Himmel und Hölle zugleich

  • Der Autor

    Reinhold Messner ist einer der bekanntesten Bergsteiger der Welt. Gemeinsam mit Peter Habeler erreichte er als erster Mensch ohne Zuhilfenahme von künstlichem Sauerstoff den Gipfel des Mount Everest und war auch der Erste, der alle 14 Achttausender ohne Flaschensauerstoff bestieg. Den Nanga Parbat und den Mount Evererst hat er als Erster im Alleingang ohne Flaschensauerstoff bestiegen. Im Winter 1989/1990 durchquerte er gemeinsam mit dem Arved Fuchs die Antarktis.


    Zu dieser Zeit war eine solche Expedition eine Neuheit. Besonders, weil Messner und Fuchs "by fair means" unterwegs sein wollten. Sie verzichteten auf Schlittenhunde und zogen ihre Ausrüstung selbst. Mittlerweile gab es unzählige Expeditionen dieser Art, ob am Süd- oder am Nordpol. Fast ist man versucht zu sagen, dass es nichts Besonderes mehr ist, aber eben nur fast. Denn die extremen Regionen unserer Erde sind nur dann nichts Besonderes, wenn man sich mit allen Bequemlichkeiten dorthin transportieren lässt.


    Ich habe einige Berichte von Reinhold Messner gelesen und gesehen und weiß daher, dass er mir nicht uneingeschränkt gefällt. Nicht als Sportler, da sind seine Leistungen unbestritten. Aber oft gefällt mir die Art nicht, wie er die Dinge erzählt.


    So auch in diesem Buch. Dass Reinhold Messner gleich zu Anfang an klar macht, dass er eben seinen Weg geht, gehen muss, kann ich verstehen. Es braucht extreme Menschen, um extreme Leistungen zu erbringen. Dass er aber allen anderen, die eine andere Lebensplanung haben, nicht nur das Verständnis dafür abspricht sondern auch andeutet, dass diese Menschen zu dumm sind, um ihn zu verstehen, fand ich schon arrogant. Er erwartet Verständnis, hat selbst aber nur wenig davon. Diese Einstellung ist etwas, was ich immer wieder an ihm erlebt habe, wenn ich ihn im Fernsehen gesehen habe.


    Warum habe ich trotzdem dieses Buch gelesen? Zum einen, weil mich die Expedition interessiert hat. Zum anderen aber auch, weil ich Reinhold Messner trotz meiner Kritikpunkte schätze und seine Berichte immer spannend finde.


    Ich fand die Paarung Messner/Fuchs ungewöhnlich. Die Beiden kannten sich nicht im Vorfeld, sondern Messner hat ihn als Partner gewählt, weil Arved Fuchs sehr erfolgreich am Nordpol unterwegs war. Ich weiß nicht genau, was Reinhold Messner von seinem Partner erwartet hat, aber ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass diese Erwartungen enttäuscht wurden.


    Große Teile des Berichts war Kritik. Arved Fuchs ging zu langsam und musste angetrieben werden. Hätte man diese ständige Spannung verhindern können, wenn sich die beiden Männer im Vorfeld besser über den jeweils anderen informiert hätten? Dann war Arved Fuchs zu still und hat Messner gerade morgens nicht ausreichend motivieren können. Zumindest hat er aber im Zelt eine gemütliche Atmosphäre schaffen können. Das hat Messner so oft betont, dass es eher wie weitere Kritik klang als etwas Positives.


    Je länger die beiden Männer unterwegs waren, desto mehr wurde von Spannungen gesprochen. Dabei hat Messner sich als den Schaffer und Fuchs als denjenigen hingestellt, der seinen Teil nicht beigetragen hat. Ich hätte gerne dessen Seite gelesen, aber nach Ende der Expedition waren die Beiden so zerstritten, dass er keinen Beitrag zum Buch geleistet hat.


    Mein Fazit

    Wenn zwei Alphamänner gemeinsam auf eine Expedition gehen, kann das gutgehen. Aber es muss nicht und wie das aussehen kann, hat Messner in seinem Buch eindrucksvoll gezeigt. Dabei ist leider das zu kurz gekommen, auf das ich gehofft habe, nämlich der Bericht über das wie. Es ist ein Buch hauptsächlich über Reinhold Messner und nur wenig über die Antarktis. Eines, das meine Vorurteile wieder ein wenig bestätigt hat.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:


  • Gibt es auch einen entsprechenden Bericht aus Arved Fuchs' Sicht? Das wäre doch interessant, wenn man beide Bücher nebeneinander legen würde.


    Ich habe Messner einmal viel später bei einem Vortrag über das Bergsteigen der Achttausender gehört. Da klang er eigentlich ganz sympathisch. Jetzt wäre natürlich gut zu wissen, war das die Ausnahme oder hat er sich inzwischen geändert? Das Buch stammt ja von 2004.

  • Gibt es auch einen entsprechenden Bericht aus Arved Fuchs' Sicht? Das wäre doch interessant, wenn man beide Bücher nebeneinander legen würde.

    Das wäre es sicherlich. Zu der Expedition speziell habe ich nichts gefunden, aber es gibt ein Buch "Von Pol zu Pol", vielleicht wird die Expedition darin angesprochen.


    Ich habe von Reinhold Messner auch neuere Bücher gelesen, der "Mord am Unmöglichen" steht auf meiner reRead-Liste und die beiden Bücher "Vertical - 150 Jahre Kletterkunst" und "Vertical - 170 Jahre Kletterkunst" habe ich sehr gemocht, auch wenn mir da auch manchmal sein Ton ein wenig zu salbungsvoll war. Vielleicht ist er mit dem Alter gnädiger geworden.

  • Ich wusste von Reinhold Messner bisher nur, dass er Berge bestiegen hat. Von daher war ich ganz überrascht, als ich dieses Buch entdeckte. Alleine die Vorstellung, zu zweit 90 Tage durch Schnee, Sturm und Eis wandern zu wollen, brrr.


    Schlimmer als Sturm, Eiseskälte und dichter Nebel waren die Sastrugis, stromlinienförmige Erhebungen oder Rillen im Schnee. Sie können bis zu 30 cm hoch werden und so hart, dass sie die Fortbewegung mit Skiern behindern können. Und wie schwierig war es, die Schlitten da drüberzuziehen.


    Interessant finde ich Reinhold Messners Gedanken. Seine Überlegungen zu Himmel und Hölle einerseits in der Antarktis, andererseits in uns drinnen. Er plädiert dafür, die Antarktis in Ruhe zu lassen, sie war der Beweis dafür, dass die Welt ursprünglich das Paradies war. Und der Mensch mit seiner Technik bringt die Hölle dorthin: Die Maschine ist der Anfang des Ruins einer jeden Landschaft.


    Deshalb sind die beiden Männer, er wandert mit Arved Fuchs, auf Skiern unterwegs. Und doch hinterlassen sie etwas von ihrer Ausrüstung, nicht mit Absicht, aber es bleibt nicht aus.


    Mir ist unverständlich, dass viele Menschen seine Lust am Laufen, des Unterwegsseins, als Krankheit abtun. Dromomanie (zwanghafter Trieb wegzulaufen) nennen es die Fachleute. Welchen psychologischen Begriff gibt es denn für mich als Stubenhocker? Wenn wir davon ausgehen, dass wir alle unterschiedlich sind in dem, was wir tun und mögen, warum wird sein Tun nicht einfach als normal hingenommen? Weil die meisten es nicht verstehen? Weil es außerhalb unserer selbst gesteckten Norm ist?


    Messner selbst nennt sein Unterwegssein auch zwanghaft, weil er ein Leben am Schreibtisch nicht aushalten würde. Warum kann es aber für ihn halt nicht einfach normal sein, nicht sesshaft zu sein. Und es ist ja auch kein Weglaufen, er hat sich und der Familie ein Heim geschaffen, zu dem er immer wieder zurückkommt.


    Messner ist der Trainiertere der beiden. Ihm kommt auch zugute, dass seine Füße kleiner sind (1970 wurden ihm die Zehen amputiert). Arved hat arge Schwierigkeiten mit dem Schuhwerk. Seine Füße sind kaputt, voll blutiger Blasen, er hat wahnsinnige Schmerzen.


    Messner alleine könnte viel flotter vorwärts kommen. Sie müssen täglich sechs Stunden marschieren, um den Plan einzuhalten. Er muss Arved motivieren, darf aber nicht grob oder ungeduldig werden. Respekt und Toleranz sind oberstes Gebot.


    Reinhold Messner staunt selbst bei dem Gedanken, dass nicht alle Träume realisiert werden müssen. So erging es mir vor ein paar Jahren auch. Mein Lebenstraum war immer, etwas mit Büchern zu arbeiten. Damit mein Geld zu verdienen. Selbstständig oder als Arbeitnehmerin. Den habe ich dann hier in Ostfriesland mal begraben.


    Das war immer der Traum, an den ich auch dachte, wenn es mir mal nicht so gut ging. Der mir immer ein Hochgefühl gab. Wenn sich dieser Traum erfüllen sollte, an was denke ich dann?


    Also ist es, zumindest für mich, gut, einen Traum zu haben, der sich nicht verwirklicht. Einen, in den ich mich mal fallenlassen kann, wenn es nötig ist.


    Dass die beiden Männer während und nach ihrem Abenteuer keine Freunde geworden sind, habe ich schon rausgelesen. Sie haben sich respektiert, das Gemeinsame waren die Mahlzeiten. Beim Wandern war wieder jeder für sich.


    Messner schrieb allerdings viel von Respekt und Toleranz. Da habe ich jetzt aber nur seine Sicht. Zumindest im Buch hat er sich nicht negativ über seinen Reisepartner geäußert. Nur sein Problem damit geschildert, dass Arved nicht so schnell wandern konnte wie er. Was sich dann aber, wenn ich mich recht erinnere, schlussendlich als positiv herausstellen sollte.


    Ihr Ziel, die Antarktis zu durchqueren, haben sie erreicht.


    Zum Schluss möchte ich noch ein paar Sätze von Reinhold Messner zitieren, die mir sehr wichtig für uns erscheinen:


    Könnte dieser Kontinent nicht auch die faszinieren, die nicht hierherkommen? Durch seine Weite, seine Ruhe, seine Leere?

    Meine Generation, wir Nachkriegskinder in Mitteleuropa, sind von unseren Eltern zu praktischen Menschen erzogen worden. Für Träume war da wenig Platz. Jetzt aber wuchsen allerorts junge Menschen heran, die über den materiellen Wohlstand hinaus nach anderen Lebensqualitäten suchten. War es nicht gerade deshalb wichtig, das Innere der Antarktis als "terra incognita" zu hüten? Ein Land, das zum Träumen anregte, lohnte es sich zu verteidigen - auch wenn man selbst nie dorthin kommen sollte. Das freiwillige Fernbleiben muss für die technisch orientierte Menschheit Teil ihrer Kultur werden. Nur die Selbstbeschränkung des Menschen kann zu seinem Fortbestand beitragen. Der Verzicht muß deshalb Teil unseres Selbstverständnisses werden. Der Verzicht auf Ausbeutung der Naturressourcen, der Verzicht auf Inbesitznahme bestimmter Gebiete, der Verzicht auf das Immer-mehr-haben-Wollen. Wenn wir Werte wie Wildnis, Unendlichkeit, Ruhe nicht verlieren wollen, müssen wir wissen, was das ist. Im Eis der Antarktis waren jene Werte konserviert, die die Wachstumsgesellschaft aus ihrem "Paradies" vertrieben hat: Stille, Friede, unverbaute Weite. Im Eis versiegelt wie das Land selbst.

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 84 von 80 - geschafft :)

  • Mir ist unverständlich, dass viele Menschen seine Lust am Laufen, des Unterwegsseins, als Krankheit abtun. Dromomanie (zwanghafter Trieb wegzulaufen) nennen es die Fachleute.

    Das kommt oft vor, wenn jemand etwas tut, was ein wenig abseits vom Vorstellungsvermögen ist. Ob es Reinhold Messner mit zahlreichen Expetitionen, Alexander Huber beim Free Solo ist oder auch nur jemand im eigenen Bekanntenkreis, der ganz in einer Sache aufgeht: solche Dinge werden oft als etwas Schlechtes abgetan. Oft hört man Sätze wie "Das wäre nichts für mich" oder "Das ist ja krank". Dabei liegen bei den Personen, die sich so engagieren die eigenen Grenzen einfach nur anders und bei den Kritikern fehlt oft das Verständnis, weil sie sich in diese Personen nicht hineinversetzen können oder wollen.