Melissa Harrison – Weißdornzeit / At Hawthorn Time

  • Klappentext/Verlagstext
    Vor Tagesanbruch an einem Maimorgen: Das Schwarz des Himmels geht in Blau über, der Duft des Weißdorns liegt in der Luft und die ersten Vögel singen, als es auf einer Landstraße zwischen zwei Feldern zu einem schrecklichen Unfall kommt – und die Schicksale von vier Menschen kollidieren. Howard und Kitty sind nach dreißig gemeinsamen Jahren in London in das kleine Dorf Lodeshill gezogen. Während Kitty glücklich zu sein scheint, sehnt Howard sich nach dem pulsierenden Leben in der Metropole. Der Einzelgänger Jack war einst ein Rebell, der seit jeher nur eines will: in Freiheit leben. Nachdem er eine Haftstrafe wegen Hausfriedensbruchs abgesessen hat, macht er sich mit seinem Rucksack auf den Weg Richtung Norden. Jamie ist vor neunzehn Jahren in Lodeshill geboren. Seine Kindheit hat er damit verbracht, mit seinem Großvater angeln zu gehen und durch die Wälder zu streifen; heute träumt er davon, der dörflichen Enge zu entkommen.
    Einfühlsam und poetisch erzählt Melissa Harrison von vier Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch das gleiche suchen: einen Platz im Leben.


    Die Autorin

    MELISSA HARRISON ist Schriftstellerin, Kritikerin und Kolumnistin, u. a. für The Times, die Financial Times und den Guardian. Für ihren hochgelobten Roman ›Vom Ende eines Sommers‹ (2021) erhielt sie den European Union Prize for Literature 2019.


    Interview mit der Autorin


    Inhalt
    Howard und Kitty sind im Alter aus London aufs Land nach Lodeshill gezogen; ihr Geschäft in der Stadt hat Sohn Chris übernommen. Gerade noch rechtzeitig; denn mit online-Handel kann Howard sich nicht anfreunden. Ein Pub, kein Laden mehr, Träume vom romantischen Landleben könnten sich hier schnell zerschlagen. Mit dem Kauf der Lodge auf dem Gelände der aufgegebenen Culverkey-Farm werden beide zu Zaungästen des Niedergangs der englischen Landwirtschaft. Philip Harlands Milchvieh-Hof war bankrott gegangen kurz nachdem seine Frau mit den Kindern ihn verlassen hatte.


    Der 19-jährige Jamie blickt aus anderer Perspektive auf die verlassene Culverkey-Farm. Er schlüpfte damals nur durch die Weißdornhecke, um seinen gleichaltrigen Freund Alex zu treffen. Seit Alex nicht mehr da ist, scheint Jamie nichts mehr zu gelingen. Sicher ist das einer der Gründe, warum Jamie endlich seinen Corsa flottmachen und das Dorf verlassen will.


    Auf der Landstraße ist an einem Maimorgen Jack unterwegs, der zahlreiche Male zu Haftstrafen verurteilt wurde, weil er in der Natur schläft und auf seinen Wegen private Ländereien durchquert. Jack hat schon oft in Lodeshill gearbeitet, er kennt die Bauern, man kennt ihn. Nur in geschlossenen Räumen hält Jack es nicht aus. Aus bestimmten Gründen wird er Culverkey nie mehr betreten; aber den Gasters ist ein erfahrener Arbeiter zum Spargelstechen höchst willkommen.


    Um zwei Menschen muss ich mich als Außenstehende sorgen: Kitty geht es in letzter Zeit gesundheitlich schlechter; den nahenden Arzttermin, der ihr Klarheit bringen soll, hat sie Howard jedoch verschwiegen. Auch Jamies Großvater James Hirons im Nachbarort Ardleton soll einem Arzt vorgestellt werden, da seine geistige Leistungsfähigkeit abnimmt und er Hilfsangebote unleidlich ablehnt. Die Wege von vier Personen werden sich durch einen Unfall kreuzen. Sie alle stehen für Brüche im Privatleben, für die in der Nachkriegszeit beginnende Krise der Landwirtschaft und für einen Lebensstil, in dem Einzelgänger und „einfache Landarbeiter“ wie James senior keinen Platz mehr finden.


    Fazit
    Mit der Frage im Hinterkopf, wer warum verunglücken wird, bin ich den Einzelschicksalen gespannt gefolgt und dem besonderen Blick, mit dem Melissa Harrisons Figuren die Landschaft wahrnehmen. Auch eine Pflanze, die unbeachtet am Zaun wächst, wird hier liebevoll beschrieben. Vignetten von Pflanzen am Anfang jedes Kapitels könnten von Jack stammen, wie auch die knappen Stichwörter darunter.


    Weißdornzeit ist wie „Vom Ende eines Sommers“ ein Landschaftsroman und zugleich genauestens beobachtetes Porträt einer Epoche. Wer Melissa Harrisons ersten Roman mochte, sollte hier unbedingt zugreifen.


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

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    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow