Mieczyslaw Rakowski - Es begann in Polen. Der Anfang vom Ende des Ostblocks /Jak to się stało

  • Eine weitere Verschiebung ;-)


    Wie ich schon in der Rezension von Kazimierz Brandys - Warschauer Tagebuch beklagte, war ich auf der Suche nach einem Buch, dass die Prozesse der gesellschaftlichen Entwicklung Polens in den 80er Jahren dezidiert beleuchtet. Umso größer die Freude, als ich auf ein 400 Seiten starkes Buch stieß. Titel: Es begann in Polen. Der Anfang vom Ende des Ostblocks und laut Klappentext handelt es genau die von mir erwünschte Dekade ab. Wunderbar. Autor: Mieczyslaw Rakowski, letzter Ministerpräsident der Volksrepublik Polen. Näher war wohl keiner dran. Ebenfalls wunderbar.

    Dachte ich.


    Wunderbar ist an diesem Buch nichts. Liest sich etwas radikal, ist es hingegen keineswegs, denn erst nach reflektiertem Durchdenken und etwas Zeit verstreichen lassen, kam es zu diesem für mich unverrückbaren Schluss. Dass ich es so nicht formulieren dürfte, weil ich es abgebrochen habe, drücke ich gelassen in den Skat, es ist dem Thread ja inhärent.


    Bereits die ersten zehn Seiten beschlich mich ein ungutes Gefühl. Fängt ja fragwürdig an, aber olle Rakowski, wie er auch in Regierungskreisen stets nur genannt wurde, wird sich bestimmt warmlaufen und zurücknehmen. Gibt es allein zu viele Fakten, die mir hier angeboten werden sollten. Noch trifft das Wort irritiert zu. Ich glaubte schwerlich, was ich bisher gelesen hatte. Simple Sprache von einem, der sich Journalist schimpft. Okay, es geht mir um Inhalte. Doch die Sprache war mitnichten allein simpel. Sie war kläglich bemüht einen mir mehr als bekannten Duktus zu übertünchen. Gestelztes Institutionsdeutsch, gewürzt mit einem Verdacht, der erst noch zur Gewissheit reifen musste. Also mal weniger pingelig sein und sich nicht so zieren. Na ja, aber da war doch schon das unmöglich wegzuredende Selbstlob unübersehbar. Auch das sollte nur ein Vorspiel sein, um ein weiteres Desaster im Fortlauf vielleicht etwas verblassen zu lassen. Sicherlich etwas viel Schwarzseherei nach eben läppischen zehn Seiten. Dachte ich mir.


    Ab der zehnten Seite erfüllte das Buch dann jedoch meine Erwartungen problemlos. Leider die der ersten zehn Seiten. So schnell? Durchaus so zügig, denn ich schreibe nun von den lediglich nächsten 10 Seiten. Das ist nicht möglich. Denkste, es geht, und wie!


    Sein Selbstlob packt er weiter fleißig aus, was ihm keineswegs genügt, er zitiert sich zudem ausgiebig selbst, geriert sich als Freund progressiver Intellektueller des Landes bevor ihn 1981 Armeegeneral Wojciech Jaruzelski, als stellvertretenden Ministerpräsidenten an Bord des untergehenden Schiffes namens Volksrepublik holte. In Krisenphasen holen sich Regierungschefs immer mal zuvor progressive Intellektuelle zur Hilfe an ihre Seite. Weiß man. Was sich abgezeichnet hatte, trat in seine vollste Blüte. Rakowski geriert sich als Hellsehender, schon immer mit Skepsis sprühend, in Erkennermanier und als beschwichtigender und um Ausgleich bemühter Politiker. Die Ursache für seinen schlichten, humpelnden Schreibstil schälte sich ebenfalls heraus. Es war bemüht, seine alte Diktion zu begraben, der eines überzeugten Kommunisten in Verantwortung. Funktionärs-Speech. Ein Stil, der seit Anbeginn ein toter war. Totgesagte leben aber länger. So schmunzelnd ist es dahingesagt. Brandaktuell eher weniger. Eben jene tote Sprache bringt den Tod.


    Er wirkt wie ein kleiner Junge, der heimlich im Kohlenhaufen gespielt hat. Mit seinen guten Sonntagsachen aber denkt er, werden es die Eltern nicht bemerken, hat er sich ja die Hände gewaschen und die glänzen. Außer Acht lässt er, dass ansonsten der Kohlenstaub allenthalben, seine Behauptung Lügen straft. Ein kleiner Junge eben, wenn das aber ein reifer Mann, zudem Journalist, tut, wirkt es erbärmlich. Jaruzelski zum Beispiel, ist gar nicht so schlecht gewesen, der sah bloß wegen seiner Brille etwas strenger aus. Und dass er bei Politversammlungen über Stunden ohne jede Rührung stocksteif auf seinem Stuhl sitzt, sieht der Autor begeistert als beispielhafte Disziplin.

    20 bescheidene Seiten und es war klar, hier war der Wolf unterwegs. Der Unterschied zu Grimms Geschöpf: Rakowski konnte nicht genügend Kreide fressen. Der Rügener Kreidefelsen, er würde nimmer genügen.

    Das Buch war durch. Und dann doch nicht. Diese Dreistigkeit, gepaart mit kläglichem Unvermögen der Vertuschung begeisterte mich wie eine Werbesendung im TV. Ich sitze davor und denke, es kann weder sein, was ich höre noch sehe. In diesem Fall lese.

    Ich gestehe, ich habe weitergelesen.


    Hat es sich gelohnt? Es hat sich gelohnt, weil ich nun mit absoluter Gewissheit wusste, dass sich das Buch nicht gelohnt hatte. Ein Paradox? Kann sein. Hier hingegen egal.


    Alles bisher Erwähnte hat weiterhin Bestand. Wie ein Fischverkäufer auf dem Hamburger Fischmarkt legt er noch eine Peinlichkeit nach der anderen ungefragt oben auf. Vor diesem Buch hatte er in Polen ein Tagebuch von sich veröffentlicht. Es gab Ungereimtheiten, Versionen, Medieninteresse und den vehementen Vorwurf der Geschichtsklitterung. Auch aus diesem zitiert er sich, um zu beweisen, was er für ein toller Hecht ist. Und jetzt kommt wieder der schicke Bengel vom Kohlenhaufen. Dem Seitenweisen Zitieren seiner selbst stellt er voran: „Was ich 1981 aufschrieb, übergebe ich hiermit meinen Lesern, wobei ich betonen möchte, dass diese Notizen in keiner Weise zurechtfrisiert sind.“ - Die Internierung von Oppositionellen war ja gar nicht in Ordnung. Die hätte man doch besser versorgen sollen. - Die Solidarnosc hätte man anders ins System einebnen müssen. Dass sie ein Recht zur Existenz besaßen. Hatta wohl nich gewusst. - Man hätte neue Wege gehen müssen, um dem Volk begreiflich zu machen, dass doch die Regierung für sie da sei. Die Intention der vielen Streiks, der Bevölkerung erreicht ihn unter keinen Umständen.

    Die finden keine Erwähnung. Indoktrination, Repression und wirtschaftlichen Niedergang sind kein Wort wert. Von einer Stimmung im Volk kann er nichts berichten. Von dieser Welt wusste er nichts. Entfremdung per excellence, sprich: Klischee ist keins.


    Das ist kein Buch über Polen. Sein Output bewegt sich nur in Regierungskreisen. Vermutlich einige formale Fakten wären zu holen. Das war weniger mein Ansinnen.

    Das sind nur jene Dinge, die hängengeblieben sind. Bei 64 Seiten war Schluss. Aus Faszination am Unglaublichen wurde Zusehens Ekel.

    Was einen deutschen Verlag (Hoffmann und Campe) dazu getrieben hat, es der deutschsprachigen Leserschaft darzubieten. Mir ein völliges Rätsel. Völliges.


    Zum Ausklang zwei Zitate:

    S. 48 ist der verrußte Bengel auch noch eingeschnappt: „In den Jahren, in denen ich Vizepremier war, informierten die sowjetischen Medien ihre Leser überhaupt nicht davon, dass es einen Rakowski in diesem Amt gab.“ Ja ist es denn zu fassen. Kopfschüttel.

    S. 61 zur Einführung des Kriegsrechts: „Man konnte wieder unbehelligt auf die Straße gehen, Streiks und Demonstrationen hörten auf, [welch euphemistisches Glanzstück] man brauchte nicht mehr vor jedem anbrechenden Tag Angst haben.“ Anschließen bringt er Zahlen, dass doch so viel Polen das Kriegsrecht bei weitem sooo schlimm nicht fanden. Nicht zu fassen. Kopfsenk.


    Bei jedem Klassentreffen ist feststellbar, dass selbst Jahrzehnte ehemaligen Mitschülern im Wesentlichen nichts anhaben konnten. Die Grüppchen sind nahezu identisch. Das Murmeltier, das in Jahresabständen grüßt. Weiß jeder.

    Warum!? dann, macht man Liebkind bei einem KGB-Agenten, der Dresden gut kennt. Man hätte es nicht wissen können. Man musste es wissen. So auch bei diesem Buch. So ein Schund gehörte niemals ins Deutsche übersetzt, ist es doch im Polnischen sicherlich eine Beleidigung für jeden der die Sprache versteht.


    Die ersten Streikenden, die vom Militär erschossen wurden, sind Rabowski lediglich strategisch gaaaanz ungelegen gekommen. Aber naja, er war Aufsichtsinstanz, aber die im Innenministerium haben eh immer ihr eigenes Ding gemacht. Er mochte sie auch nicht sonderlich. Was sollte er da bloß machen.


    Abschließend.

    Das gebraucht gekaufte Buch birgt obendrein einen bitteren Witz auf der ersten Seite, die Widmung für den Beschenkten: „Geschichte lässt uns Gegenwart verstehen.“

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Mieczyslaw Rakowski - Es begann in Polen. Der Anfang vom Ende des Ostblocks“ zu „Mieczyslaw Rakowski - Es begann in Polen. Der Anfang vom Ende des Ostblocks /Jak to się stało“ geändert.