J.L. Carr – Leben und Werk der Hetty Beauchamp / What Hetty did

  • Klappentext/Verlagstext
    Ostengland, Ende der 80er-Jahre: Die 18-jährige Hetty steht kurz vor dem Schulabschluss. Für die Zeit danach hat sie große Pläne: Sie will Literatur studieren, etwas aus ihrem Leben machen! In ihrem kleinbürgerlichen Elternhaus schlägt ihr wenig Verständnis entgegen – das gilt vor allem für ihren cholerischen Vater. Als sie erfährt, dass sie adoptiert worden ist, läuft Hetty davon. Ihr Weg führt sie nach Birmingham, wo sie ihre leiblichen Eltern finden will. Sie kommt in der Pension der exzentrischen Rose Gilpin-Jones unter. Die hilfsbereite Landlady unterstützt sie bald bei der Suche nach ihrer wahren Familie. Und während Hetty das Stadtleben kennenlernt, ganz besondere Menschen trifft und die eine oder andere Enttäuschung erfährt, begreift sie vor allem eines: Es ist nicht wichtig, woher wir kommen, sondern wohin wir gehen wollen. Schließlich entwickelt sich eine Zukunftsperspektive in Cambridge, die ihr sehr verlockend erscheint …
    ›Leben und Werk der Hetty Beauchamp‹ ist eine kluge Coming-of-Age-Geschichte mit viel britischem Witz und voller herrlich schräger Charaktere – eine weitere spannende Facette im Werk des Bestsellerautors J. L. Carr.


    Der Autor
    J.L. Carr wurde 1912 in der Grafschaft Yorkshire geboren und starb 1994. Nachdem er jahrelang als Lehrer gearbeitet hatte, gründete er 1966 einen eigenen Verlag und verfasste acht Romane. ›Ein Monat auf dem Land‹ (DuMont 2016) war 1980 für den Booker-Preis nominiert. Bei DuMont erschien außerdem das hochgelobte ›Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten‹ (2017).

    Biografie


    Das J.L. Carr-Universum
    In diesem Roman tauchen Figuren aus anderen Büchern von J.L. Carr auf; noch nicht alle Titel sind übersetzt: u. a. Mr Harpole, Emma Foxberrow, Edward Peplow.


    Inhalt
    Kurz vor dem Abitur muss sich die 18-jährige „Hetty“ auf dem Weg zu ihrer Freundin durch eine Anti-Atomkraft-Demonstration quetschen, die gerade ihren Heimatort durchquert. J.L. Carrs 1988 im Original erschienener Entwicklungsroman spielt zurzeit der Thatcher-Ära Ende der 80er Jahre im Fenland nördlich von Cambridge. Ethel Birtwisle, die sich Hetty nannte, erinnert sich heute als Erwachsene an ihre Lehrerin Miss Braceburn, die ihre literaturbegeisterte Schülerin unbedingt fördern und zum Studium ermuntern wollte. Als es mit ihrem Vater zu einem Konflikt um Hettys seiner Ansicht nach unpassende Lektüre kommt, wird sie davon überrumpelt, dass der „Hauptdarsteller“, wie sie ihren Vater zynisch nennt, nicht ihr leiblicher Vater ist. Sie wurde als Baby direkt aus einer Klinik in Birmingham adoptiert; ihr adoptierter jüngerer Halbbruder war ein Findelkind. Hettys Adoptivmutter wirft mit kryptischen Andeutungen die aufmüpfige Tochter aus dem Haus, angeblich, um sie vor dem cholerischen Vater zu schützen.


    Noch ehe sie ihre Abiturnoten erhalten hat, bricht Hetty entschlossen nach Birmingham auf, um ihre leibliche Mutter zu suchen. Fortan nennt sie sich Hetty Beauchamp. Schon auf der Bahnfahrt trifft sie einen altertümlich charmanten Passagier, der ihr Arbeit und Unterkunft in der Pension von Rose Gilpin-Jones vermittelt. Roses Pension hat exzentrische Gäste zu bieten und wird zu Hettys Refugium. Zugleich wird an dieser Stelle deutlich, dass J.L. Carr seine Provinz-Romane in einem eigenen Universum angesiedelt hat; wir treffen u. a. auf den betagten Kriegsveteranen Mr. Peplow und auf Mrs. Foxberrow aus „Die Lehren des Schuldirektors George Harpole“. Durch ihre Arbeit bei Rose reift Hetty und erfährt von Schicksalen, auf die die Schule sie nicht vorbereiten konnte. Auf ihrem Weg stets gestützt von erwachsenen MentorInnen muss Hetty sich jedoch mit ihrer leiblichen Mutter auseinandersetzen, bevor sie ins Studentenleben aufbrechen kann.


    Fazit

    Als Insider des britischen Bildungssystems ist von J.L. Carr ein hochironischer Umgang mit dem Thema Bildung zu erwarten. Seine jungen Lehrerfiguren und älteren Kriegsveteranen konnten mich in seinen vorhergehenden Romanen eher überzeugen als seine 18-jährige Hetty. Ethel/Hetty habe ich als altersloses Wesen erlebt. Die Konfrontation mit ihrer Adoption verarbeitete sie in einer Art, die m. A. dem Umgang mit sozialer Elternschaft in den 80ern weit hinterherhinkte. Streckenweise habe ich daran gezweifelt, dass die Ereignisse wirklich in der Thatcher-Ära spielen und nicht Jahrzehnte früher. Meine Einschätzung der Provinz-Romane Carrs hat sich jedoch entscheidend geändert durch die Entdeckung, dass sein literarisches Fenland ein ganzes Universum bilden wird, wenn erst alle Romane übersetzt sind.


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