Anna Burns - Amelia / No Bones

  • Irland ist auch mitten in Europa.


    Ukrainische Flüchtlingskinder können in Deutschland ihre Schule online fortführen, wenn sie es denn nach Deutschland schaffen und die Lehrer in der Ukraine die Bomben überleben.


    Irische Kinder hatten keine Fluchtmöglichkeit. Bomben, Scharfschützen, niedergebrannte Häuser waren ihre Normalität. Wenn man von 1969 bis 1994 im Krieg lebt, 25 Jahre lang nichts als Tod und Terror erlebt, dann verrohen die Menschen, verlieren ihre Menschlichkeit, werden zu Bestien, verlernen das rationale Denken. Wir begleiten Amelia Burns durch ihre Kindheit, Jugend und Teil ihres Erwachsenenalters. 1989 schafft sie endlich den Absprung und fährt nach London. Doch der Krieg lässt sie nicht los. Wie so viele anderer Kriegsmädchen leidet sie an Alkoholsucht, Anorexie, ihre im Krieg getöteten Freundinnen und Geschwister verfolgen sie, werfen ihr vor, weshalb Amelia noch lebe, wenn sie doch tot seien.


    Wie erbarmungslos muss eine Gesellschaft sein, wenn fünf Vierzehn- bis Fünfzehnjährige befohlen wird sich an einem Ort einzufinden, damit ihnen die Kniescheiben zerschossen werden, für ihre Straftaten? Und die Kinder finden sich auch tatsächlich da ein, vier von Ihnen werden beide Kniescheiben zerschossen, der fünfte wird mit einer leichten Wunde an der Wade begnadigt, nur um nachher doch noch seinen Tod zu finden.


    Wie brutal kann eine Gesellschaft werden, wenn ein junger Mann vom eigenen Cousin hinterrücks erstochen wird und ihm die Uhr geklaut wird? Eine Uhr die der junge Mann ihm freiwillig geben wollte und um die Familie nicht in Gefahr zu bringen wollte er sie in Zivilkleidung besuchen, nicht in Uniform.


    Wie hartherzig und gewalttätig kann eine Gesellschaft sein, wenn eine Frau, Mutter von sechs Kindern, zuerst Sex haben muss, egal mit wem, um danach in Ruhe andere Menschen töten zu können? „Die Einstimmung auf einen Mord, das wird jeder bestätigen können, fordert ihren Tribut, und Bronagh war da keine Ausnahme. Glücklicherweise hatte ihr Unterbewusstsein ein Gegengift entwickelt. Bevor sie jemanden umbrachte, brauchte sie lediglich ein wenig zwangsgestörte menschliche Nähe, und das zwangsgestörte Mittel der Wahl war für Bronagh dominanter und sehr schneller Sex.“ (S. 264)


    Und als der Frieden endlich da ist, wissen sie nicht, was mit sich machen, die Überlebenden. Ein banaler Tagesausflug wird zur Sensation, den zuerst alle ablehnen und dann vehement einzufordern. Es ist interessant, auf diesem Tagesausflug auf eine kleine Insel, Rathlin, begegnen ihnen auch vom Krieg gezeichnete Menschen: Fremde sind nur im Laden willkommen, ansonsten werden sie angefeindet. Sie haben sich so lange abgeschottet, dass sie in Fremden Feinde sehen. Aber auch die Lovett Familie, die diesen Tagesausflug unternimmt, kann den Tag nicht richtig genießen, bis sie nicht erst streiten: „Um sich entspannen zu können, mussten sie erst streiten“ (S. 377). Vielleicht gehört das auch zum Friedensprozess.


    Ich frage mich, wie damals, 1648, nach dem Dreißigjährigen Krieg, der Friedensprozess vor sich ging? Wann begannen die Menschen endlich an den Frieden zu glauben?


    Ohne Pathos, schlicht und nüchtern erzählt uns Anna Burns aus Amelias Sicht über das veränderte Leben. In der Kindheit waren es Raupen, niedergebrannte Häuser, Papierpuppen, erschossene Menschen - alle haben den gleichen Stellenwert. Später sind es dann Freunde, Geschwister, niedergebrannte Häuser, erschossene Menschen, Bomben. Dies ist ein Kriegsbericht aus erster Hand, eindringlicher und schärfer als Antonia Rados ihn je vorbringen könnte

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Anna Burns Amelia“ zu „Anna Burns - Amelia / No Bones“ geändert.
  • Als ich dieses Buch zum ersten mal in die Hand nahm, war ich dann doch eher unsicher, ob es wirklich was für mich sein könnte. Der Inhalt hat mich dann aber positiv überrascht.
    Die Autorin Anna Buns entführt die Leser_innen in das Nordirland Ende der 1960er Jahre, wo der Konflikt zwischen Protestant_innen und Katholik_innen zu einem richtigen Bürgerkrieg eskalierte. Familienbande brechen auseinander, Nachbarn werden zu Feinden und Gewalt erscheint als einzige Konstante. Mittendrin in diesem Chaos versucht die kleine Amelia durch die Beschäftigung mit ihren kleinen Schätzen eine Art sicheren Raum für sich zu schaffen. Als Leser_innen bekommen wir ihren Umgang mit den Konflikten dieser Zeit hautnah über mehrere Jahrzehnte mit.

    Gerade in Zeiten wie diesen, wo der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist, bekommt dieses sehr berührend geschriebene Buch eine neue erschreckende Aktualität. Es fällt schwer beim Lesen nicht Bezüge zum hier und heute zu ziehen und sich zu fragen, wie es gelingen kann, Kinder wie Amelia zu schützen.

  • Der Konflikt zwischen den Protestanten und den Katholiken in Irland mündet 1969 in den Troubles. Amelia Boyd Lovett ist gerade mal acht Jahre alt, als sie miterleben muss, wie sich Gewalt und Schrecken ausbreiten. Familien brechen auseinander und viele Menschen in der näheren Umgebung werden zu Feinden. Amelia begegnet dem Schrecken, indem sie Schätze sammelt und sie anschaut. Zu diesen Schätzen gehören auch die Gummigeschosse der britischen Armee.


    Wie werden Menschen mit dieser Gewalt fertig? Wie ist es, wenn Waffen überall normal sind und man jederzeit mit einem Bombenanschlag rechnen muss? Was macht die allgegenwärtige Gewalt mit einem Kind?


    Wir begleiten Amelia in Zeiten dieser nicht enden wollenden Konflikte über viele Jahre lang. Es ist erschreckend und grausam, was geschieht. Die Menschen stumpfen immer mehr ab und kennen keine Gnade. Mitgefühl bleibt auf der Strecke. Es ist schwer zu ertragen, dies alles zu lesen. Wer also zartbesaitet ist, sollte vielleicht diesen Roman nicht lesen.


    Ich hätte gerne mehr über die Hintergründe erfahren, die zu den Troubles geführt haben, in diesem Buch geht es nur darum, was das mit den Menschen macht.


    Ein interessanter, lesenswerter Roman, aber wahrlich keine leichte Kost.

  • Schräg und verstörend


    "Amelia" ist nach "Milchmann" das zweite Buch von Anna Burns, das ich gelesen habe und dreht sich ebenfalls um den Nordirlandkonflikt, größtenteils aus der Sicht von Amelia Lovett, die zu Beginn der Troubles acht Jahre alt ist.


    Wie bei dem Thema nicht anders zu erwarten, ist die Geschichte voller Gewalt. Besonders interessant finde ich dabei die Kapitel, in denen Amelia noch jung ist und gar nicht versteht, was genau gerade passiert. Später, als Jugendliche und Erwachsene, ist ihr gesamter Alltag und Familienleben vom Konflikt geprägt - die Schilderung, wie die Gewalt auch in alle Teile ihres Privatlebens eindringt, ist verstörend. Überhaupt ist dieses Buch nicht einfach zu lesen, die Gewalt wirkt abstrus und abstoßend. Einige Abschnitte aus der Sicht einer anderen Figur später im Buch passen meiner Meinung nach nicht richtig, auch wenn Amelia ähnliche Probleme erleben muss.


    Im direkten Vergleich mit "Milchmann" gefällt mir "Amelia" daher nicht ganz so gut. Trotzdem ist es ein interessantes Buch darüber, wie die Troubles ein ganzes Leben bestimmen können.

  • Die Autorin Anna Burns, beschreibt in ihrem neu aufgelegten Debütroman „ Amelia“, schonungslos die tägliche Gewalt während der nordirischen „Troubles“, jedoch kaum Informationen zu den Ursachen des Nordirlandkonflikts.

    Inhalt:

    1969 begannen in Irland die Troubles. Doch das kümmert Amelia Boyd Lovett erst einmal wenig. Noch klettert sie jede Nacht und jeden Tag in ihr Versteck, um sich ihre Schätze anzugucken: ein kleines Plastikschaf, ein Groschen mit einem eingeprägten Gebet, eine Tube Glitzer. Und siebenundreißig Gummigeschosse. Eins für jeden Tag, seitdem die britische Armee angefangen hat, damit zu schießen.

    Amelia ist ein Buch über Gefühle, Familie und Irland während der Troubles. Aber erzählen Sie das nicht der achtjährigen Amelia. Immerhin ist sie es, die in einer verrückten Familie, in einer verrückten Gesellschaft aufwachsen muss und vergessen will, was um sie herum passiert. Denn das ist so einiges: Schülerinnen, die bewaffnet herumspazieren; Babies, die Bomben sein könnten oder auch nicht; Achtjährige, die merkwürdige Dinge sammeln. Wenn Amelia überleben soll, muss sie ihren eigenen Weg finden. Aber kann sie das an einem Ort, an dem die Menschen weder auf sich selbst noch andere Acht geben?

    Meine Meinung:

    Die Autorin hat einen sehr direkten Schreibstil, denn sie beschönigt nichts und schildert den nordirischen Alltag während der Troubles. Sie zeigt schonungslos und unsentimental die Gewalt, die das Aufwachsen der Kinder prägt. Bombenanschläge, Schießereien, zwielichtige Gruppierungen, tote Familienangehörige, die nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren sowie häusliche Gewalt, die Vergewaltigungen nicht ausschlossen. Eine Spirale, aus der es kein Entkommen gab. Die Flucht in Drogen und Alkohol schaffte kurzzeitiges Vergessen des trostlosen Alltags. Die Hoffnung auf Normalität ein unerfüllter Wunschtraum.

    Die achtjährige Amelia Boyd Lovett lebt mit ihren Eltern und ihren Geschwistern in einfachen Verhältnissen in Belfast und wächst mitten in den „Troubles“ auf. Zunächst ist das für sie normal, sie kennt es nicht anders. Die Schilderungen rund um Amelia mit all den Grausamkeiten und gewaltsamen Darstellungen von weiteren Familienmitgliedern, sind schon sehr heftig, die sie erlebt. Es gibt nur Kleinigkeiten an denen sich Amelia erfreuen kann.

    In dem Buch geht es um die Auswirkungen, die dieser Bürgerkrieg nicht nur auf Familien, sondern auf eine ganze Generation hat. Ganz außen vor bleiben „Gefühle“, selbst innerhalb der Familie konnte ich keine entdecken!

    Fazit:

    Der flüssige Schreibstil der Autorin gefällt mir zwar recht gut aber mit einer besseren Umsetzung bzw. Verknüpfung der Kapitel, hätte für mich die Geschichte weitaus mehr Potential gehabt. Die Handlung wirkte zum Teil fast unlogisch, da einige Ereignisse ohne einen Zusammenhang zu erkennen, plötzlich auftauchten und auch schon wieder abgehandelt waren. Die Geschichte wurde meinen Erwartungen nicht gerecht und konnte mich leider nicht überzeugen.

  • Ein Ödland der Abschottung, ein Ort voller Hass


    Das ist Zeitgeschichte in Nahaufnahme, gesehen durch die Augen eines Mädchens und später einer jungen Frau, verzerrt in Froschperspektive. Es geschah in Westeuropa vor etwa 50 Jahren, und wenn man das betrachtet, braucht einen in der Gegenwart gar nichts zu wundern: Krieg verroht und setzt die niedersten Instinkte frei.


    Burns setzt das in Szene mit sinnlos brutalen Episoden, die zum Himmel schreien. Der Riss geht mitten durch die Familien, und die Gewalt richtet sich vor allem nach innen, von Kapitel zu Kapitel werden die beschriebenen Charaktere immer gestörter: wenn sie nicht den Anschlägen zum Opfer fallen, spielen sie aus Langeweile russisches Roulette.


    Die moralische Verkommenheit, die Schamlosigkeit und Unmäßigkeit drücken sich aus in maßlosem Essen und Magersucht, in Alkohol, Anorexie, Säuglingsmord und abstoßendem Sex. Besonders schwer erträglich sind nicht einmal die hemmungslosen Grausamkeiten, sondern noch mehr die emotionale Verrohtheit, die Gleichgültigkeit, die verwahrlosten Verhältnisse.


    Meisterhaft beschreibt sie ab Seite 162 die innere Verfassung des psychisch kranken Vincent, aber dann verstrickt sie sich immer kryptischer, aber hochgradig artifiziell in dessen Wahn, bis sie den Lesern die Auflösung in kleinerer Schrift anbietet.


    Titelbild und Titel führen in die Irre: man stellt sich ein Mädchenschicksal vor, aber das ist nicht das Thema.


    Die geschilderte über Jahrzehnte hinweg unheilbar widerwärtige Situation ist ein Resultat des Bürgerkriegs. Insofern wird das Buch seiner Intention gerecht, Krieg so entsetzlich darzustellen wie er ist. Das ist aber insgesamt ganz schwer auszuhalten, und bei all der zweifellos vorhandenen schriftstellerischen Virtuosität weiß ich nicht, wem ich diesen Roman empfehlen sollte.


    Genauso schwer fällt mir die Bewertung: wer bin ich, eine Booker-Preisträgerin zu kritisieren, deshalb lasse ich es bei 3 Punkten bewenden.

  • Im Jahr 1969 nehmen die Unruhen in Irland ihren Anfang. Das kümmert die fast achtjährige Amelia Boyd Lovett aber erst einmal wenig. Sie besucht jeden Tag ihr Versteck, um sich ihre Schätze anzugucken: ein kleines Plastikschaf, eine Münze mit einem eingeprägten Gebet, eine Tube Glitzer - und Gummigeschosse, die sie sammelt, seitdem die britische Armee angefangen hat, damit zu schießen…


    „Amelia“ ist der Debütroman von Anna Burns, der im Original bereits 2001 erschienen ist.


    Meine Meinung:

    Der Roman besteht aus 26 Kapiteln, die wiederum in Abschnitte unterteilt sind. Die Handlung umfasst mehrere Jahrzehnte: von 1969 bis Mitte der 1990er-Jahre. Immer wieder gibt es Zeitsprünge. Die entsprechenden Jahreszahlen befinden sich am Anfang der Kapitel. Dieser Aufbau ist nicht unkompliziert, aber geschickt komponiert.


    Der Schreibstil ist dialoglastig und sehr plastisch, manchmal auf schmerzhafte Weise. Die Sprache wirkt nüchtern und schnörkellos und ist gleichzeitig eindringlich.


    Amelia ist eine reizvolle Protagonistin. Daneben gibt es eine Vielzahl an weiteren Figuren.


    Inhaltlich ist der Roman keine leichte Kost. Obwohl er schon vor mehr als 20 Jahren verfasst wurde und die Handlung in der weiter zurückliegenden Vergangenheit verortet ist, hat das Thema nicht an Aktualität eingebüßt. Die jüngsten Unruhen in Nordirland haben den Fokus der Öffentlichkeit wieder auf den Konflikt gelenkt. Daher hatte ich mir tiefergehende Einblicke erhofft, die ich leider aber nur teilweise erhalten habe. Allerdings konnte mich die Geschichte dennoch berühren.


    Der deutsche Titel weicht erheblich von der englischsprachigen Originalausgabe („No Bones“) ab, passt aber natürlich auch. Das erfrischend ungewöhnliche Cover wurde übernommen.


    Mein Fazit:

    Auch mit „Amelia“ hat Anna Burns einen sehr speziellen und originellen Roman geschrieben. Trotz mehrerer Schwächen eine insgesamt lohnenswerte Lektüre.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Die nordirischen 'Troubles' im Angesicht der Kinder

    Nachdem ich den Klappentext gesehen hatte, wollte ich dieses Buch unbedingt lesen. Da mich der Nordirlandkonflikt immer wieder mal beschäftigt hat, erwartete ich viel historischen Hintergrund und gleichzeitig mehr über die Wirkung auf die Heranwachsenden zu erfahren. Das auf den ersten Seiten vorgestellte Mädchen Amelia war mir sympathisch, wenn auch etwas außergewöhnlich mit ihrer Sammelleidenschaft und ihrem Spielverhalten.

    Meine Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Die Autorin zeichnet ein grauenvolles Bild der Troubles, die sich von 1969 bis in die 90er Jahre hinzogen, wobei sie hauptsächlich die Verrohung der Kinder bzw. Jugendlichen beschreibt. Es ist die Zeit des sinnlosen Abschlachtens und der puren Verzweiflung, die sich natürlich auf die Kinder überträgt.

    Im Laufe der Seiten meint man nur noch auf Psychopathen zu treffen, die ihr soziales Umfeld bedrohen und auch vor lebensbedrohenden Aktionen nicht zurückschrecken. Dabei hatte ich zunehmend das Gefühl, dass es sich überwiegend um Gewaltphantasien handelte, aus denen der Leser mühsam die Realität rausfiltern sollte. Aber wo ist die Grenze? Das wurde mir nicht klar. Ebenso wenig wurde mir klar, warum diese Gewaltexzesse ihren Platz in diesem Buch finden, denn man hätte sich ja auch mit den Traumata der Heranwachsenden, deren Ursachen und Auswirkungen beschäftigen können. Das hätte mir besser gefallen.

    Ganz im Gegenteil werden hier jedoch perverse Spielchen beschrieben, die von kleinen Kindern mit ihren Puppen nachgespielt werden, oder brutale Attacken mit diversen Gegenständen, die großen Schaden anrichten, und verbreitet widerlichen Missbrauch. Sehr makaber fand ich den Auftritt von Mary, die ihr Baby im 'Plastikbeutel' spazieren fährt, wobei wahrscheinlich die Plazenta gemeint ist.

    Amelia kann einem Leid tun, denn sie hat keinen, der wirklich zu ihr steht. Sie driftet jedoch nicht in Gewalttätigkeiten ab, sondern flieht in Anorexie und Alkoholabhängigkeit. Sie möchte nach London, um dem Grauen zu entkommen. Zunächst wird sie nur belächelt und nicht ernst genommen. Als sie schließlich den Ausbruch schafft, ist nicht sicher, ob es ihr gelingt, die traumatisierenden Erfahrungen zu vergessen oder zumindest zu bekämpfen.

    Die Atmosphäre in diesem Buch ist durchgehend niederdrückend, keine unbeschwerte oder sachliche Lektüre. Das Buch zeigt auf erschreckende Weise, was ein kriegerisches Umfeld aus einem Menschenleben machen kann, was gerade in dieser Zeit hochaktuell ist. Mir waren jedoch die Brutalität und die Gewaltbereitschaft, wie sie in diesem Buch beschrieben werden, eindeutig 'too much'.

  • Klappentext von der Verlagsseite:


    »Originell und von Anfang an voll Dramatik und Energie.« The Times


    1969 beginnen in Nordirland die Troubles. Doch Amelia Boyd Lovett versucht, sich auf ihre Habseligkeiten zu konzentrieren. Jeden Tag schaut sie sich die Schätze an, die sie unter ihrem Bett in einem abgewetzten Koffer versteckt: ein kleines Plastikschaf, ein Gebet für einen Penny, eine Tube Glitzer. Und siebenunddreißig Gummigeschosse. Die sammelt sie, seitdem die britische Armee angefangen hat, damit zu schießen.

    Belfast.


    Amelia ist acht, als die Troubles beginnen. Zum Ende der Unruhen ist sie Mitte dreißig. Dazwischen spannt sich die Geschichte eines Mädchens, das in einer verrückten Gesellschaft aufwächst und dabei ganz auf sich gestellt ist – trotz der Groß­familie, mit der es unter einem Dach lebt. Amelia will um jeden Preis vergessen, was um sie herum passiert. Und das ist so einiges: Schülerinnen, die bewaffnet herumspazieren, Babys, die Bomben sein könnten oder auch nicht, Jugendliche, die sich als Ordnungshüter aufspielen, und Heimwege, die ein bitterböses Ende bereithalten. Wenn Amelia überleben will, muss sie ihren eigenen Weg finden. Aber kann sie das an einem Ort, an dem die Menschen jedes Gefühl für­einander verloren haben?


    »Fantastisch: schockierend, bewegend, eindrucksvoll.« Daily Mail


    Autoreninfo von der Verlagsseite:


    Anna Burns, geboren in Belfast, Nordirland, ist Autorin mehrerer Romane. 2018 erhielt sie für Milchmann den Man Booker Prize. Das Buch wurde zu einer internationalen Sensation und mit zahlreichen weiteren Preisen ausgezeichnet, u. a. dem Orwell Prize und dem National Book Critics Circle Award. Milchmann erschien bisher in 30 Ländern. Anna Burns lebt in East Sussex, England.


    Erster Satz:


    Die Unruhen begannen an einem Donnerstag.


    Meinung:


    Anna Burns erzählt in “Amelia” den Beginn des Nordirland-Konflikts von 1969 bis 1994 mit all seinen Schrecken und Gefahren. Deutlich zeigt sie in “Amelia” die Grausamkeit des Konflikts zwischen Protestanten und Katholiken anhand Amelia und ihrer Familie auf.


    Burns erzählt den Schrecken chronologisch und so erleben wir zusammen mit der verängstigten achtjährigen Amelia, im vernagelten Haus den Beginn der Krawalle. Sie verdeutlicht den Schrecken gekonnt mit einer ungekünstelten nüchternen Sprache und mich ließ der Schrecken während der gesamten 384 Seiten nicht los. Ein Gewaltakt reiht sich an den anderen und das nicht nur außerhalb der Familie, sondern dies auch innerhalb der Familie.


    Ein wahres Grauen was Amelia erlebt. Mit Terroranschlägen, Vergewaltigung und psychischen Terror. Niemand kommt unbeschadet aus den Troubles raus. Häuser werden niedergebrannt, Menschen auf offener Straße erschossen oder in den Hinterhalt gelockt. All dies erzählt Anna Burns so deutlich, dass ich das Buch mehrmals zuklappen musste und tief durchatmen musste.


    “Amelia” ist ein harter Roman, der nicht unbedingt auf den eigentlichen Nordirlandkonflikt eingeht und ihn analysiert, sondern vielmehr auf die psychologische Seite. Was macht es mit einem Kind, das ständig der Gefahr ausgesetzt ist erschossen, vergewaltigt oder als Kämpfer*in angeworben zu werden?

    Es lernt zu kämpfen, die Zeichen zu sehen und wird auch gewalttätig und stumpft ab.


    So auch Amelia und ihre Geschwister. Kampf ist an der Tagesordnung und dabei ist es egal ob es Frauen oder Männer sind. Gewalt ist das einzige Mittel, was alle kennen. Amelia überlebt die Troubles, aber als psychisch gebrochene erwachsene Frau.


    Alles erzählt Anna Burns in einem eigenen Klang. Selbst größte Grausamkeiten verpackt sie in Szenen, in denen ich manchmal nicht wusste, ob Amelia träumt oder nicht. Sie versucht wohl damit den Schrecken zu nehmen, aber es gelingt nicht. Dafür ist ihre Sprache zu direkt und eindringlich, teilweise ironisch und sarkastisch. Ich denke, da an das Russische Roulette der Jungs in der Baracke zurück. Oder an die Szene mit der Schulkameradin, die so unschuldig daher kommt als Erwachsene, aber in ihrer Jugend ein furchtbarer Mensch war.


    Stellenweise auch bildhaft und ich hatte oft das Gefühl, in den Straßen von Ardoyne zu sein oder bei Amelia zu Hause oder in der Schule zu sein.

    Wie gesagt musste ich oft schlucken und ich bin glücklich, dass ich zu einer anderen Zeit und in einem anderen Land geboren wurde und nicht so einen Trouble erleben musste. Denn der Trouble bezieht sich nicht nur auf den eigentlichen Konflikt, sondern auch auf den psychologischen Aspekt der ständigen Gewaltausbrüche.


    Fazit


    “Amelia” ist ein packender, aufwühlender und schockierender Roman über die Auswirkungen der Troubles auf die Menschen, die ihnen ausgesetzt waren. Ein Roman, der dringend reine Triggerwarnung braucht, denn er ist am Stück schwer zu ertragen. Ein schweres Thema sprachlich gekonnt umgesetzt.

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


    Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder als ein Buch!
    (Emily Dickinson)



    2024: 010/03.045 SuB: 4.302

    (P/E/H: 2.267/1.957/78)