Lorena Salazars Debütroman lässt sich entblättern wie eine Zwiebel: Er bringt für jeden Leser etwas mit. “Der Fluss ist eine Wunde voller Fische” ist eine Flussgeschichte, eine Reise in die Kindheit, ein Sinnieren über Mutterschaft, eine lyrische Liebeserklärung an eine Landschaft und Kommentar über gesellschaftliche Konflikte in Kolumbien.
Doch von Anfang an: Eine namenlose Ich-Erzählerin fährt mit ihrem Jungen auf dem Fluss zur leiblichen Mutter des Kindes. Diese hatte das Baby nach dessen Geburt bei der Erzählerin aufs Bett gelegt. Sie selbst hatte nämlich schon drei Kinder und fühlte sich nicht in der Lage, noch ein viertes aufzuziehen. Was sich seit damals geändert hat, warum es jetzt doch zu einem Zusammentreffen des Jungen mit seinen zwei Müttern kommen soll, wird erst ganz am Schluss enthüllt. Doch da nimmt das Schicksal bereits seinen Lauf …
Mehrere Tage dauert die Reise auf dem Atrato in Kolumbien. Währenddessen teilen wir die Beobachtungen der Erzählerin: Sie beschreibt die Bootsführerin, ihre Sitznachbarin, die Siedlungen am Ufer, die Übernachtungen bei wildfremden Menschen. Wie bei Joseph Conrad ist auch hier die Reise auf dem Fluss eine Reise ins eigene Ich, in diesem Fall in die Kindheit der Erzählerin, die sich als einzige Weiße zwischen lauter Schwarzen immer als Außenseiterin gefühlt hat.
Wer lateinamerikanische Literatur mag, wem lyrische Beschreibungen einer fast erdrückenden Natur liegen, wer vielleicht auch etwas über das Innenleben einer jungen Frau erfahren will, die allein ein Kind großzieht, das nicht das ihre ist, der ist bei Lorena Salazar gut aufgehoben. Ein sehr starkes Debüt!