Georges Simenon - Drei Zimmer in Manhattan / Trois chambres à Manhattan

  • Autor: Georges Simenon
    Titel: Drei Zimmer in Manhattan, aus dem Französischen übersetzt von Linde Birk
    Originaltitel: Trois chambres à Manhattan, erschien erstmals 1946
    Seiten: 240 Seiten, unterteilt in 11 Kapitel
    Verlag: Diogenes
    ISBN: 9783257241259


    Der Autor: (der Verlags-Homepage entnommen)
    Georges Simenon, geboren 1903 in Liège/Belgien, begann nach abgebrochener Buchhändlerlehre als Lokalreporter. Nach einer Zeit in Paris als Privatsekretär eines Marquis wohnte er auf seinem Boot, mit dem er bis nach Lappland fuhr, Reiseberichte und erste ›Maigret‹-Romane verfassend. Schaffenswut und viele Ortswechsel bestimmten 30 Jahre lang sein Leben, bis er sich am Genfersee niederließ, wo er nach 75 ›Maigret‹-und über 120 ›Non-Maigret‹-Romanen, statt Romane zu schreiben, ausgreifende autobiographische Arbeiten diktierte. Er starb am 4. September 1989 in Lausanne.


    Inhalt: (Klappentext)
    New York. Nacht. Ein Mann und eine Frau gehen die Fifth Avenue entlang. Betreten eine Bar. Kommen heraus, gehen weiter, als hätte diese Nacht kein Ende. Er weiß nichts über sie, sie weiß nichts über ihn. Sie ist weder jung noch wirklich schön. Die beiden haben sich vor wenigen Stunden in einem Café kennengelernt, wie zwei Schiffbrüchige. Und allein der Gedanke, dass etwas sie trennen könnte, ist schon unerträglich. Doch wie kann man in dem zeitlosen Raum bleiben, den man Liebe auf den ersten Blick nennt? Ein großer Liebesroman, in dem Simenon seiner zweiten Frau Denyse ein Denkmal setzt.


    Meinung:
    Georges Simenon kannte ich bislang nur als Autor von Kriminalgeschichten und autobiographischen Texten. Dass er auch Liebesgeschichten schrieb, war mir bislang nicht bekannt.


    Aber tatsächlich: in diesem Buch passiert kein Mord, kein Verbrechen, keine Ermittlungen. Es geht um zwei einsame, in New York gestrandete Franzosen, die sich im Nachtleben treffen und sich trotz aller Gegensätze verlieben. Wobei Gegensätze – beide sind einsam, das reicht offenbar als verbindendes Element. Ansonsten betrinken sie sich in diversen Bars, erzählen einander Anekdoten aus einem besseren, früheren Leben – wobei der Wahrheitsgehalt getrost bezweifelt werden darf. So richtig beschrieben werden die beiden Protagonisten gar nicht, es bleibt bei Andeutungen, sonderbaren Erklärungsversuchen und einer unbestimmten Atmosphäre.


    Ich habe ja schon einiges von Georges Simenon gelesen, aber dieser Liebesroman gehört bislang zum schwächsten Werk. Für mich bleiben alle Personen in dem Text schwach, unklar, ihre Motive und Handlungen bleiben mir unerklärlich. Ja, das Lesen ärgerte mich regelrecht. Das Frauenbild ist schrecklich, das kann ich mir auch nicht damit erklären, dass der Roman bald 80 Jahre alt wird. Ein Denkmal soll Simenon damit seiner zweiten Frau gesetzt haben – mir sträuben sich die Haare:

    Also auf ein solches Denkmal könnte wohl jeder Mensch verzichten. Das muss ja eine sehr einseitige Beziehung gewesen sein. Wer dazu doch mehr wissen möchte, kann sich hier einen kurzen Überblick über die Beziehung verschaffen: Simenon - Neuanfang


    Ansonsten lebt der handlungsarme Roman von Selbstgesprächen und bedeutungsschwangeren Dialogen. Das Nachtleben von New York wird als eine Ansammlung von Bars und Nachtclubs beschrieben, die von einsamen Menschen nur so wimmeln. Weshalb ausgerechnet diese beiden Menschen sich aufgabeln und solch eine «krankhafte» Beziehung eingehen, ich verstehe es nicht. Und das ist mir bei Simenons Romanen noch nie passiert: dass ich keinen Bezug zu den Personen aufbauen konnte und mir die beschriebene Atmosphäre als zu oberflächlich vorkam.

  • Und das ist mir bei Simenons Romanen noch nie passiert: dass ich keinen Bezug zu den Personen aufbauen konnte und mir die beschriebene Atmosphäre als zu oberflächlich vorkam.

    Ich habe mal gelesen, Simenon habe immer einfach drauf losgeschrieben. Also angefangen und irgendwann geendet, ohne jemals eine Zeile noch einmal zu lesen oder zu verbessern. Er war ein besessener Schreiber und hat permanent geschrieben. Um Qualität hat er sich offensichtlich nicht bemüht, sondern sie gelang einfach, manchmal mehr, manchmal weniger. Ich weiß nicht, ob das stimmt, habe zu wenig von ihm gelesen.

    Was das Frauen-Thema betrifft: Er hat sich gerühmt, in seinem Leben mit 10.000 Frauen geschlafen zu haben. Wer's glaubt. In jedem Fall war er sicher einer der Autoren, die man vom Werk getrennt sehen muss. Aber sein Brief an meine Mutter ist ein derart sensibles, anrührendes Porträt einer Kindheit, dass es mich für immer für ihn eigenommen hat.

    Nungesser: Entschuldigung, das trägt ja nun wirklich gar nichts zu dem bei, was du geschrieben hast. Aber es war das, was mir durch den Kopf geht, wenn ich an Simenon denke.

    signed/eigenmelody

    Dear Life,

    When I said "Can my day get any worse?" it was a rhetorical question, not a challenge.

    -Anonymous

  • Vielen Dank für Deinen Beitrag eigenmelody ! Mich freut auch zu lesen, welche Gedanken Dir beim Lesen der Rezi durch den Kopf gehen - das muss ja keine eindeutige Replik auf meine Meinung gemacht werden.

    Aber ja, die Sache mit den 10.000 Frauen hatte ich auch schon gelesen, und den Brief an seine Mutter habe ich hier auch bereits rezensiert. Ich muss sagen, Georges Simenon persönlich scheint mir kein sonderlich sympathischer Mensch gewesen zu sein, aber die Mehrzahl seiner Werke lese ich erstaunlich gerne.

    Meist greife ich zu einem Maigret oder roman dur, wenn ich in einer Leseflaute stecke, und mich nicht entscheiden kann, was ich als nächstes lesen soll. Da hat mir ein Simenon stets geholfen, da wusste ich in etwa, was mich erwartet. Hat diesmal nicht geklappt, umso enttäuschter war ich...