Delphine de Vigan – Die Kinder sind Könige / ‎ Les enfants sont rois

  • Klappentext/Verlagstext
    Wie, fragt sich die ermittelnde Polizeibeamtin Clara, soll man einen Verdächtigen ausmachen bei einem vermissten Kind, das Tausende Menschen kennen und mehrfach täglich sehen? Schnell begreift sie, dass ihre Ermittlungsmethoden in der virtuellen Welt vollkommen nutzlos sind. Mit diesem Fall tritt Clara in eine Welt, von der sie so gut wie nichts wusste. Ihre Arbeit findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, und auch privat ist sie eine zurückgezogene Frau. Schon immer konnte sie mit ihrem Alleinsein umgehen. Mélanie dagegen kann ohne die Aufmerksamkeit ihrer Follower nicht leben. Alles, was sie ist und was sie erreicht hat, verdankt sie dem Netz. Nicht einen Moment kommt ihr der Gedanke, ihre Tochter könnte dieses Leben nicht lieben, könnte sich vielmehr danach sehnen, ein unbekanntes Mädchen zu sein. Den Vorwurf der Ausbeutung ihrer Kinder weist Mélanie verletzt von sich. Und doch wird sie Jahre nach Kimmys Verschwinden genau dessen angeklagt.


    Inhalt
    Als junge Mutter zweier Kleinkinder erlebt Mélanie Delore eine depressive Phase, in der ihr therapeutische Begleitung sicher gutgetan hätte. Aufgewachsen ist sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit der Scripted Reality, die ihr bezahlte Teilnehmer ins Wohnzimmer liefern. Mélanie selbst war vor ihrer Ehe nicht laut und schrill genug, um selbst ein Casting zu gewinnen. Sie findet jedoch Befriedigung darin, in den noch jungen Sozialen Medien ihre unbestreitbar charmanten Kinder Kimmy (w) und Sammy (m) als Kinder-Influencer aufzubauen. Außenstehenden Zuschauern ihres erfolgreichen Video-Kanals wird schnell klar, dass kleine Kinder zwar mal für ein Video posen und sogar einen Rollentext dafür lernen würden. Da sie schon früh instinktiv Peinlichkeiten wahrnehmen, würden sie jedoch nicht freiwillig jedes Bild von sich und jede Gefühlsregung in Echtzeit in Sozialen Medien teilen – wenn man sie zuvor um ihre Einwilligung dafür bitten würde.


    Aus dem eng getakteten Leben so genannter Markenbotschafter verschwindet eines Tages Kimmy, mitten heraus aus einem Versteckspiel mit mehreren anderen Kindern. Mit den Ermittlungen in dem spektakulären Entführungsfall wird die Kommissarin Clara betraut. Sie ist im gleichen Alter wie Mélanie, doch völlig anders sozialisiert und um das Jahr 2015 herum angeblich noch ahnungslos, dass in einigen Familien kindliche Markenbotschafter das Familieneinkommen erarbeiten und die Eltern ganztags und hochprofessionell das Produktplacement organisieren. Juristisch scheint das Influencertum Minderjähriger bisher eine Grauzone zu sein, da es (in Frankreich?) als Hobby und nicht als Kinderarbeit gewertet wird. So dient das Verschwinden von Kimmy Delphine de Vigan dazu, die wirtschaftlichen Folgen zu skizzieren, die das Verschwinden des Kindes für die Delores haben könnte. Die Verknüpfung der Romanhandlung mit Fakten über bezahlte Produktplatzierung durch Kinderarbeit fand ich an dieser Stelle etwas zu aufdringlich pädagogisch. Auch die Parallelgesellschaft der Ermittler wirkte auf mich wenig glaubwürdig, die angeblich nicht davon wussten, dass ein häufiger Berufswunsch von 12-Jährigen inzwischen Beauty-Bloggerin ist. Manche Menschen kennen offenbar keine Kinder.


    In einer sehr empathischen und glaubwürdigen Darstellung aller Beteiligten, besonders der Kinder, kommt es schließlich zu einer Lösung des Falls Kimmy. Ein Zeitsprung um 10 Jahre zeigt 2031 Mélanie und Clara mit Mitte 45, sowie Kimmy und Sammy als volljährige Erwachsene – in beiden Generationen eine wichtige und psychologisch hochinteressante Entwicklungsstufe mit der Chance zur Neuorientierung. Die Dokumentation, wo alle beteiligten Figuren 10 Jahre später stehen, hat auf mich ganz und gar nicht utopisch gewirkt. Delphine de Vigan hält ihren Lesern im Jahr 2 einer fatalen Pandemie den Spiegel vor, wohin die Nutzung Sozialer Medien unsere Gesellschaft gesteuert hat und wirft damit die Frage auf, ob es an diesem Punkt eine Umkehr geben könnte.


    Fazit

    Hochaktuell, empathisch und psychologisch überzeugend, auch wenn die Figur der Mélanie mir etwas zu schlicht geraten ist.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:

    :study: -- Williams - Ours. Die Stadt

    :study: -- Schulz - Projekt Lebensverlängerung


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Umsetzung nicht überzeugend.


    Worum geht es?

    Mélanie präsentiert sich, ihre Familie und vor allem ihre zwei kleinen Kinder im Internet, sichtbar für Millionen Follower. Bei einem Versteckspiel taucht ihre Tochter Kimmy, bekannt und geliebt, dann nicht wieder auf.


    Worum geht es wirklich?

    Sichtbarkeit, Druck und Privatsphäre


    Lesenswert?

    Nein, trotz super interessantem und wichtigen Thema konnte mich die Umsetzung nicht begeistern. Was hat mir gefallen? Der Aufbau der Geschichte war gut gewählt in verschiedenen Jahrzehnten und somit verschiedene Sicht auf Präsentation in der Öffentlichkeit. Und auch die Wahl der Protagonistinnen fand ich gut: Einmal Polizistin Clara und dann Influencerin Mélanie. Der Roman deckt dabei viele verschiedene Themenbereiche ab. Das Erwachsenwerden, der Wunsch nach Sichtbarkeit, der Einfluss der Eltern, dann später wird die Geschichte zu einem aufregenden Kriminalfall. Dessen abruptes Ende hat mich ein wenig überrascht und war mir zu schnell. Weiterhin interessant waren die verschiedenen Layouts, die Einbindung von Polizeiverhören und -sichtungen. Sprachlich angenehm lesbar, bei der mir vorliegenden Auflage jedoch noch Rechtschreibfehler enthalten. Übersetzung wirkt manchmal hölzern bzw. Worte sehr eingedeutscht.

    Das Thema ist wie erwähnt interessant und notwendig.

    Nicht gefallen haben mir die Charakterdarstellungen. Beide Frauen meiner Meinung nach sehr einseitig beschrieben. Bzw. Mélanies Job als Influencerin wird eher ins lächerliche gezogen. Die Tatsache, dass sie zum Beispiel unter Druck stehen wird, weil sie das gesamte Familieneinkommen verdient und gar nicht so einfach Werbeverträge ablehnen kann, bleibt unerwähnt. Natürlich darf man das Prinzip kritisieren, den Konsum. Aber es nur einseitig zu betrachten ist für mich keine gute Lösung. Zeitgleich werden die Männer, die Kritik an ihr üben, eher heldenhaft dargestellt. Sie werden nicht hinterfragt. Ihre Methodik auch nicht.

    Der Fall des verschwundenen Kindes wurde dann sehr abrupt gelöst, die Kapitel danach habe ich als unrealistisch und nicht zur Zeit passend empfunden.

    Alles in allem hatte ich das Gefühl, die Autorin will ein wichtiges Thema besprechen, kennt sich aber inhaltlich nur damit aus, was man als außenstehende Person sieht und glaubt. Es wirkt nicht in die Tiefe recherchiert. Es ist eher ein Fingerzeig auf all die, die ihre Kinder dem Internet preisgeben.

  • Reality-TV, Internet-Plattformen und ihre Macht – zum Nachdenken!


    Der Titel des Buches verrät eigentlich nichts über den tragischen Inhalt, der wohl viel Wahrheit enthält.


    Der Begriff der Privatsphäre ist durch solche Sendungen wie z.B. Big Brother oder privaten Beiträgen auf YouTube, Instagram verändert worden. Die Inszenierung der eigenen Person, der Familie, des Alltags, und sogar die Einbeziehung der eigenen Kinder täglich vor der Kamera – diese Lebensweise mit vorgetäuschter Freude, mit einer digitalen Existenz ist Gegenstand dieses Romans, informierend und auch anklagend. Für ein Like oder einen hochgereckten Daumen zeigt man seine Kinder und seine Familie vor der Kamera mit vorgetäuschter Freude, zur Selbstdarstellung, als unverzichtbares Element der Selbstverwirklichung. Die Auswirkungen dieser digitalen Revolution können im Erwachsenenalter Angststörungen, Traurigkeit, eine hohe Suchtanfälligkeit, nur begrenztes Vertrauen zu den Eltern, Einsamkeit auslösen als Folge fortgesetzter Exposition von Kindern auf sozialen Netzwerken. Geht es hier sogar um eine gestohlene Kindheit?

  • Schon als junges Mädchen hat Mélanie Diore davon geträumt, bekannt zu sein. Nun ist sie die Mutter zweier Kinder und in den sozialen Medien erfolgreich. Tausende verfolgen ihr Leben und das ihres Nachwuchses. Auch ihre Tochter zeigt sie in den Videos und Fotos. Eines Tages verschwindet Kimmy jedoch nach einem Versteckspiel spurlos. Polizistin Clara Roussel nimmt die Ermittlungen auf…


    „Die Kinder sind Könige“ ist ein Roman von Delphine de Vigan.


    Meine Meinung:

    Der Roman besteht aus zwei Teilen, die sich wiederum in etliche umnummerierte Kapitel gliedern. Der erste Teil spielt vorwiegend im Jahr 2019, deckt aber auch die Zeit ab 2001 ab. Der zweite Teil spielt in der Zukunft, konkret im Jahr 2031.


    Der Schreibstil macht zunächst einen nüchternen, recht berichtenden Eindruck. Zugleich ist er aber intensiv und einfühlsam.


    Die Charaktere werden mit psychologischer Tiefe dargestellt. Sie wirken daher realitätsnah und glaubhaft.


    Das Thema des Romans ist brandaktuell und zugleich sehr bedeutsam. Wieder einmal greift die Autorin ein aufwühlendes, kontroverses Sujet auf, das zum Nachdenken und Diskutieren anregt: die ausbeuterische Vermarktung von Kindern in den sozialen Medien und das Verletzen der Rechte und Gefühle von Kindern. All die skurrilen bis gefährlichen Auswüchse und Trends in der Sphäre der Influencer kommen aufs Tableau. Zugegebenermaßen sind die Schilderungen der Folgen im Roman ein eher extremes Beispiel. Ich finde es allerdings toll, dass die Autorin auf diesem Weg für die Problematik sensibilisiert. Darüber hinaus gelingt es ihr, die Vielschichtigkeit und Komplexität des Phänomens abzubilden, ohne die Zwischentöne zu vergessen.


    Auf rund 300 Seiten behält der Roman seine soghafte Wirkung bei. Das liegt einerseits an den rätselhaften Umständen des Verschwinden Kimmys und deren unbekannten Gründen. Andererseits versteht es die Autorin, auch in den weniger dramatischen Passagen zu fesseln.


    Der deutsche Titel ist erfreulich wortgetreu aus dem französischen Original („Les Enfants Sont Rois“) übersetzt. Das Cover ist hübsch, aber erschließt sich mir nur in Teilen.


    Mein Fazit:

    Auch mit „Die Kinder sind Könige“ hat mich Delphine de Vigan begeistert. Wieder einmal hat es die Autorin geschafft, eine wichtige Thematik auf gelungene Weise in einen aufrüttelnden Roman zu packen. Uneingeschränkt empfehlenswert!


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Schöne neue Welt im 21. Jahrhundert

    Als junge Frau wollte Mélanie Claux Star im Reality TV werden, doch es hat nicht geklappt. Jahre später, inzwischen ist sie verheiratet und Mutter zweier Kinder, beginnt sie, ihre Kinder für YouTube zu filmen. Das Format kommt an, sie bekommt immer mehr begeisterte Follower und die Sponsoren reißen sich um sie. Die ganze Familie ist eingebunden, auch ihr Mann gibt seinen Job auf, um an der Produktion der Filme mitzuwirken. Auch finanziell lohnt sich die Sache: nach kurzer Zeit erwirtschaften sie Millionen.


    Zu Beginn des Buchs ist Tochter Kimmy 6, ihr Bruder Sammy 8. Während Sammy klaglos die Drehs über sich ergehen lässt, weigert sich Kimmy immer öfter, die gesponserten Outfits zu tragen und ständig von der Kamera überwacht zu werden. Dann geschieht das Unfassbare: Kimmy verschwindet. Die Kriminalpolizei wird eingeschaltet und die Ermittlerin Clara durchleuchtet das Leben der Familie Claux. Was sie entdeckt, schockiert sie. Ihr war nicht bewusst, dass es solche Kanäle gibt, in denen Kinder hemmungslos vermarktet werden und Privatsphäre ein Fremdwort ist.


    Ein Zeitsprung ins Jahr 2031 offenbart die Langzeitfolgen dieser Art von Unterhaltung. Das Erschreckende an diesem Buch ist, wie realitätsnah es ist. Überall auf der Welt gibt es Eltern, die genau mit dieser Art von Filmen ihre Kinder der Öffentlichkeit preisgeben und ihnen ihre Kindheit rauben. Ich habe dieses Buch atemlos verschlungen und es hat mich sehr deprimiert. „Die Kinder sind Könige“ ist ein hervorragend geschriebenes und hochaktuelles Buch, das jeder lesen sollte. :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Die Autorin thematisiert in diesen Buch die Nutzung der sozialen Medien und was es mit den Menschen macht. Melanie betreibt einen erfolgreichen YouTube Kanal indem sie ihre Kinder rund um die Uhr mit der Kamera begleitet und die Videos teilt. Auf der anderen Seite ist Clara, die Polizistin, die der Entwicklung kritisch gegenübersteht. Als die kleine Tochter verschwindet, eskaliert die Situation.
    Eigentlich müsste das Buch spannend oder emotional sein. Nur leider ist es keins von beiden. Der distanzierte Schreibstil tötet jede Emotion ab. Die Personen bleiben flach und die Handlung liest sich wie ein trockener Polizeibericht. Der Autorin gelingt es nicht, Mitgefühl für die Personen zu entwickeln. Obwohl die Eltern eigentlich geschockt und traurig sein sollten, traten sie total gefasst auf. Mir tat nur das kleine Mädchen leid. Zum Schluss macht die Handlung eine Sprung von 15 Jahren. Hier wird beschrieben, was aus den Akteuren geworden ist. Die Entführung ist nur der Rahmen um die Gesellschaftskritik unterzubringen.
    Ich weis nicht, was die Autorin mit diesen Buch bezweckt. Das Thema soziale Medien und totale Überwachung habe ich schon besser umgesetzt gelesen.

    Sub: 5555:twisted: (Start 2024: 5533)

    Gelesen 2026: 43 / 1 abgebrochen

    gelesen 2023: 55/ 2 abgebrochen / 26075 Seiten

    gelesen 2022: 65 / 26292 Seiten

    gelesen 2021: 94 / 1 abgebrochen / 35469 Seiten


    :montag: Rachel Joyce - Die erstaunliche Entdeckungsreise der Maureen Fry

    :study: Deon Meyer - Der Atem des Jägers


    Lesen... das geht 1 bis 2 Jahre gut, aber dann ist man süchtig danach.

  • Mélanie wollte schon als junges Mädchen berühmt werden. Inzwischen ist sie Mutter von zwei Kindern und hat ihr Ziel erreicht. Auf Youtube hat sie sehr viele Follower, die ihre Kinder hautnah miterleben können. Doch ihre Kinder, ganz besonders die sechsjährige Tochter Kimmy, haben seit einiger Zeit keine Lust mehr darauf, sich ständig filmen zu lassen, was Mélanie nicht versteht. Dann verschwindet Kimmy beim Verstecken spielen spurlos.


    Wieder einmal ist es Delphine de Vigan gelungen, mich gleich in die Geschichte hineinzuziehen, denn die Geschichte ist sehr realitätsnah. Es gibt Menschen, die ihr Leben in den Sozialen Medien leben und die Realität kaum noch wahrnehmen. Auch ihre Kinder werden dort präsentiert, ohne dass die Kleinen darauf Einfluss nehmen können.


    Der Schreibstil ist recht nüchtern und etwas distanziert. Meist wird aus der Perspektive von Mélanie und Clara erzählt. Ich hätte mir gewünscht, dass die Kinder mehr zu Wort kommen, um ihre Gefühle mitzuerleben.


    Mélanie fühlte sich in ihrer Familie nicht wirklich geliebt. Sie war ein Fan von Reality-Shows und wollte genauso viel Aufmerksamkeit. Die bekommt sie nun auf Kosten ihrer Kinder. Ihr Youtube-Kanal ist erfolgreich und das Einkommen nicht zu verachten. Als Kimmy keine Lust mehr hat, schiebt sie es auf eine Laune und übersieht dabei, dass ihre Bedürfnisse und Träume nicht die von Kimmy sind.


    Die Polizistin Clara Roussel übernimmt diesen Fall. Es wird nicht leicht, denn wie soll man ein Motiv und einen Verdächtigen ausmachen, wenn die ganze Welt mit dem Leben der Kinder so vertraut ist. Mélanie ist verzweifelt und begreift nicht, was sie anders hätte machen können. Zum Glück geht Clara die Sache nüchtern an. Was sie herausfindet, ist wirklich tragisch.


    Später bekommen wir noch einen Einblick, wie die Kinder diese Medienpräsenz rückblickend sehen, denn das alles ist nicht einfach an ihnen vorbeigegangen. Sie haben dieses böse Spiel ihrer Mutter zuliebe mitgespielt.


    Dieser Roman ist bedrückend, spannend und macht nachdenklich.

  • Welche Daten hinterlassen wir im Internet und wie gehen wir mit Informationen über unsere Kinder um? Welche Auswirkungen können Reality Formate auf die Entwicklung von Kindern haben? Die Themen dieser Fragestellungen sind brandaktuell, so dass ich mich sehr darüber gefreut habe, das dieses Buch sie aufgreift. Inhaltlich geht es um die Youtuberin und Instagrammerin Mélanie, die mit ihren beiden Kindern Kimmy und Sammy fast täglich online ist und dabei jede Grenze nach kindlicher Privatsphäre niederreisst. Dies gipfelt darin, das Kimmy eines Tages entführt wird und so gut wie jede_r Fan es gewesen sein kann. Die Polizistin Clara versucht mit ihrem Team das junge Mädchen zu finden und gerät dabei in eine Welt, die fast nur aus Likes, Followern und Marketing zu bestehen scheint.

    Die Schreibweise ist sehr eindringlich und erzeugt ein Gefühl der Bedrückung über die Zustände in dieser unserer Welt. Das Buch ist aber auch ein Aufruf dazu, unser eigenes Verhalten im Internet in Frage zu stellen und hier sensibler zu werden.

  • Mélanie war als junges Mädchen ein großer Fan von Formaten wie ›Big Brother‹. Sie hatte stets davon geträumt, gesehen und berühmt zu werden. Jahre später, als Mutter zweier Kinder, ist es ihr gelungen: Sie ist eine erfolgreiche Youtuberin mit Tausenden von Followern und millionenfachen Likes und Clicks. Objekt ihrer Videos und Posts sind ihre Kinder, die sie auf Schritt und Tritt filmt. Seit Kurzem kommt ihre kleine Tochter, der Star ihres Kanals, dem Filmen immer unwilliger nach. Mélanie tut das als eine Laune ab. Denn wie könnte man die unendliche Liebe, die ihnen aus dem Netz entgegenkommt, als Last empfinden? Dann verschwindet Kimmy nach einem Versteckspiel spurlos. Wie, fragt sich die ermittelnde Polizeibeamtin Clara, soll man einen Verdächtigen ausmachen bei einem Kind, das Tausende Menschen kennen und mehrfach täglich sehen? Schnell begreift sie, dass ihre Methoden der Ermittlung in der virtuellen Welt vollkommen nutzlos sind.


    Meine persönlichen Leseeindrücke

    Die Welt der Influencer, der Social Medias, des Scheins und weniger des Seins ist ein brandaktuelles Thema. Nachdem das Buch lang genug auf den Bestsellerlisten stand und allgemein sehr positiv besprochen wurde, war die Zeit gekommen, mich diesem Roman zu widmen. Ich habe lange genug gezögert, es schien mich etwas von dem Roman fernzuhalten. „Die Kinder sind Könige“ sind sicher ein Buch, das trotz der Thematik leicht und angenehm zu lesen ist. Die Autorin bereitet die Geschichte gut vor, filetiert geschickt die einzelnen Handlungsstränge und überfordert mich weder inhaltlich noch emotional. Und gerade deshalb fehlt etwas.


    Wenn ich einen Roman lese, dann möchte ich die Romanfiguren kennenlernen. Dabei richte ich gerne mein Augenmerk auf äußere und innere Besonderheiten und schätze eine gute literarische Charakterisierung. Das gelingt hier mitnichten. Ich komme keiner Figur emotional wirklich nah und alles gleitet in eine distanzierte Geschehensabfolge ab. Von der narzisstische Mutter, deren Leben sich lediglich um ihre eigenen Bedürfnisse kreist, und der subtilen psychologischen Gewalteinwirkung, deren die Kinder schutzlos ausgesetzt sind, erreichen mich nur äußere Bilder, einem polizeiprotokollmäßig, distanzierten Bericht gleich.


    Wie in kaum einem anderen Roman, den ich in letzter Zeit gelesen habe, hätte mich hier besonders die emotionale Welt der Mutter und auch der Kinder interessiert. Selbst zum Ende des Buches, ich bin in das zukünftige Jahr 2030 katapultiert, als die psychischen Schäden bei beiden Kindern, die nun junge Erwachsene geworden sind, beschrieben werden, bleibt es bei äußerlichen Banalitäten. Was in den Romanfiguren wirklich vorgeht, erschließt sich mir nur aus dem Kontext, nicht aber aus einer direkten Beschreibung und um diese Kunst geht es ja schließlich in der Literatur!


    Fazit

    „Die Kinder sind Könige“ von Delphine de Vegan beschäftigt sich mit dem Phänomen des Influencers. Eine Mutter als Meisterin der Manipulation, die ihr Leben und das Leben ihrer Kinder der Öffentlichkeit des Internet preisgibt, versüßt mit vielen Millionen verdientem Geld, erfährt ihre Selbstverwirklichung und vernichtet dabei die Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Durchaus ansprechend geschrieben, weder inhaltlich noch emotional überfordernd, kann der Roman durch den sachlich, berichtmäßigen Schreibstil nicht überzeugen.