Tupoka Ogette – Und jetzt du. Rassismuskritisch leben

  • Kurzmeinung

    mondy
    Hat mich abgeholt, ist informativ und gibt hilfreiche, umsetzbare Tipps.
  • Kurzmeinung

    frettchen81
    Gut verständlich geschrieben aus einer städtischen Perspektive
  • Klappentext/Verlagstext

    Wir alle sind rassistisch sozialisiert. Rassismus findet sich in jedem Bereich unseres Lebens, unserer Gesellschaft. Allerdings haben wir nicht gelernt ihn zu erkennen, geschweige denn darüber zu sprechen. Rassismuskritik ist kein Trend und keine Phase. Rassismuskritisch denken und leben ist die Möglichkeit, Gesellschaft aktiv mit- und umzugestalten und eine gerechtere Welt für uns alle zu schaffen. Denn die echte Auseinandersetzung mit Rassismus eröffnet einen neuen Blick auf uns selbst und unsere Mitmenschen. Sie ermöglicht neue Perspektiven und Begegnungen. Sei dabei! Entscheide dich jeden Tag bewusst dafür, das System Rassismus Stück für Stück mit zu dekonstruieren. Tupoka Ogette ist DIE deutsche Vermittlerin für Rassismuskritik. Ihr Buch gibt dir – konkret und alltagsnah – Anregungen, wie du rassismuskritisch leben lernst. Im Freundeskreis, in der Familie, als Lehrer*in in der Schule, in der Freizeitgestaltung und im Beruf.


    Die Autorin

    Tupoka Ogette wurde 1980 in Leipzig als Tochter eines tansanischen Studenten der Landwirtschaft und einer deutschen Mathematikstudentin geboren. Kurz vor der Wende wanderte ihre Mutter mit ihr nach Westberlin aus, wo Ogette bis zu ihrem Abitur lebte. Sie hat einen Magister in Afrikanistik und Deutsch als Fremdsprache von der Universität Leipzig und einen Master in International Business von der Graduate School of Grenoble. Seit 2012 ist Tupoka Ogette bundesweit als Beraterin und Trainerin im Bereich Rassismuskritik tätig. In dieser Funktion leitet sie in Deutschland, Österreich und der Schweiz Workshops und Fortbildungen, tritt als Speakerin auf, berät Teams und Organisationen. Ihr im März 2017 erschienenes Handbuch »exit RACISM. Rassismuskritisch denken lernen« ist ein SPIEGEL-Bestseller. Im Jahr 2019 wurde Ogette vom Magazin Edition F als eine der 25 einflussreichsten Frauen des Jahres ausgezeichnet. SPIEGEL Online nahm sie als eine von zehn Frauen in den Bildungskanon zum Thema Theorie und Politik auf. 2021 wurde sie von About You zum »Idol of The Year« gewählt. Sie lebt mit ihrem Mann, dem Künstler und Bildhauer Stephen Lawson, und ihren Kindern in Berlin.


    Inhalt

    Spätestens der Tod von George Floyd am 25.5.2020 markierte auch für uns Deutsche die Grenze zwischen der Relativierung von Rassismus (reagiert eine Person mit rassistischen Erfahrungen evtl. übersensibel?) und der Einsicht, dass institutioneller Rassismus wie im Fall Floyd kein Einzelfall ist, sondern vorsätzlich, bewusst und historisch gewachsen geschieht. Tupoka Ogettes zweites Buch gliedert sich in ihren Erfahrungsbericht als BIPoc und Mutter Schwarzer schulpflichtiger Kinder, und jeweils ein Kapitel zu „White Fragility“, zur persönlichen Umsetzung von Rassismus-Kritik und zu acht Bereichen, in denen wir mit großer Wahrscheinlichkeit rassistische Strukturen erleben, auch wenn gerade diese Institutionen darauf beharren werden, dass es in ihrem Bereich keine rassistischen Hierarchien geben kann, wenn darin keine Einzelperson rassistisch eingestellt wäre. Die Annahme, Rassismus wäre konkretes, bewusstes Handeln einer Einzelperson gegenüber einer anderen konkreten Person, müssen Ogettes Leser/innen gleich zu Beginn in den Schrank hängen. Rassistisches Denken und Handeln ist historisch gewachsen (was sich problemlos aus der Geschichte des Kolonialismus und religiöser Missionierung ableiten lässt), setzt eine privilegierte, dominante Gruppe voraus, die die Bezeichnung der diskriminierten Gruppe bestimmt und eine „Unterstützer-Szene“ die gemeinsam das Verhalten billigt und relativiert.


    Unter der Überschrift „White Fragilitiy“ führt Ogette ein gutes Dutzend abwehrende Verhaltensweisen auf, die uns hindern, rassistische Strukturen klar zu benennen, weil wir uns bisher zu den Guten gezählt haben. Vom Othering, Derailing, Tokenism, White Saviourism, Racial Profiling und Whataboutism geht es zur Angst, Privilegien einzubüßen – und zum rassistischen Whitesplaining, dem als Mansplaining vertrauten Erklärzwang. Sowohl den historischen Diskurs (wie Hautfarbe zur Rechtfertigung rassistischer Strukturen einst Religiosität als Maßstab ablösen musste) fand ich hier aufschlussreich, wie auch am Beispiel des „alten weißen Mannes“ die Einsicht, dass Spott allein keine rassistische Haltung ist, wenn er sich nicht auf die genannten Strukturen stützen kann.


    „Tone Policing“ (hier gemeint als Abwehr von Rassismus-Kritik) kennen Eltern, wenn Kinder lautstark über ungerechte Behandlung klagen und wir unbewusst reagieren mit „ich höre dir zu, aber schrei nicht so“. Die Tonlage scheint Erwachsenen hier kritikwürdiger zu sein als die erlebte Verletzung. Verknüpfungen wie diese verstärken bei mir Verhaltensänderungen, deren Notwendigkeit mir längst bewusst ist. Dass ich für eine „alte Sache“ einen neuen Wortschatz nutzen soll, wirkt auf mich jedoch als unnötige Schwelle. (Als Kritik am Wortschatz akademisch gebildeter, antirassistischer Eliten, nicht als Kritik am Buch zu sehen.) Im beruflichen Zusammenhang, wenn Englisch evtl. längst Unternehmenssprache ist, habe ich damit kein Problem. Im Bereich von Familie und Erziehung würde ich gern möglichst viele Menschen erreichen, gerade weil ich aus bi-nationalen Familien den Wunsch nach leicht lesbaren Sachbüchern kenne.


    Tupoka Ogette ist als langjährige Trainerin für interkulturelle Kommunikation und Online-Dozentin zu Rassismus-Kritik erfahren in Abwehrmechanismen ihrer Teilnehmer. Als Betroffene ist und will sie nicht objektiv und nicht neutral sein. Bildhaft und temperamentvoll formuliert, richtet sich ihr Buch ausdrücklich an Weiße, an Eltern Schwarzer Kinder, an Partner und Kollegen. Auch wenn die Bereiche, in denen Anti-Rassismus-Arbeit weiter nötig bleibt, notgedrungen nur kurz angerissen wurden, bietet die Autorin genug Ideen für den „antirassistischen Methodenkoffer“. Zu nennen ist im Kontext Familie, Schule, Kindergarten: Behäbigkeit von Institutionen als Schwelle, diversitätsbewusstes Spielzeug (der berühmte Buntstift in „Hautfarbe“), sowie Sichtbarkeit in Kinderliteratur und Lehrbüchern.


    Fazit

    Mit farbig hinterlegten Kästen für Wichtiges, To-Do-Listen und Positiv-Listen ist „Und jetzt du“ ein optisch und methodisch gelungenes Buch einer erfahrenen Teamerin, das ich gern zur Hand nehme. Wie bei vielen Sachbüchern wünsche ich mir, dass es niederschwelliger wäre.


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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Der tollen Rezi von Buchdoktor ist im Grunde nicht mehr viel hinzuzufügen. :pray:


    Ich lese recht viele Bücher zu dieser Thematik, so auch Ogettes anderes Buch "exit RACISM", das ich aufgrund der dort ausführlicheren historischen und soziologischen Erläuterungen unbedingt empfehle.

    Bei "Und jetzt du" möchte ich positiv hervorheben, dass das Buch sehr klar strukturiert ist und, auch mithilfe der Checklisten, gut als Kompendium oder Nachschlagewerk genutzt werden kann, wenn man sich eine Teilthematik noch einmal vergegenwärtigen möchte. Die eigenen Denkprozesse und Handlungsmöglichkeiten lassen sich aufgrund der Aufteilung in verschiedene Lebensbereiche und Berufsgebiete gut verdeutlichen. Dabei habe ich einen Riesenrespekt vor Frau Ogette, die immer wieder die Position ihrer weißen Leser*innen und Seminarteilnehmer*innen einnimmt, um sie da abzuholen, wo sie auf ihrer rassismuskritischen Reise gerade sind. Dass sie dabei auch wiederholt Triggerwarnungen für Schwarze Leser*innen ausspricht, hat mir beim Lesen vor Augen geführt, wie unterschiedlich die Erfahrungen von Menschen sind und dass ich das nie vergessen sollte.

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