Victor Hugo betonte die europäische Bedeutung des Flusses und wies immer wieder auf die Tatsache hin, der Rhein sei ein "europäischer Strom".
1232,7 km lang zieht sich die "große Völkerpumpe" (Carl Zuckmayer) durch Westeuropa, das Quellgebiet im Schweizer Kanton Graubünden, die Mündung im Niederländischen Rhein - Maas - Delta.
Der Rhein ein "deutscher Strom"?
Wohl kaum, eine Menschenschleuse, ein völkerverbindendes Gewässer, das viel mehr als eine trennende Grenze.
Richtig ist jedoch, der Fluss hat die Geschichte der Länder an seinen Ufern geprägt.
Davon, von dieser Geschichte, erzählt Hans Jürgen Balmes, was er nicht weiß über diesen Fluss, ist unwichtig.
Detailgetreu, zuweilen etwas berauscht vom eigenen Rechercheerfolg, aber immer unterhaltsam und bestens informiert, führt er durch die Kultur - Sitten- und Ländergeschichte des Stroms.
Begonnen hatte alles schon in den tropischen Meeren der Kreidezeit, wo Leitfossilien den Meeresboden bevölkerten und Räuber wie der Plesiosaurus auf sie Jagd machten. Diese kreidezeitlichen Ablagerungen bilden den rheinischen Schiefer, aus dem die Landschaft, das Flusstal und die umliegenden Gebirge aufgebaut sind.
Die Besiedelung durch steinzeitliche Menschen rheinabwärts und von indogermanischen Stämmen aufwärts ist ab dem Mesolithikum nachgewiesen. ( Zeit zwischen Paläolithikum und Neolithikum, etwa das 10.Jahrtausend v.Chr., am Ende der Eiszeit)
Zahlreiche Begräbnis und Wohnstätten ziehen sich entlang der Rheinufer. Bedeutende Höhlenfunde gab es in der Gegend von Boppard und bei Worms.
Der Vorstoß des römischen Reichs nach Germanien, wie die Römer es nannten (Vgl. Caesar,Tacitus, Cassius Dio ), war ohne den Fluss kaum denkbar, nur in Raetien und der Provinz Cisalpina waren die römischen Basen und Versorgungslager, die eine solche Operation erlaubten. Jahrhunderte lang bildete der Rhein dann die Grenze zwischen dem Imperium Romanum und Germanien.
Der wichtigste Faktor, warum der Rhein ein europäischer Strom ist, war und ist der Handel. Wein und Gewürze, Öl und Textilien aus Südeuropa, Zinn aus Südengland, Holz aus den Mittelgebirgen, Basalt aus der Eifel, Hering aus Holland, alle Produkte des täglichen Bedarfs wurden auf dem Fluss transportiert und gehandelt, in den Städten an seinen Ufern gestapelt und weiterverkauft. Mit den Waren kamen die Menschen in die reich gewordenen Städte. Handwerker, Künstler, Soldaten, Kaufleute, Geistliche, Gaukler, Söldner, Prostituierte, Menschen aus ganz Europa unterlagen der Anziehungskraft, die der Fluss ausübte.
Eng verbunden ist der Rhein auch mit der jüdischen Geschichte in Deutschland. Besonders verdienstvoll sind die Kapitel, die Balmes dieser engen und alten Verbundenheit widmet. Die Geschichte der Juden in Deutschland ist beinahe so alt wie die römische, bereichernd und oft schmerzhaft.
Millionen Menschen am Strom wurden mit Rheinwasser getauft, aber auch Tausende in den Mikwen, auf Flussebene gegraben, unterzogen sich mit Rheinwasser dem Reinigungsbad. Die Kulturgeschichte des Rheinlands ist ohne die jüdische Geschichte nicht denkbar. Aber auch die ersten großen Progrome des Mittelalters ereigneten sich in den großen Städten am Rhein.
Den größten Teil von Balmes Buch macht dann auch folgerichtig die Kulturgeschichte aus. Immer wieder begegnen wir dem großen William Turner, den seine enge Verbundenheit mit dem Strom nie losliess.
Den großen rheinischen Geistern von Heine
bis Böll begegnet man in diesem Buch in fast jedem Kapitel.
Für jemanden, der an diesem Fluss aufgewachsen ist und der dachte, er wüsste schon alles darüber, ist dieses Buch eine heilsame Lektion, sich in Bescheidenheit zu üben.
Eines ist das Buch auf jeden Fall:
Nature Writing vom Feinsten, die Sprache und der Stil reif, streckenweise poetisch und insgesamt äußerst erfreulich zu Lesen.
Die Abbildungen sind in anderen Büchern über den Rhein oppulenter, dieses ist kein Bildband. Die ausführlich besprochenen Bilder William Turners lohnt es sich, gesondert und parallel zu betrachten.
Alles in allem das beste und ausführlichste Buch über den Rhein, das ich kenne und da gibt es doch so einige. Ich kann hier mit bestem Gewissen eine Empfehlung aussprechen.