Melanie Meier - Levi: Schattenbereich der Normalität

  • Klappentext


    Levi nimmt Dinge wahr, die andere nicht wahrnehmen. Als er dreizehn Jahre alt ist, diagnostizieren Ärzte eine Psychose, er kommt in psychiatrische Behandlung. Doch Levi ist überzeugt: »Ich bin nicht krank. Was ich sehe, ist tatsächlich da.«


    Was sind das für Wesen, die ihm erscheinen und Ratschläge geben? Was hat es mit den Schatten auf sich, die an Menschen »saugen«? Warum kann er manchmal Dinge voraussehen?

    Als Teenager und als Erwachsener steht Levi im stillen Kampf mit den gesellschaftlichen Normen. Er bewegt sich im Schattenbereich der »Normalität«. Alle, die mit ihm in Berührung kommen, müssen sich fragen: Was ist wirklich und was nicht?


    Meine Meinung


    Die Bücher der Autorin greifen immer tief - tiefer als man auf den ersten Blick erkennen mag, vor allem, da ich bisher ihre Mystery Krimis und Fantasy Reihe gelesen habe.


    Levi ist allerdings ein Roman der Gegenwart. Levi, der Protagonist, ein junger Mann, der im Schattenbereich der Normalität lebt. Ich muss hier tatsächlich den Untertitel zitieren, weil er einfach perfekt passt.

    Wir erleben Levi im Alter von 29 im Jetzt, im Jahr 2012 und in Rückblicken seine Erfahrungen in der Kindheit und Jugend, die sehr einschneidende Wirkungen auf ihn hatten.


    Zu Anfang wirkt Levi schlicht wie ein abgewrackter, kaputter Mensch. Er raucht, besäuft sich gerne, hat kaum soziale Kontakte und nur flüchtige Bettgeschichten - hat einen sarkastischen Blick auf die Welt und scheint sehr verbittert. Auf den ersten Blick für viele sicher erstmal unsympathisch, könnte ich mir vorstellen, aber grade bei diesen Menschen ist es wichtig, einen zweiten Blick zu riskieren.


    "... Wenn du trinkst, bist du grob."

    "Das ist der Grund, warum ich trinke."

    "Um grob zu werden?"

    "Um die Wahrnehmung grober werden zu lassen."

    Zitat Seite 67


    Eine Sucht ist zum einen ja immer eine Suche nach etwas - aber auch eine Flucht; der Ausweg aus einer Realtität, deren Wirklichkeit man nicht mehr ertragen kann. Bei Levi geht es noch einen Schritt weiter, denn seine Sicht auf die Welt und die Menschen ist schon immer anders, schon immer mehr, beängstigend mehr. Doch statt Unterstützung zu erfahren hat er früh lernen müssen, die Wahrheit anderer zu bestätigen und seine eigene zu unterdrücken.


    Seine Leidensgeschichte beginnt schon sehr früh - und zwar einfach deshalb, weil er anders ist. Er hat eine Fähigkeit, die andere Menschen nicht begreifen können, sie fällt aus der "Norm"alität und deshalb muss Levi schon in jungen Jahren den Zwang erfahren, den das gesellschaftliche System für psychisch kranke Menschen festgelegt hat.


    Die Autorin beschreibt im Nachwort, dass sie hier nicht auf eigene Erfahrungen zurückgreift, sondern sich die Informationen darüber zusammen gelesen hat. Was ihr sehr gut gelungen ist - auch wenn es hier vielleicht "nur" die Schattenseiten aufgreift, denn sicher gibt es in dem Bereich wirkliche Hilfe für viele Patienten.

    Dennoch, da ich selbst durch die Familie Erfahrungen habe mit Psychologen, Psychiatern und Kliniken, muss ich schon sagen, dass in diesem Bereich vieles falsch läuft. Das ist kein Vorwurf an die Menschen, die sich engagieren und auch nur "ihr" Bestes versuchen, sondern schlicht ein völlig ausrangiertes System, das zu sehr in seinen Bahnen festgefahren ist.

    Es war auch nicht einfach für mich diese Passagen zu lesen, da vieles Gefühle hochgeschwemmt hat, an die ich nicht so gerne erinnert werde.


    Dieses Ohnmachtsgefühl und das Ausgeliefertsein löst sehr tiefgreifende Ängste aus - grade weil Levi sich nicht als krank sieht und es an sich auch nicht ist. Er ist gefangen in den Maßstäben einer Gesellschaft, die nichts anderes zulassen möchte, was sie nicht begreifen kann. Dabei gibt es so viele Menschen - zu viele, als dass man sie ausschließen könnte, denn auch sie gehören dazu. Der Begriff "normal" ist sehr, sehr dehnbar, wenn man sich so umschaut, denn an sich gibt es diese Begrenzung nicht.


    Besonders erschüttert hat mich Levi´s Beziehung zu seiner Mutter. Die sehr bemüht ist und nur versucht, das richtige zu tun, wie Eltern natürlich immer bemüht sind: doch was sie mit ihm macht und wie sie ihn behandelt hat mich tief getroffen.

    Gerade das Verständnis, auf die Kinder zu hören, fehlt mir leider oft, denn sie wissen (fast) immer sehr genau, was gut für sie ist - wenn man sie auf einer Basis zur Selbständigkeit erzieht. Man muss nicht immer auf andere hören, sondern sollte mehr seinem Kind und dem eigenen Bauchgefühl vertrauen. Von Anfang an.


    Genial ist hier wieder die Besonderheit, wie die Autorin die Gefühls- und Gedankenwelt beschreibt. Die Beziehungen von Levi zu seiner Mutter, zu seinem Freund Phil und schließlich dem Mädchen, das plötzlich in seinem Leben auftaucht; das alles erlebt man sehr eindringlich und empfindet sehr stark mit.

    In den Gesprächen tauchen auch immer wieder wichtige Themen auf. Obwohl alles nur kurz angeschnitten wird klingen die Botschaften nach und arbeiten in einem weiter...


    "Mit einer Beziehung überwindet man die Einsamkeit aber nicht. Man kann zusammen genauso einsam sein wie allein. Einsamkeit ist ein innerer Zustand, der mit dem äußeren nicht viel zu tun hat."

    Zitat Seite 49


    Wieder einmal ein großartiges Buch, eine ungewöhnliche Geschichte, über einen jungen Mann, der für viele Schicksale steht, die neben uns leben ohne oft die Chance zu haben, mit uns zu leben.

    Der Schluss lässt Spielraum für eigene Interpretationen, was ich hier tatsächlich passend finde.


    Mein Fazit: 5 Sterne


    Weltenwanderer