Hans Pleschinski - Am Götterbaum

  • Klappentext (amazon):


    An einem Märzabend macht sich die Münchner Stadträtin Antonia Silberstein auf den Weg zu einer Ortsbesichtigung der besonderen Art. In ihrer Begleitung: die Schriftstellerin Ortrud Vandervelt und die Bibliothekarin Therese Flößer. Das Ziel des launigen Spaziergangs der drei Frauen: die hinter einer Mauer versteckt liegende einstige Villa eines großen Vergessenen. Antonia Silberstein hat verwegene Pläne für diese Villa, aber sie braucht den guten Rat eines Experten. Schon auf dem Spaziergang sind sich die Frauen, zwischen Autos, Passanten, Verkehrsinseln mäandernd, uneins über Rang, Werk und Vermächtnis des Mannes, dessen einstige Behausung sie in ein spektakuläres Kulturzentrum verwandeln könnten: Paul Heyse. Der erste echte deutsche Literaturnobelpreisträger (1830– 1914), hochgeehrt, liberal, ein schöner Mann mit einer liebenswerten Ausstrahlung, Autor von Romanen, Theaterstücken und nicht zuletzt 180 Novellen, ist so vergessen, dass in München vor allem eine Unterführung an ihn erinnert. Hat er das verdient?

    In seinem neuen Roman erzählt Hans Pleschinski kenntnisreich, scharfzüngig und komisch von Heyses Leben und Werk, von Ruhm und Vergänglichkeit und dem stets bedrohten Reichtum der Kultur in einer sich verschleißenden Welt. Mit einem genauen Blick auf die Gegenwart entfachter in spritzigen Dialogen ein höchst unterhaltsames Feuerwerk.


    Mein Lese-Eindruck:


    Jeder Münchner kennt Paul Heyse, weil eine Unterführung direkt am Münchner Hauptbahnhof seinen Namen trägt. Die Unterführung ist eine dunkle und übelriechende Angelegenheit, die die Münchner „den Tunnel des Grauens“ nennen. Zu Münchens Ehrenrettung muss gesagt werden, dass der Tunnel momentan saniert wird.

    Auch die Paul-Heyse-Villa, heruntergekommen wie der dazugehörige Garten, mag einigen bekannt sein, weil vor einigen Jahren ein Investorenstreit um sie entbrannte.


    Insofern ist der Name Paul Heyse zumindest in München nicht unbekannt, aber wer liest seine Werke?


    Das Anliegen Hans Pleschinskis, diesen vergessenen Dichter wieder ans Licht zu holen, ist daher nur zu begrüßen!


    Der Plot des Romans ist schnell gesagt: Drei Kultur-Damen spazieren in der Dämmerung zur Paul-Heyse-Villa und unterhalten sich über Heyse. Sie wollen herausfinden, ob man aus dem heruntergekommenen Haus eine literarische Begegnungsstätte europäischen Zuschnitts machen kann.


    Durch ihre Gespräche bildet sich im Kopf des Lesers ein Bild dieses vergessenen Dichterfürsten, der sich selber in der Nachfolge Goethes sah.

    Ein ungemein produktiver Schriftsteller, ein großzügiger und stets hilfsbereiter Freund, ein attraktiver und schöner Mann, ein liebender Familienvater (den der Tod von dreien seiner sechs Kinder schwer trifft), ein Großbürger, weltgewandt und hochgebildet, Mittelpunkt des Münchner gesellschaftlichen Lebens, ein freigebiger Unterstützer junger Kollegen (z. B. Fontane), ein Bewunderer des süddeutschen Hedonismus, ein Ästhet, ein Unterstützer der Frauenrechte, ein Verehrer Dostojewskijs (den er in Deutschland einführt), beharrlicher Bekämpfer des allgegenwärtigen Antisemitismus, finanziell gefördert vom Kurfürsten – all das (und noch mehr) ist Paul Heyse.

    Dass er auch eitel ist und eifersüchtig sein kann, zumindest im Alter, zeigt ein entschieden zu kurzes Kapitel, das die Gespräche der drei Kultur-Damen zusammenhangslos unterbricht.


    Das alles nimmt für den Roman ein.


    Einiges hat mich aber sehr gestört.

    Zum Beispiel überzeugt mich die zugrunde liegende Handlungssituation, nämlich dieser Spaziergang, nicht. Die dabei geführten Dialoge über Heyse sind gegenseitige Belehrungen (wieso? die Damen sind doch Expertinnen?) und wirken hölzern und aufgesetzt, und die langen Zitate sind zwar passend, aber unrealistisch.

    Der Spaziergang enthält Elemente einer sehr anregenden Stadtführung, aber auch Befremdliches: Gesprächsfetzen über die Reiselust der Senioren, das Anspruchsdenken junger Frauen, das Denglisch, die Selfie-Unsitte, Smartphones, Hundebesitzer und dergleichen. Musste das sein? Wäre weniger wieder einmal nicht mehr gewesen?


    Zudem ist ein gewisser Kulturpessimismus Pleschinskis unüberhörbar...


    Fazit: ein kenntnisreicher Roman über einen vergessenen Dichterfürsten, sprachlich sehr schön, dramaturgisch mit einigen Schwachstellen.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Einiges hat mich aber sehr gestört.

    Zum Beispiel überzeugt mich die zugrunde liegende Handlungssituation, nämlich dieser Spaziergang, nicht. Die dabei geführten Dialoge über Heyse sind gegenseitige Belehrungen (wieso? die Damen sind doch Expertinnen?) und wirken hölzern und aufgesetzt, und die langen Zitate sind zwar passend, aber unrealistisch.

    Der Spaziergang enthält Elemente einer sehr anregenden Stadtführung, aber auch Befremdliches: Gesprächsfetzen über die Reiselust der Senioren, das Anspruchsdenken junger Frauen, das Denglisch, die Selfie-Unsitte, Smartphones, Hundebesitzer und dergleichen. Musste das sein? Wäre weniger wieder einmal nicht mehr gewesen?

    Da kann ich mich 1:1 anschließen. Der Spaziergang war ein Genuss, aber die ausschweifenden Zitate und das Miteinander oft zu viel. Sonst wäre das Buch für mich ein Volltreffer gewesen.


    Ebenfalls :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: