Jacques Le Goff - Geld im Mittelalter / ‎Le Moyen Age et l'argent

  • Menschen, die sich mit dem europäischen Mittelalter befassen, erlangen selten Weltgeltung. Zu sehr im Verborgenen, zu sehr überholt von anderen, zeitlich näheren Epochen, ist ihre Arbeit. Nicht so Jacques Le Goff. Der Schüler des grossen Marc Bloch erreichte mit seiner Annales - Schule, gegründet von Historikern der Pariser Universität, ein Millionenpublikum.

    Das Prinzip, den Schwerpunkt der Forschung von der Kulturgeschichte und Herrschaftsanalyse hin zum Alltagsleben der Menschen zu verlagern, die Sozial-, Finanz- und Arbeitsgeschichte in den Vordergrund zu rücken, überzeugte auch ein Publikum, für das der Umgang mit dem Mittelalter vorher fremd war.

    Wenn sich heute vor allem so erfreulich viele junge Menschen mit dem Mittelalter befassen, so ist das nicht zuletzt das Verdienst von Le Goff und seinen Kollegen der Annales - Schule.

    Sie stellten das Mittelalter "vom Kopf auf die Füße", dieses Buch ist das ideale Beispiel dafür.



    Von den grossen Umwälzungen in der Geschichte Europas sind die Wichtigsten allgemein bekannt. Der langsame Verfall des römischen Imperiums hinterließ ein Machtvakuum, dessen Sogwirkung die Umschichtung grosser Bevölkerungsmassen und die Entstehung neuer Reiche förderte.

    Die den Römern gefolgte Christianisierung, änderte das kulturelle, religiöse und soziale Gefüge Europas grundlegend. Grosse Heerzüge, Kriege und die verheerenden Seuchen, gruben ihre Spuren tief in den Kontinent.

    Doch kein anderes Phänomen änderte die Lebensverhältnisse, von den Monarchien und Fürstenhäusern bis in jede einzelne Familie, ob für Bauern, Handwerker oder Kaufleute, so radikal und grundlegend wie das Auftauchen der Geldwirtschaft.


    Dabei waren Münzen seit dem frühen Mittelalter als Tausch und Zahlungsmittel und Ansatz zur Wertermittlung schon bekannt, ihre Bedeutung aber noch gering.

    In der Karolingerzeit gab es Münzstätten nur an den grossen Königsstrassen in Straßburg, Mainz oder Köln, östlich des Mains in Regensburg.

    Das Münzaufkommen war gering, weil der Handel gering war. Der karolingische Denar, (Karolingische Münzreform) im 8.Jhdt. änderte das in sofern, als die Festlegung der Rechnungseinheiten in Pfund und Schilling der Festigung der Reichsidee diente.


    Seit dem 10. Jahrhundert nahm der Handel so einen beachtlichen Aufschwung, er wurde nicht zuletzt durch jüdische Händler getragen, die mit Förderung der Karolinger als einzige Kaufleute zu dieser Zeit das Wagnis von Fernreisen auf sich nahmen.

    Der Geldverkehr erhielt so einen regelrechten "Boom", was sich in der Errichtung neuer Münzstätten niederschlug und so der mittelalterlichen Stadtgründug zugute kam.


    Das Recht, Münzen zu prägen, erhielten seit dem 10.Jhdt. vor allem Bischöfe und Fürsten, was zu deren Machtzuwachs führte.

    Der Bedarf an zirkulationsfähigem Geld wuchs im 11.Jhdt. mit der Erstarkung der Städte, führte so zu einer nachhaltigen Veränderung der Machtstrukturen im Reich.

    Auch begannen die Europäischen Länder, allen voran Frankreich, England und Spanien, eine eigene, nationale Münzprägung einzuführen.

    Man kann also erkennen, daß spätere Bild Europas war nicht zuletzt eine Folge der aufkommenden Geldwirtschaft als erste nationale Eigenheit.

    Die enge Verbindung der Stauferherrscher im Hochmittelalter zu Italien, verstärkte den Fernhandel, da italische Kaufleute über die byzantinische Route über Kontakte in alle damals bekannten Regionen der Erde verfügten.

    Seit dem 13. Jhdt. kam der Geldhandel stärker in den Einfluss der Landesherrn ( Territorialwirtschaft) und Grundherrschaftsabgaben, die bislang in Naturalien zu entrichten waren, mussten mit einem Geldwertsatz versehen in Geld abgeleistet werden.

    Die Territorialisierung der Geldwirtschaft führte zu häufigen "Abschlägen", wobei oft Münzen eingezogen und durch andere mit geringerem Wert ersetzt wurden. Das Phänomen der Inflation war geboren.

    Die Einkünfte aus dem "Schlagschatz", der Differenz zwischen dem Münzwert also, gehörten ab dem 13.Jhdt. zu den wichtigen Erträgen der Territorialherrschaft.

    Der karolingische Denar wurde so ab dem 12.Jhdt. in seinem Wert stark gemindert.

    Das Gold diente ab dieser Zeit zu Wertmessung der Währungen.

    Höherwertige Silbermünzen (Groschen, Kreuzer, Schilling) wurden am Goldwert vergleichend gemessen und taxiert.

    Von diesen Änderungen an, war die Geschichte der Geldwirtschaft eine Geschichte verschieden ausgeprägter Inflationen.

    Krisen, wie die Kreuzzugsfinanzierung, lange Kriege mit ausgedehnten Verheerungen oder Pandemien, sind auch immer zu dem zu dieser jeweiligen Zeit bestimmten Geldwert abzulesen.

    Da Geld mit dem fortschreitenden Handel im Mittelalter auch immer Macht bedeutete, kam die Geldwirtschaft vor allem der bürgerlichen Emanzipation in den Städten zugute, da diese ja auch Handelzentren mit Stapelrechten und Zollprivilegien waren.


    Le Goff zeigt so, wie die Revolution der Geldwirtschaft letztlich der Entstehung Europas und der bürgerlichen Gleichberechtigung entgegen kam.

    Der Reichsidee hingegen war das Geld nicht unbedingt förderlich. Die Verlagerung der Macht auf die Territorialherren und Städte, schwächte die Königsmacht. Das zeigte sich immer deutlicher gegen Ende des Mittelalters, als zunehmend selbst die Königswahl mit Geld erkauft werden konnte.


    Jacques Le Goffs Erfolg hatte vor allem den Grund, daß er sich verständlich für jeden ausdrücken konnte und das auch tat. Das wird auch in diesem Buch deutlich. Klare, unprätentiöse Sprache und eine unterhaltsame Erzählweise lassen kaum erkennen, wieviel präzise und exakte Wissenschaft darin steckt.

    Das wird nur deutlich in dem aussagekräftigen Anhang, der nichts zu wünschen lässt. Dieses Buch ist ein Meilestein der europäischen Mediävistik, ohne die Attitüde der Verwissenschaftlichung.

    Zusammen mit Le Goffs "Die Geburt Europas im Mittelalter" ist dieses Buch ein Schlüssel zum Verständnis dieser Geschichtsperiode.

    5 Sterne :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Jacques Le Goff - Geld im Mittelalter“ zu „Jacques Le Goff - Geld im Mittelalter / ‎Le Moyen Age et l'argent“ geändert.