Norbert Gstrein - Der zweite Jakob

  • Kurzmeinung

    Maesli
    Das Buch ist gut, sehr gut sogar; es hat nur unendlich lange gedauert, bis ich es verstanden habe.
  • Zu Jakob Thurners, einem gefeierten Theaterschauspieler mit international erfolgreicher Karriere auch in der Filmbranche, 60. Geburtstag stehen Feierlichkeiten an. Es soll auch eine Biographie über sein bisheriges Leben erscheinen. Die Erinnerungen an seine Herkunft, seinen Werdegang und seine Ehen entwickeln sich schwierig.


    Ich war auf alles möglich vorbereitet, aber nicht darauf, wie sehr Elmar Pflegerl meine Geschichte mit der meines Onkels Jakob verschränkte und wie sehr er das wieder mit Luzie und ihren Schwierigkeiten, ins Leben zu finden, Parallel führte, als wäre alles so klar wie die plumpe Psychologie, die er bemühte, und nicht in Wirklichkeit ein einziger unauflösbarer Wirrwarr.


    Die Involvierung der Tochter belastet das eh schon schwierige Verhältnis zum Biographen, das schlussendlich in einer handfesten Auseinandersetzung gipfelt.

    Im zweiten Teil des Buches wird ein Ereignis erzählt, das viele Jahre zurückliegt. Jakob Thurner weilt in den USA für Filmaufnahmen. Als es während seines Aufenthalts in El Paso zu einem Autounfall kommt, bei dem eine junge Frau ihr Leben verliert, wird dieses Geschehen, an dem Jakob beteiligt ist, weite Schatten auf sein restliches Leben werfen. Es wird seine Tochter Luzie sein, die ihn damit nach vielen Jahren konfrontiert und damit schwere Gefühle und dunkle Erinnerungen in seinem Leben wieder erweckt.

    Im letzten Teil des Buches erfährt Jakob Thurner, dass er unheilbar krank ist. Es ist die Ironie des Schicksals, dass er zu den Jubiläumsfeierlichkeiten in sein Heimatdorf, begleitet von seiner Tochter Luzie, zurückkehrt.


    Meine persönlichen Leseeindrücke

    Ich habe lange gebraucht, bis ich mit dem Roman zurechtgekommen bin. Von Anfang an betörte mich allerdings diese ungeheuer sensible Sprache, diese wortgewaltigen Beschreibungen, diese unendlich langen, komplex zusammengebauten und doch so einfach zu lesenden Sätzen. Zwar gibt es immer wieder zähe Passagen, doch hat die komplexe Struktur Format und der Roman ist weder konfus noch kompliziert.


    „Wie soll ich das Licht beschreiben?“

    Wieder nickte sie nur, und ich sagte, es sei ein Licht, in dem alles kräftiger und vergänglicher zugleich erscheine, ein dickes, sämiges Licht, das einen umhülle und am Abend Schatten werfe bis in die Unendlichkeit.


    Im Roman werden zwei besondere Handlungsfäden auf 448 Seiten geschickt verknotet und verknüpft. Sie geben einen guten Einblick in das Leben des Jakob Thurners. Gstrein zeichnet Jakob zum einen als Schauspieler, der zwar Erfolge feiert, aber sich auch bewusst ist, dass er ein privilegiertes Leben führt, dass er nicht seinem Können verdankt. Die Ereignisse bei den Dreharbeiten in den USA werden ihn lange begleiten.

    Zum anderen geht es um Jakob als Vater von Luzie. Sie ist seine einzige Tochter und seinem Onkel Jakob in vielem ähnlich. Er gerät in Panik, wenn er darüber nachdenkt, dass sie nach ihm schlagen könnte.

    Der Zusammenhang zum Buchtitel stellt sich erst bei Seite 93 ein. Jetzt erfahre ich, was es mit dem zweiten Jakob auf sich hat. Die Beziehung zum Namensgeber ist ab diesem Moment ständig präsent.

    Für meinen Geschmack hätte man die ersten 100 Seiten stark kürzen und gegen Ende das Intermezzo mit Maja Pfleger weglassen können.


    Fazit

    Das Buch ist gut, sehr gut sogar; es hat nur unendlich lange gedauert, bis ich es verstanden habe. Wenn auch die Handlungsfäden am Anfang etwas unverständlich wirken mögen, entfaltet sich im Laufe des Lesens eine ungeheuerliche Synergie, der man sich, begleitet von einer gewandten und gepflegten Sprache, hingeben kann.


    Im Beitrag von Christian Schröder zu Norbert Gstreins Roman „Der zweite Jakob“, veröffentlicht am 14.02.2021 im Deutschlandfunk, finde ich eine Beschreibung, die meine Leseerlebnisse gut widerspiegeln.

    Die Wahrheit ist bei Gstrein nicht um den Preis von Simplifizierung zu bekommen, im Gegenteil. Dass seine Bücher sich trotzdem recht leicht und mit so großem Genuss lesen lassen, liegt an Gstreins unverwechselbar eleganter Sprache, an den langen melodiösen Satzbögen, die etwas Umschmeichelndes haben. Oft merkt man erst zu spät, welche Ungeheuerlichkeiten einem da gerade in aller Schönheit und Raffinesse untergejubelt wurden. Quelle: Deutschlandfunk