Uwe Wittstock - Februar 33: Der Winter der Literatur

  • Kurzmeinung

    Emili
    Informativ, fesselnd erzählt. Bietet neue Einblicke in die Welt der Literatur und Gesellschaft 1933.
  • Kurzmeinung

    drawe
    Kenntnisreich, kurzweilig, sehr lebendig!
  • Autor: Uwe Wittstock

    Titel: Februar 33 - Der Winter der Literatur

    Seiten: 288

    ISBN: 978-3-406-77693-9

    Verlag: C. H. Beck

    Autor:

    Uwe Wittstock wurde 1955 in Leipzig geboren und ist ein deutscher Literaturkritiker, Lektor und Autor. Zunächst arbeitete er als Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er von 1980 bis 1989 der Literaturrerdaktion angehörte, danach wirkte er als lektor beim S. Fischer Verlag.


    Zur gleichen Zeit war er Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Neue Rundschau. Im Jahr 2000 wurde er stellvertrender Feuilletonchef der Tageszeitung Die Welt, zwei Jahre später Kulturkorrespondent in Frankfurt/Main. Bis 2017 arbeitete er als Literaturchef des Magazins Focus. Zu seinen Werken zählen mehrere Sachbücher. 1989 erhielt er den Theodor-Wolff-Preis für Journalismus.


    Inhalt:

    Es ging rasend schnell. Der Februar 1933 war der Monat, in dem sich auch fir Schriftsteller in Deutschland alles entschied. Uwe Wittstock erzählt die Chronik eines angekündigten und doch nicht für möglich gehaltenen Todes. Von Tag zu Tag verfolgt er, wie das glanzvolle literarische Leben der Weimarer Zeit in wenigen Wochen einem langen Winter wich und sich das Netz für Thomas Mann und Bertolt Brecht, für Else Lasker-Schüler, Alfred Döblin und viele andere immer fester zuzog. (Klappentext)


    Rezension:

    Die Geschichte der letzen Tage, sie beginnt mit einem Tanz auf den Vulkan. Der Schriftsteller Carl Zuckmayer, der mit den Drama "der Hauptmann von Köpenick" ein paar Jahre zuvor seinen größten Erfolg feierte, begibt sich zum Presseball, einer Berliner Institution. Alles, was Rang und Namen hat, gibt sich dort die Ehre. Die künstlerische Elite versammelt sich. Doch, die Atmosphäre ist getrübt. Nicht wenige Anwesende ahnen, dass sich die Zeiten gerade ändern. Welche Folgen dies langfristig haben wird, ist kaum jemanden klar. Am nächsten Tag, den 30. Januar 1933, wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt.

    Es ist die Geschichte einer flirrenden Zeit. Einen Monat, in etwa so lang, wie ein ausgedehnter Sommerurlaub, brauchte es, um die Demokratie auszuhölen und durch ein System der Willkür und Tyrannei zu ersetzen, doch zunächst war nicht sicher, ob nicht die Nazis genau so schnell verschwinden würden, wie andere Regierungen zuvor. Der Krieg noch nicht in sicht, begann die Konsolidierung der Macht jedoch bereits vom ersten Tag an. Schriftstellende, Journalisten und Künstler mussten sich entscheiden. Bleiben, wie der Autor Erich Kästner etwa oder die Flucht ins Exil, wie sie Thomas und Heinrich Mann ergriffen.


    Der Autor und Literaturredakteur Uwe Wittstock erzählt von einem beispiellosen kulturellen Exodus, nachdem nichts mehr so sein sollte, wie zuvor.


    Anhand ausgewählter Biografien beschreibt der Autor Tage der Entscheidung. Rettet man mit der Flucht ins Exil sein eigenes Leben oder wartet man nicht lieber ab, bis der Spuk vorbei ist? Muss man überhaupt fliehen? Ist man von den Ausfällen der Machthaber selbst betroffen oder kann sich gar mit der neuen Situation arrangieren?


    Was nimmt man mit, was versteckt man? Wo taucht man unter? Wie und wovon lebt man dann dort? Uwe Wittstock erzählt aus der Sicht der Manns, Döblins oder etwa Ricarda Huch und Gottfried Benn, welchen Fragen und Entscheidungen die ausgesetzt waren, die sich schon längst mit ihrem künstlerischen Schaffen positioniert hatten. Er berichtet von der Vernetzung einer Schicht, die die Nazis innerhalb weniger Tage zerschlugen.

    Mit der Form eines literarischen Sachbuchs macht Uwe Wittstock eine Zeit lebendig, deren Folgen die Protagonisten damals nur ahnen konnten, die später einen ganzen Kontinent und noch mehr ins Unglück stürzte. Fakten verpackt er in erzählerischer Form. An manchen Stellen muss man durchatmen und sich vergewissen, was man mit "Februar 33 - Der Winter der Literatur" eigentlich vor sich hat. Nicht doch einen Roman?


    Aus Tagebuchaufzeichnungen, Notizen und Briefen, teilweise autobiografischen Schriften, hat Wittstock ein lebendiges Bild ausgewählter Männer und Frauen gewoben, die alle auf unterschiedliche Art und Weise sich entscheiden mussten, manchmal von einer Minute auf die andere. Dabei handelt es sich um Ausschnitte.


    Ein Ding der Unmöglichkeit ist es, die Wege der gesamten künstlerischen Elite jener Zeit darzustellen, doch die Auswahl der Lebensläufe zeigt ein breites Spektrum auf. Der Autor ruft so jene Zeit ins Gedächtnis, in der noch niemand sicher sagen konnte, ob dieser oder jene Weg der richtige sein sollte. Viele Akteure indes, konnten später nicht mehr an ihre Erfolge vor Februar 1933 anknüpfen. Anderen wurde die Kooperation mit den Nazis zum Verhängnis. Wenige nur konnten auch in der Nachkriegswelt künstlerisch Fuß fassen.


    Wittstock erzählt chronologisch. Die Kapitel sind in Form von Tagesdaten untergliedert, was die Brisanz und die Schnelligkeit verdeutlicht, mit der sich alles änderte. In wechselnder Perspektive werden die Schwierigkeiten und Fragestellungen klar, denen sich die Akteure ausgesetzt sahen. Auch, was danach geschah, bleibt nicht unerwähnt. Zur Abrundung werden im Anschluss Kurzbiografien aufgeführt. Das Sachthema erzählerisch in dieser Form lebendig werden zu lassen, funktioniert hier sehr gut.


    An manchen stellen wirkt das so, als würde man selbst etwa an einer Straßenkreuzung stehen und müsste sich entscheiden, ob man zur Wohnung geht, in der Gefahr, den eigenen Häschern in die Arme zu laufen, oder doch zum Bahnhof, um in den nächsten Zug zu steigen und Richtung Grenze zu fahren, so lange dies noch möglich ist. Manche Biografien sind bekannt, trotzdem schwitzt man beim Lesen teilweise Tropf und Wasser. Eine nüchterne Abhandlung ist etwas anderes.

  • Vielen Dank für die Klasse Rezension findo ! Das Buch klingt nach meinem Geschmack - nur eine Frage interessehalber: Gehört denn zu den ausgewählten Biographien auch Stefan Zweig oder Joseph Roth?

    Letzterer ja, Stefan Zweig wird auch an der einen oder anderen Stelle erwähnt. Es ist ein Querschnitt ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

  • Danke für die Rezi! Klingt ganz nach meinem Geschmack.

    Allerdings habe ich auch gerade ein Buch hier, das in eine ähnliche Kerbe schlägt. Auch dieses ist chronologisch aufgebaut.

    Wäre interessant, wenn du es auch liest und vergleichen würdest.

    In diesem kommt übrigens Stefan Zweig auch vor.


    In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen, als der Faschismus und schließlich der Nationalsozialismus die Macht in großen Teilen Europas übernahmen, wurden auch die Dichter und Denker in den Strudel der Ereignisse gezogen. Dieses Buch beschreibt, wie die kleinen Schritte aussahen, die zur großen Katastrophe des 20. Jahrhunderts führten und wie sie von den wichtigsten Autoren, Komponisten, Philosophen, Wissenschaftlern und Publizisten ihrer Zeit wahrgenommen wurden. Herbert Lackner begleitet Alma Mahler und Franz Werfel, Arthur Schnitzler, Joseph Roth, Stefan Zweig, Karl Kraus, Robert Stolz, Sigmund Freud, Albert Einstein und viele andere durch diese dramatischen Jahrzehnte.

    Quelle: Amazon

    :study: Audre Lorde: Sister Outsider (eBook)

    :study: Joseph Roth: Hiob (eBook) - MLR

    :study: Thomas Chatterton Williams: Selbstportrait in Schwarz und Weiss - Unlearning Race



    „An allem Unrecht, das geschieht, ist nicht nur der Schuld, der es begeht, sondern auch der, der es nicht verhindert.“

    Erich Kästner

    "Das fliegende Klassenzimmer"


    Warnhinweis:
    Lesen gefährdet die Dummheit

    :study:

  • Es ist in dieser Zeit fast eine Pflichtlektüre


    In seinem Buch „Februar 33 – Der Winter der Literatur“ schreibt Uwe Wittstock über die Ereignisse, die mit der Ernennung von Hitler als Reichskanzler Ende Januar 1933 begannen und sich bis Mitte März 1933 in Deutschland ereigneten. Dabei legt er sein Augenmerk auf eine Handvoll bedeutender deutscher Schriftsteller und Künstler, die aufgrund ihrer jüdischen Abstammung in die Schusslinie der an die Macht kommenden Nationalsozialisten geraten.

    Es ging rasend schnell.

    Uwe Wittstock erzählt in seiner Chronik wie das glanzvolle literarische Leben der Weimarer Zeit in wenigen Wochen eines langen Winter einem unvorstellbaren Terror weichen muss und sich das Netz u.a. für Thomas und Heinrich Mann, Alfred Döblin, Bertolt Brecht, Else Lasker-Schüler, Riccarda Huch und viele andere immer fester zuzieht.


    Meine persönlichen Leseeindrücke

    „Februar 33 – Der Winter der Literatur“ ist keine leichte Lektüre. Gute Kenntnisse der deutschen Literaturlandschaft der Weimarer Republik und der politischen Geschehnisse in Deutschland vor der Machtübernahme von Hitler sind Voraussetzung, um sich in dem Buch zurechtzufinden. Basiswissen halte ich in diesem Zusammenhang für nicht ausreichend.

    Es ist ein Sachbuch, das aufzeigt wie schnell und leicht Hitler die Macht übernehmen konnte und wie sich diese politische Veränderung, die schlussendlich in einer Diktatur endete, auf den deutschen Literaturbetrieb auswirkte. Es ist verstörend zu lesen, wie rasant Gewalt überhandnehmen konnte und international anerkannte Intellektuelle, die nicht in die Völkische Ideologie passten, um ihr Leben fürchten mussten und als einzige Schutzmöglichkeit zur Emigration gezwungen wurden. Es ist auch eine Abrechnung mit dem deutschen Volk und all den vielen aktiven Akteuren und Sympathisanten, die den Nationalsozialismus tatkräftig unterstützten und ohne die so eine Entwicklung überhaupt nicht möglich gewesen wäre.


    Fazit

    „Februar 33 – Der Winter der Literatur“ von Uwe Wittstock zu lesen, ist, besonders in Bezug auf die aktuelle Lage in Russland und der Ukraine, eigentlich Pflicht. Die Parallelen zu den Entwicklungen in Russland sind offensichtlich und es macht einem Angst zu sehen, dass solche Strategien auch nach einem Jahrhundert so wirksam zum Einsatz kommen und von Erfolg gekrönt scheinen.


    „Wie kostbar Demokratie und Recht sind, zeigt sich, sobald sie zu verschwinden beginnen.“



  • Ich hatte sehr große Lust auf dieses Buch. :) Was will man als Literaturliebhaber mehr, als einen Einblick in eine schwierige politische Situation zu bekommen anhand der literarischen und gesellschaftlichen Ereignisse und dem Leben von Schriftstellern zu dieser Zeit.

    Sehr informativ und zum Glück nicht trocken vermittelt. Lebendig und durchaus spannend erzählt. :thumleft: Vieles kannte ich noch nicht, besonders die Einblicke in das Privatleben von namhaften Autoren.

    Bedeutende Literaten in Deutschland waren im Februar 1933 damit konfrontiert, dass die Nationalsozialisten als stärkste Partei gewählt worden waren und mit Neuwahlen ihren Machtanspruch angingen. Die Angehörigen der Kulturwelt mussten sich damit auseinandersetzen, mit der neuen Regime klarzukommen, sich dafür zu begeistern, zu resignieren, mitzumachen oder das Land zu verlassen.

    Eine unglaubliche Vorstellung, sehr deprimierend. :( Natürlich gilt es auch für die andere Bevölkerung, doch in diesem Buch geht es um die Dokumentation der Reaktionen von Literaten. Man begegnet als Leser den Manns, Helene Weigel, Bertold Brecht, Erich Maria Remarque, Hanns Johst, Erich Kästner und vielen anderen. Sehr zu empfehlen. :thumleft:

    Ich habe das Buch als Ebook gelesen, leider, mit einer fehlerhaften Formatierung. Es war anstrengend und störend beim Lesen.

    Alles in allem werde ich das Buch mit :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: Sternen bewerten.




    2024: Bücher: 97/Seiten: 42 622

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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    Lese gerade:

    Töpfner, Astrid - Bis wir unsere Stimme finden

  • Ich habe das Buch als Ebook gelesen, leider, mit einer fehlerhaften Formatierung. Es war anstrengend und störend beim Lesen.

    Hattest du es aus der Onleihe? Da hatte ich das gleiche Problem. Das sah stark nach PDF aus. Schließlich habe ich es mir für den Kindle gegönnt, und da war die Formatierung prima :thumleft: .

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

    Madeline Martin, Der Buchladen von Primrose Hall

  • Hattest du es aus der Onleihe? Da hatte ich das gleiche Problem. Das sah stark nach PDF aus. Schließlich habe ich es mir für den Kindle gegönnt, und da war die Formatierung prima :thumleft: .

    Ja, ich hatte das Buch von der Onleihe. Ist mir auch in all den Jahren nur einmal passiert, dass ich so eine fehlerhafte Formatierung hatte. Man konnte zwar das Buch lesen, aber es hat den Lesefluss gestört.

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  • Ich habe das Buch als Ebook gelesen, leider, mit einer fehlerhaften Formatierung. Es war anstrengend und störend beim Lesen.

    Das finde ich sehr schade, und ich vermute, dass Dein Punktabzug damit zu tun hat?

    Ich habe das Buch im 4,5-Sterne-Thread schon entsprechend "bejubelt". Mir hat die Idee einer Kalender-Strukturierung sehr gut gefallen, weil sie beklemmend deutlich macht, wie sich das braun-schwarze Unheil zusammenbraut; äußerst eindringlich!

    Und vor der Recherche-Arbeit des Autors kann ich nur den Hut ziehen. Gerade die Verbindung mit dem Blick aufs Wetter, dieses Alltägliche und Normale, macht die Ereignisse so verstörend.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Mir hat die Idee einer Kalender-Strukturierung sehr gut gefallen, weil sie beklemmend deutlich macht, wie sich das braun-schwarze Unheil zusammenbraut; äußerst eindringlich!

    Vermutlich gerade diese Struktur, wenn die denn in Überschriften über die Kapitel verzeichnet war, habe ich nicht mitbekommen. :-k Ja, ich fand es sehr schade. Und es hat mich auch des Überblicks beraubt. Aber das Buch war richtig gut. Die Einzelheiten zu den Begebenheiten, Begegnungen und Gesprächen waren sehr spannend. Da steckt eine hervorragende Recherche dahinter. Bin ich absolut deiner Meinung.

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  • Ja, die Kalenderstruktur ergibt sich aus den Überschriften.

    Na super, da habe ich ein wichtiges Detail verpasst. Danke findo für die Aufklärung.

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