Kazuo Ishiguro - Der begrabene Riese (ab 05.09.2021)

  • Und es gefällt mir sehr gut, mit welch einfachen Worten der Erzähler diese ethische Problematik vorstellt. Er vermeidet jede Schwarz-Weiß-Malerei. Er bietet uns auch keine Lösung - die müssen wir uns selber überlegen.

    Wobei man, auch wenn man lange nachdenkt alles mögliche gegeneinander abwägt,

    keine wirklich befriedigende Lösung finden kann. Beide Seiten haben ihre durchaus

    nachvollziehbaren Gründe. Da fällt eine Entscheidung schwer. Ich verstehe Artus, Gawain

    und Merlin die um jeden Preis den Frieden so lange wie möglich erhalten wollen. Ich

    kann aber auch Wistan folgen, der die Untaten nicht begraben lassen kann. Die Lösung,

    eine Abwesenheit jeglichen Krieges zu versuchen, scheint im Angesicht der menschlichen

    Geschichte allzu utopisch.

    Der Riese wird sich erheben, die Gräueltaten werden wieder erinnert, der Schrei nach "Gerechtigkeit und Rache" (S

    So wird es kommen und kein Drache und auch kein Mensch wird das Kommende

    verhindern können. Traurig aber wahr. Die alte Zeit, geschützt von Artus durch den

    verzauberten Drachen geht ihrem Ende zu. Eine neue Zeit, mit einem neuen Gott

    wird anbrechen, aber sie wird nichts Gutes bringen.

    Die Stimme seiner Mutter ist so etwas wie die Stimme seines Gewissens

    Diese Erklärung gefällt mir gut. So wie seine Mutter wohl gestorben ist, so stirbt nun

    aber auch das Gewissen, denn sein Auftrag wird wieder neues Leid über das Land

    bringen.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen

  • Wobei man, auch wenn man lange nachdenkt alles mögliche gegeneinander abwägt,

    keine wirklich befriedigende Lösung finden kann.

    Eben. Das ist doch bei vielen, auch alltäglichen Dingen so: man kann begründet anderer Meinung sein.

    Meiner Meinung nach hat der Roman aber hier einen Haken: Axls Vorgehensweise wird nicht weiter erörtert.: er setzte auf Verhandlungen und erreichte einen Kompromiss-Frieden. Er wird von Edwin auch geschildert als leuchtende Gestalt, die etwas an den Messias erinnerte.


    Mag sein, dass ein solcher Kompromiss-Frieden brüchiger ist und immer wieder neu ausbalanciert werden muss, während solch ein Sieg-Frieden, wie Artus ihn erzwingt, schneller Ruhe schafft. Aber das funktioniert nur mit solchen Narrativen, Mythen und dergleichen. Vielleicht ist das auch der Grund, wieso Ishiguro hier so viel Märchen-, Sagen- und Mythengestalten versammelt.

    Denn eines ist sicher: er entblättert den Artus-Mythos.


    Die alte Zeit, geschützt von Artus durch den

    verzauberten Drachen geht ihrem Ende zu. Eine neue Zeit, mit einem neuen Gott

    wird anbrechen, aber sie wird nichts Gutes bringen.

    Das ist etwas, was ich nicht ganz verstehe. Die Britannier, die wir in dem Buch treffen, leben in einer verzauberten Welt, aber sie argumentieren mit Gott. Ist das der christliche Gott - oder einfach nur eine Bezeichnung für ein höheres Wesen? Wistan dagegen lehnt in dem großen Schluss-Dialog diesen Gott ab: einen Gott, der Unrecht zulässt, kann er nicht akzeptieren.

    Also scheint es der christliche Gott zu sein.

    Eine merkwürdige Mischung.

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Ist das der christliche Gott - oder einfach nur eine Bezeichnung für ein höheres Wesen? Wistan dagegen lehnt in dem großen Schluss-Dialog diesen Gott ab: einen Gott, der Unrecht zulässt, kann er nicht akzeptieren.

    Ich denke, dass ist der christliche Gott. So um 400 kamen die ersten christlichen Mönche

    auf die Insel. Dieser neue Glaube hat sich recht schnell verbreitet.

    Das Wistan diesen neuen Gott ablehnt, liegt wohl auch daran, dass er noch eher den alten

    germanischen Göttern verbunden ist. Den neuen Gott verbindet er mit dem Nebel des

    Vergessens. Eigentlich passt das nicht so ganz. Liegt vielleicht auch daran, dass der christliche

    Gott zuerst einmal nur angenommen wird, auch wenn die wirkliche Lehre dieses Gottes den

    Leuten noch nicht bekannt war. Im Mythos ist Artus ja der erste christliche König der den

    alten Göttern am Ende abschwört weil sie nur Tod und Verderben gebracht haben. So zumindest

    in der Fassung des Thomas Malory die aus dem 16.Jahrhundert stammt.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen

  • Eigentlich passt das nicht so ganz.

    Ja, das finde ich eben auch.

    Auf der anderen Seite gestehe ich Ishiguro bzw. dem Erzähler zu, dass er seine Figuren zwischen der tradierten Naturreligion und dem neuen christlichen Glauben ohne festen Standpunkt ansiedelt. Wistans Zweifel an dem Gott, der das Unrecht vergessen lassen will, spricht ja für sich!

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Auf der anderen Seite gestehe ich Ishiguro bzw. dem Erzähler zu, dass er seine Figuren zwischen der tradierten Naturreligion und dem neuen christlichen Glauben ohne festen Standpunkt ansiedelt.

    Ja, es geht ihm mehr um die Menschen die zwischen diesen Umwälzungen versuchen einen

    für sie passenden ethischen Standpunkt zu finden. Das ist letztlich auch heute noch aktuell

    und kann auch in unsere Zeit übertragen werden.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

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  • Kapitel 14 und 15


    Liegt die Magie darin, dass jeder das sieht, was er sehen soll?

    Ja, das ist mir auch aufgefallen. Vielleicht steht das auch im Zusammenhang mit dem Ruf, den Edwin vernimmt? Jeder sieht im See etwas, das aus dem eigenen Inneren bzw. der Erinnerung stammt. Und auch der Ruf, den Edwin vernimmt, kommt eigentlich aus seinem Inneren.


    Für mich hört sich das nicht an, als wäre der Autrag gewesen sie zu töten, sondern etwas anderes zu tun - sie verzaubern, unter Kontrolle bringen?

    Ja, das denke ich auch. Wenn so viele Speere in der Drachin steckten, war ja ganz klar die Chance da, sie auch zu töten.


    Gawain

    ist also tatsächlich der Beschützer der Drachin, im Auftrag Artus'.

    Sein Geheimnis ist enthüllt - allerdings muss man auch sagen, dass er sich nicht ganz geschickt angestellt hat, es zu hüten. Auf der anderen Seite: Was hätte er sonst tun können? In seinem Alter und ganz allein. Vermutlich wusste er, dass das seine letzte "Amtshandlung" als Hüter wird, so wie Axl und Beatrice vermutlich auch wissen, dass sie sich auf ihrer letzten Reise befinden. Dasselbe gilt eigentlich auch für Wistan, nur Edwin hat noch eine Zukunft - fraglich, was er daraus machen wird.


    Eine Frage bleibt mir aber noch. Das Problem der Mutter. Gab es die Stimme der leiblichen

    Mutter Edwins überhaupt? War das alles seine neue Mutter, die Drachin Querig? Hat er

    beide Stimmen vermischt?

    Ich sehe es wie drawe (unten). Die Stimme kam aus seinem Inneren und der Biss hat ihn erst vermuten lassen, die Mutter rufe nach ihm, dabei war es Querig. Ich denke auch, dass es um Unverarbeitetes geht, Dinge, die er zur Seite geschoben hat, wie eben die Frage, wo seine leibliche Mutter nun ist und das Bedauern, dass er sich nicht auf die Suche nach ihr gemacht hat.


    Die Stimme seiner Mutter ist so etwas wie die Stimme seines Gewissens. Er hat ihre Entführung durch die Britannier beobachtet und leidet sicherlich darunter, die Entführung nicht verhindert haben zu können (er war zu jung) und sie nicht gefunden zu haben. Nun, wo der Nebel des Vergessens sich lichtet, wird ihm klar, dass seine Mutter nicht mehr lebt.

    Und das wiederum befeuert den Rachegedanken, den Wistan ihm eingepflanzt hat.

  • Kapitel 15


    Ihr habt schon so viel geschrieben, so viele kluge Gedanken geäussert welchen ich einfach zustimmen möchte.

    Ich werde nur einiges erwähnen was mir aufgefallen ist, einiges was mich an vorgehende Kapitel erinnert.


    Der Eingangssatz

    Zitat

    Manche von euch haben wohl schöne Denkmäler, damit die Lebenden des gedenken, das euch angetan wurde. Andere werden nur schlichte Holzkreuze haben oder bemalte Steine, und wieder andere bleiben unsichtbar im Schatten der Geschichte.

    erinnert mich sehr stark an John Burniside „What light there is“ Über die Schönheit des Momentes (die ersten Seiten des Buches in dem er Friedhöfe beschreibt)


    Wie nun Gawain wiederum Axl anspricht -ob sich ihre Wege nicht schon gekreuzt haben, und er diesen drängt sich zu erinnern, ist es wohl Tatsache das Axl ein Gesandter von König Artus war…

    Axl hatte einen Friedensvertrag zwischen Britanniern und den eindringenden Sachsen ausgehandelt

    Hat somit das scheitern des Friedensvertrag dazu geführt dass zwischen den Gegner noch viel mehr Gemetzel stattgefunden hat? Die Kriege noch brutaler geführt wurden ? Was dazu geführt hat die Drachin zu benutzen um einen Nebel des Vergessens über die Menschen zu legen.



    Jedoch es gibt noch eine andere Angelegenheit welche geklärt werden muss, zwischen Axl und Gawain welche auch Beatrice betrifft.

    Zitat

    Sie hatte von einer langen einsamen Nacht gesprochen, in der sie sich wegen seiner Abwesenheit gequält hatte, aber konnte es sein, dass auch er eine solche Nacht, vielleicht sogar mehrere, in ähnlicher Qual erlebt hatte? Und als Beatrice stehen blieb und vor dem Steinmal den Kopf senkte, als bitte sie um Verzeihung, da fühlte er sowohl die Erinnerung als auch den Zorn sich festigen, und in plötzlicher Furcht wandte er sich ab. In diesem Moment aber sah er, dass auch Herr Gawain, offenbar tief in Gedanken, zu Beatrice hinblickte; in seinen Augen stand ein Ausdruck der Zärtlichkeit.

    Es sind unterschiedliche Gefühle im Spiel welche bei Axl eine Erinnerung voller Zorn erwecken und wie Gawain Beatrice beobachtet könnte darauf hindeuten dass er in der Vergangenheit etwas für sie empfunden hat.

    Wenn ich wild spekuliere, würde ich sagen Gawain und Beatrice hatten eine Affäre.

    Das zeigen auch die Gedanken welche beim weitern Aufstieg Beatrice bewegen, dass sie wenn sie es richtig bedenkt mehr zu befürchten hat wenn der Nebel sich lichtet.

    Wenn dies Tatsache wäre, hat sich Axl geirrt indem er dachte dass er im Unrecht ist. Es wird schwierig werden für beide wenn der Nebel des Vergessens sich lichten wird, es sich zeigen wird wie stark ihre jetzige Liebe ist.


    Zitat

    Auf einmal beendete Edwin seinen Gesang und begann zu schreien. Er schrie immer wieder dasselbe, und Axl fragte Beatrice, die neben ihm stand, leise: »Was sagt er, verstehst du ihn, Prinzessin?«

    »Er redet von einem Räuberlager dort oben. Dort will er hin, und wir sollen ihm folgen.«

    Schon in Kapitel 10 hatte Edwin diese „Visionen“ - somit ist er überzeugt nun endlich seiner Mutter zu begegnen.

    Zitat

    Noch während er dies sagte, kamen ihm in rascher Folge die Bilder in den Sinn: wie er ihr Lager beträte und die erschreckte, die stumm im Halbkreis saßen und gafften, während seine Mutter sich verzweifelt zu befreien suchte. Inzwischen wären sie erwachsene Männer; bärtig wahrscheinlich und mit schweren Bäuchen, nicht länger die geschmeidigen jungen Männer, die damals ins Dorf stolziert waren. Stämmige, derbe Männer, und kaum griffen sie nach ihren Äxten, sähen sie hinter Edwin den Krieger, und Furcht träte in ihre Augen.

    Edwin soll ein Racheengel werden, eine Kampfmaschine, frei von menschlichen Regungen wie Mitleid.

    Das ist ein sehr unangenehmer Gedanke, denn eigentlich ist er doch nur ein Junge welcher schmerzlich seine Mutter vermisst. Nur durch widrige Umstände wurde er in die Geschehnisse involviert. Wobei ich denke vieles davon versteht er gar nicht.

    Das ist etwas, was ich nicht ganz verstehe. Die Britannier, die wir in dem Buch treffen, leben in einer verzauberten Welt, aber sie argumentieren mit Gott. Ist das der christliche Gott - oder einfach nur eine Bezeichnung für ein höheres Wesen?

    Ich denke das vermischt sich noch etwas denn zu dieser frühen Zeit wie die christliche Lehre durch Mönche überbracht wurde, hingen die Menschen je nach Bedürfnis ihren alten Göttern nach.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • In seinem Alter und ganz allein.

    ... und ähnelt er da nicht der Drachin?

    Vielleicht denke ich da wieder um die Ecke rum, aber ich habe beim Lesen schon gedacht, dass die zwei ein Paar sind :) !

    Gründe:

    Gawain und die Drachin, diese beiden Sagengestalten, sind zusammen alt geworden, so wie Axl und Beatrice.

    Beide sind müde: die Drachin macht keine Anstalten, ihrem Tod zu entkommen, und auch Gawain hat sich arrangiert mit seinem Ende.

    Und bei Beiden ist der Lack der Jugend ab: Gawains Rüstung ist recht rostig, und die Haut der Drachin ist schlaff, hat eine ungesunde Farbe, sie ist "ausgemergelt".

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Wie nun Gawain wiederum Axl anspricht -ob sich ihre Wege nicht schon gekreuzt haben, und er diesen drängt sich zu erinnern, ist es wohl Tatsache das Axl ein Gesandter von König Artus war…

    Das ist eine merkwürdige Stelle, finde ich. Axl kann diesen Friedensvertrag nicht eigenmächtig ausgehandelt haben, das kann er nur in Artus' Auftrag oder zumindest mit seinem Einverständnis gemacht haben.

    Artus ändert offensichtlich seine Meinung und setzt auf den Siegfrieden statt auf den Verständigungsfrieden (die Begriffe gehören eigentlich zum Ende des I. Weltkriegs, aber sie passen hier so gut!). Es bleibt offen, wieso er seine Meinung geändert hat.

    Wenn ich wild spekuliere, würde ich sagen Gawain und Beatrice hatten eine Affäre.

    :lol: Genau den Gedanken hatte ich auch, allerdings erst beim letzten Kapitel! Die Textstelle, die Du zitierst, habe ich überlesen:

    Zitat

    "aber sah er, dass auch Herr Gawain, offenbar tief in Gedanken, zu Beatrice hinblickte; in seinen Augen stand ein Ausdruck der Zärtlichkeit."

    Ich habe eben das erste Treffen des altes Paares mit Gawain noch einmal nachgelesen; da lässt sich kein Hinweis auf ein Wiedererkennen o. ä. finden (Kap. 5).

    :study: Percival Everett, James.

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    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Axl kann diesen Friedensvertrag nicht eigenmächtig ausgehandelt haben, das kann er nur in Artus' Auftrag oder zumindest mit seinem Einverständnis gemacht haben.

    Mir kam das auch etwas seltsam vor, dass Axl so ganz allein einen Friedensvertrag aushandeln

    könnte. Das muss eigentlich im Auftrag und mit Unterstützung des Königs geschehen sein.

    Wir haben zwar vom Autor diesbezüglich keine Hinweise, aber die Idee passt sehr gut.


    Ich habe eben das erste Treffen des altes Paares mit Gawain noch einmal nachgelesen; da lässt sich kein Hinweis auf ein Wiedererkennen o. ä. finden

    Ich glaube, dass dieser Ausdruck von Zärtlichkeit nicht unbedingt ein Hinweis auf eine

    persönliche Verbindung darstellt, sondern eher in Richtung Mitgefühl für die alte Dame

    geht, die nun auch vor dem Ende ihrer schweren Reise steht.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

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  • Ich glaube, dass dieser Ausdruck von Zärtlichkeit nicht unbedingt ein Hinweis auf eine

    persönliche Verbindung darstellt, sondern eher in Richtung Mitgefühl für die alte Dame

    geht, die nun auch vor dem Ende ihrer schweren Reise steht.

    Da sehe ich jedoch anders - obwohl wir bis jetzt in Beatrice nur das Gute gesehen haben, zeigt es hier dass auch sie etwas "dunkles" zu verbergen hat.

    Zitat

    Doch Beatrice blieb entschlossen. »Ich möchte, dass wir weitergehen«, sagte sie. »Hier, Axl, nimm meine Hand und hilf mir, nicht den Mut zu verlieren. Inzwischen denke ich, dass ich diejenige bin, die mehr zu fürchten hat als du, wenn der Nebel sich hebt. Als ich vorhin neben diesen Steinen stand, kam mir plötzlich der Gedanke, dass ich dir einst Schlimmes angetan habe, Mann. Spürst du, wie mir die Hand zittert bei der Vorstellung, es könnte uns alles wieder in Erinnerung kommen?

    Natürlich ist es nur Spekulation, jedoch die Andeutungen in diesem Kapitel, unklar wie auch immer, lassen eine Ahnung zu.


    ch habe eben das erste Treffen des altes Paares mit Gawain noch einmal nachgelesen; da lässt sich kein Hinweis auf ein Wiedererkennen o. ä. finden (Kap. 5).

    Zitat

    Doch als er Axl angestrengt ins Gesicht starrte, veränderte sich seine Miene: Überraschung zeichnete sich darin ab, sogar Erschrecken. Instinktiv wandte Axl sich ab, und im selben Moment wich auch der alte Ritter zurück, ja er schien sich eigens gegen den Eichenstamm zu drücken.

    Eigentlich schon - denn das erkennen bezieht sich nicht nur auf Axl - Überraschung - Erschrecken.


    Wir bewegen uns dem Ende zu und ich hoffe die letzten Kapitel werden dies klären.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Eigentlich schon - denn das erkennen bezieht sich nicht nur auf Axl - Überraschung - Erschrecken.

    Der Text sagt aber deutlich, dass er nur Axl ins Gesicht starrt und ihn offensichtlich wiedererkennt; von Beatrice ist keine Rede.

    Vermutlich wäre das auch hier zuviel der Andeutungen gewesen.

    ch glaube, dass dieser Ausdruck von Zärtlichkeit nicht unbedingt ein Hinweis auf eine

    persönliche Verbindung darstellt, sondern eher in Richtung Mitgefühl für die alte Dame

    geht, die nun auch vor dem Ende ihrer schweren Reise steht.

    Ich habe das Buch gestern beendet und beim letzten Kapitel wie serjena die Vorstellung gehabt, dass Gawain und Beatrice eine Liebesbeziehung gehabt hätten; von Beatrices Seite aus ein übler Verrat an ihrem Mann, aber sie wird ihre Gründe gehabt haben.

    Es kann sich aber auch so verhalten, wie taliesin meint. Der Erzähler legt sich nicht fest, d. h. er pustet seinem Leser noch ein bisschen Drachen-Nebel ins Hirn :) .

    :study: Percival Everett, James.

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  • Der Erzähler legt sich nicht fest, d. h. er pustet seinem Leser noch ein bisschen Drachen-Nebel ins Hirn

    Ich bin gerade auch am Ende der Geschichte angelangt. Nicht alle Fragen haben eine klare Antwort und nicht jeder Nebel lichtet sich. (frei nach Tolkien) :wink:

    Ich habe aber eine große Frage.............dazu dann später.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


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  • Eine Frage - habt ihr in eurem Buch auch ein Nachwort von Benedict Wells


    Lese übrigens ebenfalls die zwei letzten Kapitel- das muss einfach sein.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • KAPITEL 15

    Es kommt, wie es kommen musste. Ich fand die beiden "Kämpfe", wie schon den vorherigen mit dem Soldaten, eher würdelos, lieblos abgehandelt. Es stand doch sowieso von Anfang an fest, wie sie ausgehen werden, somit war dieses "Festhalten" an Regeln, Abläufen etc. für mich befremdlich.

    Und Querig hatte gar keine Chance mehr, sich zu verteidigen. Armes Wesen, die Menschen haben sie nur ausgebeutet.


    Ich bin gespannt, wie es nun mit Axl und Beatrice und vor allem mit Edwin weitergeht.

    Ich hoffe nicht, dass der Junge zur "Kampfmaschine" wird. Seltsam, dass Wistan das für ihn wünscht, wo er doch selbst nicht so sein kann/will.

    Wie wird Edwin sich verhalten, nun, da Querig tot ist?


    Ich werde das Buch auch gleich zu Ende lesen.

    Lesen ist ein großes Wunder. Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach


    :study: Das lese ich gerade: *klick*

  • Kapitel 16


    Wie Edwin wieder zu sich kommt, sieht er die Ziege neben seinem Kopf die auf dem Gras rum kaut. Er ist sehr müde, hat alles verpasst was passiert ist. Jedoch wird ihm bewusst dass seine Mutter weg ist.

    Er erinnert er sich Worte von Wistan „Sollte es für die Rettung zu spät zu sein, es sei früh genug für Rache“. Er will den Mörder/die Mörder seiner Mutter dafür bezahlen lassen.


    Hier bin ich immer noch im unklaren - die Mutter von Edwin …? Doch die Querig?

    Dann würde die Rache Wistan treffen.


    Bitte sagt mir dass ihr einen ganz anderen Eindruck habt. Dies nur in der Einbildung von Edwin stattfand. Der „Drachenbiss“ nur ein Mittel war damit Edwin Wistan half die Querig zu finden.


    Beatrice welche ihn befreit hat ruft ihm zu, er solle in den nächsten Tagen an sie und ihre Freundschaft denken.

    Edwin erinnert sich an das Versprechen das er Wistan gegeben hat, die Briten zu hassen, jedoch sich sicher ist nicht diese Briten damit gemeint sind - läuft los ihn zu finden.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Seltsam, dass Wistan das für ihn wünscht, wo er doch selbst nicht so sein kann/will.

    Gerade deshalb, würde ich sagen!

    Ist das nicht oft anzutreffen? Dass die Kinder das erreichen sollen, was die Eltern (Wistan ist quasi Vater für Edwin) nicht erreicht haben, aus welchen Gründen auch immer?

    :study: Percival Everett, James.

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  • Zu Kapitel 16

    habt ihr in eurem Buch auch ein Nachwort von Benedict Wells

    Nein. Meine Ausgabe stammt aus 2015.

    Bitte sagt mir dass ihr einen ganz anderen Eindruck habt. Dies nur in der Einbildung von Edwin stattfand. Der „Drachenbiss“ nur ein Mittel war damit Edwin Wistan half die Querig zu finden.

    Ich kann mir diese Sache nur so zurecht legen, wie ich es schon beschrieben habe: der Biss als Wegweiser zu Querig, und die innere Stimme die Stimme seines Gewissens und seiner Gedanken an seine Mutter.

    Beatrice welche ihn befreit hat ruft ihm zu, er solle in den nächsten Tagen an sie und ihre Freundschaft denken.

    Edwin erinnert sich an das Versprechen das er Wistan gegeben hat, die Briten zu hassen, jedoch sich sicher ist nicht diese Briten damit gemeint sind - läuft los ihn zu finden.

    Das ist eine sehr einfach gehaltene, aber wunderschöne Szene, finde ich.

    Edwin ist sich sicher, dass seine Mutter tot ist, und daher befeuert ihn dieser Gedanke, Rache an den Britanniern zu nehmen, ausnahmslos und ohne Mitleid, so wie er es Wistan versprochen hat.


    Axl und Beatrice erkennen sehr genau die Dimension der Ereignisse, die sie gerade miterlebt haben. Sie wissen, dass der Krieg wieder losbrechen wird.

    Und daher dieser Satz:

    Zitat

    "Denk an uns und die Freundschaft zwischen uns, als du noch ein Junge warst." (S. 392)

    Damit führt Axl den Jungen zurück auf die menschliche Seite und unterläuft Wistans Versuch, Edwin auf pure Rache einzuschwören. Auch Edwin wird sich der Ambivalenz der Rache bewusst sein und seinen Hass auf die Britannier nicht verallgemeinern.

    Eine wunderbare Idee, finde ich, Hoffnung zu geben!

    :study: Percival Everett, James.

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  • zu Kapitel 16


    Beatrice welche ihn befreit hat ruft ihm zu, er solle in den nächsten Tagen an sie und ihre Freundschaft denken.

    Und das berührt Edwin doch mehr als Wistan sich wünschen würde. Vielleicht gibt es

    doch noch Hoffnung, dass er nicht völlig mitleidslos ist.

    Axl und Beatrice erkennen sehr genau die Dimension der Ereignisse, die sie gerade miterlebt haben. Sie wissen, dass der Krieg wieder losbrechen wird.

    Ja, diese Szene ist so schön geschildert. Der kommende Krieg mit all den sich nun wiederholenden Untaten ist unausweichlich. Sie sorgen sich um den Jungen und

    seine Zukunft.

    Damit führt Axl den Jungen zurück auf die menschliche Seite und unterläuft Wistans Versuch, Edwin auf pure Rache einzuschwören.

    Vielleicht hält er an dieser Erinnerung an die beiden guten Briten fest. Diese Hoffnung

    zumindest kann man als Leser mitnehmen.

    Es gibt eine sehr dunkle Szene hier, die ich anfangs als Hinweis auf das kommende

    Blutbad interpretiert habe. Aber man kann sie auch anders aufnehmen, nämlich als

    Hinweis darauf, das all das Blut das er an sich selbst sieht eher Abscheu erregt und

    vielleicht auch eine Umkehr von der Rache an allen Briten sein könnte.

    Zitat

    A strange thought went through Edwin`s mind, that he was at the moment

    covered head to toe in blood, and this was why he had become the object

    of such scrutinity.

    Vielleicht überinterpretiere ich da, aber ich sehe da einen Funken Hoffnung was

    Edwins Zukunft angeht. Als ein in Blut getränkter Rächer mag er sich nicht sehen.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

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  • Kapitel 17

    Wir als Leser, wie auch Beatrice und Axl sind am Ende der Reise angelangt. Gawain ist tot. Wistan wie auch Edwin gehen ihren Weg, einen Weg von dem wir nicht wissen wie es für die beiden weiter geht. Die Querig ist erschlagen und der Nebel des Vergessens beginnt sich zu lichten.


    Unter den Kiefern steht der Erzähler und sieht die beiden Alten heran kommen. Es fällt auf wie die beiden sehr zerbrechlich und müde scheinen. Nicht nur Beatrice ist gezeichnet von den Strapazen, auch Axl wirkt etwas erschöpft. Dennoch kümmert er sich liebevoll um seine Frau.


    Beatrice erklärt dass ihr Sohn auf einer Insel lebt, einer Insel welche ganz nahe ist. Axl ist noch etwas skeptisch.


    Somit kann man davon ausgehen dass die Insel für das Leben nach dem Tod steht. Wie Beatrice erklärt ihr Sohn wäre dort, bestätigt sie das er tatsächlich tot ist, sie bereit ist zu ihm zu gehen. Axl jedoch ist nicht bereit, er zögert. Er spürt eine unbestimmte Angst dass seine Frau auch ohne ihn auf die Insel gehen könnte.

    Zitat

    Natürlich, Prinzessin«, sagt er dann, »haben wir noch nicht entschieden. Wollen wir uns wirklich hinüberbringen lassen? Außerdem können wir die Fahrt nicht bezahlen – Zinn und Münzen haben wir beim Pferd gelassen.«

    Der Erzähler der ihnen zuhört, bestätigt die Worte von Beatrice.

    Es stellt sich heraus dass der Erzähler der Fährmann ist.


    Beatrice möchte vom Fährmann wissen ob es die Insel wäre welche sie aus den Geschichten hört, er dies jedoch nicht bestätigen kann.


    Aus ihren Worten spricht echte Besorgnis, denn es ist ihr wichtig gemeinsam mit ihrem Mann diese letzte Reise antreten zu können.


    Im Gespräch mit Axl erfährt der Fährmann den Grund wieso ihr Sohn sie verlassen hat. Beatrice war tatsächlich Axl untreu.


    Allerdings weiss man nicht war ihre Affäre Gawain. Das bleibt verborgen.


    Wie es klingt befanden sich beide in einer schwierigen Lebenslage. Es war sicher zu Zeiten in denen Axl für Artus unterwegs war, Krieg herrschte, Frau und Kind allein zu Hause liess. Beatrice sich vernachlässigt fühlte.


    Dass eine Seuche irgendwann im Land grassierte wurde einige Male angedeutet. Axl und Beatrice wussten dass ihr Sohn an dieser gestorben war, nur der Nebel hat sie dies vergessen lassen.

    Jetzt macht sich Axl Vorwürfe dass er seiner Frau verboten hat, dessen Grabmal zu besuchen.


    Aber all dies ist nicht mehr wichtig. Wichtig ist dass Beatrice und Axl all Ungemach, all das was zwischen ihnen stand, ihr Zerwürfnis überwunden haben. Zu dem Ehepaar wurden wie der Fährmann sagt..

    Zitat

    Du und dein Mann seid ein Paar, wie wir Fährleute es selten zu Gesicht bekommen. Ich habe eure ungewöhnlich innige Verbundenheit gesehen, als ihr durch den Regen geritten kamt.


    Die Situation wie der Fährmann Axl erklärt dass er nur eine Person mitnehmen kann, ist ein echter Schock. Kann er ihm wirklich vertrauen, wenn dieser sagt er würde nach kurzer Zeit zurück kehren um ihn abzuholen?


    Es kommt zu einer Unstimmigkeit zwischen Axl und dem Fährmann, was Beatrice dazu bewegt das Wort zu ergreifen damit ihr Mann sich beruhigt.


    Wenn ich die letzten Zeilen lese, klingt das für mich wie ein Abschied. Man bekommt das Gefühl dass Axl gar nicht auf die Insel gehen wird. Dass, obwohl sie eine liebevolle Beziehung führen die nicht ausreicht um auf der Insel zusammen zu sein.

    Zitat

    Leb wohl, Axl.«

    »Leb wohl, meine einzige Liebe.«

    Ich höre ihn durchs Wasser kommen. Hat er die Absicht, mich anzusprechen? Er wollte sich ja mit mir versöhnen. Doch als ich mich umdrehe, blickt er nicht zu mir her, nur landeinwärts und zur Bucht, die im roten Licht der Abendsonne liegt. Und auch ich suche seinen Blick nicht. Er watet an mir vorbei und blickt nicht zurück. Warte am Ufer auf mich, Freund, sage ich leise, aber er hört mich nicht und watet weiter.


    Ich bin sicher dass wir noch etwas über dieses letzte Kapitel diskutieren werden. Viele Fragen wurden nicht geklärt, vielleicht ist es gar nicht nötig, vielleicht haben wir oftmals einfach zu viel hinterfragt.


    Wie schon erwähnt hat mein Buch ein Nachwort von Benedict Wells. Daraus möchte ich einen wunderbaren Satz zitieren, welcher alles sagt.

    Zitat von Benedict Wells

    Am Schluss des Buchs, wenn sich der alte Nebel gelichtet hat, steht man aber auch vor einem persönlichen Abgrund. Einer höchst aktuellen Reflexion und Denkklippe, von der es zu springen gilt – hinein ins Jetzt. Denn in Der begrabene Riese geht es um nichts anderes als um die Frage, wann es gut ist, sich zu erinnern. Und wann es besser ist, um des Friedens willen zu vergessen.




    Ich möchte mich bei den Teilnehmer herzlich bedanken für diese angeregte, spannende, interessante Leserunde. Ich hatte viele Freude daran und genoss es die Beiträge zu lesen und zu kommentieren. Danke auch dass ihr meine eine Male etwas unorthodoxe Meinung akzeptiert habt.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter