Yaa Gyasi - Ein erhabenes Königreich / Transcendent Kingdom

  • Klappentext/Verlagstext
    Mit dem Auftauchen ihrer Mutter, die sich ins Bett legt und auf nichts mehr reagiert, kehren in Gifty die schmerzhaftesten Kindheitserinnerungen zurück: das Verschwinden des Vaters, der in seine Heimat Ghana zurückging, der Tod des geliebten Bruders und die Depression der Mutter angesichts dieser Verluste. Ihre Familiengeschichte hat dazu geführt, dass Gifty als erwachsene Frau ihren Glauben gegen die Neurowissenschaften eingetauscht hat. Sie ist davon überzeugt, dass sich Depression und Abhängigkeit, und damit Trauer und Leid, durch entsprechende Behandlung verhindern lassen. Doch die Angst um ihre Mutter, die fest verankert in ihrer Religion stets allen Schwierigkeiten im weißen Amerika gewachsen war, lässt Gifty an beidem zweifeln: Kann nur die unbestechliche, aber seelenlose Wissenschaft ihr die Mutter zurückbringen oder gelingt das allein den herzerwärmenden Erlösungsversprechen der Kirche? Die bewegende Geschichte einer Familie, exemplarisch für die vom Rassismus geprägte amerikanische Gesellschaft


    Die Autorin
    Yaa Gyasi, 1989 in Ghana geboren, ist im Süden der USA aufgewachsen. Sie hat Englische Literatur an der Stanford University studiert und einen Abschluss des Iowa Writers’ Workshop. Ihr Debüt ›Heimkehren‹ (DuMont 2017), das in den USA und England wochenlang auf den Bestsellerlisten stand, wurde in über 20 Sprachen übersetzt und ist mit mehreren Preisen ausgezeichnet worden, u. a. dem Pen/Hemingway Award. Yaa Gyasi lebt in Brooklyn/New York.


    Inhalt
    Die junge Neurowissenschaftlerin Gifty promoviert in Harvard über den Einfluss des Belohnungssystem im Gehirn auf Selbstkontrolle und Suchtanfälligkeit. Aus der Forschungsarbeit reißt sie ein Anruf des Pastors ihrer Mutter, die erneut an Depressionen erkrankt ist. Gifty holt die fast 70-Jährige zu sich an die Ostküste und vernachlässigt dafür ihre Versuchsreihe. Giftys Eltern waren mit einer einzigen gewonnenen Green Card aus Ghana in den Bible Belt der USA gekommen. Die wissenschaftliche Karriere ihrer ehrgeizigen Tochter könnte als Musterbeispiel einer Aufsteiger-Biografie gelten. In Rückblenden, von Gifty in der Ichform erzählt, entfaltet sich jedoch eine deprimierende Familiengeschichte. Der Vater konnte seine Diskriminierung als Afroamerikaner nicht länger ertragen und kehrte nach Ghana zurück; die Mutter rackerte sich mit zwei Jobs als private Krankenpflegerin ab. Ihre Planung war so knapp auf Kante genäht, dass Krankheit und unvorhergesehen Probleme darin keinen Platz hatten; denn sie wollte ihre Patienten auf keinen Fall im Stich lassen. Als Giftys älterer Bruder Nana nach einer Sportverletzung Oxycontin verordnet bekommt, bedeutet nicht die Verletzung das Ende seiner Baseball-Karriere, sondern die Drogensucht, die seiner vorauszusehenden Medikamentenabhängigkeit folgt. Obwohl der Versuch einer rein religiös motivierten Suchttherapie für Nana kläglich scheitert, lehnt die Mutter für ihre eigene Erkrankung nach wie vor jede klinische Therapie ab.


    Als Gifty 11 Jahre alt war, litt ihre Mutter bereits an Depressionen und suchte bewusst Heilung in ihrer Religion. Damals wurde Gifty zu ihrer Tante nach Ghana geschickt und erkannte, dass psychische Krankheiten in verschiedenen Kulturen jeweils andere Gesichter haben. Den Gedanken, dass die Behandlung sich folgerichtig an der jeweiligen Kultur ausrichten sollte, wird sie erst viel später entwickeln. Rückblickend war die Bindung an eine evangelikale Gemeinde eine der Ursachen der Erkrankung ihrer Mutter. Als einzige schwarze Familie unter Weißen isoliert, rackerte die Mutter sich in schlecht bezahlten Pflegestellen ab und erfuhr außer schönen Worten keine Unterstützung ihrer Gemeinde. Fast 20 Jahre später realisiert Gifty, dass ihre eigene Sucht die Forschung ist, weil sie das Getuschel in der Kirche von damals, Schwarze wären eben anfälliger für Suchterkrankungen, nicht auf Nana sitzen lassen wollte.


    Fazit

    Die Themen Neurowissenschaft, Religion, Rassendiskriminierung und psychische Erkrankung verknüpft Yaa Gyasi zu einer bewegenden Familiengeschichte. Dass institutioneller Rassismus als vererbliches Trauma psychische Erkrankungen verursachen oder verstärken kann, deutet sich bereits zu Anfang des Romans an. Die verzögernde Wirkung der Rückblenden, bis Gifty den Zusammenhang selbst ausspricht, hat mich hier weniger angesprochen.


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Ravik Strubel - Blaue Frau

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Gifty ist Neurowissenschaftlerin und arbeitet gerade an einem wichtigen Projekt, als sie einen Anruf von Pastor John erhält. Ihre Mutter verlässt seit Monaten kaum noch das Bett und Gifty muss sie bei sich aufnehmen. Es folgt eine lange Phase des Schweigens und der Hilflosigkeit, denn all das erinnert Gifty an Erlebnisse aus ihrer Kindheit. Schon vor ihrer Geburt waren die Eltern mit dem älteren Bruder Nana aus Ghana in die USA eingewandert. Der Vater verließ nur widerwillig sein Heimatland und kehrte nach einigen Jahren ohne seine Familie dorthin zurück. Der Bruder verfiel den Drogen, die Mutter entwickelte eine Depression – Gifty war eigentlich immer schon allein.


    Nach „Heimkehren“, das mich auch schon sehr beeindruckt hat, ist „Ein erhabenes Königreich“ der zweite Roman aus der Feder von Yaa Gyasi. Eindrücklich schildert sie Giftys Schicksal zwischen Glauben und Wissenschaft. Besonders berührend sind ihre Briefe an Gott, die sie im Kindesalter beginnt. Ihm schreibt sie Alltägliches, aber auch bedeutsame Gedanken, die sie umtreiben. Grundsätzlich wird die Handlung dabei auf zwei Ebenen erzählt: der Gegenwart, in der Gifty fest im Berufsleben steht und um die psychische Gesundheit ihrer Mutter kämpft. Und die Vergangenheit, die erklärt, wie die Familie am Leben in einem fremden Land gescheitert scheint – nur Gifty hat noch die Chance auf ein glückliches Leben.


    Neben dem offensichtlichen Thema, ob und wie Glaube mit Wissenschaft zu vereinbaren ist, spielen auch andere eine Rolle. Als Schwarze hat die Familie es schwer in den USA: So lange Nana als Ausnahmesportler seine Mannschaft zum Sieg führt, scheint alles in Ordnung und die Integration gelungen. Macht er einen Fehler, schlägt ihm sofort geballter Hass entgegen – eine Tatsache, die Vater und Sohn nie richtig heimisch werden lässt. Was diese Situation in der Seele jedes einzelnen Familienmitgliedes anrichtet, wird im Roman schonungslos geschildert. Der einzige Kritikpunkt, den ich anzuführen habe, ist das sehr abrupte Ende. Hier hätte ich Gifty und ihre Mutter gerne noch etwas länger begleitet, auch wenn es schmerzt. :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:

  • Der Rezension von Naraya schließe ich mich zu 100% an. Yaa Gyasi - ein Feuerwerk für die Literatur. Mögen ihr die Ideen nie ausgehen! Schonungslos, real und sehr berührend erleben wir die Ankunft einer ghanaischen Familie in den USA und wie sie Stück für Stück auseinanderfällt. Giftys zentrale Frage nach dem Ursprung, dem Warum, kann jeder nachempfinden. Ihren Zwiespalt zwischen Religion und Wissenschaft erlebt der Leser von Kindesbeinen an mit; die Ausführungen könnte ich gänzlich zitieren, sie haben mich als klare Vertreterin einer Position sehr verblüfft und werden mich noch sehr lange beschäftigen. Doch so sehr diese beiden Felder auch dominieren, sind sie lediglich Anschauungsbeispiele für ein übergeordnetes Thema: Transzendenz. Wie fängt man das ein, was jenseits des Greifbaren liegt? Wieviel vom Ursprung bleibt in eine andere Sprache übersetzt oder in einem anderen Kontext gesetzt? Wieviel Wesentliches geht verloren, wenn Grenzen überschritten oder erreicht werden? Stoff für 1000+ Seiten, den die Autorin anhand der Familie fein skizziert. Das sehr abrupte Ende hat kalt erwischt, ansonsten wären es fünf Sterne geworden.