Tove Jansson - Herbst im Mumintal / Sent i november

  • Kurzmeinung

    Jean van der Vlugt
    Die beste Art, e. Welt zu beenden: Dem Publikum/d. Figuren Selbstvertrauen geben, ohne falsche Ansprüche a. d. Schöpfung
  • Die Autorin (Quelle: Arena): Tove Jansson wurde am 9. August 1914 in Helsinki geboren. Ihre Eltern waren der Bildhauer Victor Jansson und die Zeichnerin Signe Hammarsten-Jansson. Tove Jansson kam über die Malerei zum Schreiben. Sie besuchte die Kunstgewerbeschulen in Helsinki und Stockholm und unternahm zahlreiche Studienreisen durch Deutschland, Frankreich und Italien. Bekannt wurde Sie durch Ihre Geschichten um die beliebten „Mumins“. Ihre Bücher wurden in 33 Sprachen übersetzt und für Fernsehen, Hörfunk, Film und Theater bearbeitet. Für ihr Werk wurde Tove Jansson mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und auch mit der Ehrendoktorwürde geehrt. So erhielt sie 1952 den von Stockholmer Tageszeitungen gestifteten Literaturpreis für das beste Kinderbuch, 1952 die zum Andenken an Selma Lagerlöf gestiftete Nils-Holgersson-Medaille und 1996 den Internationalen Hans-Christian-Andersen-Preis. Tove Jansson verstarb 2001.


    Klappentext (Quelle: Arena): Es ist November, grau und regnerisch, und plötzlich halten sie es alle nicht mehr allein zu Hause aus: die ängstliche Filifjonka, der übereifrige Hemul, der uralte Onkelschrompel und der scheue kleine Homsa. Sie alle sehnen sich nach der Wärme und Geborgenheit der Muminfamilie. Doch als sie im Mumintal ankommen, sind die Mumins ausgeflogen. Was nun?


    Schwedische, deutsche und englische Ausgaben:

    • Im Jahr 1970 erschien die schwedische Originalausgabe unter dem Titel "Sent i november" im Verlag Holger Schildt in Helsingfors (160 Seiten). Wiederaufgelegt wurde sie u.a. 1980 und 1987 bei Geber in Stockholm, 1992 bei Schildt in Esbo und als Pocket-Ausgabe bei Norstedt in Stockholm, 2004, 2006 und 2010 bei Alfabet in Stockholm (169 Seiten), 2015 bei ‎ Rabén & Sjögren (162 Seiten) sowie 2018 und 2019 im Förlaget M. in Helsingfors.
    • Die erste deutsche Übersetzung aus dem Schwedischen stammt von Dorothea Bjelfvenstam. Sie erschien zuerst 1972 (in zweiter Auflage 1972) unter dem Titel „Herbst im Mumintal“ bei Benziger in Zürich und Köln (143 Seiten). Neu aufgelegt 1993 in der Edition Benziger im Arena Verlag in Würzburg (164 Seiten).
    • 1983 erschien „Herbst im Mumintal“ auch zusammen mit „Winter im Mumintal“ in dem Sammelband „Herbst und Winter im Mumintal, erzählt und illustriert von Tove Jansson“ bei Benzinger in Zürich und Köln (264 Seiten), neu aufgelegt 1991 in der Benziger-Edition im Arena Verlag in Würzburg (270 Seiten). Die Zusammenstellung suggeriert enttäuschender Weise, „Winter“ wäre die Fortsetzung von „Herbst“, was ja definitiv nicht stimmt.
    • Die deutsche Neuübersetzung stammt von Brigitta Kicherer. Sie erschien 2003 als Arena-Taschenbuch Bd. 2277 im Arena-Verlag in Würzburg (182 Seiten), 2006 als Hardcover, 2012 als Arena-Taschenbuch Bd. 50320 und 2017 erneut als Hardcover mit der Bestellnummer 60288.
    • Die englische Übersetzung von Kingsley Hart erschien 1971 als „Moominvalley in November“ im Verlag Ernest Benn in London und bei Henry Z. Walck in New York (175 Seiten), wieder aufgelegt u.a. 1974 (sowie 1985, 2003 und öfter) als Puffin Book bei Penguin in Harmondsworth bzw. London (157 Seiten), 2003 bei Farrar, Straus & Giroux in New York (175 Seiten), 2010 bei Square Fish in New York und 2018 bei Sort Of Books in London.
    • Es gibt bislang keine französische Übersetzung. :shock:


    Deutsche Hörbuchfassung:
    Die Kicherer-Übersetzung bildet die Grundlage für die ungekürzte Lesefassung, die 2017 als Hörbuch beim Arena Verlag in Würzburg erschienen ist (3 Stunden 42 Minuten auf 3 CDs). Bestellnummer: 24069.


    Auftauchende Figuren:
    Schnupferich, eine Filifjonka, Onkelschrompel, ein Homsa namens Toft, ein übereifriger Hemul, die Mymla.


    Meine Einschätzung:
    Die beste Art, eine Welt zu beenden: Dem Publikum (und den Figuren) genug Selbstvertrauen einflößen, auch ohne die Fiktion lebensfroh und tüchtig auszukommen. Und vor allem ganz ohne, dass falsche Ansprüche an die Schöpfung geweckt würden. :thumleft:


    Ein wichtiges Thema des letzten Mumin-Romans ist das Geschichtenerzählen, das Fiktive, das Ausdenken, das Komponieren: der künstlerische Prozess, eine eigene Welt zu erschaffen. Man merkt es vor allem an dem kleinen Homsa-Troll Toft, der im Grunde die Hauptfigur des Buches ist: Er spinnt sich zur Beruhigung selbst in Geschichten ein. Tove Jansson scheint es nahezulegen, dass der übersinnlich begabte und sehr feinfühlige Toft Figuren und Szenerien von einer intensiveren Realitätsebene erschaffen kann als „normalen“ fiktiven Geschichten gemeinhin anhaftet: Das elektrisch geladene Urzeit-Tierchen Nummulit bildet sich allein in der Einbildungskraft Tofts, der für sich Teile der Welt erschafft, in der er lebt. Deswegen ist es für ihn besonders schmerzlich, dass er die Muminfamilie, über die - weit über das Mumintal hinaus - so viele legendäre Geschichten erzählt werden, nicht antrifft. Ihr Fernbleiben verhindert ihm das Eintauchen und Aufgehen in ihrer Geschichte, in der eine beidseitige Begegnung einem glücklichen Ende entspräche. Das Kleine, das Teil von etwas Großen sein möchte! Aber gerade wegen seiner Verwurzelung in der Welt der Geschichten scheint auch Toft der Einzige der kleinen Gruppe an Besuchern, die ein sehnsüchtiges Gespür nach den Mumins ins Mumintal trieb, zu sein, der in der Lage ist, voller Erwartung auf ihre Rückkehr auszuharren. Er ist fähig, auf das glückliche Ende zu warten, ohne zu verzweifeln.


    Außerdem durchzieht das Buch ein fast religiöses Empfinden: Die Filifjonka, der Hemul, der Onkelschrompel und der scheue Homsa reisen, ohne wirklichen Bezug oder intime Bekanntschaft mit den Mumins von fern an - wie in ein gelobtes Tal, das Heilige Land, in dem sie von der Wärme und Geborgenheit ihrer Heilsbringer, der legendären Muminfamilie, einen Hauch abbekommen möchten, um spirituelle Leerstellen in ihrem eigenen Dasein zu füllen. Doch die Mumins zeigen sich einfach nicht! Die Besucher spüren die Abwesenheit, das nicht konkret Sichtbare des Göttlichen in der Schöpfung – und müssen damit, jeder mit seinen individuellen Lebensfragen, zurechtkommen lernen. Der Schnupferich und die Mymla, die freundschaftliche bzw. verwandtschaftliche Bande ins Mumintal führten, die beide bereits eine gewisse Gelassenheit und Selbstständigkeit erlangt haben, treten als Kommentatoren bzw. Katalysatoren für die psychisch-spirituelle Reifung der Sinnsuchenden in Erscheinung. Sie dienen - als echte Zeugen der Mumins – als Reibepunkte, die der Filifjonka helfen, ihre Ängstlichkeit, Zwanghaftigkeit und Nervösität abzuschleifen, aber auch den Übereifer, das Rechtmachenwollen, das Andienern des Hemuls und die Verzagtheit des Homsas zu überwinden, der in sich ein gerüttelt Maß an Zorn verschließt, das er kanalisieren lernen muss. Alle diese "Nebenfiguren" des Mumin-Kosmos müssen lernen, mit dem, was sie charakterlich mitbringen, ganz ohne die Vermittlung durch die Mumins, auf einander einzugehen, um miteinander ein lebensfrohes Dasein zu fristen. Und dann können sie am Ende auch wieder von einander scheiden, um gestärkt in ihre eigenen Welten zurückzukehren. Auf eigenen Füßen stehend.


    In „Herbst im Mumintal“ löst und verabschiedet sich das Werk von seiner Autorin, und es emanzipieren sich die Figuren von der Schöpfung, wie um die Blaupause für das Verhalten des Lesers zu bilden: Man kann nicht immer aufs Neue die Weltflucht an einen in Wahrheit schon nostalgischen-verblassten Ort der Vergangenheit antreten, mit der Hoffnung und dem Anspruch im Gepäck, sich im Licht einer Geschichte zu heilen, und das obendrein ganz ohne eigenes Zutun. Die Reise ins „gelobte Land“ macht einen nicht gleich heilig. Man muss selbst aktiv werden, um seine spirituellen Defizite zu füllen und sich zu heilen. Das Mumintal erweist sich als echter Nicht-Ort, als Utopie, deren Kraftquelle in der Vergangenheit liegt: Alles, was die Mumins dem Leser geben können, befindet sich in dem bereits durchlebten Kanon bestehend aus acht Büchern, der mit diesem neunten Band seinen Abschluss findet. Der scheue Homsa Toft muss lernen, ganz in der Gegenwart anzukommen, um die Zukunft am Horizont begrüßen zu können. Dann leuchtet einem vielleicht die Schiffslaterne der Mumins aus der Ferne, wenn sich ihr kleines Boot, die „Abenteuer“, vielleicht wieder über die Wellen dem Strand nähert, wobei es im Grunde egal ist, ob das in der Wirklichkeit des Buches passiert oder im Herzen der Trolle und Menschen. O:-)


    „Herbst im Mumintal“ ist die denkbar beste, cleverste und zartfühligste Art, den Schlussstrich unter eine literarische Welt zu ziehen, kein lauter Klimax, sondern eine melancholische Koda. :pray:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (214/365)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

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    O:-) Letzter Kauf: Esch "Supercool" (24.03.)

  • Im Jahr 1970 erschien die schwedische Originalausgabe unter dem Titel "Sent i november" im Verlag Holger Schildt in Helsingfors (160 Seiten). Wiederaufgelegt wurde sie u.a. 1980 und 1987 bei Geber in Stockholm, 1992 bei Schildt in Esbo und als Pocket-Ausgabe bei Norstedt in Stockholm, 2004, 2006 und 2010 bei Alfabet in Stockholm (169 Seiten), 2015 bei ‎ Rabén & Sjögren (162 Seiten) sowie 2018 und 2019 im Förlaget M. in Helsingfors.

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  • Die englische Übersetzung von Kingsley Hart erschien 1971 als „Moominvalley in November“ im Verlag Ernest Benn in London und bei Henry Z. Walck in New York (175 Seiten), wieder aufgelegt u.a. 1974 (sowie 1985, 2003 und öfter) als Puffin Book bei Penguin in Harmondsworth bzw. London (157 Seiten), 2003 bei Farrar, Straus & Giroux in New York (175 Seiten), 2010 bei Square Fish in New York und 2018 bei Sort Of Books in London.

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  • Hier eine englische Ausgabe, deren Einbandgestaltung der ersten schwedischen Ausgabe von 1970 entspricht.

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  • Die erste deutsche Übersetzung aus dem Schwedischen stammt von Dorothea Bjelfvenstam. Sie erschien zuerst 1972 (in zweiter Auflage 1972) unter dem Titel „Herbst im Mumintal“ bei Benziger in Zürich und Köln (143 Seiten). Neu aufgelegt 1993 in der Edition Benziger im Arena Verlag in Würzburg (164 Seiten).


    Ab 2003 wird die Neuübersetzung vermarktet.

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  • 1983 erschien „Herbst im Mumintal“ auch zusammen mit „Winter im Mumintal“ in dem Sammelband „Herbst und Winter im Mumintal, erzählt und illustriert von Tove Jansson“ bei Benzinger in Zürich und Köln (264 Seiten), neu aufgelegt 1991 in der Benziger-Edition im Arena Verlag in Würzburg (270 Seiten). Die Zusammenstellung suggeriert enttäuschender Weise, „Winter“ wäre die Fortsetzung von „Herbst“, was ja definitiv nicht stimmt.

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  • Die Kicherer-Übersetzung bildet die Grundlage für die ungekürzte Lesefassung, die 2017 als Hörbuch beim Arena Verlag in Würzburg erschienen ist (3 Stunden 42 Minuten auf 3 CDs). Bestellnummer: 24069.

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