Inhalt
Die Kindheit der kleinen Natsuki ist geprägt von Lieblosigkeit, Demütigungen, psychischen und physischen Übergriffen. Allein gelassen mit ihren Sorgen und Ängsten, fühlt sie sich nur im Haus ihrer Großeltern sicher, hoch oben auf dem Berg, ihrer wahren Heimat viel näher. Verständnis bringt ihr allein ihr Cousin Yu entgegen, mit dem sie sich in kindlichen Fantasien gegen eine feindliche Welt verbündet. Zwanzig Jahre später findet Natsuki mit ihrem Ehemann vor gesellschaftlichen Repressalien und den Gespenstern der Vergangenheit abermals Zuflucht im alten Farmhaus, bereit, einer surrealen Wirklichkeit die Stirn zu bieten.
Eindruck
Mit der Geschichte der kleinen Natsuki hat Sayaka Murata einen ebenso verstörenden wie aufrüttelnden Roman vorgelegt. Von Kindheit an erfährt das Mädchen von ihren Eltern und ihrer Schwester so wenig emotionale Wärme, dass sie meint, von einem fernen Planeten zu stammen, und gar nicht zu dieser Familie zu gehören. In ihrem Erwachsenenleben behält Natsuki ihre ablehnende Haltung gegenüber gesellschaftlicher Zwänge bei. Die Ehe ist ihrer Ansicht nach nichts anderes als eine Fabrik, in der Menschen produziert werden, um die Art zu erhalten. Wie einst die Seidenraupen verkriechen sich Natsuki und ihr Ehemann gemeinsam mit Yu schließlich im alten Haus der Familie. Von den Forderungen einer feindlichen Übermacht in die Enge gedrängt, finden sie sich in einer Realität wieder, in der nichts mehr unmöglich erscheint. Es ist wahrlich keine leichte Kost, die Sayaka Murata ihrem Publikum anzubieten hat. Die anfangs noch leisen Töne werden mit fortschreitender Handlung immer rauer, steigern sich von sexuellem Missbrauch über Mord bis zu einem gewaltigen, in Kannibalismus gipfelndem Crescendo. Die Autorin versteht ihren Hörern die düstere und feindliche Atmosphäre, in der sich die auf vielerlei Art missbrauchte Natsuki befindet, das Gefühl von Einsamkeit und Ausweglosigkeit ganz großartig zu vermitteln. Um den sich immer mehr in die Enge getriebenen Protagonisten gerecht zu werden, setzt sie Stilmittel ein, die in ihrer Absurdität und Skurrilität an Aussagekraft kaum zu überbieten sind. Der grenzenlosen Fantasie der Autorin sei an dieser Stelle ebenfalls höchster Respekt gezollt. Die letzte der rund 5 ½ Hörbuchstunden ist zugleich die anstrengendste und schwierigste, die die volle Konzentration des Zuhörers erfordert. Nicht genug kann in diesem Zusammenhang die Leistung der Sprecherin Vera Teltz gewürdigt werden, die dem Roman eine ungeheure Intensität verleiht. Mit großem Einfühlungsvermögen interpretiert sie die unterschiedlichen Stimmungen sämtlicher Protagonisten. Das Äußerste an Konzentration und Intonation verlangt sie sich jedoch ab, wenn sie dem Hörer den Namen von Natsukis Heimatplaneten „Pohapipinpopopia“ stakkatoartig so lange entgegenschleudert, bis man meint, die wie aus einem Maschinengewehr abgefeuerten Salven nicht mehr länger ertragen zu können. Erschöpft habe ich das Ende dieses außergewöhnlichen Romans erreicht, der sich mit vielen universal gültigen Themen auf ganz und gar ungewohnte Weise befasst, und den ich ganz gewiss nicht so bald vergessen werde. Sayaka Murata ist eine Autorin, deren Sogwirkung ich mich nicht entziehen kann, und die ich bestimmt im Auge behalten werde.