Colson Whitehead – Harlem Shuffle

  • Kurzmeinung

    Abroxas
    Lesenswerter Milieu-Roman mit nüchternem Crime-Setting; kommt ohne viel Dramatik daher.
  • Kurzmeinung

    Marie
    Im Vergleich zu seinen anderen Büchern spannungsarm, wenig Engagement. Figuren mit geringer Identifikationsfläche
  • Klappentext/Verlagstext

    Harlem, 60er Jahre: die Geschichte eines einfachen Mannes, der so ehrlich wie möglich versucht aufzusteigen. Der neue Roman des zweifachen Pulitzerpreisträgers und Bestsellerautors Colson Whitehead

    Eigentlich würde Ray Carney am liebsten ohne Betrügereien auskommen, doch die Einkünfte aus seinem Laden reichen nicht aus für den Standard, den die Schwiegereltern erwarten. Cousin Freddy bringt gelegentlich eine Goldkette vorbei, die Ray bei einem Juwelier versetzt. Doch was tun mit dem Raubgut aus dem Coup im legendären „Hotel Theresa“ im Herzen Harlems, nachdem Freddy sich verdünnisiert hat? Als Polizei und Gangster Ray in seinem Laden aufsuchen, steht sein waghalsiges Doppelleben auf der Kippe. Der mitreißende Roman des zweifachen Pulitzer-Preisträgers Colson Whitehead ist Familiensaga, Soziographie und Ganovenstück, vor allem aber eine Liebeserklärung an New Yorks berühmtestes Viertel.


    "Ray Carney was only slightly bent when it came to being crooked..." To his customers and neighbors on 125th street, Carney is an upstanding salesman of reasonably priced furniture, making a decent life for himself and his family. He and his wife Elizabeth are expecting their second child, and if her parents on Striver's Row don't approve of him or their cramped apartment across from the subway tracks, it's still home. ...


    Der Autor

    Colson Whitehead, 1969 in New York geboren, studierte an der Harvard University und arbeitete für die New York Times, Harper's und Granta. Whitehead erhielt den Whiting Writers Award (2000), den Young Lion’s Fiction Award (2002) und war Stipendiat der MacArthur „Genius“ Fellowship. Für seinen Roman „Underground Railroad“ wurde er mit dem National Book Award 2016 und dem Pulitzer-Preis 2017 ausgezeichnet. Für „Die Nickel Boys“ erhielt er 2020 erneut den Pulitzer-Preis. Bei Hanser erschienen bisher John Henry Days (Roman, 2004), Der Koloß von New York (2005), Apex (Roman, 2007), Der letzte Sommer auf Long Island (Roman, 2011), Zone One (Roman, 2014), Underground Railroad (Roman, 2017) und Die Nickel Boys (Roman, 2019). Der Autor lebt in Brooklyn.


    Inhalt

    Ray Carney betreibt in Harlem einen Laden für preiswerte Möbel; sein Umsatz mit Radiogeräten ist rückläufig, seit viele Kunden sich lieber eine Musiktruhe anschaffen. Ein Mann wie Ray würde im New York der 60er nicht mit Mister angesprochen. Dennoch ist er ein angesehener Geschäftsmann, weil seine schwarzen Kunden sich darauf verlassen können, dass sie von Ray bedient werden und hier kein Risiko eingehen, wegen ihrer Hautfarbe aus dem Laden gejagt zu werden. Rays Frau Elizabeth arbeitet ebenfalls an einer Schnittstelle, die es nur in einem Staat mit Rassentrennung geben kann. Ihr Arbeitgeber ist ein Reisebüro, das Schwarzen nicht nur Hotels vermittelt, in denen sie willkommene Gäste sind, sondern das versiert darin ist, sichere Reisewege auszutüfteln, die fernab von Einflussgebieten des Ku-Klux-Klan verlaufen. Zu Beginn der Kennedy-Ära müsste Ray sich eigentlich für den Möbelgeschmack seiner Kunden und den Ausbau seines Geschäfts interessieren. Ein vertrauenswürdiger Geschäftsfreund, der für Ray als Mittelsmann handelt, setzt ihm jedoch den Floh ins Ohr, dass Ray besser verdienen würde, wenn er gewisse Waren selbst verkauft und nicht nur den Laufburschen für die gibt, die daran verdienen.


    Als Rays Cousin Freddie Ray mit in einen Überfall auf die Schließfächer eines Hotels hineinzieht, lernt der gezwungenermaßen, wie Harlem außerhalb seiner kleinen Straße funktioniert. Rays Schwiegereltern gehören zur angesehenen schwarzen Elite der Stadt und hatten bisher stets auf ihren Schwiegersohn herabgesehen. Ob Ray es mit dem Profit aus Freddies totsicherem Plan endlich auf Augenhöhe mit ihnen schaffen kann? Vor dem historischen Hintergrund der Rassenunruhen von 1964 stellt Colson Whitehead ein fein geknüpftes Netz von Abhängigkeiten dar – legalen und illegalen. Als Sohn von „Big Mike“ verfügt Ray im Milieu zwar über einen gewissen Ruf, der sich jedoch schnell zum Klotz am Bein auswachsen könnte. Schließlich muss Ray nicht nur erkennen, wo in Harlem das große Geld verdient wird, sondern wie gefährlich jemand lebt, der so leicht kränkbar ist wie er.


    Harlem Shuffle besteht aus drei Teilen, die 1959,1961 und 1964 spielen und aus denen jeweils in die Vorgeschichten der Figuren gewechselt wird. Die Verbindung zwischen Ray, Freddie und zahlreichen Nebenfiguren wird durch die überlappenden Zeitebenen zusätzlich kompliziert. Whitehead erzählt Geschichte von unten, er bleibt stets nah an den Lebensbedingungen seiner Figuren und vermittelt, was es 1960 bedeutete, in Harlem schwarz zu sein. Ray wirkt als Mittler zwischen Whiteheads Lesern und dem Milieu seines Viertels, das sich spiegelt in der Schlitzohrigkeit des Erzähltons wie der Übersetzung des Slangs. Wenn ein Gauner den anderen auffordert „Nimm deine Griffel da raus“ trifft diese Übersetzung aus dem Abstand von 60 Jahren Milieu, Beziehung und Jahrzehnt perfekt, ohne ins Fettnäpfchen zu tappen.


    Fazit

    Wer New-York-Romane liebt und sich nicht an der Vielzahl der Figuren stört, liegt hier richtig.


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

    :musik: --


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • New York in den 1950er- und 1960er-Jahren: Ray Carney wohnt mit seiner Frau Elizabeth in Harlem. Die beiden erwarten ihr zweites Kind. Obwohl Ray aus einer kriminellen Familie stammt, verdient er auf ehrliche Weise mit dem Verkauf von Möbeln seinen Lebensunterhalt. Nun jedoch reicht das Geld nicht mehr aus. Über seinen Cousin Freddie droht er, selbst ins kriminelle Milieu abzudriften...


    „Harlem Shuffle“ ist ein Roman von Colson Whitehead.


    Meine Meinung:

    Der Roman besteht aus drei Teilen: der erste spielt im Jahr 1959, der zweite 1961 und der dritte 1964. Diese wiederum sind in jeweils acht beziehungsweise neun Kapitel untergliedert. Ein schlüssiger Aufbau.


    Der Schreibstil ist eine der Stärken des Romans. Dem Autor gelingt es, mit gelungenen Beschreibungen die Atmosphäre Harlems jener Tage heraufzubeschwören und das Innenleben seiner Figuren anschaulich und nachvollziehbar zu machen. Zudem ist die Sprache des Romans perfekt auf die damalige Zeit und das Milieu abgestimmt.


    Das Erzähltempo ist weniger rasant als von Whitehead sonst gewohnt, der Roman deutlich umfassender. Auf rund 380 Seiten kommt dennoch keinerlei Langeweile auf.


    Überrascht hat mich die Vielzahl an Charakteren, denn anders als vermutet spielt nicht nur Ray eine bedeutende Rolle in der Geschichte. Anfangs fiel es mir nicht leicht, den Überblick zu behalten. Die Figuren sind detailliert ausgestaltet.


    Inhaltlich ist der Roman erstaunlich vielschichtig und noch facettenreicher als erhofft. Zu lesen ist eine Mischung aus Kriminalgeschichte und Familiensaga, die mir gut gefallen hat.


    Ein Pluspunkt des Romans liegt auch darin, dass viel politischer und gesellschaftlicher Hintergrund transportiert wird. Die Story vermittelt einen wichtigen Teil der Historie Harlems und ist gewissermaßen eine Hommage an das berühmte Stadtviertel. So habe ich beispielsweise von den Unruhen im Jahr 1964 dort erfahren. Darüber hinaus sensibilisiert der Roman für Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe und sozialer Schicht. Und obwohl die Geschichte vor etlichen Jahrzehnten spielt, hatte ich das Gefühl, dass sie noch erstaunlich aktuell ist.


    Das deutsche Cover strahlt Nostalgie aus und lädt bereits auf die Zeitreise ein. Es gefällt mir sogar besser als das der Originalausgabe. Der gleichsam prägnante wie passende Titel der amerikanischen Ausgabe wurde erfreulicherweise wörtlich übernommen.


    Mein Fazit:

    Auch mit seinem neuen Roman „Harlem Shuffle“ hat Colson Whitehead meine hohen Erwartungen nicht enttäuscht. Wieder einmal beweist der Autor seine Vielseitigkeit und hat mich begeistert. Für mich eines der besten Bücher dieses Jahres.


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  • Mikrokosmos


    Harlem: der schwarze Teil des Big Apple, der eine Vielzahl von Assoziationen wachruft. Colson Whitehead engt diese Bandbreite an unterschiedlichen Vorstellungen ein. Im Zentrum steht Ray Carney, ein aufstiegsorientierter kleiner Geschäftsmann, der in seinem alltäglichen Leben laviert zwischen seiner Abkehr vom Kleinkriminellentum seines Vaters, um mit seinem festen Vorsatz, durch Ehrlichkeit zu einem geachteten Mitglied der Gesellschaft zu werden, und seinem Nachgeben gegenüber den vielfältigen Versuchungen und Anreizen, wodurch der Weg zu Ansehen und Besitz etwas abgekürzt werden kann.


    Whitehead kultiviert einen witzigen Tonfall, dessen lakonische Wortwahl das Geschehen zunächst als turbulente Gaunerkomödie erscheinen lässt. Dahinter verbirgt sich aber das viel ernstere Anliegen des Autors. Es sind drei Episoden, die den Blick öffnen auf die Veränderungen im American Way of Life.

    Während der erste Abschnitt noch burlesk ein Gaunerstück schildert, das für alle Beteiligten aus dem Ruder läuft, ist das zweite große Kapitel bereits auf einen weiteren Blickwinkel fokussiert: was an der Oberfläche sich als Rachefeldzug präsentiert, mit dem Ray eine persönliche Demütigung und Zurücksetzung quittiert, zeichnet sich in Wahrheit bereits die Unerbittlichkeit des gesellschaftlichen Überlebenskampfes ab. Der letzte Erzählstrang lässt den Leser bereits die Verbindung zur Jetztzeit knüpfen. Das Big Business rückt in den Fokus, repräsentiert durch den Bau des World Trade Center, in den sich unser unaufhaltbar aufgestiegene Ray sich als involviert erweist.


    Überschaubar und tiefgründig - kleinbürgerlich und kleinkriminell - traditionsverhaftet und aufstrebend: Harlem erscheint in Whiteheads neuem Roman als Mikrokosmos, in dem der Leser ethnographische, soziologische und historische Studien treiben kann. Ray erweist sich als prototypischer Vertreter einer lokalen Species, dessen Mutationen und Milieuanpassungen im Verlaufe des Romans atemlos verfolgt werden: schwarzer Sozialdarwinismus!


    Mein Urteil: 5 Sterne

  • Kein Ort für Engel


    Das neueste Buch von Colson Whitehead, dem zweifachen Pulitzer-Preisträger: ich bin froh, dass ich es jetzt schon lesen durfte, nachdem mich die Nickel Boys und Underground Railroad, davon auch die grandiose Verfilmung, so beeindruckten. Nach dem Roman über die Fluchtwege der entlaufenen Südstaatensklaven und dem Buch über die Qualen Jugendlicher in einem Straflager nimmt sich Whitehead nun Ray, einen African American der 60er Jahre im New Yorker Stadtteil Harlem vor, ehrgeizig den prekären Verhältnissen entfliehend, in der er mit einem kriminellen Vater geboren wurde. Nach einem erfolgreich absolvierten Studium der Ökonomie betreibt er ein Möbelgeschäft mit gebrauchter und immer mehr neuer Ware, wobei er diesen seriösen Handel heimlich und geschickt mit der Hehlerei vermengt.


    Dabei wird er wie Mahlgut zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben: seine Ehefrau entstammt einer wohlsituierten Familie, deren Vater ein gestrenges Auge auf die standesgemäße Behandlung seiner Tochter wirft, andererseits fühlt sich Ray immer noch seiner kriminellen Herkunftsfamilie verpflichtet. Besonders sein Cousin Freddie, mit dem ihn brüderliche Gefühle verbinden, bringt ihn immer wieder in brenzlige Situationen. Und dazu kommen noch ganz persönliche Kränkungen, die er gnadenlos auf Grund seiner Hautfarbe erfährt.


    Den Inhalt zu referieren führte zu weit, zu vielfältig und komplex stellen sich die Verhältnisse dar, was mir die Lektüre anfangs auch erschwerte. Whitehead erweist sich wieder einmal als ein Meister des Geschichtenerzählens und der Charakterisierung von Personen anhand ihrer Biografie, aber die schiere Fülle an Agierenden schwirrte mir erst einmal nur so im Kopf herum und ich befürchtete, mir das alles keinesfalls merken zu können. Dabei ist der reine Schreibstil mit viel direkter Rede nicht schwer zu konsumieren, man muss nur fürchterlich aufpassen, weil manche Informationen zwischen den Zeilen stehen und weil der spezifische Slang bildhaft, aber nicht selbsterklärend ist. In diesem Zusammenhang möchte ich auch dem Übersetzer ein Kompliment aussprechen, der das authentische Flair vorbildlich eingefangen hat. Dem entspricht auch der Begriff "Shuffle" im Romantitel, der einen tänzerischen Swingrhythmus bezeichnet.


    Anfangs fragte ich mich bei so mancher Episode nach deren Daseinsberechtigung, aber spätestens ab dem dritten Teil las ich ohne abzusetzen bis zum fulminanten Ende. Wie Whitehead schließlich die Fäden zu einem großen Knoten zusammenführt und allen vorher beschriebenen Einzelheiten einen Sinn verleiht, nimmt einem den Atem. Dabei gibt er eine eindrucksvolle Darstellung der Zeitgenossen J. F. Kennedys und Martin Luther Kings und schlägt einen überwältigenden Bogen bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts, in dem die zur erzählten Zeit bereits eskalierenden Auswirkungen der Grundstücksspekulationen in Manhattan eine Rolle spielen und vor meinem inneren Auge ein zum Glück nun auch zur Vergangenheit zählender Ex-Präsident erschien.


    Bei all der konsequenten Trennung der Gesellschaftsschichten, die fast schon auf Apartheid hinausläuft, nicht nur anhand rassistischer Merkmale, findet man mehr Ethos bei den gewalttätigen Kriminellen als bei dem reichen Charakterabschaum und den korrupten Gesetzeshütern. Dass aber der Lauf der Geschichte manchmal eine ausgleichende Gerechtigkeit produziert, war mir ein innerer Vorbeimarsch.


    Eine solch atemberaubende Dramaturgie habe ich zuletzt bei John Irving oder Paul Auster erlebt, und ich könnte sie mir gut von den Coen-Brüdern verfilmt vorstellen.


    Mein Fazit: fünf Sterne

  • Tanz auf dem Vulkan in Harlem


    Colson Whitehead hat bereits für zwei seiner Romane den Pulitzerpreis erhalten (The Underground Railroad 2017, The Nickel Boys 2020), Harlem Shuffle ist mein erster Roman von ihm.

    Raymond Carney ist in Harlem zuhause, einem Viertel in Manhattan, nördlich vom Central Park gelegen und Zentrum der afroamerikanischen Kultur. Ray hat einen hübschen Möbelladen und versucht sich und seine kleine Familie über Wasser zu halten - auf ehrliche Art. Allerdings gelingt das nur bedingt, denn nicht nur war sein Vater ein allgemein bekannter Krimineller, sondern auch sein leichtlebiger Cousin Freddie hat es eher mit den Gangstern. So jongliert Ray einerseits mit schicken Couchgarnituren und Nierentischchen und andererseits mit kleinen Dingen unbekannter Herkunft. Sein Tanz auf dem Vulkan wird immer schwieriger, denn die Rassenunruhen der 1960er Jahre gefährden seine Existenz ebenso wie seine Sorge um Freddie.

    Wow, was für ein toller Roman. Whitehead läßt Harlem Stück für Stück, Straße für Straße lebendig werden. Gemeinsam mit Ray geht man die Wege entlang und immer mehr und neue Ecken des Viertels werden für die Leser lebendig und farbig. Die vielen kleinen Szenen machen einfach Spaß beim Lesen. Da steckt ganz viel spannende Stadt- und Kulturgeschichte in den Zeilen.

    Ray ist ein sympathischer Protagonist, der versucht, sich ein kleines privates Glück zu schaffen und zu erhalten. Alles Unheil, das auf ihn einbricht, scheint er mit angeborener Gelassenheit und Zuversicht auf sich zu nehmen, in dem Vertrauen, dass es schon gut werden wird. So hat er nicht nur Leichen zu entsorgen, sondern auch die eigenen Schwiegereltern gegen sich, die auf ihn herabsehen, da er nicht so hellhäutig ist wie sie. Bemerkenswert ist der Job von Rays Frau Elizabeth, die in einem Reisebüro arbeitet, das Afroamerikanern sichere Reiserouten, Hotels und Restaurants bucht - in den USA!

    Bei allem Ernst, den die Themen Rassentrennung, -unruhen, Polizeigewalt und Drogen vermitteln, empfinde ich den Schreibstil als sehr humorvoll. Die Einwürfe und Gedanken von Ray - an den unpassendstes Stellen - zu neuen Möbeln oder für einen Werbespruch sind echt witzig. Zahlreiche skurrile Gauner, alle mit einer eigenen Geschichte, bevölkern die Handlung. Da muss man manchmal schon aufpassen, dass man nicht die Übersicht verliert in dieser Geschichte, die sich über fünf Jahre erstreckt. Auch springt der Autor häufig in der Zeit zurück, um bestimmte Figuren, Beziehungen oder Szenen mit Hintergrundwissen zu unterfüttern

    Der Roman hat mir sehr gut gefallen. Ein paar Seiten brauchte ich, bis ich mich in der Geschichte und in Harlem zurechtgefunden hatte, aber dann las sich die Geschichte wie von allein. Wie liebevoll und detailgenau hier Armseligkeit und kleines Glück beschrieben werden, ist wirklich groß. Ein Kaleidoskop voller Eindrücke, hervorragend in drei große Abschnitte mit passenden Überschriften eingeteilt. Vordergründig eine Story, die mich an "Der Clou" erinnert hat, mit einem überaus ernsten Hintergrund, von dem ich hier nur Teile nennen konnte. Für mich ein fünf-Sterne-Buch.

  • Meine Meinung: Das Cover gefällt mir ein bisschen besser als das Original, aber ich finde das Original fängt die Szenerie im Buch schon richtig gut ein. Man sieht einfach die alten Autos von damals und eine Umgebung wo es einem schwer fällt zu leben oder aufzuwachsen, aber so kann ich mir die Zeit und das Leben im berühmten Stadtteil New Yorks, nämlich Harlem, gut vorstellen. Der Schreibstil ist gewohnt gut von Colson Whitehead und er kann diese damalige Atmosphäre, die in Harlem und bei den Menschen herrschte gut vermitteln. Das mit der Sympathie zu den Charakteren ist in diesem Buch ein wenig schwierig, weil sie zwar nette Züge haben, aber auch ihre düsteren Seiten und es gab natürlich auch zahlreiche Charaktere und ob sie sich authentisch verhalten haben kann ich schlecht verifizieren, da ich nie unter solchen Gegebenen Umständen aufgewachsen bin, aber ich denke im Groß und Ganzen war und ist es authentisch. Ich konnte mich am besten mit Ray Carney reinversetzen, aber auch andere Figuren teilweise verstehen und da möchte ich zumindest Linus mal benennen, aber auch Pepper und Cousin Freddie sind faszinierende Charaktere, die Whitehead tief und ausführlich beschreibt.
    Das Buch war interessant für mich, weil ich so ein Gefühl von Amerika, von New York und im Speziellen von Manhattan bzw. dem Stadtteil Harlem bekam und zwar zu der Zeit, wo es dort alles andere als rosig war. Colson Whitehead kann einfach gut schreiben, kann Atmosphäre vermitteln und braucht nicht lange um den Leser in seine Geschichte zu ziehen. Trotz der vielen guten Dinge im Buch habe ich auch Kritik, aber da liegt der Fehler bei mir, denn im Buch kommen halt sehr viele Protagonisten vor und da verliert man schnell den Überblick, auch etwas anstrengend waren so manche Beschreibungen, aber vielleicht sollte es auch so sein, wegen der Authentizität. Alles in allem kann ich das Buch, wie auch andere Werke des Autors empfehlen.

    :study: Feuerkind (Stephen King) 34 / 542 Seiten

    :study: Mit Nachsicht (Sina Haghiri) 50 / 268 Seiten


    SUB: 857

  • Milieustudie Harlems


    Colson Whitehead entführt uns nach Harlem, in das Leben des Möbelladenbesitzers Ray Carney: Durch seine Augen entfaltet sich das soziale Gefüge Harlems mit all seinen Sehnsüchten und Hoffnungen der sechziger, aber auch mit all seinen Problemen und Abgründen. Harlem als Ort im damaligen Zeitgefüge wurde sehr gut und lebendig beschrieben, die sozialen Ungerechtigkeiten springen einen direkt an.


    Ray ist im Grunde genommen ein bodenständiger Familienvater, der versucht Fuß in der Gesellschaft zu fassen und sich hochzuarbeiten. Sein Cousin verwickelt ihn immer wieder in krumme Dinger hinein und Ray nimmt den Profit daraus auch gerne mit. Doch er ist kein waschechter Gangster. In einer Welt voller Grauzonen verschieben sich oft die Grenzen der Legalität. In diesem Spannungsfeld zwischen Gut und Böse, zwischen Manhattan und Harlem, zwischen arm und reich bewegt sich Ray. Man fragt sich automatisch, wie weit man selbst gehen würde.


    Ein Großteil der Handlung spielt sich in Rückblenden ab und das ist ein Manko des Romans. Viele Protagonisten treten auf, deren Vorgeschichte wird erzählt. Familiären Verbindungen werden beschrieben, historische Gegebenheiten werden analysiert. Es bedarf einer gewissen Konzentration beim Lesen, will man den Überblick nicht verlieren. Viel passiert im originären Sinn nicht. Vielleicht eine wunderbare Milieustudie mit viel Lokalkolorit, wenn man so will, aber kein wirklich spannender oder temporeicher Roman.


    Von mir gibt es 3,5 Sterne, da ich den Roman trotz seiner Längen als lesenswert erachte.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:

  • Tolle Milieustudie - ein Roman mit Längen


    Colson Whitehead kann meisterhaft erzählen. Er kann sich in eine Zeit einfühlen und darin schwelgen, unfassbar detailreich Zeitkolorit und Atmosphäre erschaffen. Leider macht Atmosphäre allein noch kein gutes Buch.


    Hier sind wir in Harlem in den 60er Jahren, wo eigene Regeln herrschen und sich Kleinkriminelle oder auch Größere tummeln und wo man sich behaupten muss.

    Carney hat ein Geschäft für Gebrauchtmöbel und ab und an auch andere Gebrauchtwaren. Er möchte ein rechtschaffener Geschäftsmann sein, aber das ist nicht so leicht, wie man meint. Immer wieder kommt sein Cousin Freddie mit Ideen oder heißer Ware. Schnell wird man in krumme Dinge hineingezogen, manchmal kann man sich auch freikaufen, bis man sich schließlich freikaufen muss.

    In Harlem ist es schwer, ein ehrlicher Mann zu sein und zu bleiben. Die Gesellschaft dort bildet ein kompliziertes Geflecht aus Abhängigkeiten, die sich nach Einfluss, Hautfarbe, Familie oder Muskelkraft richten. Da gibt es nicht nur schwarz und weiß, sondern auch kaffeebraun in allen Schattierungen.


    Das ist hoch interessant, so etwa 150 Seiten lang, dann hat man es verstanden, hat aber noch nicht einmal die Hälfte des Buches gelesen. Immer mehr zwielichtige Gestalten treten auf, deren Background beleuchtet wird, aber es passiert nicht so wirklich was.

    Es gibt zahlreiche Rückblenden, Hintergründe, familiäre Befindlichkeiten, historische und politische Analysen oder Anekdoten, nur Handlung gibt es kaum.

    Vielleicht muss man dieses Buch als Milieustudie betrachten. In dieser Hinsicht ist es grandios. Als Roman hat es Längen. Zu viel Drumherum verschleiern die sparsame Handlung und dem Helden kommt man nicht so recht nahe.

    Dieses Buch hat mich anfangs beeindruckt, dann aber sehr gelangweilt.


  • Der Autor nimmt seine Leser mit in das schwarze Harlem der 60er Jahre. Protagonist Ray Carney, sein Cousin Freddie und die Familie stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Ray hat einen Laden für gebrauchte Möbel und seinen Kunden gewährt er zu viele Ratenzahlungen. Deshalb kommt er kaum über die Runden, um seine Familie zu ernähren. Um trotzdem an Geld zu kommen, ist er auch an anderen „Geschäften“ beteiligt.



    Der zweifache Pulitzer-Preisträger Colson Whitehead war mir bestens bekannt aus „Underground Railroad“ und „Die Nickel-Boys“. Diese Bücher haben mich absolut fasziniert und ich habe sie verschlungen. Das war der Grund, weshalb ich sein neues Werk sofort lesen wollte. Bei Harlem Shuffle hat er die Stimmung und Atmosphäre der Gesellschaft sehr gut beschrieben, auch die Situation der schwarzen Bevölkerung. Er kann schreiben, das steht außer Frage. Aber bei mir kam leider kein Lesefluß zustande und es ist der Funken einfach nicht übergesprungen. Für mich fehlte vor allem die Spannung, die Ausführungen, beispielsweise beim Überfall im Hotel Theresa, waren mir zu langatmig. Manches wurde mir zu detailliert beschrieben und als Leser begegnet man sehr, sehr vielen Figuren, durchlebt Zeitsprünge und Verwirrungen. Ich denke, das war der Grund, weshalb mich das Buch nicht abgeholt hat und ich habe Teile nur noch quer gelesen. Ich hatte mir mehr versprochen – schade. Das Cover finde ich stimmig und passend.

  • Colson Whiteheads neuer Roman “Harlem Shuffle” ist ein Ganovenstück aus dem New York der 60er Jahre, das ganz Vieles ist: fragwürdige Aufsteigergeschichte, eine Liebeserklärung an Harlem und ein Eintauchen in die (klein)kriminellen Strukturen einer amerikanischen Großstadt. Der Leser lernt Raymond Carver kennen, einen Geschäftsinhaber, der sich vom Verkauf von Radios fragwürdigen Ursprungs zu luxuriösen Sitzgruppen hochgearbeitet hat. Trotzdem ist das Geld anfangs immer knapp - seine Wohnung jedoch schäbig und seine Frau mit dem zweiten Kind schwanger. Was also tun?


    Carver, der es eigentlich als ehrliche Haut schaffen will, hat trotzdem immer einen Fuß in der Tür zur New Yorker Unterwelt. Ob er als Zwischenhändler für gestohlene Diamanten agiert oder Ganoven sein Geschäft als Informationszentrum und zur Weitergabe von Nachrichten zur Verfügung stellt. Einerlei. Carver ist immer gleichzeitig legale Fassade und illegaler Nutznießer. Oft droht dieser Balanceakt, schiefzugehen. Doch Ray ist gewitzt und das Glück ist ihm hold.


    “Harlem Shuffle” ist ein nahezu perfekter Roman. Whitehead kennt sein Sujet (man erfährt mehr über amerikanische Möbel als man je wissen wollte), hat das Harlem der 60er bis in den letzten Straßenzug recherchiert und schildert sein Personal so lebensecht und schillernd, dass man sich mittendrin wähnt in all diesen fehlgeleiteten Coups und Jobs.


    Whitehead wäre nicht Whitehead, wenn “Harlem Shuffle” nicht auch ein Roman über (amerikanischen) Rassismus wäre. Schmiergelder wandern hin und her, Bürgerrechtsgruppen bilden sich, ein schwarzer Schüler wird von einem weißen Cop erschossen - und als Leser muss man leider konstatieren: Seit den 60er Jahren scheint sich in den USA nicht viel verändert zu haben. Und doch wirkt Whitehead nie pädagogisch oder belehrend. Ja, seine Geschichte transportiert auch eine Botschaft. Aber sie ist trotzdem in erster Linie das: eine gute Geschichte.

  • Nicht leicht zu lesen, aber es lohnt sich


    Buchmeinung zu Colson Whitehead – Harlem Shuffle


    „Harlem Shuffle“ ist ein Roman von Colson Whitehead, der 2021 beim Carl Hanser Verlag in der Übersetzung von Nikolaus Stingl erschienen ist. Der Titel der amerikanischen Originalausgabe lautet „Harlem Shuffle“ und ist 2021 erschienen.


    Zum Autor:
    Colson Whitehead, 1969 in New York geboren, studierte an der Harvard University und arbeitete für die New York Times, Harper's und Granta. Whitehead erhielt den Whiting Writers Award (2000) und den Young Lion’s Fiction Award (2002) und war Stipendiat der MacArthur „Genius“ Fellowship. Für seinen Roman Underground Railroad wurde er mit dem National Book Award 2016 und dem Pulitzer-Preis 2017 ausgezeichnet. Für seinen Roman Die Nickel Boys erhielt er 2020 erneut den Pulitzer-Preis. Der Autor lebt in Brooklyn.


    Klappentext:
    Eigentlich würde Ray Carney am liebsten ohne Betrügereien auskommen, doch die Einkünfte aus seinem Laden reichen nicht aus für den Standard, den die Schwiegereltern erwarten. Cousin Freddy bringt gelegentlich eine Goldkette vorbei, die Ray bei einem Juwelier versetzt. Doch was tun mit dem Raubgut aus dem Coup im legendären „Hotel Theresa“ im Herzen Harlems, nachdem Freddy sich verdünnisiert hat? Als Polizei und Gangster Ray in seinem Laden aufsuchen, steht sein waghalsiges Doppelleben auf der Kippe.


    Meine Meinung:
    Dieses Buch war für mich eine Herausforderung, denn ich fand es nicht leicht zu lesen. Der Schreibstil des Autors ist komplex und erwähnt viele Details. Zudem gibt es keine sich entwickelnde klassische Handlung. Aus der Sicht der Hauptfigur werden Episoden aus dem Leben in Harlem zu Beginn der sechziger Jahre vorgestellt. Ray Carney führt einen Möbelladen, ist verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Er verkauft neue und gebrauchte Möbel und manchmal hehlt er auch ein bisschen. Er versucht weitgehend gesetzestreu seinen Weg zu gehen, aber immer gelingt es ihm nicht. Rassentrennung und Rassismus ist allgegenwärtig. Aber auch kriminelle Strukturen beeinträchtigen die freie Entfaltung. Während auf den Straßen Krawalle ausbrechen, arbeitet Ray an seinem eigenen kleinen Aufstand. Der Autor beschreibt ein lebendiges Harlem mit vielen Facetten und man begegnet vielen Figuren, die versuchen dort zurechtzukommen. Ray wirkt sympathisch und versucht seine Träume umzusetzen, sei es ein größeres Geschäft oder eine größere Wohnung. Er sucht nach Anerkennung für seine Leistung, auch außerhalb seiner Familie. Man spürt die Liebe des Autors zu seinem Kosmos Harlem und den Menschen, die dort leben. Reichlich vorhandene Sozialkritik wird meist indirekt vermittelt und dieser Weg wirkt langfristig. Bei manchen Punkten muss man entsetzt feststellen, dass viele Probleme immer noch aktuell sind.


    Fazit:
    Ein nicht leicht zu lesendes Buch über das Harlem der frühen 60-er Jahren, dem der Autor Leben einhaucht. Ich hätte mir einen konsequenteren Handlungsfaden gewünscht. Trotzdem bewerte ich das Werk mit fünf von fünf Sternen (90 von 100 Punkten) und spreche eine Leseempfehlung aus.

    :study: James Lee Burke - Die Tote im Eisblock


    :musik: Hanna von Feilitzsch - Bittersüße Mandeln

  • Kriminell ehrlich


    “Wo hast du dich da hineinmanövriert, Raymond?” Niemand nennt Ray Carney bei seinem vollen Namen, außer seine überkritischen, gut situierten Schwiegereltern. Als Leser möchte man das auch manchmal, um Ray darauf aufmerksam zu machen, dass seine Taten böse Konsequenzen haben könnten.


    Ray, Besitzer eines Möbelgeschäfts im New York der Sechzigerjahre, hat Ehrgeiz und sein Herz am rechten Fleck. Doch er kann auch nicht komplett aus seiner Haut und der Situation, die sein Viertel, seine Stadt und sein Land bis heute prägt. Für die meisten Weißen und viele besser gestellte Afroamterikaner ist er nur der Möbelhändler. Und die Tatsache dass sein Laden gut läuft, hängt ohnehin nur damit zusammen, dass er krummer Dinger dreht.


    Die Geschichte seines Vaters Michael und seines Cousins Freddie, beide nicht immer ganz legal unterwegs, zusammen mit den tief verwurzelten Vorurteilen und Rassenproblemen, drängt ihr letztlich ebenso langsam und schleichend in ein Eck, in dem er sich früher nie gesehen hätte. Die ehrliche und die kriminelle Seite teilen sich fortan ihren Platz in Ray Carney und je nach Tagesform geht er mal besser und mal schlechter damit um.


    1964 erlebt der fiktive Ray den nur allzu realen Aufstand in Harlem mit. Als Reaktion auf den Tod des Afroamerikanischen Jugendlichen James Powell, der von einem weißen Polizisten erschossen wird, demonstrieren hunderte Menschen über mehrere Tage. Gauner und Plünderer nützen die allgemeine Empörung auch für Sachbeschädigungen und Schlimmeres.


    “Harlem Shuffle” als “Nachhilfe in Sachen ‘Black lives matter’” zu bezeichnen, wäre etwas zu plakativ gesagt, aber viele der historischen Tatsachen aus dem Roman haben immer noch Gültigkeit, noch viel Bedeutung und sind noch immer noch gelöst. Um zu verstehen, warum ein Land oder eine Stadt so ist wie sie ist, muss man sich mit der Vergangenheit beschäftigen.


    Colson Whitehead schafft es mit seinem prägnanten Stil, die “Geschichtsstunde” und vieles mehr in eine spannende, historisch realistische Geschichte zu verpacken und ohne den mahnenden Fingen haben zu müssen, führt er uns an den Kern des Problems und zeigt, wie sehr wir letztlich alle von unserer Umwelt mitbestimmt werden. Damals wie heute. In Europa, Asien oder Amerika. Unabhängig von Religion oder Hautfarbe.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: