Tupoka Ogette - exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen

  • Verlagstext:


    Obwohl Rassismus in allen Bereichen der deutschen Gesellschaft wirkt, ist es nicht leicht, über ihn zu sprechen. Keiner möchte rassistisch sein, und viele Menschen scheuen sich vor dem Begriff. Das Buch begleitet die Leser*innen bei ihrer mitunter ersten Auseinandersetzung mit Rassismus und tut dies ohne erhobenen Zeigefinger. Vielmehr werden die Leser*innen auf eine rassismuskritische Reise mitgenommen, in deren Verlauf sie nicht nur konkretes Wissen über die Geschichte des Rassismus und dessen Wirkungsweisen erhalten, sondern auch Unterstützung in der emotionalen Auseinandersetzung mit dem Thema. Übungen und Lesetipps eröffnen an vielen Stellen die Möglichkeit, sich eingehender mit einem bestimmten Themenbereich zu befassen. Über QR-Codes gelangt man zu weiterführenden Artikeln, Videos und Bildern. Ergänzend dazu finden sich in fast jedem Kapitel Auszüge aus sogenannten Rassismus-Logbüchern – anonymisierte Tagebücher, die ehemalige Student*innen von Tupoka Ogette in ihrer eigenen Auseinandersetzung mit Rassismus geführt haben und in denen sie über ihre Emotionen und Gedankenprozesse berichten. Auch Handlungsoptionen kommen nicht zu kurz. Ziel des Buches ist es, gemeinsam mit den Leser*innen eine rassismuskritische Perspektive zu erarbeiten, die diese im Alltag wirklich leben können.

    Quelle: amazon.de



    Meine Meinung:


    Tupoka Ogette ist Antirassismustrainerin – und ich finde, das merkt man ihrem Buch an. Sie verbindet theoretische Blöcke aus verschiedenen Sozialwissenschaften und der leider oft noch von einseitigen Perspektiven oder gar blinden Flecken geprägten historischen Entwicklung der Rassismus-Thematik mit ihrer praktischen Expertise aus zahlreichen Seminaren und biografischen Bezügen aus ihrer eigenen Betroffenheit.

    Dass sich dabei über die Kapitel verteilt einige Redundanzen ergeben, hätte das Lektorat verhindern können. Etwas zu kurz gekommen (bzw. im Buch erst an zu später Stelle) sind mir dagegen die konkreten Anknüpfungspunkte für die Menschen, die Ogette ansprechen möchte – individuell „nicht böse gemeinter“, aber institutionalisierter Rassismus wird vielfach behauptet, aber die Beispiele, an denen Ogette ihn festmacht, wiederholen sich: Fehlverhalten wie In-die-Haare-Fassen, das Nachbohren bei der Frage „Woher kommst du? Nein, woher kommst du wirklich?“ oder die seltener ausgesprochene Gymnasialempfehlung bei Schwarzen Kindern aufgrund des vermuteten niedrigen Bildungshintergrundes sind Dinge, die nicht passieren dürfen. Gleichzeitig sollten Menschen, die mit ihrem eigenen „nicht böse gemeinten“, sondern ansozialisierten Rassismus konfrontiert werden, in so einem Buch mehr Beispiele aufgezeigt werden, wie dieser sich äußern kann. Ich vermute, dass dieser nötige Erkenntnisschritt in den Seminaren der Autorin mithilfe von Gedanken und Äußerungen der Teilnehmenden viel stärker und v.a. früher aufgegriffen wird und damit verständlicher ist – im Buch wäre hier aus meiner Sicht eine Vertiefung durch mehr konkrete, ausführliche Beispiele und nicht erst in Kapitel 8 nötig.


    Die Kapitel über die Geschichte der Sklaverei, die Entwicklung der „Rassen“-Ideologie und damit die Geschichte des Rassismus an sich fand ich in ihrer Kompaktheit und zugleich den zahlreichen Literaturhinweisen absolut lesenswert und sie sind der Grund, warum ich mir dieses bisher nur ausgeliehene Buch auch noch kaufen werde. Es ist erschreckend, wie wenig man hierzulande z.B. über die deutsche Beteiligung am Kolonialismus lernt oder wie einseitig die Beschäftigung mit „geistigen Größen des Abendlandes“ ist, deren rassistische, antisemitische, sexistische oder sonstige menschenfeindliche Äußerungen ausgeblendet werden, während z.B. afrikanische Stimmen in diesem Diskurs noch viel zu selten gehört werden. Diese Anregungen werde ich weiterverfolgen.


    Insgesamt hat mir gut gefallen, dass Ogette nicht bei Beschuldigungen stehenbleiben will, sondern versucht, für Schieflagen zu sensibilisieren und gleichzeitig Lösungen zu erarbeiten, die ein respektvolles Miteinander ermöglichen. Dies ist im Blick auf Rassismus auch hierzulande dringend nötig.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Seishi Yokomizo - Mord auf der Insel Gokumon

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :musik: Satoshi Yagisawa - Die Tage in der Buchhandlung Morisaki

    :montag: Dietrich Krusche (Hg.) - Haiku (Reread)

    :montag: Deb Olin Unferth - Happy Green Family (Reread)





  • Insgesamt hat mir gut gefallen, dass Ogette nicht bei Beschuldigungen stehenbleiben will, sondern versucht, für Schieflagen zu sensibilisieren und gleichzeitig Lösungen zu erarbeiten, die ein respektvolles Miteinander ermöglichen. Dies ist im Blick auf Rassismus auch hierzulande dringend nötig.

    Volle Zustimmung und aus meiner Sicht der einzige Ansatz, der wirklich funktionieren kann.

  • Sehr gut formuliert, Sarange , darauf kommt es an: Klarzustellen, dass Rassismus, Antisemitismus oder Sexismus keine Einzelphänomene verschiedener Genese sind, sondern allesamt eine einzige Ursache haben, nämlich Menschenfeindlichkeit bzw. Menschenverachtung!

  • Sehr gut formuliert, Sarange , darauf kommt es an: Klarzustellen, dass Rassismus, Antisemitismus oder Sexismus keine Einzelphänomene verschiedener Genese sind, sondern allesamt eine einzige Ursache haben, nämlich Menschenfeindlichkeit bzw. Menschenverachtung!

    Es ist in der Tat ein Phänomen, das ich nie verstehen werde: wie man sich z.B. gegen Rassismus engagieren kann und sich dabei gleichzeitig selbst z.B. sexistisch verhält, ohne zu verstehen, dass beides dasselbe ist, nämlich die Verachtung von Menschen, die man als "anders" definiert. Tupoka Ogette streift diese Thematik öfter, wenn es um dieses "Othering" (Anders-Machen) von Menschen geht, v.a. auch in dem Kapitel, wo auf die Entstehung der "Rassen"-Idee eingegangen wird, die ursprünglich vor allem dazu diente, Sklav*innen ausbeuten und sich selbst gleichzeitig als gut und christlich wahrnehmen zu können. :|

    :study: Seishi Yokomizo - Mord auf der Insel Gokumon

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :musik: Satoshi Yagisawa - Die Tage in der Buchhandlung Morisaki

    :montag: Dietrich Krusche (Hg.) - Haiku (Reread)

    :montag: Deb Olin Unferth - Happy Green Family (Reread)





  • Danke Sarange für die Rezi und auch danke für den Hinweis in unserer Challengegruppe.

    Von den über das Thema bisher gelesenen Büchern gefällt mir dieses eindeutig am besten als "Einstiegsbuch".

    Verständlich geschrieben, ohne dem ständigen Zeigefinger "du böse, du machst das falsch", sondern mit einer extremen Geduld gegenüber der Leserschaft und meines Erachtens auch einem mitfühlendem Verständis für die weißen LeserInnen, die sich nun erstmal auf den Weg machen, aus ihrem bisherigen Wolkenkuckucksheim (im Buch als Happyland bezeichnet), das geprägt wurde durch die ständige Weitergabe der rassistsichen Denkmuster ohne Hinterfragung. Es kommt mir vor als reiche Ogette hier die Hand all jenen, die sich hier bereit erklären aus den alten Schemen auszubrechen und klar hinzusehen.

    Hier sehe ich auch keinen Nachteil in manchen Wiederholungen, die mir persönlich nicht zu viel waren, eher einer "Auffrischung" dienten.

    Sehr interessant fand ich die Schilderung des typischen Verhaltens weißer bei der persönlichen Konfrontation mit dem Thema Rassismus (jemand weißer wird von einem PoC darauf angesprochen, dass diese oder jene Aussage jetzt rassistisch empfunden wird). Diese Auflistung der Reaktionen und Aussagen trifft so genau die Realtität, dass man wie mit einer Checkliste bei einer diesbezüglichen Unterhaltung danebensitzen könnte, und Punkt für Punkt alles abhaken könnte. Und: man muss sich eingestehen, dass man selbst automatisch auch viele dieser Reaktionen gezeigt hätte.

    Kurzum: ich finde es ein fantastisches Einstiegsbuch zu diesem Thema und vergebe volle 5 Sterne.

    :study: Audre Lorde: Sister Outsider (eBook)

    :study: Joseph Roth: Hiob (eBook) - MLR

    :study: Thomas Chatterton Williams: Selbstportrait in Schwarz und Weiss - Unlearning Race



    „An allem Unrecht, das geschieht, ist nicht nur der Schuld, der es begeht, sondern auch der, der es nicht verhindert.“

    Erich Kästner

    "Das fliegende Klassenzimmer"


    Warnhinweis:
    Lesen gefährdet die Dummheit

    :study:

  • Eins ist das Buch wohl nicht: Anlass, hinterher mit etwas Schadenfreude und Zeigefinger auf Gruppen von Personen zu zeigen, die ja mit uns sowieso nichts zu tun haben! Nein, Ogette lenkt unsere Aufmerksamkeit auf unser eigenes Verhalten , insbesondere sprachlich und von der inneren Einstellung her. Und man will es wohl nicht wahrhaben, dass eben wir gemeint sind, ja, wir mit eingeschlossen sind in jenen, die man auch als rassistisch Denkende einstufen kann. Ich musste schon einhalten und verschnaufen. Und ganz richtig wie Ogette bemerkte: man will das Buch an die Wand schmeissen! Nu mach aber mal halblang! Und es stimmt wohl, dass man “zurecht” hier und da was einwenden könnte. Aber wenn ich es recht bedenke, dann eher Dinge, die sie noch gar nicht benannt hat, und noch weiter gehen (auch bei so genannten “toleranten” Menschen). So vermisst man eine Ausweitung der Beispiele. Einige wiederholen sich tatsächlich öfter im Buch.


    Es ist sehr interessant, dass ich seit Beendigung der Lektüre an zwei anderen Büchern lese (Hackl - Abschied von Sidonie und Ocean Vuong - Auf Erden sind wir kurz grandios) und man beide mit der Lupe Ogettes betrachten kann. Und einiges mehr sieht!


    Ich will nicht das Gesagte einfach wiederholen. Aber absolut empfehlenswert!


    AUTORIN:

    Tupoka Ogette (* 1980 in Leipzig) ist eine deutsche Autorin und Vermittlerin für Rassismuskritik. Sie wurde 1980 in Leipzig als Tochter eines tansanischen Studenten der Landwirtschaft und einer deutschen Mathematikstudentin geboren. Kurz vor der Wende übersiedelte ihre Mutter mit ihr nach West-Berlin, wo Ogette bis zu ihrem Abitur lebte. Sie hat einen Magister in Afrikanistik, mit Schwerpunkt Politik und Wirtschaft Afrikas, und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Leipzig. Von 2007 bis 2009 absolvierte sie ihren Master in International Business an der Graduate School of Business in Grenoble, Frankreich. Von 2008 bis 2012 arbeitete sie als Lektorin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an der Université Stendhal in Grenoble. Dort lehrte sie unter anderem Deutsch als Fremdsprache, Business-Deutsch, interkulturelle Kompetenz, interkulturelles Management und Projektmanagement. Weiterhin organisierte sie Konferenzen, Workshops, Tagungen, Studentenaustauschprogramme und Ausstellungen im Kontext interkulturellen Hochschulaustauschs zwischen Deutschland und Frankreich.


    Seit 2012 ist Tupoka Ogette in der Selbständigkeit tätig als Beraterin, Rednerin und Autorin. Sie ist Trainerin und Beraterin für Rassismuskritik und Antirassismus.


    Sie ist mit dem Künstler und Bildhauer Stephen Lawson verheiratet. Gemeinsam mit ihrer Familie lebt sie in Berlin.