Madison Smartt Bell - Die Farbe der Nacht/The Color of Night

  • Die Berufszynikerin Mae arbeitet als Croupière in einem Casino in Las Vegas, in ihrer Freizeit streift sie am liebsten mit ihrem Gewehr durch die Wüste und macht Schießübungen. Als am 11. September 2001 die Türme des World Trade Center einstürzen, ist ihre Reaktion nicht wie bei den meisten anderen blankes Entsetzen und Angst, sondern sie genießt den surrealen Anblick geradezu. Unter all den Fernsehbildern von Tod und Zerstörung und fliehenden Menschen entdeckt sie irgendwann Laurel, mit der sie eine gemeinsame Geschichte verbindet, und Mae beschließt, wieder Kontakt zu ihr aufzunehmen.


    Viele Jahre zuvor waren die beiden Frauen Teil einer kultartigen Hippiegemeinschaft, deren Anführer freie Liebe auf sehr eigenartige Weise interpretierte und deren Aktivitäten düster und beklemmend waren, nichts mit love, peace and happiness.


    Zumindest habe ich das Buch so gedeutet, denn wirklich klar ist hier gar nichts. Dass Mae keine sympathische Protagonistin ist, ließe sich verschmerzen, wenn mir der Rest gefallen hätte, und auch mit sinistren Taten, obskuren Motiven und merkwürdigen Figuren kann ich grundsätzlich umgehen, aber dieses Buch hat mich einfach nur verwirrt und genervt.


    Mae mag nichts und niemanden, sie lebt in ihrer eigenen Blase, in der sie niemanden an sich heranlässt, stalkt dann aber Laurel regelrecht, nachdem sie sie wiedergefunden hat. Gewalt, Tod, Zerstörung scheinen sie magisch anzuziehen, von zwischenmenschlicher Wärme nirgends eine Spur. Ihre Beweggründe sind nie so richtig greifbar, ebensowenig wird gänzlich verständlich, was sich da eigentlich abgespielt hat, als sie jung war. Man bekommt nur Bruchstücke hingeworfen, manchmal sind die Kapitel nur wenige Zeilen kurz, und muss sich daraus die Dinge zusammenreimen, was mehr schlecht als recht funktioniert.


    Total nervig fand ich auch, dass die Namen mancher Protagonisten nur mit dem Anfangsbuchstaben abgekürzt werden (und andere oberdämliche Namen tragen wie Creamy und Crunchy - echt jetzt?) Die immer wieder eingestreuten Verweise und Parallelen zu griechischen Mythen wirken fürchterlich bemüht, als müsse der Autor (oder die Erzählstimme) unbedingt mit seiner Bildung in der Hinsicht prahlen, ebenso sehr merkwürdige Sprachbilder und so einige Ekelszenen.


    Eines der seltsamsten Bücher, die ich je gelesen habe, was hier nicht als Kompliment gemeint ist. Aber vielleicht habe ich auch bloß nicht verstanden, was der Autor uns eigentlich sagen wollte.

  • Regenmann: ich schicke es Dir sehr gerne, behalten muss ich das nicht :D Und ich wäre extrem gespannt auf Deine Eindrücke!


    Schick mir einfach Deine Adresse per PN, dann geht es demnächst auf die Reise.

  • Ich habe heute das Buch beendet und für mich war es eins der stärksten Bücher in diesem Jahr. Ich glaube, ich habe die Geschichte ganz anders gelesen als Magdalena

    Ich hatte zunächst einmal nicht den Eindruck, daß nichts klar sei, eher im Gegenteil.


    Das Buch beginnt mit einem Zitat:


    Zitat von Iris Murdoch

    Vergebung ist ein zu schwaches Wort. Man denke an die Idee der Ate, die den alten Griechen so selbstverständlich war. Ate bezeichnet die nahezu automatische Übertragung des Leidens von einem Wesen auf das andere. Macht ist eine Form von Ate. Die Opfer der Macht, und jede Macht hat ihre Opfer, werden selbst davon infiziert. Danach müssen sie sie weitergeben, müssen diese Macht auf andere anwenden.


    Wie gesagt, unklar fand ich die Geschichte nicht. Vieles wird in nur einem einzigen Satz erzählt, der Autor schildert so z.B. nicht den Mord an einer Schwangeren durch das VOLK, sondern berichtet nur, daß sich das Baby im Mutterleib noch eine Weile bewegt hat. Damit bleibt es dem Leser überlassen, die spärlichen Worte durch seine Vorstellung mit Bildern zu füllen.

    Die Verweise auf die griechische Mythologie fand ich insofern passend, als daß sie den Zustand beschreiben, in dem sich Mae bzw. viele Anhänger der Sekte befunden haben: losgelöst von Normen und Normalität, durch Drogen, falsche Prophezeiungen, Sex und Gewalt völlig entrückt von gesellschaftlich kolportierten Werten.

    Maes Entwicklung im chronologischen Ablauf fand ich absolut stringent und nachvollziehbar, vielleicht auch in Hinblick auf kPTBS, Persönlichkeitsstörungen, Traumata. An den "kleinen Freuden" des Lebens hat sie nicht teil, versteht sie nicht. Sie hat auch kein Mitgefühl mehr, weder mit sich selbst noch mit anderen, nicht einmal mit Tieren. Das Einzige, was ihr immer noch einen Kick verschafft, ist Gewalt. Für mich sehr authentisch geschildert. Wie gesagt, das einleitende Zitat faßt Maes Geschichte sehr gut zusammen.


    Alles in allem ein hammerstarkes Buch, brutal und poetisch erzählt. Bekommt von mir als viertes Buch in diesem langen Lesejahr die volle Punktzahl, vielleicht auch weil ich mich sehr lange mit Charles Manson und seiner Zeit befaßt habe.

    O. habe ich übrigens als Verkörperung von Jim Morrison (oder einem morrisonähnlichen Mann) gedeutet, insbesondere wegen der Wüstenszenen, wo Morrison doch die Leute dazu aufgefordert hat, in die Wüste zu gehen und sich dort sich selbst zu stellen.

    I will take with me the emptiness of my hands. What you do not have you find everywhere. (W. S. Merwin)