Denis Johnson - Train Dreams

  • Kurzmeinung

    Jean van der Vlugt
    Leben e. traurigen Mannes. Wandel Amerikas Anfang d. 20. Jh. Das Mythische der Wildnis. Great amer. novel im kleinen.
  • Der Autor (Quelle: Marebuchverlag): Denis Johnson, geboren 1949 in München als Sohn eines amerikanischen Offiziers, verbrachte seine Kindheit in Tokio und auf den Philippinen. Er zählt zur „Elite der US-Literatur“ (Die Welt) und gilt als einer der größten Erzähler der Gegenwart […] Er lebte zuletzt in Idaho, USA, und starb im Mai 2017.


    Klappentext (Quelle: Marebuchverlag): Dies ist die Geschichte des Tagelöhners Robert Grainier, der irgendwann im Jahr 1886 geboren wurde, entweder in Utah oder in Kanada, und der nie erfuhr, wer seine Eltern waren. Robert Grainier war in seinem Leben niemals betrunken, hat nie eine Waffe besessen und hat kein einziges Mal in einen Telefonhörer gesprochen. Er ist mit zahllosen Zügen gefahren, saß in vielen Automobilen und ist einmal, 1927, sogar in einem Flugzeug gereist. Dabei hat sich Robert Grainier in den über 80 Jahren seines Lebens bis auf wenige Meilen dem Pazifik genähert. Gesehen hat er den Ozean nie.


    Englische, französische, deutsche und italienische Ausgaben:

    • Die Novelle „Train Dreams“ wurde zuerst im Sommer 2002 in der Ausgabe 162 der New Yorker Literaturzeitschrift „The Paris Review“ veröffentlicht. Die amerikanische Originalausgabe in Buchform erschien im August 2011 in etwas geänderter Textfassung bei Farrar, Straus and Giroux in New York (116 Seiten), neu aufgelegt u.a. 2012 und 2013 bei Picador in New York und 2012 und 2021 bei Granta in London.
    • Die deutsche Übersetzung von Bettina Abarbanell erschien zuerst als Lizenzausgabe des Rowohlt-Verlages im Jahr 2004 unter dem Titel „Train Dreams“ als Band 16 der von Denis Scheck herausgebenen Reihe „Marebibliothek“ des Marebuchverlags in Hamburg (111 Seiten), neu aufgelegt 2006, 2009 und 2014 als Rororo-Taschenbuch Nr. 23770 im Rowohlt Taschenbuch Verlag in Reinbek bei Hamburg (109 Seiten) und 2019 als Rowohlt-E-Book.
    • Im September 2004 erschien die Abarbanell-Übersetzung in ungekürzter Lesefassung als Hörbuch auf 2 CDs (2 Stunden 57 Minuten) bei Parlando in Berlin. Sprecher: Christian Brückner, Regie Waltraut Brückner.
    • Die französische Übersetzung von Brice Matthieussent erschien 2006 unter dem Titel „Rêves de train“ in der Reihe „Fictives“ bei Christian Bourgois in Paris (132 Seiten), neu aufgelegt ebendort 2007 und 2021.
    • Die italienische Übersetzung von Silvia Pareschi erschien 2013 unter dem Titel „Train Dreams“ in der Reihe „Libellule“ bei Mondadori in Mailand (115 Seiten).


    Die Novelle gewann 2003 einen O. Henry Award und 2002 den Aga Khan Prize for Fiction. 2012 war „Train Dreams“ in der Endrunde für den Pulitzer Prize for Fiction (neben Karen Russell und posthum David Foster Wallace), der in diesem Jahr dann allerdings nicht vergeben wurde, weil sich die Jury nicht einigen konnte.


    Meine Einschätzung:
    Das Leben eines traurigen Mannes. Diese Novelle berichtet von dem Leben des Tagelöhners Robert Grainier vor dem Hintergrund des sozialen und ökonomischen Wandels Amerikas zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Wildnis erscheint noch in ihrer ganzen mythischen Kraft: Die tiefen Wälder bergen noch die Möglichkeit von Wolfsmädchen und die Geister der Verstorbenen erscheinen ungefragt in den Hütten ihrer Hinterbliebenen.
    Ein unauffälliges Leben, das keine Spuren hinterlassen hat. Auf immer verändert durch einen Waldbrand, der Roberts junges Familienglück jäh beendete. Im Leben der Figuren, die in „Train Dreams“ am Rande auftauchen, scheint das Unglück überhaupt die Regel und nicht die Ausnahme zu sein: Sterben aller Orten. Von Zügen überfahrene Indianer, ein tödlich verletzter Stromer, den Robert allein sterben lässt. Ein Chinese, der gelyncht werden soll, aber entkommen kann. Vielleicht hat Robert einfach einen Fluch auf sich geladen durch seine Verfehlungen...

    Diese kurze Erzählung ist bis zum Rand gefüllt mit Americana, die Seele und die Trauer der großen Weiten und der tiefen Waldgebiete, die Sehnsucht des Aufbruchs, das Roden der Wälder, der Schienenstrang, der in die Welt hinausführt, während die kleine Scholle besiedelt wird, das Kino, das die Welt in die Dörfer trägt. Pragmatische Menschen auf der Grenze zwischen Träumen und Bodenständigkeit, der magische Realismus der Wildnis, die harte Arbeit des Abtrotzens der Natur. Eine so ernsthafte, verstörend schöne Durchdringung von Mystik und Gegenwärtigkeit, eine solche Beseelung der Natur und des Daseins, ist mir lange nicht mehr untergekommen. Ganz ohne Rührseligkeit, ganz ohne leicht griffige Eingängigkeit, die die Wirrnis des Lebens zu einer romanhaften Moral verniedlicht. Das ist der Große Amerikanische Roman im Kleinformat. :applause: Ein Abgesang einer Zeit, die für immer vorbei ist. Ein mitten in die ehrfurchtgebietene Landschaft geworfenes Seufzen über das ungreifbare Erahnen und Erdulden einer stillen, großen, erbarmungslosen, mystischen, alles antreibenden Naturkraft des Daseins. :pray:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (126/223)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 55 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Martinson "Schwärmer und Schnaken" (15.04.)

  • Die Novelle „Train Dreams“ wurde zuerst im Sommer 2002 in der Ausgabe 162 der New Yorker Literaturzeitschrift „The Paris Review“ veröffentlicht. Die amerikanische Originalausgabe in Buchform erschien im August 2011 in etwas geänderter Textfassung bei Farrar, Straus and Giroux in New York (116 Seiten), neu aufgelegt u.a. 2012 und 2013 bei Picador in New York und 2012 und 2021 bei Granta in London.

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  • Die französische Übersetzung von Brice Matthieussent erschien 2006 unter dem Titel „Rêves de train“ in der Reihe „Fictives“ bei Christian Bourgois in Paris (132 Seiten), neu aufgelegt ebendort 2007 und 2021.

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  • Zitat

    ...die Wirrnis des Lebens zu einer romanhaften Moral verniedlicht.

    Ein wirklich schöner Satz ist Dir da gelungen, Jean van der Vlugt , bemerkenswert und zum Nachdenken anregend.

    Mich langweilt einfach immer mehr, wie schematisch Autoren Figuren extra mit Eigenschaften ausstatten, um dem Leser im Laufe einer konfliktreichen Handlung anhand der Folgen, die das Handeln entlang dieser Eigenschaften bewirkt, griffige Weisheiten und ach so überraschende Erkenntnisse servieren zu können. Und alle haben was am Ende gelernt. :roll: Im "echten Leben" hat man sogar schon Schwierigkeiten zu erkennen, wann man sinnigerweise ein Fazit ziehen sollte. Und aus jeder Tragödie auch noch was lernen zu müssen, finde ich auch anmaßend und von einer rein auf den Nutzen schielenden Ethik zweckoptimiert. Kann man nicht einfach mal verzweifeln und Tragik, Orientierungslosigkeit und Inkonsequenz als Autor so stehen lassen? Darum schätze ich Denis Johnson so sehr, diesen Meister der Orientierungslosigkeit: Seine Figuren handeln nicht, um etwas zu verdeutlichen. Sie reagieren auf Unübersichtlichkeit und Unglück - und das nicht immer romanhaft stimmig, sondern lebensecht im Unklaren!

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (126/223)


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