William Kotzwinkle - Mitternachtspost / The Midnight Examiner

  • Der Autor (Quelle: Rowohlt): William Kotzwinkle, geboren am 22. November 1943 in Scranton/Pennsylvania, erhielt mehrere literarische Auszeichnungen und gehörte in Amerika schon lange zu den Bestseller-Autoren, bevor sein rührend-hässliches Sternenwesen E.T. bekannter wurde als der Präsident der USA. Ein Kritiker schrieb: „Es wäre kein Wunder, wenn ein Kotzwinkle-Kult entstehen würde – stärker als bei Bukowski und Tolkien…“ William Kotzwinkle ist mit der Schriftstellerin Elizabeth Gundy verheiratet und lebt abwechselnd in den USA und Kanada.


    Klappentext (Quelle: Rowohlt): Ein mitreißender Slapstick vom Meister des bizarren Nonsense! Ein Blick hinter die Kulissen der New Yorker Regenbogenpresse, die vor nichts und niemandem zurückschreckt. Der Chefredakteur Howard Halliday und seine illustren Kollegen geraten eines Tages in eine Situation, die sie sich mit wildester Fantasie nicht hätten ausdenken können. Sie müssen ihrer gemeinsamen Freundin Mitzi Mouse zu Hilfe eilen, denn die stadtbekannte Porno-Darstellerin hat im falschen Moment mit ihrem Damencolt gespielt – zum Schaden von Mafia-Boss Tony Baloney. Die Folgen sind verhängnisvoll…


    Amerikanische, deutsche, französische und italienische Ausgaben:

    • Die amerikanische Originalausgabe erschien 1989 als „The Midnight Examiner“ als Orion Hardback bei Houghton Mifflin Co./Seymour Lawrence in Boston (227 Seiten), neu aufgelegt u.a. 1990 im Verlag Black Swan (208 Seiten) und 1997 bei Da Capo Press (320 Seiten).
    • Die deutsche Übersetzung von Walter Hartmann erschien 1990 (und erneut 1991 und 1995) unter dem Titel „Mitternachtspost“ als rororo-Taschenbuch Nr. 12802 im Rowohlt Taschenbuch Verlag in Reinbek bei Hamburg (204 Seiten).
    • Die französische Übersetzung von Philippe Hupp erschien 1990 unter dem Titel „Midnight Examiner“ in der Reihe „Rivages Thriller“ bei Rivages in Paris (251 Seiten) und 1991 ebendort als Band 118 in der Reihe „Rivages Noir“.
    • Die italienische Übersetzung von Vincenzo Mantovani erschien 1992 unter dem Titel „Gazzetta di mezzanotte“ bei Leonardo in Mailand (193 Seiten).


    Meine Einschätzung:
    Meine Güte ist dieser Roman komisch! Rasante Dialoge wie in einer alten Screwball-Komödie. Oder wie in einer guten amerikanischen Sitcom, wenn jeder Satz als schnippischer, unerwarteter Gag ins Schwarze trifft! :totlach:


    Aufhänger ist der schnelle Berufsalltag bei dem trashigen Presseverlag Chameleon Publications am Times Square in New York, der lauter Klatschmagazine, Pornoblättchen, Arztromane, Anzeigenblätter und Boulevard-Illustrierte herausgibt - weniger Prominentenbeobachtung als vielmehr unglaubliche Storys: das Hauptzugpferd ist „Mitternachtspost“, ansonsten aber auch „Freche Früchtchen“, „Scharfe Kurven“, "Heiße Spuren", „Macho“, „Geständnisse“, „Teeniepop“ oder „Bekenntnisse junger Schwesternhelferinnen“. :loool: Jetzt gerade in der Mache haben sie ein religiös-spirituell-esoterisches Magazin namens "Offenbarung", für das der stets gut gekleidete, lakonische Forrest Crumpacker, der eigentlich nur für einen Job als Texter vorstellig wurde, flugs zum Chefredakteur gekürt wurde. Es wird überlegt, ihm aus Gründen des Renommees bei der christlichen Versandkirche Kalifornien eine Priesterweihe zu kaufen. :loool: In der Folge wird er in dem Buch nur noch als Kardinal Crumpacker angesprochen. :totlach:
    Der Leser wird zugeballert mit wunderbar absurden Szenen rund um Verlagschef Nathan Feingold, der in seinem Büro mit seinem Blasrohr experimentiert (die Pfeile sind in extra scharfe Chilisoße getunkt), dem Grafiker Fernando, der Chefredakteur Howard Halliday ungefragt mit Zeichenkohle einen riesigen Frauenakt auf dessen Wohnzimmerwand malt und der manchmal in eine katatonische Starre fällt, Howard, der ein Auge auf die Schönheitspflege-Redakteurin Amber geworfen hat, die später von Mafiosi entführt wird, den Chefautor Hip O’Hopp, die Kolumnistin Yvonne und die Redakteurinnen Celia Lyndhurst und Hattie Flyer sowie dem Anzeigenchef Siggy Blomberg. Es ist eine Welt, in der alle Beteiligte nur in Überschriften denken. Ein Beruf, in dem völlig abstruse Aufhänger aufgebauscht und rein aus der Luft gegriffene Anekdoten ersponnen werden. Alte Storys werden dutzendfach umgeschrieben und in anderen Magazinen erneut veröffentlicht, denn wenn man eine Nachricht in zwei Blättern entdeckt, wird sie für unbedarfte Leser zur Wahrheit: :P


    VIBRATOR LÄUFT AMOK!


    ARABERFRAU HEIRATET KAMEL!!


    BEFEHL VON SATAN: ICH SÄGTE MEINE SCHWESTER MITTENDURCH!!!


    ICH WARNTE MEINEN CHEF: „EINES TAGES GEHEN SIE ZU WEIT“!!!!


    „MOM, ICH BIN VERLIEBT IN EINEN MÄNNLICHEN STRIPPER“!!!!


    Oder einfach nur:
    UFO VERSCHLANG UNSERE TOCHTER


    oder
    FRAU IN TIJUANA BRINGT EINEN WURF WELPEN ZUR WELT


    oder
    ICH GING AUF DEN STRICH, BIS MIR JESUS ERSCHIEN!


    Als die dem Blatt als Fotomodell verpflichtete Porno-Aktrice Mitzi Mouse in der Drehpause eines Pornofilms beim Schreiben von Gedichten gestört wird und davon genervt und im Affekt dem Mafia-Filmproduzenten Tony Baloney ins Bein schießt, wandelt sich die Handlung in eine überspannte Thriller-Story, wie sie ausgedachter nicht in den Heften der Chameleon Publications erscheinen könnte: Mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln – einer Angel, dem Blasrohr, einer Armbrust und einigen Pistolen – und unterstützt durch den ägyptischen Taxifahrer Mussa, dessen minderjährigen Tochter Najaf und der Voodoo-Priesterin Madame Veronique, die in der „Mitternachtspost“ ihre Dienste inseriert, nehmen die Zeitungsleute den Kampf gegen die Mafia-Schergen auf, um die verschleppten Mitzi und Amber zu befreien: Das Zauberpulver von Madame Veronique lässt Howard und Crumpacker, als die Zeitungsleute in der Nacht das Anwesen von Baloney entern, im Dunkeln sehen und feinfühlig in weit entfernte Zimmer blicken und lauschen. Dank einer Salbe verwandelt sich in Siggy in eine menschliche Bowlingkugel, die wild rotierend Wände einkrachen lässt. Das große Konglomerat aus aufgeblasener Scharlatanerie und Schmierenjournalismus hat mehr Wumms als zu erwarten stand. :wink: Am Schluss löst sich alles in Wohlgefallen auf, weil Chameleon Publications dem Mafia-Boss einige Gefälligkeiten erweisen kann… O:-)


    Kotzwinkle verwendet Handlungsbausteine aus Genreerzählungen nicht um eine schlüssige neue Handlung zu erschaffen, sondern um in einem schäbigem Hintertreppen-New York voller Porno-Kinos und mörderischem Straßenverkehr, in dem Immobilienhaie ihre Filetstücke mit verbrecherischen Methoden entmieten, um daraus teure Eigentumswohnungen machen zu können, ein großes lustiges Slapstick-Chaos anzurichten. Das ist literarische Situationskomik par excellence: Was lustig ist, wird auch gemacht! :thumleft: Dann bekommen die Mafiaschergen schon mal einen Pfeil durch die Nase geschossen oder einen Angelhaken durch die Oberlippe! :loool:

    Der Roman will vor allen Dingen eine Abfolge an rasant-lustigen Dialogen und absurder Situationskomik sein, dabei dreht er obendrein dem verlogenen Boulevardjournalismus eine lange Nase, aber ohne ihn (oder seine Macher) in Grund und Boden zu verdammen. Im Grunde erzählt „Mitternachtspost“ davon, wie sich Underdogs (Klatschreporter, die nicht „gut genug“ für Qualitätsjournalismus sind, Pornodarstellerinnen, die für normale Kinofilme nicht taugen, verrückte Maler, die es gerade mal zum Grafiker eines Schmierenblattes bringen, die letzten Mieter in dem Verfall überlassenden Wohnblöcken) nicht mehr länger alles gefallen lassen und zurückschlagen! :rambo: Eine "Untersuchung der Nachtschatten" unserer gegenwärtigen Gesellschaft (im Sinne des "Midnight Examiners"). :wink: Das ganze Kuddelmuddel führt tatsächlich auch dazu, endlich die eigenen Gefühle wieder spüren zu können: ein neuer Schuss Lebendigkeit, etwas Pfeffer im alltäglichen Einerlei, eine schräge Schlagzeile und der Tag wird bunt! :loool: Wer eine vernünftige Handlung, Charakterentwicklung oder eine schöne Moral erwartet, ist hier falsch: Ein Vergnügen für Freunde literarischer Situationskomik und von mit dem Maschinengewehr abgefeuertem Nonsense! :totlach:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Manner "Das Mädchen auf der Himmelsbrücke" (82/151)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 57 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Kuhl "Helenes Familie" (23.04.)

  • Die amerikanische Originalausgabe erschien 1989 als „The Midnight Examiner“ als Orion Hardback bei Houghton Mifflin Co./Seymour Lawrence in Boston (227 Seiten), neu aufgelegt u.a. 1990 im Verlag Black Swan (208 Seiten) und 1997 bei Da Capo Press (320 Seiten).

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