Andre Dubus - Ehebruch und anderes / We Don't Live Here Anymore

  • Der Autor (Quelle: Rowohlt): Andre Dubus, frankokanadischer Abstammung, geboren 1936 in Lake Charles, Louisiana, besuchte das Seminar der Christian Science Brothers, dann den Writer’s Workshop der Universität Iowa und lehrte ab 1966 amerikanische Literatur und Creative Writing. Für seine preisgekrönten Storys erhielt er ein Stipendium der Guggenheim Foundation. Seit einem Verkehrsunfall 1986 war er auf einen Rollstuhl angewiesen. Nach seinem Unfall veranstalteten Kurt Vonnegut, John Updike und John Irving eine literarische Benefizveranstaltung, um Geld für seine Krankenhausrechnungen zu sammeln. Dubus nahm das Schreiben wieder auf, und in Dankbarkeit für die Hilfe seiner Kollegen hielt er kostenlose Workshops, um lokale Schriftsteller zu unterstützen. Er starb 1999 in Haverhill, Massachusetts.


    Klappentext (Quelle: Rowohlt): Vier intime Geschichten über den Widerspruch zwischen Glücksverheißung und der Wirklichkeit des Lebens. Die Einsicht, dass das Glück immer schon verloren ist, und zugleich das Bewusstsein, dass es als Hoffnungsschimmer stets am Horizont zu sehen sein wird, prägen die Figuren. „Andre Dubus erzählt brillant und einfühlsam von den kleinen und großen Unterschieden zwischen Mann und Frau. Vergleichbar etwa mit Simone de Beauvoir und John Updike.“ („Frankfurter Rundschau“)


    Englische und deutsche Ausgaben:

    • Die amerikanischen Originalausgaben der vorliegenden Novellen erschienen bei David R. Godine, Boston. Sie sind den folgenden Erzählungsbänden entnommen: „Das hübsche Mädchen“ (OT: „The Pretty Girl“) aus: „The Times Are Never so Bad“ (1983), „Wir leben nicht mehr hier“ (OT: We Don't Live Here Anymore“) aus: „Separate Flights“ (1975), „Ehebruch“ (OT: „Adultery“) aus: „Adultery & Other Choices“ (1977) und „Brautschau in Amerika“ (OT: „Finding a Girl in America“) aus: „Finding a Girl in America“ (1980). In dieser Zusammenstellung wurden die vier Novellen im englischen Original im Jahr 1984 bei Pan in London veröffentlicht (288 Seiten). Neu aufgelegt wurde das Buch aus Anlass der Verfilmung im August 2004 bei Vintage Books (215 Seiten), worin aber nur die drei lose verbundenenen Novellen enthalten sind. :!:
    • Die deutsche Übersetzung aus dem Amerikanischen von Benjamin Schwarz erschien 1988 als „Ehebruch und anderes. Vier Novellen“ im Rowohlt Verlag in Reinbek bei Hamburg, wiederaufgelegt im März 1996 als rororo-Taschenbuch Nr. 13744 im Rowohlt Taschenbuch Verlag (431 Seiten).
    • Eine italienische Übersetzung von Gian Fulvio Nori erschien 2009, herausgegeben von Nicola Manuppelli, unter dem Titel "Non abitiamo più qui" mit einem Nachwort von Tobias Wolff im Verlag Mattioli 1885 in Fidenza (274 Seiten). Ob drei oder vier der Novellen enthalten sind, entzieht sich meiner Kenntnis.

    Verfilmung:
    2004 verfilmte Regisseur John Curran für Warner Bros. unter dem Titel „We Don’t Live Here Anymore“ die beiden Novellen „We Don’t Live Here Anymore“ und „Adultery“ auf Grundlage eines Drehbuchs von Larry Gross. Mit Mark Ruffalo als Jack Linden, Laura Dern als Terry Linden, Peter Krause als Hank Evans, Naomi Watts als Edith Evans und Jim Francis als Joe Ritchie. Der Film ist recht gut beleumundet. In Deutschland erlebte der Film unter dem Titel „Wir leben nicht mehr hier“ im Dezember 2004 seine DVD-Premiere.


    Inhalt:

    1. Das hübsche Mädchen (102 Seiten)
    2. Wir leben nicht mehr hier (134 Seiten)
    3. Ehebruch (86 Seiten)
    4. Brautschau in Amerika (100 Seiten)


    Meine Einschätzung:
    Dubus‘ Erzählkunst ist so nah dran an der Innenwelt der Figuren, dass es mir als Leser manchmal fast zuviel wird: Mit hoher Sensibilität erzählte Geschichten, sehr gefühlig und ehrlich – und daher oft schmerzhaft: Man fühlt sich oft ertappt oder als hörte man zu private Geständnisse.


    In „Das hübsche Mädchen“ erzählt Dubus zunächst aus der Sicht des Mannes von einer zerbrochenen Beziehung. Nach und nach mischen sich Misstöne in die Erzählung und man bemerkt, dass es sich bei dem Mann, Ray, objektiv betrachtet um einen gestörten Gewalttäter handelt, der seine Verflossene, Polly, verfolgt, bedroht und vergewaltigt. Ein kurzzeitiger Liebhaber Pollys wird brutal zusammengeschlagen. Rund um das Haus eines Freundes, bei dem Polly untergekommen ist, legt Ray Feuer, nicht lebensbedrohlich aber ein deutlicher Hinweis: Ich bin da und weiß wo du bist! Als es auch dem letzten Leser klar ist, dass Ray ein Arschloch ist, übernimmt Polly von ihrer Warte aus die Erzählung. Bis sich am Ende noch einmal kurz Rays Bruder Alex zu Wort meldet, der wiederum Einwände an Pollys Verhalten anmeldet.


    Mir gefällt es, wenn mir auch die Sichtweise von Unsympathen (oder sogar Psychopathen) überzeugend, detailliert, nachvollziehbar und verständlich nahegebracht wird. Subjektive Wahrheiten. Hier ist ein Autor am Werk, der die Ambivalenz eines Streites authentisch darstellen kann, bei dem es nicht einfach nur Gut und Böse gibt, was dem Leser die Entscheidung abnimmt, auf welche Seite er sich zu schlagen hat. Will man darüber schreiben, warum eine Paarbeziehung in die Binsen geht, sollte man es so ereignisoffen wie möglich angehen und nicht einfach nur Mitleid mit dem naheliegenden Opfer schüren, sondern es verständlich machen, wie die Dynamik der Beziehung das einstige Liebesglück in die Katastrophe umschlagen lässt.


    Im Kern hat man in den Novellen jeweils eine zwischenmenschliche Beziehung, die Dubus mit forensischer Genauigkeit in den Worten der Beteiligten unter die Lupe nimmt. Mir gefällt, dass er nicht "die eine" Verfehlung im Verhalten der Figuren als ausschlaggebend für das Scheitern der Beziehung inszeniert: Es ist gar nicht mehr wirklich aufzudröseln, was für die Missstimmung verantwortlich ist, so wie es meistens auch „in der Wirklichkeit“ ist. Lauter runde Charaktere (oft sogar mit etwas unsympathischen Eigenschaften), die ihre Bündel aus Verfehlungen, Versäumnissen und Enttäuschungen mit sich herumschleppen.


    Die drei anderen Novellen handeln von einem Ensemble wiederkehrender Figuren, die jeweils in unterschiedlicher Gewichtung und Paarung mal als Haupt-, mal als Nebenfiguren auftauchen. Alle sind in ehebrecherischen Beziehungen miteinander verstrickt: zwei befreundete Ehepaare, teilweise noch mit Seitensprüngen und Affären ausgestattet. Das ist gar nicht launig und süffig, sondern verdammt traurig: Menschen, die nicht anders können (oder zu können glauben), als den Scherbenhaufen ihrer Beziehungen kurz anzupusten, um einen Anschein von Lebendigkeit zu erwecken. Menschen, die nicht nach dem Maßstab ihres eigenen Glücksverständnisses glücklich werden können, die sich im besten Fall arrangieren oder an den Selbstbetrug glauben.

    Vor allem in der zweiten Erzählung „Wir leben nicht mehr hier“ schwingt ein etwas machohafter Ton mit, der kaum gebrochen wird, weil es darum nicht geht, ihn zu brechen, der mir aber dennoch etwas schwer im Magen liegt. Er unterstützt den Eindruck einer Unvereinbarkeit von Männern und Frauen (zumindest in den Augen der Männer), die es den Figuren so schwer macht: Jeder hat gewisse Vorstellungen, wie der andere zu sein hat, und vergisst darüber, sich an eigene moralische Standards zu halten.


    Ein sehr intensives und intimes Buch eines hervorragenden Erzählers, auf einer Höhe mit John Updike und Raymond Carver, was den sezierenden Blick auf die Schwierigkeiten von Bildungsbürgern mittleren Alters geht, einen Sinn im Leben zu sehen, ihren Frieden mit der Monogamie zu machen und Zufriedenheit und Geborgenheit auf dem einmal eingeschlagenen Lebensweg zu finden. Auch ein sehr männlicher Blick auf das Leben, in dem Männer eher keine Hausarbeit übernehmen, viel trinken und gerne angehimmelt werden. :roll: Die Männerfreundschaft rangiert im Grunde über der Ehe zwischen Mann und Frau – was vielleicht den Knackpunkt für all den Ärger ausmacht.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (189/365)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

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    O:-) Letzter Kauf: Esch "Supercool" (24.03.)

  • Die vier Novellen stammen ursprünglich aus unterschiedlichen Erzählungsbänden aus unterschiedlichen Jahren (von 1975 bis 1983).

    In dieser Zusammenstellung wurden die vier Novellen im englischen Original im Jahr 1984 bei Pan in London veröffentlicht (288 Seiten).

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  • Neu aufgelegt wurde das Buch aus Anlass der Verfilmung im August 2004 bei Vintage Books (215 Seiten), worin aber nur die drei lose verbundenenen Novellen enthalten sind.

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  • Die amerikanischen Originalausgaben der vorliegenden Novellen erschienen bei David R. Godine, Boston. Die erste Novelle "Das hübsche Mädchen“ (OT: „The Pretty Girl“) stammt aus: „The Times Are Never so Bad“ (1983).

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  • Die zweite Novelle „Wir leben nicht mehr hier“ (OT: We Don't Live Here Anymore“) stammt aus: „Separate Flights“ (1975).

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  • Die dritte Novelle „Ehebruch“ (OT: „Adultery“) aus: „Adultery & Other Choices“ (1977).

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  • Und die vierte Novelle „Brautschau in Amerika“ (OT: „Finding a Girl in America“) aus: „Finding a Girl in America“ (1980).

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