Klappentext
Mit acht entdeckt Beth Harmon im Waisenhaus zwei Möglichkeiten, der harten Realität zu entfliehen: die grünen Beruhigungspillen, die den Kindern täglich verabreicht werden. Und Schach. Das Mädchen ist ein Ausnahmetalent und gewinnt Turnier um Turnier, mit 16 spielt sie gegen lauter erwachsene Männer um die US-Meisterschaft. Ihr Weg führt steil nach oben, doch bei jedem Schritt droht der Abgrund von Sucht und Selbstzerstörung. Denn für Beth steht viel mehr auf dem Spiel als Sieg und Niederlage.
Meine Meinung
Nachdem ich von der Netflix Serie zum Buch so begeistert war, musste ich natürlich auch die Buchvorlage lesen, die übrigens schon 1983 veröffentlicht wurde. Erschienen ist es im deutschen im Mai 2021 zum ersten Mal - Dank dem großen Erfolg der Serie.
Um Erfolge geht es auch in der Geschichte.
Es beginnt in den 50er Jahren, als Beth Harmon als 8jährige ihre Mutter bei einem Autounfall verliert und ins Waisenhaus kommt. Damals anscheinend üblich, gab es neben Vitamintabletten auch Beruhigungspillen für die Kinder - und Beth findet recht schnell raus, wie gut deren Wirkung ihr über manche unangenehme Situationen und Gefühle hinweghelfen. Leider behält sie diese Art, mit Stress umzugehen bei. Über ihre Kindheit erfährt man nicht wirklich viel, doch scheint sie schon früh recht viel mitgemacht zu haben.
Im Waisenhaus entdeckt sie recht schnell ihr Interesse für Schach und entwickelt eine nüchterne, bedingungslose Leidenschaft für die logischen Strategien und es entsteht eine regelrechte Obsession, die alles andere aus ihrem Leben verdrängt. Zum Glück wird ihr Talent entdeckt und ihr Ehrgeiz bringt sie später sogar zu den großen Turnieren in der ganzen Welt.
Erzählt wird das ganze sehr bündig, fast wie ein emotionsloser Bericht, eine Aneinanderreihung von Ereignissen, wodurch man aber ein sehr gutes Gespür für die Protagonistin bekommt. Als wäre man in Beth´s Kopf und folgt ihren Gedankensprüngen von kleinen Nichtigkeiten des Alltags, über einschneidende Erlebnisse und den wichtigen Eckpfeilern ihres Lebens. Ich schreibe "fast", denn man fühlt zwischen den Zeilen sehr genau, wie sehr sie sich auf dieses Spiel fixiert, um mit den vielen Widrigkeiten des Alltags klarzukommen.
Es scheint nichts wichtigeres für sie zu geben als das Schachspiel, mit dem sie sich in jeder freien Minute beschäftigt und sie entwickelt ein hervorragendes Können und kompromisslosen Ehrgeiz. Jede neue Herausforderung geht sie mit Logik an und merkt sehr deutlich, wie verkopft sie in all ihrem Denken und Gefühlen ist. Freunde, Beziehungen, Sex, das alles bedeutet ihr nichts - dennoch spürt sie, dass sie das Alleinsein schwer ertragen kann.
"Sie musste Schachbücher lesen und Schach spielen und ihr Leben wieder in den Griff bekommen. Aber der Gedanke an das leere Haus erschreckte sie. Was konnte sie sonst tun? Es gab nichts anderes, ..."
Zitat
Auch trägt sie eine unterschwellige Wut in sich, die sich in manchen Situationen Bahn bricht, die sich jedoch immer unterdrückt. Vielleicht auch ein Grund, warum sie neben den Tabletten schließlich auch zu Alkohol greift und in eine verhängnisvolle Lage abzudriften beginnt. Während sie mit den Pillen versucht, aufsteigende Ängste auszublenden, kam es mir oft so vor, als würde sie mit dem Trinken aus ihrer Routine ausbrechen wollen.
"Wird es dir nicht manchmal langweilig?"
Verständnislos sah er sie an und sagte: "Was gibt es denn anderes?"
Zitat
Andererseits erlebt sie aber auch immer wieder schöne, ja regelrechte Glücksmomente. Natürlich beim Schach spielen, vornehmlich beim Gewinnen (verlieren ist ein großes Problem für sie), aber auch in trivialen Momenten, in denen sie innehält und den Augenblick genießt, in dem sie das Leben als schön erlebt.
Ob die Schachspieler per se als Kopfmenschen bezeichnet werden können weiß ich nicht, aber es klingt schon so irgendwie durch. Wenn jemand so herausragend in einem strategischen Feld hervorsticht heißt es ja oft, dass andere, vor allem emotionale Merkmale zurückstehen, was hier sehr deutlich wird.
Auch wenn hier viele der Partien in einzelnen Zügen beschrieben wurden, wurde es nie langweilig. Man muss kein Schach können, denn entweder überfliegt man diese Abschnitte oder nimmt teil an Beth´s Überlegungen, die auch immer ihre innere Verfassung widerspiegeln.
Ich hab ja die Serie schon vor dem lesen gesehen und hatte dadurch ständig die Bilder vor Augen. Und ich muss sagen, dass die Serie genial und sehr nah am Buch umgesetzt wurde, was ja leider nicht immer der Fall ist.
Ob es ohne Vorkenntnis der Serie auch so gut gefallen hätte, wo ich alles schonmal in Bild und Ton erlebt habe (mit einer genialen Schauspielerin) weiß ich nicht - aber ich weiß, dass ich das Buch auf jeder Seite genossen habe. Ich habe Beth gerne auf ihrem Weg begleitet und miterlebt, wie sie aus einer verschlossenen Waise zu einer durchsetzungsstarken und selbstbewussten Frau geworden ist, die sich in einer Männerdomäne durchgesetzt hat.
Mein Fazit: 5 Sterne