Kazuo Ishiguro - Damals in Nagasaki (ab 01.07.2021)

  • Ich fand das ganze Gespräch der Frauen eigentlich sehr beklemmend. Unter welchem Druck stehen die japanischen Kinder? Privatlehrer in Mathematik und Naturwissenschaften, Leistungsdruck - und auf der anderen Seite sehe ich auch den großen Druck auf die Mütter, die dafür verantwortlich gemacht werden. Schon vor der Geburt beginnt der Bildungszirkus!

    Ich habe erst neulich wieder eine Doku über Japan gesehen und da wurde auch ein Hikikomori begleitet, der dem Druck einfach nicht mehr standhalten konnte und jetzt in einer Einrichtung lebt, wo er wieder in den Alltag zurückgeführt werden soll. Die Dame, die dort gearbeitet hat, meinte, es würde sich langsam etwas bewegen, was die Arbeitswelt in Japan betrifft - aber für viele zu langsam.


    Kann es sein, dass Mariko - traumatisiert durch den Kindsmord und die Sache mit den Kätzchen - kann es sein, dass Mariko für die Morde an den Kindern verantwortlich ist?

    Einerseits denke ich mir: Ja, könnte passen. Denn sie wirft ja auch mit Steinen nach den Kindern, die ihre Mutter beleidigen und die töten dann eins ihrer Kätzchen. Also Rache? Andererseits: Wie soll ein Kind in dem Alter ein anderes an einem Baum aufhängen? Sonst vielleicht doch Sachiko, die ihr Kind beschützt? Oder doch Frank? Oder soll das nur dafür sorgen, zu beschreiben, wie die Stimmung im Nachkriegs-Nagasaki ist? (Auch wenn ich sie selbst eingeworfen habe, an Etsuko glaube ich eigentlich am wenigsten.)


    Ist das nur gekränkte Eitelkeit und Übertreibung - oder ist das ein Hinweis für den Leser?

    Ich hätte es als ersteres gelesen, aber wer weiß..... ich befürchte nur, wir werden nicht auf alles eine Antwort bekommen.


    drawe Mit der Theorie, dass Etsuko und Sachiko eine Person sind, wie liest Du da Kapitel wie das mit dem Ausflug? Passiert das alles nur in Etsukos Phantasie und sie ist alleine dort? Deswegen habe ich so ein wenig Probleme mit der Theorie, weil ich mich frage, ob Etsuko das alles wirklich aus dem Nichts erschaffen kann. Denn dann hätten ja alle Gespräche mit Sachiko und Mariko nie stattgefunden... :-k

  • Die Mutter im Fluß wollte ihr Kind auch nicht töten. Darum hat sie sich später wahrscheinlich das Leben genommen.


    Akira: Habe ich nicht verstanden, warum er so übertreibt. Das wäre auch ein Gedanke. Mariko ist 10 Jahre alt. Ich weiß nicht, ob es zeitlich hinkommt, das Mariko von Frank sein könnte. :scratch:


    Eins dürfen wir nicht vergessen, es spielt in einer Zeit kurz nach 1945. Die Frauen hatten manchmal keine Wahl. Selbst wenn ein Mädchen in Deutschland auf dem Bauernhof geboren wurde, war es kein Stammhalter. Das war innerhalb der Familie.


    Warum aber eine fremde Frau auf Mariko stiert, ist mir ein Rätsel. Da fällt mir noch die Szene mit den anderen Kindern ein, die Mariko gedisst haben.


    Rätsel um Rätsel. :-k

  • der dem Druck einfach nicht mehr standhalten konnte

    Vor einigen Jahren wurde immer wieder über Schülerselbstmorde berichtet - aber stehen Erwachsene nicht unter demselben Druck? Wie hier Akiras Mutter?

    Oder doch Frank? Oder soll das nur dafür sorgen, zu beschreiben, wie die Stimmung im Nachkriegs-Nagasaki ist?

    :scratch: Alles möglich.

    Ich dachte an Mariko, weil sie so oft unbeaufsichtigt ist, herumstreunt und immer wieder ins Dunkle entwischt und niemand weiß, wo sie steckt..

    Einmal wird sie von Sachiko und Etsuko schlammverschmiert und mit einer kleineren Wunde am Bein im Dunkel am Fluss gefunden - was war da los? Das erfahren wir nicht. Vielleicht steht es in Zusammenhang mit diesen Kindsmorden?

    wie liest Du da Kapitel wie das mit dem Ausflug? Passiert das alles nur in Etsukos Phantasie und sie ist alleine dort? Deswegen habe ich so ein wenig Probleme mit der Theorie, weil ich mich frage, ob Etsuko das alles wirklich aus dem Nichts erschaffen kann. Denn dann hätten ja alle Gespräche mit Sachiko und Mariko nie

    Das ist eine gute Frage! Ich stehe mir momentan selber im Weg, weil ich mich nicht festlegen will.


    Nein, Etsuko erschafft das alles nicht aus dem Nichts. "Sachiko" und Etsuko liegen als zwei Seiten einer Person miteinander im Streit. Die eine will Verantwortung gegenüber der Tochter zeigen, die andere vernachlässigt sie, die eine macht Vorhaltungen, die andere bagatellisiert sie. Die eine redet Englisch mit der Amerikanerin, die andere wird von Akiras Mutter unter Druck gesetzt. Die eine findet es in Ordnung, das Kind alleine zu lassen, um sich mit ihrem Liebhaber zu treffen - die andere findet das nicht in Ordnung. Sie ist hin- und hergerissen.


    Was mir eher Gedanken macht, weil es sich nicht in die Theorie einfügen will, ist die Schwangerschaft Etsukos. Warum ist sie so unglücklich damit? Warum sagt sie sich, dass man nach vorne schauen muss? Wie Frau Fujiwara, die vier ihrer fünf Kinder verloren hat? Schrecklich... Aber wieder das Motiv des Kindstodes.

    Wie passt das zusammen?

    Ist Mariko die junge Keiko, und das Kind, das Etsuko erwartet - ist das Niki? Das Kind ihres Liebhabers? Dem sie dann in sein Heimatland folgt? Ist sie wegen der außerehelichen Schwangerschaft so unglücklich und muss sich zum Glauben an die Zukunft zwingen?


    Die Mutter im Fluß wollte ihr Kind auch nicht töten. Darum hat sie sich später wahrscheinlich das Leben genommen.

    Das denke ich auch, dass ihre Selbsttötung mit dem Tod des Kindes zusammenhängt, eine Art erweiterter Selbstmord.

    Du meinst, es sind einfach die schrecklichen Zeitumstände (Krieg, Zerstörung, fehlende Perspektiven etc.), die die junge Frau zum Kindsmord getrieben haben?


    Puuhhh... was sind das für Dramen, die sich in dem Buch auftun - so nebenher, mit einem kurzen Satz nur angedeutet.

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Puuhhh... was sind das für Dramen, die sich in dem Buch auftun - so nebenher, mit einem kurzen Satz nur angedeutet.

    Es regt auch zu Nachforschungen an. Nagasaki stand z. B. nicht auf der Liste. Habe ich bei Wikipedia gelesen.


    Ishiguro deutet viel an und lässt den Leser erstmal hängen. Was wir aufdecken, ist spannend.

    Und was davon stimmt. :lol:

  • Vor einigen Jahren wurde immer wieder über Schülerselbstmorde berichtet - aber stehen Erwachsene nicht unter demselben Druck? Wie hier Akiras Mutter?

    Ja, sicherlich! In derselben Doku war übrigens auch eine Mutter, die morgens um 5 Uhr aufsteht, um ihren Kindern Charakter-Bentoboxen zu machen und dann, wenn die in der Schule sind, selbst zur Arbeit geht.


    Einmal wird sie von Sachiko und Etsuko schlammverschmiert und mit einer kleineren Wunde am Bein im Dunkel am Fluss gefunden - was war da los? Das erfahren wir nicht. Vielleicht steht es in Zusammenhang mit diesen Kindsmorden?

    Das könnte auch vom Streit mit den anderen Kindern kommen. :-k


    Nein, Etsuko erschafft das alles nicht aus dem Nichts. "Sachiko" und Etsuko liegen als zwei Seiten einer Person miteinander im Streit. Die eine will Verantwortung gegenüber der Tochter zeigen, die andere vernachlässigt sie, die eine macht Vorhaltungen, die andere bagatellisiert sie. Die eine redet Englisch mit der Amerikanerin, die andere wird von Akiras Mutter unter Druck gesetzt. Die eine findet es in Ordnung, das Kind alleine zu lassen, um sich mit ihrem Liebhaber zu treffen - die andere findet das nicht in Ordnung. Sie ist hin- und hergerissen.

    Ah, verstehe. Ich habe tatsächlich Schwierigkeiten, mir die gesamte Handlung vorzustellen, wenn Sachiko und Mariko gar nicht existieren. (Was nicht heißen soll, dass es nicht stimmen kann.)


    Was mir eher Gedanken macht, weil es sich nicht in die Theorie einfügen will, ist die Schwangerschaft Etsukos. Warum ist sie so unglücklich damit?

    Vielleicht, weil sie schon merkt, dass Jiro nicht der richtige Vater ist? (Und vielleicht der Mann, den sie im Krieg verloren hat, eher der Richtige gewesen wäre?)


    Ist Mariko die junge Keiko, und das Kind, das Etsuko erwartet - ist das Niki? Das Kind ihres Liebhabers? Dem sie dann in sein Heimatland folgt? Ist sie wegen der außerehelichen Schwangerschaft so unglücklich und muss sich zum Glauben an die Zukunft zwingen?

    Hm, gute Frage. Kommt das denn zeitlich hin? Keiko war, glaube ich, sieben Jahre alt, als Etsuko aus Japan wegging. Das käme ja hin. Allerdings war Nikis Vater ja britischer Journalist und nicht amerikanischer Soldat. Mit der Theorie, dass Etsuko und Sachiko eine Person sind, weiß man irgendwie nie, was man jetzt glauben soll, was eine Anspielung sein soll und was nicht.

  • Kapitel 8

    Rückblende. Der Besuch von Ogata bei Jiro und Etsuko. Ogata versucht immer wieder mit seinem Sohn Jiro ins Gespräch zu kommen. Ogata ahnt, das Jiro die Sache mit dem Zeitungsartikel unter den Tisch kehren möchte. Was solls? Ogata versucht es mit dem Schachspiel. Er erklärt Jiro, daß er noch drei Möglichkeiten hat, aus seiner Situation rauszukommen. Ich glaube, es sind auch Anspielungen auf Jiro. So durch die Blume gesagt. Jiro verhält sich wie ein Kind. Schmollt. Ist eingeschnappt und ignoriert seinen Vater. Als Ogata nicht locker lässt, flippt Jiro richtig aus und anstatt das Schachbrett zu treffen, wirft er die Teekanne um. Das Verhalten erinnert mich an Akira. :lol:


    Ogata und Etsuko kümmern sich umeinander. Die Azaleen. Da habe ich rausgehört, das Ogata gerne wollte, das Etsuko seinen Sohn heiratet. Bei der Sache mit der Teekanne habe ich so gedacht, daß Ogata sich für seinen Sohn bei Etsuko entschuldigt. Bereut er die arrangierte Verbindung Jiro mit Etsuko?


    Ogata und Etsuko gehen spazieren. Sie wollen Frau Fujiwara besuchen. Der Zeitungsartikel lässt Ogata nicht in Ruhe. Er lotst Etsuko zu Shigeo Matsuda. Ogata schickt Etsuko zum Nudelrestaurant von Frau Fujiwara. Lässt Ogata jetzt den alten Krieger raus? :lol:

  • Hm, gute Frage. Kommt das denn zeitlich hin? Keiko war, glaube ich, sieben Jahre alt, als Etsuko aus Japan wegging. Das käme ja hin. Allerdings war Nikis Vater ja britischer Journalist und nicht amerikanischer Soldat. Mit der Theorie, dass Etsuko und Sachiko eine Person sind, weiß man irgendwie nie, was man jetzt glauben soll, was eine Anspielung sein soll und was nicht.

    Etsuko erzählt ja ihrer Tochter Niki die Geschichte von einer Frau Sachiko. Was ist, wenn Etsuko die Geschichte von Sachiko alias Etsuko erzählt? Die Gespräche zwischen Etsuko und Sachiko könnten Selbstgespräche oder Gedanken sein? Um ihr Gesicht zu wahren, erzählt Etsuko ihrer Tochter Niki die Geschichte entfremdet.

  • Was ist, wenn Etsuko die Geschichte von Sachiko alias Etsuko erzählt? Die Gespräche zwischen Etsuko und Sachiko könnten Selbstgespräche oder Gedanken sein?

    Du würdest Dich also meinen Überlegungen anschließen?

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Was ist, wenn Etsuko die Geschichte von Sachiko alias Etsuko erzählt? Die Gespräche zwischen Etsuko und Sachiko könnten Selbstgespräche oder Gedanken sein?

    Du würdest Dich also meinen Überlegungen anschließen?

    Kann ich nicht so genau sagen. Ich könnte mir aber vorstellen, daß Etsuko ihrer Tochter Niki ihr Leben unter Pseudonym erzählt. Wenn es stimmt, dann wäre sie mit Niki zu der Zeit schwanger. Ich weiß allerdings nicht, was sie damit bezwecken will. Das Verhalten von Mariko/Keiko erklären?

  • Ich könnte mir aber vorstellen, daß Etsuko ihrer Tochter Niki ihr Leben unter Pseudonym erzählt. Wenn es stimmt, dann wäre sie mit Niki zu der Zeit schwanger. Ich weiß allerdings nicht, was sie damit bezwecken will.

    Damit wären wir auf einer Wellenlänge.

    Was sie damit bezwecken will?

    Ich denke, dass es der Selbstmord der Tochter Keiko ist, die die Erinnerungen hervorrufen. Mit der Schaffung ihres Alter Ego "Sachiko" versucht sie eine Klärung der Schuldfrage.

    Mit der Theorie, dass Etsuko und Sachiko eine Person sind, weiß man irgendwie nie, was man jetzt glauben soll, was eine Anspielung sein soll und was nicht.

    Damit hast Du das Problem auf den Punkt gebracht :) . Mein Lektüre-Eindruck besteht zunehmend aus Fragezeichen, das merke ich auch an meinen Beiträgen.


    Vielleicht ist es sinnvoller, die Frage erst nach Lektüre-Ende wieder aufzuwerfen?

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

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  • Kapitel 9 bis Ende

    Ogata spricht mit Shigeo über den Zeitungsartikel. Shigeo ist erst ein bißchen verlegen. Dann genervt und will Ogata loswerden. Ogata dagegen ist sehr ruhig. Man merkt aber auch, daß er mit der neuen Zeit nicht zurechtkommt.


    Sachiko bekommt Besuch von der Cousine ihres Mannes. Sie will mit Mariko weiterziehen. Das mit den Kätzchen fand ich fies.


    Das Etsuko und Sachiko eine Person sind, glaube ich nicht.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb: Sterne.

  • Zu Kapitel 8

    Ich glaube, es sind auch Anspielungen auf Jiro. So durch die Blume gesagt.

    Ich finde auch, dass das Gespräch sehr indirekt und sehr unangenehm ist.


    Etsuko schätzt ihren Mann nicht sehr: er sitze Probleme aus und gehe den Weg des geringsten Widerstandes, und dies ist ein Grund für sie gewesen, Nagasaki zu verlassen. Man fragt sich als Leser, was da los war?


    Auch Ogata verachtet seinen Sohn. Schrecklich, diese Vorhaltungen - vordergründig beziehen sie sich zwar auf das Schachspiel, aber in Wirklichkeit teilt er seinem Sohn in jedem Satz mit, dass er, Jiro, ein Versager und Schlappschwanz sei, weil er nicht auf ihn, seinen Vater, gehört habe.

    Und das am Abend vor einem karierremäßig wichtigen Tag :thumbdown: .


    Die japanischen Familienstrukturen sehen offenbar so aus, dass die Generationen unter einem Dach wohnen und der Vater/Großvater die gesamte Familie dominiert. Ogata hat sein Haus seinem Sohn überlassen, der aber hat sich eine eigene Wohnung genommen, um sich der Herrschaft des Vaters zu entziehen.

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

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    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Zu Kapitel 9


    Ogata betont, dass er die "wahren Werte" hochgehalten habe. Diese "wahren Werte" bestehen offensichtlich in Unterordnung, Kadavergehorsam, Ablehnung von demokratischen Strukturen in Familie, Gesellschaft, Staatswesen.

    Wir erfahren auch, dass er vor Denunziation nicht zurückgeschreckt ist und missliebige junge Kollegen brotlos gemacht und ins Gefängnis gebracht hat.


    Dieses ständige Lachen! Ist damit nur ein Lächeln gemeint, das sprichwörtliche asiatische höfliche Lächeln?


    Das Gespräch zwischen Vater und Sohn wegen Ogatas Abreise hat mir gefallen. Mit so wenigen Strichen entlarvt Ishiguro die Diskrepanz zwischen Schein und Sein!


    Am Ende des Kapitels scheinen sich einige Fäden zusammenzufügen. Wir werden an die Kindermorde erinnert, v. a. an das kleine erhängte Mädchen - und nun taucht ein amerikanischer Wagen auf, was Etsuko sehr beunruhigt. Sie vermutet wohl, dass Sachiko Mariko verlassen hat.

    Der Besuch der Frau scheint mir im Zusammenhang mit der Jungen Frau in der Straßenbahn zu stehen.

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

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  • Ich sehe, dass Ihr die Leserunde schon beendet habt.

    Dann danke ich Euch für Eure Gesellschaft! :winken:

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    Nur kurz, damit ich für mich die MLR auch nabschließen kann:

    Kapitel 10 und 11

    Sachiko bricht ihr Versprechen, die Katzen zu behalten und ertränkt sie im Beisein ihrer Tochter; eine Parallelhandlung zu der beobachteten Kindstötung am Fluss.


    Auf eine Stelle, sie ist für mich die Schlüsselstelle des Romans möchte ich kurz hinweisen.

    Die Sprecherin ist Etsuko.


    Zitat

    "Alles wird gut, das verspreche ich dir."

    Das Kind sagte nichts. Ich seufzte wieder.

    "Auf jeden Fall", fuhr ich fort, "wenn es dir dort nicht gefällt, können wir jederzeit zurückkommen."

    Diesmal sah sie fragend zu mir auf.

    "Ja, ich verspreche es", sagte ich. "Wenn es dir dort nicht gefällt, kommen wir zurück. Aber wir müssen es versuchen und müssen abwarten, ob es uns dort gefällt. Es gefällt uns ganz bestimmt." S. 198 f.

    Hier verschmelzen also Etsuko und Sachiko, und auch die Gefährdung Marikos/Keikos durch das Seil taucht wieder auf.


    Niki ist ebenfalls durch das Schicksal der Schwester traumatisiert (Kap. 11).


    Meine Sicht der Dinge:

    Etsuko will aus dem patriarchalisch strukturierten Leben in Japan ausbrechen. Sie nutzt dazu das brüchige Verhältnis mit einem Besatzungssoldaten und vernachlässigt ihre Tochter Keiko. Keiko steht ihrer "Selbstverwirklichung" im Weg, Etsuko geht soweit, an eine Tötung der Tochter zu denken. Sie bricht ihre Versprechen mehrfach, nicht nur mit der Tötung der geliebten Kätzchen, sondern sie bricht auch ihr Versprechen der Rückkehr in die Heimat, sollte es Keiko nicht gefallen. Damit trägt sie Schuld am Selbstmord der Tochter. Auch die jüngere Tochter zeigt sich traumatisiert, leidet unter bösen Träumen und lebt ihr eigenes Leben fern von der Mutter.

    Etsuko selber versucht ihre Schuld zu beherrschen, indem sie ihre Persönlichkeit aufspaltet.

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Ich sehe, dass Ihr die Leserunde schon beendet habt.

    Hm, eigentlich nicht. Ich habe noch einige Kapitel, zu denen ich noch nichts geschrieben habe. Ich war am Wochenende nur etwas beschäftigt. :pale: Ich schreibe gleich noch etwas zu den Kapiteln.

  • Kapitel 8 bis 11


    Die Beziehung zwischen Ogata-san und Jiro zeigt sich wieder wie üblich. Jiro wagt es nicht, ein klares Wort mit seinem Vater zu sprechen und ihm zum Beispiel zu sagen, dass ihn das Schachspiel nicht interessiert. Stattdessen ist er bockig und verhält sich wie ein kleines Kind. Aber auch Ogata-san ist nicht unbedingt diplomatisch und maßregelt seinen erwachsenen Sohn. Etsuko möchte sich eigentlich einmischen, hält sich dann aber wieder zurück. Interessant fand ich die Szene mit den Azaleen, an die sie sich nicht mehr erinnern kann. Da haben wir also auch noch ein Zeichen für Etsuko als unzuverlässige Erzählerin.


    Auch das Gespräch zwischen Shigeo und Ogata-san fand ich sehr bezeichnend, auch hier umkreist man sich erst mit Höflichkeitsfloskeln, Einladungen zum Tee etc., doch dann wird Ogata-san los, was er sagen wollte. Im Gegensatz zu Jiro ist Shigeo aber ich der Lage, zu seiner Meinung zu stehen - allerdings dürfte das auch bei einem Fremden einfacher sein, als beim eigenen Vater. Bei der Begegnung mit Frau Fujiwara wird hingegen deutlich, dass die beiden einer Generation angehören, einer Meinung sind und es keine Konflikte gibt. Zuhause gibt sich Jiro dann auch versöhnlich, das ist alles schon sehr japanisch, auch dass Ogata-san seinen Sohn nach außen hin immer sehr lobt, egal was zwischen beiden gerade vorgefallen war. Und Jiro tritt natürlich wieder nach unten und kommandiert Etsuko herum.


    Und am Ende des neunten Kapitels spricht Etsuko dann selbst von Erinnerungen und deren Unzuverlässigkeit, das finde ich auch eine Schlüsselstelle.


    Die Begegnung mit Sachikos Cousine zeigt, dass sie offensichtlich über den Grund für den Streit gelogen hat, auch sie ist sehr unzuverlässig. Und erneut hat sie ihre Pläne geändert und will mit Frank nach Kobe. Natürlich redet sie sich das wieder schön damit, dass Mariko es dort besser haben würde, als sei das der wahre Grund. Hier sehe ich auf jeden Fall eine Parallele zu Etsuko, die sich vermutlich auch eingeredet hat, Keiko hätte es in England besser. Und am Ende ertränkt Sachiko tatsächlich die Kätzchen und erneut taucht der Strick auf - was für ein Ausblick auf das Ende der Geschichte!


    Aus Etsukos Gespräch mit Niki erfahren wir noch, dass Nikis Vater sich wohl nicht genug um Keiko gekümmert hat, Etsuko tut das mit der Bemerkung ab, er sei ja auch nicht ihr Vater gewesen. Wow, was für eine kühle Reaktion! Kein Wunder, dass sie ihre Schuldgefühle kompensieren muss und auch für Niki war alles nicht leicht; sie hat Alpträume. Auf Seite 220 kommt für mich die Schlüsselstelle des Romans: Etsuko erzählt Niki von dem Ausflug auf den Berg und sagt, KEIKO(!) habe er damals sehr gut gefallen. Also war es Keiko, die dabei war, nicht Mariko - Etsuko verrät sich.

  • Als Ogata nicht locker lässt, flippt Jiro richtig aus und anstatt das Schachbrett zu treffen, wirft er die Teekanne um. Das Verhalten erinnert mich an Akira. :lol:

    Ja, allerdings - da fragt man sich, ob Jiro genauso erzogen wurde, wie ein kleiner Prinz. :roll:


    Da habe ich rausgehört, das Ogata gerne wollte, das Etsuko seinen Sohn heiratet.

    Ich weiß nicht, ob es unbedingt eine arrangierte Ehe ist, ich denke, es ergab sich eher so. Etsuko hat alles verloren, auch ihren damaligen Partner. Ogata-san hat sie aufgenommen und hatte eben einen Sohn. Vielleicht wollte Etsuko sich dankbar zeigen oder sich so an ihre neue Familie binden, da sie ja keine eigene mehr hatte.


    Die Gespräche zwischen Etsuko und Sachiko könnten Selbstgespräche oder Gedanken sein? Um ihr Gesicht zu wahren, erzählt Etsuko ihrer Tochter Niki die Geschichte entfremdet.

    Ja, das könnte sein. Ich glaube aber auch, dass Etsuko sich selbst gegenüber vieles nicht eingestehen kann und will, nicht nur nach außen.


    Wenn es stimmt, dann wäre sie mit Niki zu der Zeit schwanger. Ich weiß allerdings nicht, was sie damit bezwecken will. Das Verhalten von Mariko/Keiko erklären?

    Ich sehe es wie drawe , nämlich:

    Ich denke, dass es der Selbstmord der Tochter Keiko ist, die die Erinnerungen hervorrufen. Mit der Schaffung ihres Alter Ego "Sachiko" versucht sie eine Klärung der Schuldfrage.

    Etsuko hat definitiv Schuld auf sich geladen, wenn auch vielleicht aus den richtigen Gründen. Leider können wir gar nicht so genau sagen, was sie nun genau getan hat oder eben auch nicht. Das ist zwar auf der einen Seite das Interessante am Roman, auf der anderen Seite aber auch das Frustrierende. Man muss ja nicht alles auflösen, aber ein paar Hinweise mehr hätte ich doch gerne gehabt, es bleibt ja eigentlich fast alles offen.


    Das Etsuko und Sachiko eine Person sind, glaube ich nicht.

    Ich bin mir unsicher. Ich finde auf jeden Fall, dass wir keine klaren Hinweise im Text haben, dass es Sachiko und Mariko nicht gegeben hat. Wofür wir aber Hinweise haben, ist, dass Etsuko definitiv unzuverlässig ist und sie Teile ihrer eigenen Geschichte als Sachikos ausgibt, zum Beispiel, was den Ausflug betrifft. Meine Theorie wäre also eher, dass es Sachiko und Mariko sehr wohl gab, dass aber Etsukos Erinnerungen und Erlebnisse mit denen der beiden verschwimmen und wir nun nicht mehr wissen, was wem passiert ist.


    Man fragt sich als Leser, was da los war?

    Ja, das fragt man sich eigentlich die ganze Zeit. :pale:


    Dieses ständige Lachen! Ist damit nur ein Lächeln gemeint, das sprichwörtliche asiatische höfliche Lächeln?

    Ich denke, das ist das klassisch japanische Lächeln und das Gesicht wahren, sich aber eigentlich ganz anders fühlen.


    Abschließend gebe ich vier Sterne. Ishiguro hat ja sehr viele Fans und als Mensch finde ich ihn auch unglaublich sympathisch und interessant. Bei seinen Büchern fehlt mir jedoch immer irgendetwas, da habe ich noch keine fünf Sterne vergeben.


    Hättet ihr vielleicht Lust, bei Gelegenheit noch ein Werk von ihm zu lesen? ich würde letztendlich gerne alle seine Roman lesen, bisher kenne ich nur noch "Alles, was wir geben mussten" und "Klara und die Sonne". Sehr reizen würde mich zum Beispiel "Was vom Tage übrig blieb".

  • Hallo,


    da Ihr das Buch beendet habt, kann ich Euch jetzt die besagte Stelle gleich am Anfang des Romans nennen, die ich beim ersten Mal überlesen hatte, übrigens genau wie Ihr, obwohl Naraya sie kurz erwähnt hat. Im Taschenbuch ist sie auf S. 12, unmittelbar bevor Etsuko Sachiko von der Prügelei erzählt, in die Mariko verwickelt war. Etsuko hört an der Straßenbahnhaltestelle ein Gespräch zweier Frauen mit an, die sich über die Fremde aus Tokio, also Sachiko, und ihr unfreundliches Benehmen unterhalten. Wenn Ihr diesen und den nächsten Absatz lest, wisst Ihr, was ich meine.

    :study: Willa Cather - Meine Antonia

    :study: Wolfgang Herrndorf - Tschick

    :study: Reiner Stach - Kafka. Die Jahre der Entscheidungen

    :study: James Wood - Die Kunst des Erzählens















  • Hm, eigentlich nicht. Ich habe noch einige Kapitel, zu denen ich noch nichts geschrieben habe.

    Ja schön, ich freue mich auf Deine Anmerkungen!


    Ich hatte gesehen, dass Ihr schon eine Bewertung abgegeben habt, deswegen dachte ich, dass Ihr die Leserunde beendet hättet. War ein Missverständnis.

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Wenn Ihr diesen und den nächsten Absatz lest, wisst Ihr, was ich meine.

    Hm, magst Du das noch näher ausführen? Ich lese da jetzt nichts, was zu einem Aha-Effekt führen würde. :uups: