Yusuf Yeşilöz - Nelkenblatt

  • Nach einer Herzoperation braucht Seniorin Elsa eine Rundumbetreuung und so kommt Pina als ihre Pflegerin ins Haus. Die ist eigentlich Studentin und musste aus politischen Gründen aus ihrem Heimatland fliehen. Elsas Tochter Luzia gängelt die alte Frau geradezu und Pina soll all ihre Regeln durchsetzen. Dennoch verstehen die beiden Frauen sich von Beginn an gut und erzählen sich gegenseitig aus ihrem Leben.

    Für mich ist „Nelkenblatt“ das erste Buch des kurdisch-schweizerischen Autors Yusuf Yeşilöz; umso trauriger, dass es mich leider nicht überzeugen konnte. Mit Pina und Elsa stehen sich zwei Frauen an unterschiedlichen Ausgangspunkten gegenüber, die junge Pflegerin steht am Anfang ihres neuen Lebens in der Schweiz, die Seniorin am Ende ihres Lebens – mit dem Tod hat Elsa sich bereits abgefunden, was für Pina und Luzia oft schwer zu ertragen ist. Selbstbestimmtes Sterben, das ist nur eines der Themen im Roman.

    Die Gespräche zwischen Pina und Elsa nehmen großen Raum im Text ein, wirken aber ungemein gekünstelt und literarisiert, so dass ich mir unweigerlich dachte: „Wer spricht so?“ Mir ist durchaus bewusst, was erreicht werden sollte, aber wenn zwei Frauen beim ersten Kennenlernen darüber sprechen, ob „Granatapfelbäume lachen können“ oder Pinas Vater „weich wie Baumwolle“ war, wenn er Lust auf ihre Mutter verspürte, dann ist das doch etwas absurd und gewollt philosophisch.

    Offen bleibt für mich – und das erschwert mir auch den Zugang zu den Protagonistinnen – wer diese beiden Frauen eigentlich sind. Sie scheinen sich nur über die Beziehung zu anderen zu definieren: zu ihren Liebhabern oder dem Ehemann, zur ihrer Familie, den Kindern und Enkelkindern. Aber wer war Elsa? Was hat sie ausgemacht? Über sie erfahren wir kaum etwas und auch Pinas Emigration scheint mehr schmückendes Beiwerk zu sein. Sie war immerhin nach Studentenprotesten vier Monate im Gefängnis, aber kein Wort davon? Dann sind da noch Andeutungen zu Feminismus, dem Pflegenotstand, zur Sexualität einer Figur, aber nichts davon wird ausgeschöpft – sehr schade! :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Pina wird zur Pflegerin von Elsa, ohne Erfahrung oder Ausbildung widmet sich die Studentin dieser Aufgabe. Im Grunde begleitet sie Elsa beim Sterben, Elsas Tochter hat sie eingestellt weil sie selber in ihrem Beruf sehr beansprucht wird, gleichzeitig gibt sie aber ständig Anweisungen wie z.B.: der Tagesablauf aus zu sehen hat.

    Ich habe wenig über die beiden Frauen erfahren. Pina ist aus ihrem Heimatland geflohen weil sie an Studentenunruhen teilgenommen hat. Nach dem wenigen was der Autor über sie erzählt: der Vater besitzt eine Granatapfelplantage; an der Universität soll es separate Eingänge für Frauen und Männer geben; ein Religionsgelehrter kommt in ihr Dorf und richtet im Gästehaus ihrer Mutter einen Gebetsraum ein; lässt mich vermuten das es um ein Land wie den Iran handelt. Genauso wenig erzählt er über Elsa. Sie war Lehrerin, ihr Mann war Ingenieur der weltweit im Einsatz war. Solange die Kinder jünger waren hat die Familie ihn begleitet. Als sie sesshaft werden mussten geriet die Ehe in Schwierigkeiten.

    Das sind alles Informationen die ich mir zusammen gereimt habe. Sie stehen bruchstückhaft zwischen Aufstehen, waschen, essen und schlafen gehen.

    Es ist ein stilles Buch, auf wenigen Seiten und noch weniger Ereignissen werden einige Monate des Zusammenlebens erzählt.

    Es hat mich berührt, die Gedanken an den Tod eines geliebten Menschen, an das Abschiednehmen oder es nicht zu können. Das bewusste Empfinden des Sterbens bei allen Beteiligten.

    Ohne Pathos, ohne große Gefühle hat der Autor mich persönlich angesprochen mit einem Thema mit dem sich jeder nicht so gern auseinander setzt.

    Als Leser war ich nie allein mit meinen Gedanken die beiden Frauen waren still und leise bei mir.

  • Es tut dem Herzen gut


    Elsa und Pina stehen beide am Wendepunkt ihres Lebens. Die betagte Elsa hat gerade eine Herzoperation hinter sich, die Ärzte geben ihr nicht mehr viel Zeit, sie will aber nicht in ein Pflegeheim. Deswegen übernimmt jetzt Pina ihre Rundumbetreuung und zieht in Elsas Haus ein.


    Pina wurde von Luzia, Elsas Tochter, als die Betreuerin für ihre Mutter ausgesucht. Elsa ist sofort von der jungen Migrantin angetan, als diese auf ihre Frage: „Weiß Pina, wie zerbrechlich Nelkenblätter sind?“ – antwortet: „So zerbrechlich wie ein Herz.“ (Seite 8)


    Elsa weiß, dass sie am Ende ihres Lebensweges steht und will diese Zeit sinnvoll und so angenehm wie möglich nutzen. Sie viel mehr über Pina und ihre Familie erfahren. Sie will wissen, warum Pina ihre Heimat verlassen hat, und ob Pina bereits geliebt hat oder jetzt jemanden liebt. Auch Pina interessiert sich für Elsas Lebensgeschichte, ihre Familie, ihre Liebesbeziehungen und stellt viele Fragen. Die beiden Frauen vertrauen ihren Erinnerungen und Gedanken einander an und kommen sich sehr nah.


    Der „Nelkenblatt“ von Yusuf Yeşilöz ist ein kurzer aber sehr intensiver Roman. Der letzte Weg einer todkranken Frau und der Neuanfang in der Fremde wurden hier lebhaft thematisiert. In den Gesprächen der Frauen wurden ihre tiefsten Gedanken und Gefühle offenbart, die sonst keiner von ihren Angehörigen kennt.


    Elsas Entscheidung, die ihr verbliebene Zeit in der gewöhnten Umgebung und mit ihren Vertrauten zu verbringen, ist verständlich und überzeugend. Die offenen Gespräche mit Pina geben ihr Kraft und Ruhe, tun ihrem kranken Herzen gut.


    Auch Pina, die um ihre verstorbene Mutter trauert, schöpft Kraft aus dieser Begegnung. Die Gespräche mit Elsa erleichtern ihr die Verarbeitung ihrer schmerzhaften Erlebnisse.


    Sehr behutsam geht Yusuf Yeşilöz mit der Geschichte von Elsa und Pina um. Seine Erzählung ist ruhig und umsichtig, die Atmosphäre des nahliegenden Abschieds und anstehenden Veränderungen greifbar nah.


    Die Geschichte hat mich berührt und nachdenklich gemacht. Sie wird noch lange in meiner Erinnerung bleiben.


    Das Buch bekommt von mir 4 Sterne und eine klare Leseempfehlung.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Die Gespräche zwischen Pina und Elsa nehmen großen Raum im Text ein, wirken aber ungemein gekünstelt und literarisiert, so dass ich mir unweigerlich dachte: „Wer spricht so?“


    Offen bleibt für mich – und das erschwert mir auch den Zugang zu den Protagonistinnen – wer diese beiden Frauen eigentlich sind.

  • Die Gespräche zwischen Pina und Elsa nehmen großen Raum im Text ein, wirken aber ungemein gekünstelt und literarisiert, so dass ich mir unweigerlich dachte: „Wer spricht so?“


    Offen bleibt für mich – und das erschwert mir auch den Zugang zu den Protagonistinnen – wer diese beiden Frauen eigentlich sind.

    Ich sehe es ein bisschen anders. Elsa ist eine pensionierte Lehrerin; bei ihr wundert mich ihre gehobene Sprache nicht. Sie will auch nicht alle Details aus ihrem Leben preisgeben, was für mich auch verständlich ist. Schließlich bleibt ihr nicht mehr viel Zeit...

    Pina hat in ihrer Heimat Kulturanthropologie studiert. Sie genoss eine einzigartige Erziehung und auch in Deutschland will sie studieren.

    Ich habe ziemlich viel über die beiden Frauen aus diesem kurzen Buch erfahren. Natürlich hätte ich gerne noch mehr über sie gewusst, aber auch mit dem Wissen waren mir die beiden Frauen nicht fremd.

  • Ich sehe es ein bisschen anders. Elsa ist eine pensionierte Lehrerin; bei ihr wundert mich ihre gehobene Sprache nicht. Sie will auch nicht alle Details aus ihrem Leben preisgeben, was für mich auch verständlich ist. Schließlich bleibt ihr nicht mehr viel Zeit...

    Pina hat in ihrer Heimat Kulturanthropologie studiert. Sie genoss eine einzigartige Erziehung und auch in Deutschland will sie studieren.

    Naja, ich habe auch Germanistik studiert, aber spreche nicht so. Ein privates Gespräch zwischen zwei Personen ist doch noch etwas anderes - für mich ist der Dialog ganz klar literarisiert. Ich lerne doch nicht gerade meine neue Pflegerin kennen und diskutiere mit der erstmal, ob Granatapfelbäume lachen können und meinen Vater beim Sex. (Zumindest würde ich das nicht tun.)