Kurt Vonnegut Jr. - Frühstück für starke Männer oder: Goodbye Blauer Montag / Breakfast of Champions, or: Goodbye Blue Monday

  • Der Autor (Quelle: Goldmann): Kurt Vonnegut wurde 1922 in Indianapolis geboren und studierte Biochemie und Anthropologie. Seit 1960 war er als freier Schriftsteller tätig. Weltruhm erlangte er mit seinem Antikriegsroman „Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug“ (1969). Vonneguts Werke sind durch eine „respektlose Haltung gegenüber Systemzwängen, Antimilitarismus und durch die unermüdliche Forderung nach humanitärem Verhalten gekennzeichnet.“ (Lexikon der Weltliteratur). Er starb 2007 in New York.


    Klappentext (Quelle: Goldmann): Liebevoll mit herrlich naiven Zeichnungen des Autors illustriert, erzählt „Frühstück für starke Männer“ die tragische Geschichte des Automobilhändlers Dwayne Hoover, dem die Lektüre eines Science-Fiction-Romans zum Verhängnis gereicht. Hoover, dessen Psyche ohnehin bereits mehr als labil ist, hat nach der Begegnung mit diesem Roman endgültig einen Schlag weg: Alle Menschen, so glaubt er, seien lediglich roboterhafte Attrappen, und nur er allein sei das einzig wahrhaft menschliche Wesen auf Erden. Völlig erschüttert durch die Vorstellung einer erschreckend mechanisierten und entseelten Welt, beginnt Hoover einen Amoklauf, der ihn schließlich ruiniert.


    Englische, schwedische, deutsche, französische und italienische Ausgaben:

    • Die amerikanische Originalausgabe erschien 1973 als „Breakfast of Champions, or: Goodbye Blue Monday“ mit 121 Zeichnungen des Autors bei Delacorte Press/Seymour Lawrence in New York (303 Seiten) und bei Jonathan Cape in London (295 Seiten), wiederaufgelegt u.a. 1999, 2006 und 2011 bei Delta Trade Paperbacks in New York (302 Seiten) und 2019 bei Vintage in London (295 Seiten).
    • Die schwedische Übersetzung stammt von Olov Johason. Sie erschien 1973 als „Morgonmål för mästare eller Farväl blå måndag“ bei Norstedt & Söners in Stockholm (239 Seiten).
    • Die deutsche Übersetzung stammt von Kurt Heinrich Hansen. Sie erschien 1974 als „Frühstück für starke Männer oder: Goodbye Blauer Montag“ bei Hoffmann und Campe in Hamburg (301 Seiten), wiederaufgelegt 1977 (und erneut 1979, 1981, 1984 und 1987) als rororo-Taschenbuch Nr. 4047 bei Rowohlt in Reinbek bei Hamburg (204 Seiten). Im Juni 1989 erschien die Hansen-Übersetzung als Goldmann-Taschenbuch Nr. 9394 im Wilhelm Goldmann Verlag in München (299 Seiten), anlässlich der Verfilmung 1999 ebendort als Goldmann-Taschenbuch Nr. 44516 neu aufgelegt unter dem Originaltitel „Breakfast of Champions“ (301 Seiten).
    • Die erste französische Übersetzung stammt von Guy Durand. Sie erschien 1974 unter dem Titel „Le breakfast du champion“ als Nr. 660 in der Reihe „J'ai lu science-fiction et fantastique“ im Verlag Éditions du Seuil in Paris (344 Seiten), wiederaufgelegt u.a. 1976 und 1999 bei J'AI LU in Paris.
    • Die zweite französische Übersetzung stammt von Gwilym Tonnerre. Sie erschien im April 2014 als „Le petit déjeuner des champions“ als Nr. 39 in der Reihe "Totem" bei Gallmeister in Paris (256 Seiten), wiederaufgelegt u.a. 2019 ebenda.
    • Die erste italienische Übersetzung stammt von Attilio Veraldi. Sie erschien 1974 als „La colazione dei campioni“ bei Rizzoli in Mailand (272 Seiten), wiederaufgelegt u.a. 2005 in der Reihe „I Narratori“ bei Feltrinelli in Mailand (276 Seiten).
    • Die zweite italienische Übersetzung stammt von Vincenzo Mantovani und Andrea Asioli. Sie erschien 2020 in der Reihe „Classici Contemporanei“ bei Bompiani in Mailand (304 Seiten).

    Verfilmung:
    1998 verfilmte Alan Rudolph den Roman nach seinem Drehbuch mit Bruce Willis als Dwayne Hoover und Albert Finney als Kilgore Trout, sowie u.a. mit Nick Nolte, Barbara Hershey, Omar Epps, Glenne Headly und Lukas Haas. In Deutschland kam der Film im Februar 1999 unter dem Titel „Breakfast of Champions – Frühstück für Helden“ in die Kinos.


    Meine Einschätzung:
    Was für ein spielerischer Roman! Er tanzt vergnügt durch verschiedene Metaebenen, um sich mit dem freien Willen des Menschen - aufgehängt irgendwo zwischen Schöpfer und Schöpfung - und mit mangelhafter Kommunikation zu beschäftigen. Auch das Zusammenleben von Weißen und Schwarzen in Amerika ist häufig Thema, sowie die Schriftstellerei, das Literaturgeschäft, die moderne Kunst, Wahnsinn, Selbstmord und selbstverständlich der Gegensatz von Arm und Reich.

    Die Reichen mit ihrem nicht vorhandenen Geschmack und mit mangelhaftem sozialem Bewusstsein sind für die Zerstörung der Umwelt verantwortlich, verschandeln die Natur auf der Jagd nach Bodenschätzen, um sie in Wärme und Geld zu verwandeln. Sie erhitzen die Erde mit ihrer Kriegstreiberei bis zum Weltuntergang (und so oft wie der Erzähler zwischendurch die Bedeutung alltäglicher Gegenstände erklärt und mit Illustrationen bebildert, könnte von seiner Warte aus gesehen der Weltuntergang bereits Geschichte sein). Das amerikanische Leben auf einem sterbenden Planeten!


    Vonnegut macht tatsächlich ernst mit der Aussage, die er sich selbst in dem Roman sagen lässt, als Erzähler, als mitspielender Schöpfer der Figuren, als sein Alter Ego Philboyd Studge (wie er sich im Vorwort nennt): Er hat aufgehört Geschichten zu erzählen, sondern will vom Leben erzählen. Der Roman erzählt keine Geschichte. Er kündigt mehrmals an, dass das Buch in der Begegnung der zwei Protagonisten Dwayne Hoover und Kilgore Trout kulminieren wird. Der Roman illustriert Ausschnitte auf dem Weg hin zu dieser Begegnung: Wie Dwayne Hoover immer desorientierter wird, was im Grunde an den Bad Chemicals in seinem Gehirn liegt, an dem, was uns alle verrückt macht – schlechte Vibes, alles, was in unserer Gesellschaft im Argen liegt. Wie Kilgore Trout sich per Anhalter auf den Weg nach Midland City macht, wo er, ein Schriftsteller ohne Reputation, als Ehrengast ein Festival der Schönen Künste besuchen soll, und hofft, unterwegs möglichst stark zu verlottern.


    Der Roman spießt während seines Vergehens etliche Dreckecken der Gesellschaft auf, die die falschen Dinge für bedeutsam hält, die Technik und Fortschritt in den Himmel hebt, von Profitgier verblödet ist, aber untereinander zu keinem humanen Umgang findet, die auf Mechanisierung setzt, damit die Drecksjobs, die eigentlich keiner mehr machen will (was war die Zeit der Sklaverei doch für ein Segen!), überhaupt noch erledigt werden, die im Grunde aufgehört hat, von der Kunst noch Anregungen und Freude für das menschliche Dasein auf diesem Planeten zu beziehen: Die Welt ist ein wirkliches Jammertal, das Vonnegut mit sarkastischem Witz ausleuchtet, bis alle Versäumnisse und Schandtaten auch ein wenig zu schmerzen beginnen. Doch trotz des Wissens um all diesen Wahnsinn behält sich Vonnegut immer ein Flämmchen Hoffnung am Lodern, das das Weiterleben lohnt: Die Begegnung zweier Menschen ist in der Lage, Gutes zu erschaffen, selbst wenn dabei einige Passanten so schwer verletzt werden, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen. :wink: Die Begegnung führt zu einer Explosion des Schwachsinns, wenn Dwayne Hoover die fiktionale Ansprache eines Science-Fiction-Romans völlig verkennt, und – sich selbst angesprochen wähnend – als einziges menschliches Versuchstier mit freiem Willen in einem Experiment Gottes betrachtet, umgeben von Robotern und Maschinen. Dieser Erkenntnisblitz kann ihm natürlich daher so logisch vorkommen, weil seine Mitmenschen tatsächlich freiwillig zu Robotern degeneriert erscheinen, die zu allem einvernehmlich nicken und ihre gesellschaftlichen Aufgaben brav erledigen. Dwaynes schwachsinnige Reaktion ist ein gewalttätiger Amoklauf gegen die Maschinenmenschen.


    Der Roman zeigt, dass in Schwachsinn eine Stärke liegt. Auch wenn die Folgen zunächst einmal bedenklich sind - Stoff zum weiteren Abnicken als unglaubliche Schlagzeile. Wenn der Roman nicht obendrein seine eigene Gemachtheit immer wieder betonen würde, mit der als Figur im Roman auftauchenden Autor, der den Haupt- und Nebenfiguren bei Bedarf Fähigkeiten zu- und wieder abspricht, könnte man jetzt schon nach Hause gehen. Aber der "freie Wille des Menschen" wird so zusätzlich auf eine weitere Ebene gehoben: Das Gefühl, nur eine Figur in der Erzählung eines anderen zu sein, der Mensch als Traum eines Gottes. Alles, was in der Logik der wahnsinnigen Hauptfigur Dwayne Hoover nach Nonsense klingt, wird durch diesen erzählerischen Kniff als sinnvoll-mögliche Erklärung präsentiert: Eine jede Ordnung zerstörende Willkür, die tatsächlich alle Figuren nur als willenlose Schöpfung zeigen, die ein sich über den Wahnsinn überlegen fühlen unmöglich macht: Romanfiguren! Und wenn sich echte Menschen wie Romanfiguren verhalten, geht alles in die Binsen!


    Ohne Geschichte gibt es auch keine Abschweifung mehr, was aber auch alle Handlungselemente gleich wichtig erscheinen lässt. Jede Nebenfigur ist wichtig, weil sie Teil eines Lebens ist, nicht nur Hintergrundrauschen für die Geschichte eines anderen. Das macht den Roman für viele Leser zu ungreifbar, als würde er von einem Mittelpunkt in die Unendlichkeit zerfasern. Aber wenn man beim Lesen nicht vergisst, dass hier die Form tatsächlich Träger „der Bedeutung“ des Romans ist, bleibt man nicht so allein gelassen im Raum stehen, nach einer Erklärung und einem Sinnspruch suchend. Der Mensch soll Augen, Ohren und Gewissen des Schöpfers des Universums sein, und sich dessen bewusst sein, dass er jeweils der letzte einer Ahnenreihe ist, und durch seine Augen gewissermaßen alle seine Vorfahren auf unsere gegenwärtige Welt blicken. So ist man weniger allein und wird einige schwachsinnigen Auswüchse der Gesellschaft nicht mehr so leicht übergehen können, wenn man sie durch die Augen eines anderen sieht. :thumleft:


    Eine sehr abgedrehte Gesellschaftssatire mit hochgradig seltsamer Erzählerinstanz, postmodern, metatextuell, schwarzer Humor und ins Schwarze treffender Sarkasmus, randvoll mit zitierwürdigen Stellen, wenn auch unter starker Verwendung des N-Wortes, ein exzentrischen Chaos von Roman, dem sich sehr leicht folgen lässt, wenn man schlichtweg nichts erwartet. Der Roman erinnert einen daran, dass man sich am besten den Forderungen anpasst, die das Chaos des modernen Lebens an einen stellt. :flower:

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  • Die amerikanische Originalausgabe erschien 1973 als „Breakfast of Champions, or: Goodbye Blue Monday“ mit 121 Zeichnungen des Autors bei Delacorte Press/Seymour Lawrence in New York (303 Seiten) und bei Jonathan Cape in London (295 Seiten), wiederaufgelegt u.a. 1999, 2006 und 2011 bei Delta Trade Paperbacks in New York (302 Seiten).

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  • 2019 erschien bei Vintage in London eine englische E-Book-Ausgabe von "Breakfast of Champions, or: Goodbye Blue Monday" (295 Seiten).

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  • Die französische Neuübersetzung stammt von Gwilym Tonnerre. Sie erschien im April 2014 als „Le petit déjeuner des champions“ als Nr. 39 in der Reihe "Totem" bei Gallmeister in Paris (256 Seiten), wiederaufgelegt u.a. 2019 ebendort.

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  • Die italienische Neuübersetzung stammt von Vincenzo Mantovani und Andrea Asioli. Sie erschien 2020 unter dem alten Titel "La colazione dei campioni", herausgegeben von Vincenzo Mantovani, in der Reihe „Classici Contemporanei“ bei Bompiani in Mailand (304 Seiten).

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