Steffen Kopetzky – Monschau

  • Kurzmeinung

    Abroxas
    Zarte Liebesgeschichte ohne Überraschungen, geschickt vor zeitgeschichtlichem Hintergrund inszeniert.
  • Kurzmeinung

    Jona
    Ernste Themen in Romanform gebracht, so schön geschrieben, dass ich es richtig gern gelesen hab.
  • Klappentext/Verlagstext
    m Jahr 1962, als das nukleare Wettrüsten seinen Höhepunkt erreicht, als in Algier und Paris Bomben explodieren, bricht im Wirtschaftswunder-Deutschland der junge Mediziner Nikolaos Spyridakis in die Eifel auf. Es ist eine heikle Mission: Im Kreis Monschau sind die Pocken ausgebrochen, hochansteckend und lebensgefährlich. Mitten im Karneval droht nun Stillstand, Quarantäne. Der Rither-Chef will die Fabrik um jeden Preis offen halten, keine zwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist man weltweit gut im Geschäft. Ganz andere Pläne hegt Vera Rither: Die Alleinerbin studiert in Paris, bewundert Simone de Beauvoir und trägt den Geist der Avantgarde nach Monschau. Dort begegnet sie Nikolaos, der als Betriebsarzt durch die tiefverschneite Eifel zur Patientenvisite gefahren wird, vor Ansteckung geschützt durch einen Stahlarbeiteranzug. So unterschiedlich die beiden auch sind, der kretische Arzt, der als Kind die Gräuel der deutschen Besatzung miterlebt hat, und die schwerreiche Vollwaise: Sie entdecken schnell, dass sie mehr verbindet als ihre Liebe zu Miles Davis. Doch die Krankheitsfälle häufen sich, und das Virus nimmt sich, was es kriegen kann. Steffen Kopetzky erzählt von einer Liebe im Ausnahmezustand und von der jungen, vom rasanten Wirtschaftswachstum geprägten Bundesrepublik – und verwandelt die wahren Begebenheiten eines kaum bekannten Kapitels deutscher Geschichte in packende Literatur.


    Der Autor
    Steffen Kopetzky, geboren 1971, ist Autor von Romanen, Erzählungen, Hörspielen und Theaterstücken. Sein Roman «Risiko» (2015) stand monatelang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste und war für den Deutschen Buchpreis nominiert, der «Spiegel»-Bestseller «Propaganda» (2019) für den Bayerischen Buchpreis. Von 2002 bis 2008 war Kopetzky künstlerischer Leiter der Theater-Biennale Bonn. Er lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt Pfaffenhofen an der Ilm.


    Der Sprecher
    Johann von Bülow beeindruckt als ausdrucksstarker, charismatischer Schauspieler in Filmen wie "Frantz" von François Ozon, "Der Geschmack von Apfelkernen" von Vivian Naefe oder "Winterreise" von Hans Steinbichler. Als Hörbuchsprecher versteht er es, Geschichten so mitreißend wie klug und feinfühlig zu interpretieren.


    Inhalt
    1962 infiziert der Facharbeiter einer Monschauer Firma nach einem Auslandseinsatz in Indien seine kleine Tochter mit Pocken. Obwohl die Firma "Rither" einen Vertrag mit dem Tropeninstitut hat und von der Montage ihrer Schmelzöfen aus dem Ausland heimkehrende Arbeiter routinemäßig untersuchen lässt, wirkt das Gesundheitssystem jener Zeit mit dem Fall überfordert. Das kleine Mädchen wird nicht die einzige Erkrankte bleiben. Wie genau die Ansteckung verläuft, scheint den behandelnden Medizinern unklar. Aus Düsseldorf wird der Dermatologie-Professor Stüttgen in die Eifel entsandt, um Behandlung und Quarantäne zu organisieren. Sein Assistent, ein Promotionsstudent aus Kreta, wird sich direkt um Patienten und Isolierte kümmern – in einem Sicherheitsanzug für Hochofenarbeiter. Nikolaos Spyridakis kann das Gehalt gut gebrauchen, der Professor, bei dem er promovieren wollte, ist wenig begeistert. Andere Ärzte hatten abgewinkt, außer Nikos will sich niemand dem Ansteckungsrisiko aussetzen. Der Konflikt zwischen Politik, Wirtschaft, deutscher Bürokratie und den Schicksalen Betroffener bricht augenblicklich aus.


    Die Firma Rither ist darüber hinaus mit einem klassischen Übernahmekonflikt konfrontiert. Die einzige Firmenerbin Vera Rither hat nach dem Tod ihrer Eltern kein Interesse am Unternehmen, studiert Journalismus und will den Betrieb in eine Stiftung überführen zugunsten der TU Aachen. Mit Vera, Nikos, Professor Stüttgen und Richard Seuss, dem angestellten Fabrikdirektor und Vormund Veras, stehen sich zwei Generationen gegenüber. Die älteren Männer sind kurz nach dem Ersten Weltkrieg geboren, waren Kriegsteilnehmer des Zweiten Weltkriegs, Nikos hat als Kind die deutsche Besetzung Kretas miterlebt, Vera ist gegen Ende des Kriegs geboren und sich vermutlich nicht bewusst, wie stark ihre Generation noch durch Kriegs- und Nachkriegszeit geprägt ist. Ihre Beschäftigung mit hehrer Kulturwissenschaft könnte als Mittel ihrer Generation interpretiert werden, sich von der Elterngeneration abzugrenzen. Als Waise, die finanziell unabhängig lebt und sich nicht mit direkten Familienangehörigen und deren Werten auseinandersetzen muss, ist Vera aus meiner Sicht eine eher flache Figur, weit entfernt von alltäglichen Problemen ihrer Generation. Die Vergangenheit der alten Herren ruht noch längst nicht und wird neben der offenbar unvermeidlichen Liebesgeschichte Vera/Nikos den Großteil des Romans ausmachen.


    Der Einstieg in den Ausbruch der Pocken 1962 war für mich hochinteressant, weil ich anders als über weitere Details aus den 60ern, darüber bisher nichts wusste. Den Alltag in einer Siedlung, in der nahezu jeder beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt ist und alle gleichermaßen vom wirtschaftlichen Überleben ihrer Firma abhängig sind, fand ich zeittypisch und treffend dargestellt. Leider verliert sich der Roman danach ausschweifend in Exkursen, die ich für die Atmosphäre der 60er weniger relevant finde. Nachdem mein Interesse am Inhalt abnahm, empfand ich Kopetzkys Stil pathetischer, verschnörkelter, verschwurbelter, als sollte Pathos fehlende Atmosphäre ersetzen.


    Die Konzentration auf die gebildete - männliche - Elite, die im Nationalsozialismus im Offiziersrang „diente“, unter Vernachlässigung der Frauen und derer, die im Betrieb und an der Front den Kopf hinhalten, tut Romanen selten gut. Frauen sind hier Fräuleins, Haushälterinnen, Ehefrauen mit Schürze, farblose, dienende Geschöpfe, was natürlich vorkam, aber das Jahrzehnt nicht repräsentierte. Wie bereits gesagt, finde ich Vera für ihre Generation zu glatt und zu autark, um mich als Figur zu interessieren.


    Fazit
    „Monschau“ gibt in Teilen Einblick in die Zeit des Wirtschaftwunders und kann eine Ahnung vermitteln, wie stark die Generation noch die 60er Jahre prägte, die zuvor den Zweiten Weltkrieg geführt hatte. Ob beim Aufeinandertreffen zweier Generationen zwangsläufig die Oberschicht der Mächtigen, Wohlhabenden und Halbgötter in Weiß dominieren muss, Frauen und die Menschen jedoch blasser bleiben, die Kopf und Gesundheit für die „besseren Leute“ hinhalten, wäre zu diskutieren.


    zum Hörbuch
    Gesprochen wird das Hörbuch von Johann von Bülow, mit klarer, sonorer Stimme, in angenehm flottem Tempo. Der Sprecher deutet neben dem Eifeler Platt weitere Mundarten an; die weiteren Dialekte wären meiner Ansicht nach nicht nötig gewesen; denn die Wiedererkennung der Figuren sollte auch im Hörbuch durch ihre persönliche „Stimme“ möglich sein, ohne den lokalen Sound tatsächlich zu hören. Auch wenn für ein Hörbuch sehr viele Figuren zu Wort kommen, kann ich die Hörbuch-Version empfehlen.


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow