Tania Witte - Marilu

  • Genial erzählt: ein eng verstricktes Geflecht aus Fragen, Antworten und neuen Fragen



    Klappentext


    „Eine tödliche Deadline, ein Wettlauf der Emotionen und eine riesige Liebeserklärung an das Leben.



    „Wenn ich ES jemals tue, geb ich dir die Kette zurück, Elli“, hatte Marilu geschworen.



    Zwei Jahre später freut sich Elli auf ihren Schulabschluss und hat sowohl Marilu als auch den Schwur vergessen. Doch dann findet sie die Kette in der Post. Der beiliegende Brief ist ein Hilferuf - und der Startschuss zu einem fiebrigen Roadtrip. Die Spur, die Marilu gelegt hat, bringt Elli und Marilus Bruder Lasse an ihre Grenzen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt und allen wird klar: Marilu testet das Leben. Und Elli muss dafür sorgen, dass das Leben diesen Test besteht.“



    Gestaltung


    Passend dazu, dass es sich bei dem Buch um einen Roadtrip handelt, ziert das Cover eine Straße, die eine Rechtskurve macht. Die Umgebung auf Höhe der Straße verwischt sich dabei zu bunten Farben und verschwommenen Flecken, sodass nicht klar erkennbar ist, wo man sich befindet. Nur der hellblaue Himmel mit der dicken, düsteren Wolke ist klar erkennbar. Vor allem den Kontrast aus hellem Himmel und hellgrüner Wiese mit der dunklen Wolke finde ich gelungen und spannend, da es das emotionale Auf und Ab des Buches visualisiert.



    Meine Meinung


    Nachdem mich „Die Stille zwischen den Sekunden“ von Tania Witte (erzähltechnisch und generell) so begeistern konnte, war ich ungemein gespannt auf ihr neustes Werk. In „Marilu“ geht es um Elli, die sich auf ihren Schulabschluss freut, als sie von Marilu einen Brief mit einer Kette bekommt. Elli erinnert sich an die Bedeutung dieser Kette, denn Marilu wollte sie ihr zurückgeben, wenn sie es tut. So folgt Elli gemeinsam mit Marilus Bruder Lasse der Spur, die Marilu gelegt hat. Wenn sie Marilu rechtzeitig findet, kann sie sie vielleicht aufhalten und dafür sorgen, dass sie am Leben bleibt…ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt…



    Der Klappentext deutet es schon an, aber trotzdem möchte ich es als Triggerwarnung nochmal deutlich erwähnen: es geht in diesem Buch um Selbstmord(gedanken) und psychische Erkrankungen. Das ist nicht für jeden etwas und darum sollten nur diejenigen, die sich dafür bereit fühlen, sich auch damit auseinandersetzen. In „Marilu“ hat Tania Witte diese Themen jedenfalls sehr aufwühlend und authentisch aufgegriffen. Besonders gut gefallen hat mir, dass die Autorin den Blick auch auf das Umfeld von psychisch Betroffenen lenkt, indem sie Marilus Bruder eine Stimme gibt. Da Elli Marilu aus einer Klink kannte, erhalten aber auch die Betroffenen selber eine Stimme. Mir persönlich hat der Umgang er Autorin mit dieser ernsten Thematik gut gefallen, da sie mir als Leser viele Anknüpfungspunkte geboten hat, an denen ich in das emotionale Gefühlsleben der Charaktere blicken konnte.



    Sehr gut gefallen hat mir, dass der Leser auch bei „Marilu“ – ähnlich wie auch schon bei „Die Stille zwischen den Sekunden“ – die Handlung Stück für Stück entschlüsseln muss. Man wird mitten in das Geschehen geworfen und reimt sich schrittweise die Zusammenhänge und Hintergründe zusammen. Die Vergangenheit von Elli beispielsweise wird nur nach und nach aufgedeckt, sodass auch ihre Verbindung zu Marilu deutlich wird. Dies wiederum führt zu Marilu und ihrem Vorhaben und so weiter. All die Geschehnisse hängen zusammen und eröffnen sich erst nach und nach, was ich einfach genial erzählt finde. Das muss man erstmal schaffen, ein so eng verbundenes Geflecht an Handlungssträngen zu schaffen, die sich so klug erst nach und nach offenbaren.



    Auf diese Weise wollte ich auch unbedingt immer mehr und mehr wissen, denn die Antwort auf eine Frage führt zu einer neuen Frage, wodurch ich das Buch nur ungern aus den Händen gelegt habe. Obwohl ich durch den Klappentext ahnte, was Marilu vor hatte, merkte ich doch beim Lesen, dass ich eigentlich gar nichts wusste und das fand ich genial, denn so hat mich die Geschichte immer wieder überrascht und einfach mit sich gerissen. Die Handlung ist geheimnisvoll und gleichzeitig klar strukturiert, was eine faszinierende Mischung ist.



    Ein besonderes Highlight waren auch die Charaktere: Elli wirkte auf mich sehr stark und gleichzeitig zerbrechlich. Lasse, Marilus Bruder, konnte mich auch total überzeugen und sich in mein Herz stehlen. Aber auch Ellis Freund Tom und die augenscheinlich taffe Jule haben mich überzeugt. Dieses Quartett hat sich gut ergänzt und gleichzeitig hatte jede Figur eine ganze eigene Tiefe, die bei mir das Gefühl auslöste, dass ich jeden von ihnen sehr gut kennen würde.



    Fazit


    „Marilu“ ist ein feinfühlig erzähltes Buch, das sich mit psychischen Erkrankungen und Suizid auseinandersetzt. Besonders die Erzählart hat mir sehr gut gefallen, denn die Zusammenhänge zwischen den Figuren und Handlungssträngen ergeben sich erst nach und nach. So entfaltet die Geschichte eine Sogwirkung, die den Leser nicht mehr loslässt. Antworten auf Fragen führen zu neuen Fragen, was wiederum dafür sorgte, dass ich neugierig an den Seiten klebte. Auch die Charaktere fand ich überzeugend, denn jeder von ihnen hatte so viel Tiefe, dass ich das Gefühl hatte, als würde ich sie kennen.


    5 von 5 Sternen!



    Reihen-Infos


    Einzelband

  • Die Autorin

    Tania Witte ist Schriftstellerin, Journalistin und Spoken-Word-Performerin. Sie lebt und schreibt hauptsächlich in Berlin und am liebsten in Den Haag (NL). Neben diversen (inter)nationalen Stipendien erhielt sie mehrere Preise für ihre Jugendbücher.


    Inhalt
    Elli erhält einen Brief von Marilu – darin die ringförmige Sonnenuhr, mit der die Freundinnen ihren Schwur damals besiegelt hatten. Marilu muss in höchster Not sein, signalisiert die Sonnenuhr. Elli reagiert auf den Notruf wie eben Elli: Augen zu und durch. Sie braucht dazu die Hilfe von Marilus Bruder Lasse und sie muss ihrem Partner Tom gegenüber endlich Farbe bekennen. Für Tom hat sie eine fein ziselierte Legende über Marilu und sich selbst gestrickt, in der das Wort Jugendpsychiatrie bisher nicht vorkam. Ihre eigene Krankheit muss vor Tom unbedingt verborgen werden. Auch Lasse hat einen Brief von Marilu erhalten, der die Jugendlichen in den Taunus bestellt. Charakteristisch für Marilu hat sie bis ins Detail eine Abenteuer-Rallye für ihre engsten Vertrauten vorbereitet, die allem die Spitze aufsetzen wird, was Lasse und Ellie bisher mit Marilu erlebt haben. Ob Elli sich für Marilu überhaupt opfern will, für diese Frage bleibt in der Aufregung keine Zeit.


    Die Mädchen waren gemeinsam in stationärer Therapie im „Haus Sonnenblick“ und Elli hat sich seit der Entlassung nicht mehr bei Marilu gemeldet. Das mag krass klingen. Mit der Entfaltung der Vorgeschichte der Mädels wird jedoch deutlich, dass bei Marilu schon in früher Kindheit eine bipolare Störung diagnostiziert wurde. Angehörige müssen lernen, sich durch die Krankheit des Patienten nicht völlig vereinnahmen zu lassen. Elli müsste sich ebenso von den depressiven und manischen Schüben ihrer Freundin abzugrenzen lernen wie Marilus jüngerer Bruder Lasse, der zusätzlich belastet ist durch das Wissen, dass es eine familiäre Disposition zu dieser Erkrankung gibt. Doch zunächst muss Elli Klartext mit Tom reden, der über psychische Erkrankungen offenbar feststehende Ansichten hat.


    Fazit

    Neben der phantasievollen, atemberaubenden Schnitzeljagd auf Marilus Spuren und der schonungslosen Darstellung einer psychischen Erkrankung haben mich in Tania Wittes Jugendroman Lasse und Tom als Nebenfiguren beeindruckt. Der von der Krankheit seiner Schwester überwältigte Jugendliche und der sehr reif wirkende 18-Jährige stehen für unterschiedliche Wege, mit psychischer Erkrankung Nahestehender umzugehen. Sprachlich finde ich das Buch so originell wie die beiden Mädels. Leser sollten mit beängstigenden Szenen rechnen.


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