Der Autor (Quelle: Goldmann): Kurt Vonnegut wurde 1922 in Indianapolis geboren und studierte Biochemie und Anthropologie, Seit 1960 war er als freier Schriftsteller tätig. Weltruhm erlangte er mit seinem Antikriegsroman „Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug“ (1969). Vonneguts Werke sind durch eine „respektlose Haltung gegenüber Systemzwängen, Antimilitarismus und durch die unermüdliche Forderung nach humanitärem Verhalten gekennzeichnet.“ (Lexikon der Weltliteratur). Er starb 2007 in New York.
Klappentext (Quelle: Goldmann): Eliot Rosewater ist Erbe eines riesigen Vermögens, das er als Präsident einer Stiftung verwaltet. Mit seinem Familienleben steht es allerdings nicht zum Besten. Denn während seine Frau an einem Leiden erkrankt ist, das ihr Psychiater als Samarithrophia bezeichnet („Hysterische Indifferenz gegenüber den Sorgen jener, die weniger vom Glück begünstigt sind“), ist Rosewater selbst von nicht zu bremsender Nächstenliebe erfüllt. Er stiftet, was das Zeug hält, und das nicht nur für schicke kulturelle Zwecke, wie es sich in seinen Kreisen gehört. Er hilft vielmehr Lebensmüden, verschenkt seine eigene Kleidung und unterstützt nach Kräften die „kleinen Leute“ der Provinzstadt, in der er lebt. Kein Wunder, dass die eigene Familie alles daran setzt, Rosewater wegen seiner „krankhaften“ Wohltätigkeit entmündigen zu lassen – und das nicht erst, seit Rosewater auf den Gedanken verfallen ist, der Freiwilligen Feuerwehr seines Heimatstädtchens den größten Löschzug der Welt zu spendieren. „Gott segne Sie, Mr. Rosewater“, von manchen Kritikern als der in vielerlei Hinsicht reichste und komplexeste Roman Vonneguts bezeichnet, erzählt die schmerzlich wahre Geschichte eines Mannes, der in seinem Altruismus eine krankhaft gesunde Einstellung gegenüber seinen Mitmenschen offenbart – eines Mannes, dessen eigentlich „normales“ Verhalten in einer kranken Welt nur als verrückt gelten kann.
Englische, deutsche, dänische, italienische und französische Ausgaben:
- Die amerikanische Originalausgabe erschien 1965 unter dem Titel „God Bless You, Mr. Rosewater, or: Pearls Before Swine“ bei Holt, Rinehart and Winston in New York (217 Seiten), wiederaufgelegt u.a. 1970 bei Dell in New York (190 Seiten), 1974 bei Cape in London (217 Seiten) und 2006 als „Trade Paperback“ bei Dial Press in New York (275 Seiten).
- Die deutsche Übersetzung aus dem Amerikanischen stammt von Joachim Seyppel. Sie erschien 1968 unter dem Titel „Gott segne Sie, Mr. Rosewater“ bei Bertelsmann in Gütersloh (207 Seiten), wiederaufgelegt 1974 (später dann noch 1978, 1982 und 1986) als rororo-Taschenbuch Nr. 1698 bei Rowohlt in Reinbek bei Hamburg (123 Seiten). Im Juni 1990 erschien die Seyppel-Übersetzung in erster Auflage als Goldmann-Taschenbuch Nr. 9758 im Wilhelm Goldmann Verlag in München (208 Seiten).
- Die dänische Übersetzung von Arne Herløv Petersen erschien 1970 als „Perler for svin eller Gud velsigne Dem, Mr. Rosewater“ bei Gyldendal in Kopenhagen (192 Seiten).
- Die erste italienische Übersetzung von Roberta Rambelli erschien 1973 als „Dio la benedica, signor Rosewater, o, Le perle ai porci“ bei Arnoldo Mondadori in Mailand (237 Seiten).
- 1991 wurde eine zweite italienische Übersetzung von Vincenzo Mantovani als „Perle ai porci: o Dio la benedica, Mr. Rosewater “ bei Elèuthera in Mailand (230 Seiten), wiederaufgelegt u.a. 2005 und 2013 bei Feltrinelli in Mailand (198 Seiten).
- Die französische Übersetzung von Gwilym Tonnerre erschien 2014 als „Dieu vous bénisse, Monsieur Rosewater“ bei Gallmeister in Paris (224 Seiten).
Meine Einschätzung:
Was für ein liebenswerter, erfüllender Roman über Barmherzigkeit im Zeitalter von Habgier und Heuchelei. Im Grunde geht es darum, wie man selbstlos Gutes tut! In gar nicht weit entfernter Zukunft wird die Anzahl an Menschen, die noch benötigt wird, um Gebrauchsartikel, Lebensmittel, Maschinen und Apparate herzustellen, verschwindend gering sein. Selbst die Ideen und Gedanken der Menschen werden weniger gebraucht werden. Wie kann man diesen in die Armut entlassenen Menschen, die für die kapitalistische Arbeits- und Finanzwelt "überflüssig" sind, die Liebe zuteilwerden lassen, die ihnen als menschliche Wesen zusteht? Gerade, wo sie ihrer in der Not so dringend benötigten? Wie kann man die Menschen als Menschen, und zwar nur als Mensch, nicht als Leistungserbringer oder Arbeitskraft, wertschätzen, diese Menschen, die „keinen Wert“ mehr haben? Und das in einer Gesellschaft, die allen ihren Mitgliedern seit Generationen immer wieder eintrichtert, jene Menschen zu hassen, die nicht arbeiten wollen oder können! Kein Wunder, dass der Menschenfreund Rosewater für verrückt (oder zumindest für einen Kommunisten) gehalten wird, wenn er sich, ohne Gegenleistungen zu erwarten, um die Bedürfnisse der Armen und Lebensmüden kümmert, was denjenigen, die sich nur um das Anhäufen von Vermögen sorgen, wie Verschwendung vorkommt.
Was für eine rührende, tragikomische Gestalt dieser Eliot Rosewater doch ist, der da als Spross einer sehr vermögenden Familie plötzlich sein Gewissen entdeckt. Ein Wohltäter, verrückt gemacht durch seinen Wunsch nach Gleichheit, der gewissermaßen das „wüste Land“ des einsamen, vereinzelten, vergeblich nach Sinn suchenden Menschen der Moderne für sich und uns alle neu vermessen will. Wo es doch eigentlich die nobelste Aufgabe des Staates sein sollte, den vorhandenen Reichtum gleichmäßig unter allen neugeborenen Babys zu verteilen!
Dieser Roman ist angefüllt mit amüsanten Szenen und Dialogen, seltsamen, aber doch äußerst nachvollziehbaren Figuren und ins Schwarze treffenden satirischen Kommentare über das Verhalten der Menschen, die so ihre Schwierigkeiten mit selbstloser Barmherzigkeit in unserer unbarmherzigen Gesellschaft haben. Vonnegut zeigt, wie die entmenschlichende Kraft des Geldes funktioniert. In dem Science-Fiction-Roman „O sag, kannst du riechen“ des fiktiven Schriftstellers Kilgore Trout, der in „Gott segne Sie, Mr. Rosewater“ zitiert wird, löst ein Diktator das Problem des Schweißgeruches, indem er einfach die Nasen abschaffen lässt. In „Gott segne Sie, Mr. Rosewater“ zeigt Vonnegut nun quasi, wie unsere Gesellschaft das Problem der Armut löst: Indem sie das Gewissen abschafft!
Vonnegut schlägt bei mir einfach immer nur die richtigen Saiten an: „Gott senge Sie, Mr. Rosewater“ ist in meinen Augen ein perfektes Buch, weil es sich trotzigen Spott und seine Naivität bewahrt, die richtigen Fragen stellt und die entscheidenden Wunden seiner Figuren aufkratzt, erhellend und typisch für unsere Gesellschaft und unsere Zeit. Es ist eine Geschichte über die so leicht aus dem Gleichgewicht kippende Relation von Glücklichsein und Finanzkraft, wobei anhand der blauäugig-charismatischen Hauptfigur obendrein auch noch das Gegensatzpaar von Verrücktheit (Entrücktheit) und Heiligkeit angepackt wird. So mehren sich zum Ende des Buches die Storys von den in völlig ergebener Liebe zu Rosewater entbrannten Bedürftigen seiner Heimatstadt. Wir hören von etlichen Schwangeren, die sich einbilden, sie trügen das Kind ihres Heilands im Leib. Und dann verfällt Rosewater, der gerade vor Gericht beweisen soll, dass er nicht verrückt ist, um nicht sein Vermögen an einen entfernten Verwandten zu verlieren, auf die Idee, sein Rechtsbeistand solle mithilfe der fantasiereichen Unterstützung des Science-Fiction-Schreiber Kilgore Trout einfach alle diese ihm hysterisch zugeschriebenen Kuckuckskinder als seine eigenen Kinder anerkennen lassen, was mit einem Schlag die Erbfolge des Kinderlosen klärt und sein immenses Vermögen – sei er selbst nun verrückt oder nicht – bei ihm und seinen Nachfolgern/Erben/Jüngern belässt. Der Evangelist dreht den habgierigen Geldsäcken mit Hilfe von Winkeladvokaten und Fantasie eine lange Nase und rettet Millionen von Dollars für die Wohlfahrt! Eliot Rosewater als Prophet der konstanten Liebe unter den Menschen! Ach, was für ein schönes Buch!
Mit diesen Worten, die sich Eliot notgedrungen zurechtlegt, als er gebeten wird, eine Laientaufe zu vollziehen, soll diese Rezension schließen, weil sie gewissermaßen die humanistische Kernaussage des Romans zusammenfasst. Das ist, was Eliot zu den Täuflingen sagen will:
ZitatHello Babys. Willkommen auf Erden. Im Sommer ist es heiß und im Winter kalt. Es ist rund und nass und voll hier, Grob geschätzt habt ihr etwa hundert Jahre hier. Es gibt nur eine Regel, Babys, die ich kenne -: Verdammt noch mal, ihr müsst anständig sind! (S. 102).
Oder im Original: „God damn it, you’ve got to be kind.“ Wobei ich „kind“ eher mit „gütig“ oder „freundlich“ als mit „anständig“ übersetzen würde.