Achim Bröger & Bernd Küsters - Herr Munzel geht die Wand hoch und andere Was-wäre-wenn-Geschichten

  • Kurzmeinung

    Jean van der Vlugt
    Manchmal kindlich verspielt querkopfig wie Pitje Puck, aber mit viel alternativen Lebensentwurf-Utopien im 70er-Style.
  • Die Autoren (Quelle: Rowohlt 1981): Achim Bröger: Schriftsetzerlehre, Arbeit im Bereich Werbung und Öffentlichkeitsarbeit im Westermann Verlag in Braunschweig; schreibt seit 1973 Kinderbücher („Der Ausreden-Erfinder“, 1973; „Doppelte Ferien... sind am schönsten“, 1974; „Kurzschluss“, 1976; „Mensch, wär' das schön!“, 1977, u.a.); lebt in Braunschweig.
    Bernd Küsters: Redakteur; Lehrerexamen; heute freier Redakteur und Filmemacher, vorwiegend für das Hessische Jugendfernsehen; lebt in Frankfurt/M.


    Der Illustrator (Quelle: Rowohlt 1981): Eckart Straube: Studium in Marburg, Krefeld und Stuttgart; einige Jahre freier Maler, dann Angestellter und Abteilungsleiter in einer Siebdruckerei; seit 1975 selbstständiger Bilderbuchautor und Illustrator; lebt in Hamburg. Veröffentlichungen: „Lilli und Willi“ (zus. mit Ingeburg Kanstein), 1980; „Sieben kommen durch die halbe Welt“ (zus. mit Horst Künnemann), 1981.


    Klappentext (Quelle: Rowohlt 1981): Was wäre, wenn einer Geld aus dem Ärmel schütteln könnte oder den kleinen Mann im Ohr treffen würde oder einfach mal als Hund leben wollte... Herr Munzel mach solche höchst sonderbaren Dinge. Er geht die Wände hoch – nicht vor Wut, sondern weil's Spaß macht und man dabei viel mehr zu sehen kriegt. Herr Munzel schwebt, verwandelt sich – und vergisst sich selbst. Wie man das macht? Herr Munzel verrät's euch in diesen achtzehn Geschichten.
    Auf der Ehrenliste des Europäischen Kinderbuchpreises.


    Deutsche Ausgaben, unterschiedliche Illustrationen:

    • Die deutsche Originalausgabe erschien 1975 unter dem Titel „Herr Munzel geht die Wand hoch und 18 andere Was-wäre-wenn-Geschichten“ mit Bildern von Karl Meiler im Anrich Verlag in Modautal-Neunkirchen (167 Seiten), wiederaufgelegt im Jahr 1991 mit den Meiler-Illustrationen als Band 5205 der Reihe „Anrich: extra" im Anrich Verlag in Kevelaer (176 Seiten).
    • Im November 1981 erschien eine neu illustrierte Taschenbuchausgabe unter dem Titel „Herr Munzel geht die Wand hoch und andere Was-wäre-wenn-Geschichten“ mit Bildern von Eckart Straube als Band 289 in der Reihe „rororo rotfuchs“ im Rowohl Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg (139 Seiten). Der Rotfuchs-Comic auf dem Einband stammt von Jan P. Schniebel. Diese Ausgabe wurde um die Geschichte „Hier Apparat 33 77 41“ gekürzt.

    Inhalt (rororo 289):

    1. Herr Munzel sucht seinen Namen (Küsters) (6 Seiten)
    2. Herr Munzel möchte was aus dem Ärmel schütteln (Bröger) (5 Seiten)
    3. Herr Munzel geht die Wand hoch (Bröger) (11 Seiten)
    4. Herr Munzel möchte nicht mehr mit Geld bezahlen (Küsters) (9 Seiten)
    5. Eigentlich wollte sich Herr Munzel hinterm Ofen verkriechen (Bröger) (6 Seiten)
    6. Herr Munzel erlebt ein Wunder (Bröger) (8 Seiten)
    7. Zieh dich warm an, Herr Munzel (Bröger) (7 Seiten)
    8. Herr Munzel kauft sich etwas Besonderes (Küsters) (10 Seiten)
    9. Herr Munzel trägt sein Haus davon (Bröger) (7 Seiten)
    10. Herr Munzel hört das Gras wachsen (Küsters) (5 Seiten)
    11. Herr Munzel will nicht aufstehen (Bröger) (9 Seiten)
    12. Herr Munzel trifft den kleinen Mann im Ohr (Küsters) (12 Seiten)
    13. Herr Munzel führt ein Hundeleben (Bröger) (4 Seiten)
    14. Herr Munzel sucht ein Geschenk (Bröger) (7 Seiten)
    15. Herr Munzel hält's nicht mehr aus (Bröger) (4 Seiten)
    16. Herr Munzel schwebt (Küsters) (10 Seiten)
    17. Herr Munzel verwandelt sich (Bröger) (7 Seiten)
    18. Herr Munzel vergisst sich (Küsters) (5 Seiten)

    Meine Einschätzung:
    Manchmal kindlich verspielt querkopfig wie Pitje-Puck-Geschichten, aber ohne deren spießig-reaktionäre Gehässigkeiten und Frotzeleien, dafür mit viel alternativer Lebensentwurf-Utopie im Siebzigerjahre-Stil der neuen sozialen Bewegungen jener Jahre: poetisch parabelhafte Geschichten, die zeigen, dass die Ansichten über die Welt und die sozialen Normen des „Das macht man aber so“ nicht festgefügt, sondern wandelbar sind.

    Der Zielgruppe (meinem bald achtjährigen Sohn beim Vorlesen) haben manche Gedankenspiele und Wirklichkeitsverfremdungen erstaunlich gut gefallen: Mal sind sie eher fantastischer Natur, etwa wenn mit Saugschuhen die Wände hochgelaufen wird, und sich Munzel vorstellt, wie die Menschen einander jetzt besuchen können, oder wenn Munzel das Gras wachsen hört, plötzlich schweben kann oder sich selbst als Geschenk verschenkt. Mal sind sie eher utopischer Natur, etwa wenn Munzel versucht, einen Tag lang ohne Geld nur mittels Tauschen zu bezahlen, wenn er wohnungslos aus dem Rucksack lebt und jeden Abend nach der Arbeit woanders in Stadt und Land sein Zelt aufstellt, wenn er sich eine ausgediente Dampflok von einem befreundeten Autoschrauber zum Straßengefährt umrüsten lässt oder wenn Munzel Winterschlaf halten will und Mitschläfer für eine Schlafgemeinschaft sucht. Herr Munzel ist ein versponnener Kindskopf, der tagsüber stupide Aktenarbeit auf dem Amt erledigt, ansonsten aber jeder Verrücktheit gegenüber aufgeschlossen ist. Manche Mitbürger denken: Der spinnt! Dabei steckt viel widerständiges Potenzial in Munzel, der schon mal nächteweise in Hundehütten lebt und die Häuser der Hundeherrchen hütet, damit sich die Hunde austoben können. Mit den Mitteln der Fantasie erschafft er sich auch mal Strategien, morgens nicht zur Arbeit zu gehen – oder er bindet sich einfach seine Bettdecke um den Leib, um tagsüber nicht aus dem Bett zu müssen. :loool: Einer, der sich seinen Kopf nicht vereinahmen lässt!

    Mir war das manchmal etwas bemüht poetisch und alternativsinnig: Wegen der Parabelhaftigkeit der Geschichten, die anregen, ethische Fragen des Zusammenlebens zu reflektieren und verkrustete Strukturen des Denkens aufzubrechen, ist die Figur des Munzel, der sich selbst seinen Namen gab und sich selbst vergisst, wenn ihm der Trubel aus Arbeit und sozialem Rauschen der Stadt zuviel wird, etwas papieren und uneigentlich: Bei allem Propagieren von Lebendigkeit, Protest und Eigensinn ist er als etwas steifer Katalysator ungewöhnlicher Einfälle, Ansichten und Handlungsweisen eine ziemlich ungreifbare Figur, ein Vorbringer moralischer Fragestellungen, schrullig, aber nicht rundum liebenswert. Ein wenig erinnert mich Herr Munzel auch an Manig aus den Kürzestgeschichten von Reinhard Lettau oder an Brechts Geschichten von Herrn Keuner.

    Aber beruhigend, wie gut Qualität heute noch bei Kindern ankommt: Andere Bücher mögen spannender, schnittiger und "zielgruppenoptimierter" sein, aber für ein Aufmerken und ein staunendes Lachen ist der Kindskopf Herr Munzel bei Kinder-Lesern immer noch gut!

    Ich mag, wie hier jemand seine Einwände an der Welt anmeldet! Einer der umdenken und neu denken möchte, der, obwohl er belächelt wird, gegen Engstirnigkeit und soziale Gewissheiten anrennt. :jocolor: Ein wirklich gutes Kinderbuch, auch wenn ich nicht finde, dass jetzt jeder Leser umgehend losrennen muss, um es sich antiquarisch zu beschaffen. Aber wer sich eine leichte Nostalgie über alternativere, weniger einverstandene Zeiten bewahrt hat, als es nicht nur um das individuelle Vorankommen (mit dem ekelhaften Mantra „Du kannst alles schaffen, wenn Du es willst“), sondern auch um die Verfasstheit der Gemeinschaft ging („In welcher Welt wollen wir leben“), kann danach ruhig einmal Ausschau halten. Achim Bröger habe ich als wirklich verlässlichen Kinderbuchautor kennengelernt, vergleichbar mit Paul Maar, nur dass er niemals ein Sams erschaffen hat. :)

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (126/223)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 55 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Martinson "Schwärmer und Schnaken" (15.04.)

  • Die deutsche Originalausgabe erschien 1975 unter dem Titel „Herr Munzel geht die Wand hoch und 18 andere Was-wäre-wenn-Geschichten“ mit Bildern von Karl Meiler im Anrich Verlag in Modautal-Neunkirchen (167 Seiten).

    :!: Die Anrich-Ausgaben haben die Zahl 18 im Titel, die Rowohlt-Ausgabe nicht.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

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    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

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  • Jean van der Vlugt

    Hat den Titel des Themas von „Achim Bröger & Bernd Küsters – Herr Munzel geht die Wand hoch und andere Was-wäre-wenn-Geschichten“ zu „Achim Bröger & Bernd Küsters - Herr Munzel geht die Wand hoch und andere Was-wäre-wenn-Geschichten“ geändert.