Michael Wolffsohn - Wir waren Glückskinder - trotz allem

  • Autor: Michael Wolffsohn

    Titel: Wir waren Glückskinder - trotz allem

    Seiten: 231

    ISBN: 978-3-423-76331-8

    Verlag: dtv


    Autor:

    Michael Wolffsohn wurde 1947 geboren und ist ein deutscher Historiker und Publizist. In Tel Aviv geboren, kehrte er mit seiner Familie 1954 nach Deutschland zurück, aus dem diese einst im Zuge des Holocausts fliehen musste. Nach der Schule studierte er Politikwissenschaften, Volkswirtschaft und Geschichte in Berlin, Tel Aviv und den USA, nahm später Stellen an verschiedenen Universitäten an. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet Internationaler Beziehungen, der deutschen und jüdischen Geschichte, sowie der historischen Demoskopie. In der Bundeswehruniversität Münschen begründete er 1991 die Forschungsstelle Deutsch-Jüdische Zeitgeschichte. Er wurde mehrfach ausgezeichnet. Wolffsohn ist Ehrenmitglied im Verein Deutsche Sprache.


    Inhalt:

    Thea Saalheimer ist siebzehn, als sie mit ihrer Familie vor dem Naziterror nach Tel Aviv flieht. Dort verliebt sie sich in Max Wolffsohn und baut mit ihm ein neues Leben auf. Fünfzehn Jahre später kehren die beiden mit ihrem Sohn Michael ins Nachkriegsdeutschland zurück. Wie erlebten Thea und ihre Familie den Nationalsozialismus und die Emigration in ein Land, das ihnen in jeder Hinsicht fremd war? Wie kam es, dass sie ins Land der Täter zurückzogen? (Klappentext)


    Rezension:

    Als im Jahr 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernahmen, realisierte kaum jemand die von ihnen ausgehenden Gefahren. Geheimnisse daraus indes, hatten sie gemacht. Von Anfang an waren deren Ziele klar. Von Beginn an, wirkten sie darauf hin. Warum jedoch, realisierten allzu viele die Zeichen erst, als es längst zu spät war?


    Warum erkannten nur wenige die Zeichen der Zeit und schafften es, rechtzeitig zu fliehen? Der Autor Michael Wolffsohn versucht eine Erklärung zu finden und nimmt dabei die Geschichte seiner Familie auf.


    Wem das bekannt vorkommt, der hat Recht. Schon einmal hat sich der Historiker damit beschäftigt. In "Deutschjüdische Glückskinder - Eine Weltgeschichte meiner Familie" hat er diese bereits vor einigen Jahren aufgearbeitet. Ausführlicher und detaillierter, jedoch gefühlt neutraler. Diese Variante hier ist kompakter, liest sich schneller und von der Tonalität gleicht es einem Buch für ältere Kinder oder einem für jüngere Jugendliche, um diese an diese Thematik heranzuführen und mit entsprechenden Fragestellungen zu konfrontieren, ist auch so entsprechend angedacht.

    Der Autor gleichsam Erzähler und Beobachter führt die Lesenden entlang der wechselhaften Geschichte seiner Familie. Wie erlebten seine Großeltern den Umbruch, der alles veränderte, die beginnende und immer deutlich zu Tage tretende Ausgrenzung? Wie schwer fiel es der Familie den Entschluss zu fassen, alles Bekannte zurückzulassen, trotz der Gefahren, die immer sichtbarer wurden?


    Weshalb entschlossen sich die Wolffsohns zu den, nur wenige Jahre nach dem Krieg, für viele Juden unbegreiflichen Schritt, wieder nach Deutschland zurückzukehren? Fragen, die sich wie die Perlen einer Kette aneinanderreihen und komplexer Antworten bedürfen. Fragen, mit denen der Schreibende die jungen Lesenden dazu bringen möchte, selbst Fragen zu stellen, die Dilemma zu erkennen, vor denen seine Familie stand, auf dass der heute wieder deutlich werdende Hass keine Chance bekommt, ein neues 1933 zu weden.


    Das Werk selbst, kann als Einführung in die Geschichte genutzt werden, ist so aufbereitet auch durchaus als Unterrichtslektüre denkbar. Für ältere Leser empfiehlt sich die komplexere Variante für Erwachsene. Für sie könnte alleine der Erzählstil etwas angestrengt wirken, zumal das Jugendbuch nicht ganz so detailreich wird. In der entsprechenden Altersgruppe gelesen, ist es dennoch gut vorstellbar.

  • Danke für die Rezension, findo ! Wir möchten das Buch demnächst in einer Mini-Leserunde diskutieren (weitere Teilnehmer sind sehr willkommen!), und ich habe schon mal ein bisschen reingespickt. Mir gefällt der Erzählstil sehr gut, denn er soll ja vor allem Kinder und Jugendliche ansprechen oder Leute, die sich wenig bis gar nicht mit dem Thema befasst haben. In der Schule lernt man "nur" Zahlen wie die sechs Millionen und wie schrecklich der Holocaust war; hier bekommen die Schicksale ein Gesicht durch Wolffsohns Familie.


    Was ich besonders schön finde, ist die vernünftige Art von Opa Justus, der nicht wahrhaben will, was in Deutschland passiert. Auch mit ein paar Mythen und Klischees, die Juden umgeben, räumt Herr Wolffsohn schon in den ersten Kapiteln auf. Sicherlich sorgen die Glückskinder für Erstaunen in mancherlei Hinsicht. Bezüglich der Frage, warum es damals so weit kommen konnte, kommt Wolffsohn der Auflösung schon dadurch nahe, dass man nach Kundgebung der Nazigesetze als Nichtjude sein Leben riskiert hat, wenn man mit Juden verkehrt hat. Selbst wenn sie zuvor gute Nachbarn waren. Durch die Beispiele, die er nennt, wird das Ganze plausibler, wenn auch nicht weniger erschreckend.

  • Dieses Buch ist als Kinder- und Jugendbuch konzipiert, und ich kann sagen, dass ich es nach dem Lesen unbedingt als Schullektüre empfehle. Obwohl schon aus familiärer Hinsicht interessiert am Judentum, dessen Geschichte und dem Nahost-Konflikt, war selbst mir einiges neu bzw. ist mir neu aufgegangen. Fragen, die sich "Nachkriegsdeutsche" eigentlich nie stellen, werden von Herrn Wolffsohn am Beispiel seiner Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits und seinen Eltern Thea und Max aufgeworfen. Allein das war ein Aha-Moment für mich.


    Inhalt: In einfachen und kindgerechten Worten beschreibt das Buch die Schicksale der Familien Saalheimer und Wolffsohn, die in Bamberg und Berlin ansässig waren und ein gutes Leben führten. Zwar gab es Unterschiede zu den Katholiken und Protestanten, doch man sah das nicht als Problem an. Im Gegenteil: Thea Saalheimer geht sogar auf eine katholische Schule in Bamberg, in der Protestanten weit weniger gern gesehen sind als Juden. Zu spüren bekommt sie ihr "Anders-Sein" erst wirklich, als in der Reichpogromnacht die Synagogen brennen. Ihr Vater Justus (der mir sehr sympathisch war in seiner Klugheit und emotionaler Intelligenz) nimmt die Zeichen lange nicht ernst, sind die Saalheimers doch Deutsche und stolz darauf, im Land der Dichter und Denker dazuzugehören. Doch als Justus für kurze Zeit in ein Konzentrationslager kommt und nur durch einen wohlwollenden Angestellten wieder freigelassen wird, ändert sich alles. Thea muss das Internat in Berlin verlassen, auf das sie sich als Siebzehnjährige so sehr gefreut hat, und gemeinsam flüchtet die Familie vor dem Hitlerwahn nach Palästina.


    Den Wolffsohns ergeht es ähnlich: Opa Karl, ein erfolgreicher Unternehmer in der Unterhaltungsbranche und leidenschaftlicher Kinobetreiber (u.a. der "Lichtburg" in Essen), muss alles zurücklassen und wird seine Projekte nie mehr weiterentwickeln können. Seine Frau Recha leidet sehr darunter, nicht mehr auf Parties gehen zu dürfen und den Wohlstand aufzugeben, in dem die Wolffsohns als angesehene und gutbetuchte Bürger gelebt hatten. Ihre Flucht über Holland und Belgien nach Palästina war für mich fast unerträglich zu lesen, wobei ich froh bin, dass Herr Wolffsohn im Allgemeinen auf allzu detaillierte Schilderungen verzichtet hat.


    Die Einreise nach dem damaligen Britisch-Palästina geht durchaus nicht reibungslos vonstatten, und auch dort ist das Leben kein Honigschlecken. Nicht nur werden harte Arbeit und eine neue Sprache verlangt, auch Gefahr droht - von den arabischen Nachbarn, die ein Abkommen mit den Briten hatten, und christlichen Sekten. Auch unter Schicksalsgenossen und zuvor eingewanderten Juden bahnen sich hin und wieder Unstimmigkeiten an - irgendwann beschließt Großmutter Recha, nicht mehr auf den Markt in Tel Aviv zu gehen (ihre Gründe mögen simpel gewesen sein; ich konnte sie gut verstehen). Aber auch etwas Gutes hat die "Luftveränderung". Im "Beit Israel" - einer Art Treffpunkt für deutsche Juden - lernen sich Thea Saalheimer und Max Wolffsohn kennen und lieben. Sie und die Großeltern Wolffssohn kehren einige Jahre nach dem Krieg mit dem kleinen Michael nach Berlin zurück.


    Gegen Ende wird die aktuelle Situation von Juden in Deutschland beleuchtet, was ich sehr gut fand, zeigt sie doch gewisse Tendenzen zu 1933. Damit das nie wieder geschieht, dafür plädiert Michael Wolffsohn eindrücklich und wendet sich dabei direkt an den jungen Leser. Denn jeder kann dazu beitragen, auch und vielleicht gerade die nächste Generation.



    Meinung: Ein Buch, das trotz der kindgerechten Aufbearbeitung unter die Haut geht. Ich kannte selbst eine Familie, die während des Krieges ausgewandert und wieder zurückgekehrt ist, doch den unvorstellbaren Schrecken der Hitlerära und das Gefühl der Entwurzelung im fremden Land, darüber haben sie nie gesprochen. Zeitzeugen gibt es heute nur noch wenige. Umso plastischer beschreibt der Autor mit seiner eigenen Familie die Entbehrungen und sogar Schuldgefühle, aber tatsächlich auch das Glück, das ihr inmitten all des Chaos und der Unruhe widerfuhr. Durch die Saalheimers und die Wolffsohns werden die sechs Millionen auf einmal persönlich; man fühlt mit ihnen, staunt und fürchtet sich. Dabei vergisst Michael Wolffsohn nie das Positive. Mit der richtigen Prise Humor erzählt er von den köstlichen Jaffa-Orangen, familieneigener Chuzpe, Sprachenwirrwarr und heißen Sommertagen, die den buchstäblich zugeknöpften osteuropäischen und deutschen Einwanderern den Spitznamen "Jeckes" einbrachten.


    Was mir nicht gar so gut gefiel, war die zwar im Kontext verständliche, aber mitunter etwas schulmeisterliche Art, zu biblischen Geschichten Bezug zu nehmen und den Gottesglauben teilweise ins Reich der Märchen zu verbannen. Aber das sei dem Autor als Historiker und "Besserwisser", als der er sich selbstironisch bezeichnet, verziehen und hat keinen Einfluss auf meine Gesamtbewertung von :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:


    Ich werde das Buch weiterverleihen und würde mir wie gesagt sehr wünschen, dass "Wir waren Glückskinder - trotz allem" Einzug in sämtliche Klassenzimmer erhält. Für mich ein zwar etwas schwer lesendes, da emotional aufwühlendes, aber unbedingt lesenswertes Zeitzeugnis von Herr Wolffsohn, dessen Enkel ihn erst auf die Idee brachte, die bewegende, aber dennoch hoffnungsvolle Biografie seiner Familie niederzuschreiben.

  • Vor vier Jahren erschien das Buch "Deutschjüdische Glückskinder", eine Weltgeschichte seiner Familie, wie der Autor sein Buch selbst beschreibt. 2021 legt Michael Wolffsohn nach: die Geschichte seiner Familie erzählt er nun für Kinder und Jugendliche.

    Inhaltlich dreht sich alles um die Irrungen und Wirrungen der Familien Wolffsohn und Saalheimer, eben die Familien, aus denen die Eltern des Autoren entstammen. Die Geschichte beginnt in Bamberg, in dem der überwiegend katholische Teil der Bevölkerung friedlich mit den wenigen jüdischen Familien zusammenlebt. Das ändert sich, nachdem die Nationalsozialisten die Macht im Reich ergriffen hatten und ihre menschenverachtende Ideologie bis in alle Winkel des Reiches diktiert hatten. Überall fanden sich Bürger, die sich die Weltsicht der Nazis zu eigen machten.
    Doch was bedeutete das für die Juden in Deutschland, für die Familien? Michael Wolffsohn beschreibt es eindrucksvoll, gut lesbar und mit viel Gefühl und konsequent umsetzten.
    Zu den Familien, die aus Deutschland fliehen, gehören auch die elterlichen Familien des Autoren. Nun leben sie zwar im Vergleich zu Nazi-Deutschland in Sicherheit, aber Fuß zu fassen in der neuen Umgebung gelingt nicht allen. So etwas wie "Heimweh" macht sich breit.
    Nach Ende des Krieges zieht es die Eltern des Autoren mit ihrem kleinen Sohn Michael zurück nach Deutschland. In ein neues Deutschland, das Demokratie und Akzeptanz als Kerngedanken in sich trägt, aber nach wie vor ist nicht alles eitel Sonnenschein - und die Situation verbessert sich leider nicht.

    Eignet sich ein solch sensibles Thema für ein Kinder-/Jugendbuch? Ich meine: eindeutig ja!
    Mit dem richtigen "Feeling" für die Weltsicht eines jungen Jugendlichen gelingt es Michael Wolffsohn einen wichtigen, lehrreichen und spannenden Eindruck in die Lebenswelt jüdischer Familien (heute und damals) zu vermitteln. Eine wichtige Grundlage, um zu verstehen und einzuordnen, welch grauenvolle Wirkung die Weltanschauung der Nationalsozialisten verursachte und, in Anbetracht aktueller Entwicklungen, welche Assoziationen bei unseren jüdischen Mitbürgern wachgerufen werden, wenn sich der "moderne" Antisemitismus Bahn bricht.
    Selbst wenn ich mir nicht ganz sicher bin, ob die Kinder und Jugendlichen jedem Detail der Wolffsohnschen Erzählungen folgen können, das Buch leistet einen eminent wichtigen Beitrag. Es spricht ein Thema an, bei dem Sensibilität und Wachsamkeit heute mehr und mehr gefragt sind!