Original : Französisch, 2021
INHALT :
Wir befinden uns erneut im Lande von Anchise, jenem untröstbaren Witwer, verbohrtem Bienenzüchter, der sich spät das Leben nehmen wird. Damals war Aubin, Großneffe von Anchise, ein Kind. Er hat seinen Großonkel nur flüchtig gekannt, doch spielte später in seinem verlassenen Haus. Nun, eine halbe Generation später, ist dieses Gelände wegrasiert worden, und eine Müllverwertungsanlage entstanden. Dort kreist er erneut herum, lernt den etwas älteren, schönen Adel kennen, und dabei und mit ihm Sehnsucht, Musik und das Woanders.
BEMERKUNGEN :
Hier Maryline Desbiolles – Anchise hatte ich den schon 1999 geschriebenen Roman von Maryline Desbiolles über Anchise vorgestellt, eine eigenartige Mischung zwischen Trockenheit aber eben auch unüberwindbarer Liebe. Dessen Geschichte durchstreift diese hier ; er ist Referenz durch den Orts-, aber auch den Familienbezug. Die Erzählperspektive wechselt : nicht ein auktorialer Erzähler, sondern es ist der Großneffe Aubin, der das Wort hat. Nun wird er so 15 Jahre alt sein. Seine Familie wohnt etwas weiter runter, in Richtung Nizza. Für sie (und so manch andere) war Anchise nicht nur ein sonderbarer Kauz, sondern fast ausgeschlossen. Die Beziehung insbesondere von Aubin ist aber eine der Suche nach den Wurzeln. Was denn treibt ihn immer wieder auf dieses Gelände, sei es zunächst das verlassene Haus, dann die dort entstandene Müllsortierungsanlage ?
Im Verlauf des Buches scheint er sich innerlich dem Erbe und auch dem Verständnis von Anchise anzunähern. Denn auch er, Aubin, scheint als Außenseiter in seiner eigenen Familie : « ich habe keinen Anteil an ihnen ». Das Symbol der Verwahrlosung, sei es müllmäßig, von der Umwelt her gesehen, und dann eben auch sozial verstanden durchzieht einen Strang des Erzählens : das eigentliche Leben geht verloren. « Wir sind in einer Zeit des Mülls. »
Und da, wo Anchise lebte, hat nun Adel das Sagen, dieser fast geheimnisvolle, schöne, arabischstämmige Junge, in den sich Aubin verguckt. Aber durch ihn nähert er sich auch neuen Erfahrungen an, lernt andere Musik kennen, einen Hauch von anderen Ländern und Herkünften, Vergangenheiten… « Und wenn in der alten, den Brennnesseln geweihten Welt sich etwas befände, was Leben schenkt ? » Diese Frage durchzieht das Buch in einem Strang wie ein Leitmotiv.
Der Erzähler wird nach und nach entdecken, dass er sich seine Referenzen und Wurzeln selber schaffen kann, und nicht nur Gefangener eines Erbes ist.
Ein toller Roman mit Zwischentönen. Auch ohne den ersten Teil lesbar. Empfehlenswert !
AUTORIN :
Maryline Desbiolles wurde 1959 in Ugine (Savoyen) geboren und ist eine französische Schriftstellerin. 1978 veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband, seitdem folgten viele Werke. Sie arbeitete auch für den Kultursender France Culture.
Für den hier vorgestellten Roman erhielt sie 1999 den Prix Femina.
Sie lebt derzeit im Hinterland von Nizza.
Herausgeber : SEUIL (7. Januar 2021)
Sprache : Französisch
Taschenbuch : 144 Seiten
ISBN-10 : 2021465179
ISBN-13 : 978-2021465174
Abmessungen : 14.1 x 1.2 x 20.6 cm