Tim Pears - The Horseman

  • (Leider nicht auf deutsch erschienen.)


    Leo Sercombe ist 1911 zwölf Jahre alt und verbringt seine Zeit lieber mit den Pferden des Gutsherrn, für den sein Vater als Fuhrknecht arbeitet, als in der Schule. Er hat einen besonderen Draht zu den Tieren, der schließlich auch der Grund ist, dass er sich ganz allmählich mit Charlotte, der Tochter des Lords, anfreundet.


    Die Lebenswelten der beiden könnten jedoch unterschiedlicher nicht sein. Während Charlotte behütet mit einer Gouvernante aufwächst (und sich gerne in Jungsklamotten wirft), leben die Sercombes in einfachen Verhältnissen. Leos Vater, Onkel, Brüder und Cousins arbeiten allesamt in der Landwirtschaft, die ältere Generation kann nicht einmal lesen und schreiben, körperliche Arbeit und der Rhythmus der Natur prägen den Alltag.


    Ich schätze Tim Pears als sehr atmosphärischen Erzähler, der sich großartig in seine Charaktere einfühlen kann. Das hat er in diesem Buch für meine Begriffe jedoch nur teilweise unter Beweis stellen können. Die Atmosphäre stimmt, minutiöser könnte man das Landleben in England zu dieser Zeit wohl kaum beschreiben. Pears hat umfassend recherchiert und schildert die Natur und vor allem die Tätigkeiten der Sercombes und ihrer Nachbarn im Dorf in akribischstem Detail.


    Doch genau das hat das Buch für mich sehr anstrengend gemacht. Ja, ich mag detailverliebte Schilderungen, ich mag Naturbeschreibungen und es muss für mich überhaupt nicht immer actionreich sein, aber dass hier die Hufpflege der Arbeitspferde, das Aufschichten von Gerstengarben oder die Kaninchenjagd mit Hilfe von Frettchen seitenweise haarklein beschrieben wird, war mir zu viel des Guten, auch wenn das eine oder andere durchaus interessant war wie etwa der Einsatz erster mechanischer Landmaschinen.


    Insgesamt hat mich diese Detailverliebtheit auf die Dauer gelangweilt, weil sie sehr zu Lasten der Charakterzeichnung geht. Leo erhält erst sehr spät wirkliche Konturen (dass Pears ihn ständig "the boy" nennt, hilft dabei auch nicht gerade), seine verzweigte Familie und die anderen Dorfbewohner bleiben größtenteils skizzenhaft und blass, und es dauerte ewig, bis ich den Schmied vom Pferdedoktor und diversen Knechten und anderen Arbeitskräften unterscheiden konnte.


    Auch die Handlung schreitet lange Zeit nicht wirklich linear voran, sondern springt von einer Episode zur nächsten. Viele dieser Schlaglichter werden auf die gerade anstehenden Arbeiten auf dem Feld oder bei den Pferden geworfen statt auf die Entwicklung der Figuren. Erst zum Schluss hin ändert sich das, in den letzten Kapiteln nimmt die Handlung etwas Fahrt auf - und am Ende bringt Pears tatsächlich noch mal eine Wendung ins Spiel, die mich trotz allem neugierig gemacht hat, wie es mit Leo im zweiten Teil der "West-Country-Trilogie" wohl weitergehen wird.


    Es wirkt fast, als sei dieses Buch ein einziger langer Prolog zu den beiden Folgebänden. Ich bin etwas hin- und hergerissen, ob ich dem zweiten Band doch noch eine Chance gebe oder erst einmal dankend verzichte. An die ausgezeichneten Bewertungen der anderen Bücher, die ich von Pears schon gelesen (und geliebt) habe, reicht der handlungsarme "Horseman" auf jeden Fall nicht heran.