Lothar Kolmer - Machtspiele

  • Eine historische Monografie über das frühe Mittelalter, nehmen wir hier den Zeitraum von 500 bis 900 n.Chr. , ist in sich schon speziell, da die Quellenlage eingeschränkt, die vorhandenen schriftlichen Zeugnisse meist einseitig klerikal verfasst sind und einer genauen Quellenkritik unterzogen werden müssen.

    Lothar Kolmer ist ein Spezialist dafür und beschränkt sich hier auf den bayerischen Raum, da dieser ausnahmsweise halbwegs geschlossen darstellbar ist für diese Zeit.


    Die Zeit der Agilolfinger und Luitpoldinger und auch schon, seit dem MA, der Wittelsbacher.

    Kolmer untersucht die Stämme, die Gebräuche, Sprachunterschiede und Bestattungsgebaren. So wurden auf den Bestattungsfeldern neben den Überresten von Bajuwaren erstaunlich viele alemannische, langobardische und sogar awarische Skelette entdeckt.(Anhand von morphologischen und anthropologisch - anatomischen Befunden.)

    Ein wichtiger Hinweis auf Reisetätigkeit und Durchmischung im frühen MA.

    Die Zeitenwende um 700, die sich durch die Missionsbischöfe Rupert, Emmeram und Korbinian eingrenzt, war von Umverteilungen im Machtgefüge des Adels begleitet, die zur durchgreifenden Christianisierung beitrugen.

    Der spätere Streit Karls des Grossen mit Bayernherzog Tassilo führte letztendlich zur Allmendisierung, d.h. Übertragung von Ländereien enteigneter Adliger an Dorfgemeinschaften und so entstehende Städte.

    Eine quantitative Analyse der Bevölkerung auf ihre gesellschaftliche Relevanz hin ist dagegen kaum möglich.

    Kolmer geht davon aus, das 70% der Bevölkerung zur " Unterschicht" ( Kleinbauern und Lohnarbeiter, etwa Knechte ) gehörten und nur etwa 2% zur " Oberschicht. (Adel und Klerus). Nur diese aber haben archäologische Zeugnisse hinterlassen wie Schmuck und Grabbeigaben. Und nur auf diesen Teil der Bevölkerung bezogen sich die schriftlichen Quellen.


    Handelsnetze, Zollrechte, Warenfluss und Pilgerwesen sind dagegen brauchbar dokumentiert, da ab etwa 600 auch zunehmend Kaufleute aus den prosperierenden Marktflecken schriftliche Zeugnisse, wie z.B. Warenlisten, hinterliessen. Beweise für frühen ultramontanen Handel, verstärkt nach 500.

    Besonders verdienstvoll sind Kolmers Erkenntnisse zum Alltagsleben, Kleidung, Ernährung und Bewaffnung anhand von Grabfunden.


    Eine spannungsreiche, konfliktgeladene Zeit, ihre Herrscher, deren Spiel um Macht, politische, wirtschaftliche und religiöse Vormachtstellung, dokumentiert der Autor souverän anhand der umfassenden, relevanten Quellen. Eine farbige Aufnahme des Lebens im frühen MA, in Anbetracht der schwierigen Dokumentation mit grosser Fachkompetenz vorgestellt.

    Viereinhalb Sterne, wobei oft nur die Kürze der Darstellung zu bedauern ist.


    Lothar Kolmer, geb.1948, ist Professor für Geschichte und Landeskunde in Passau ( Emeritiert ) und ist Dozent für Gastrosophie in Salzburg. ( Kulturwissenschaftliche Erforschung von Ernährung)