T. C. Boyle - Sprich mit mir / Talk to Me

  • Kurzmeinung

    Frühlingsfee
    nicht schön, aber eindringlich. wie alle Romane von Boyle
  • Kurzmeinung

    volatile
    Wunderbar vorgelesen. Vulgäre Sprache und oberflächliche Beschreibungen trüben jedoch das Vergnügen.
  • Dieses Buch hätte ich fast abgebrochen. Die buchstäbliche Affenliebe der Protagonistin hat mich zuerst irritiert und dann zunehmend abgestoßen. Bei solchen Stellen wie


    Zitat

    [...], denn Sam schlief jetzt wieder in seinem eigenen Bett. Zusammen mit Aimee (Anm.: seine Betreuerin) und seinen Flöhen und den Träumen, die seine Arme und Beine mitten in der Nacht zucken ließen, dass das Bett wackelte.


    war ich sogar angewidert.


    Bis mir klar wurde, dass Boyle mich ein bisschen an der Nase herumgeführt hat und mit seinem Leser spielt: er legt einem zunächst die Identifikation nahe, und erst allmählich distanziert sich der Leser und stellt fest, dass Boyle keineswegs zur Identifikation auffordert, sondern dass er seinem Leser einfach nur die Dinge vorführt.


    Der Roman beginnt damit, dass Sam, ein junger Schimpanse, im Haus eines Wissenschaftlers aufgezogen wird – ein Experiment mit dem Ziel zu beweisen, dass eine sprachliche Kommunikation zwischen Mensch und Tier möglich ist. Er wird rund um die Uhr betreut, trägt Windeln, sitzt bei den Mahlzeiten auf einem Hochstuhl, wird abends gebadet und schläft in einem Bett– kurz: er lebt wie ein Kind in der Obhut einer Familie. Sam ist lebhaft, neugierig, agil, lernwillig und sorgt im täglichen Leben für allerhand Turbulenzen.


    Die Grenzen zwischen Mensch und Tier verwischen sich, und das gelingt Boyle auch mit einem besonderen stilistischem Kunstgriff: er versetzt sich in das Bewusstsein des Affen und zeigt in inneren Monologen bzw. erlebter Rede dessen Gefühle und Gedanken. Damit rückt er den Affen recht nahe an den Menschen heran, und diese Nähe wirkt beunruhigend. Ist das geliebte und verhätschelte Familienmitglied, juristisch gesehen, tatsächlich nur eine Sache? Der Leser muss sich überlegen, was eigentlich den Menschen zum Menschen macht. Das Ende ist so gestaltet, dass der Leser um diese Frage nicht herumkommt und sich seine Gedanken machen muss.


    Was mir an Boyles Büchern (bisher) grundsätzlich sehr gut gefällt:

    Er sucht sich ein historisches Ereignis aus, das heute noch Bedeutung hat, recherchiert sorgfältig und konstruiert dann seine Geschichte. Hier sind es die Forschungen zum Spracherwerb der Menschenaffen, die in den 60er und 70er Jahren durchgeführt wurden, und folgerichtig wird auch Noah Chomsky zitiert.

    In diesem Buch sind es zwei Aspekte, die mich sehr beeindruckt haben: Einmal die eindringliche Art, in der Boyle erzählt, und zum anderen die Tatsache, dass er keine Antwort gibt, keiner Seite Recht gibt und die Antwort dem Leser selber überlässt.


    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „T. C. Boyle - Sprich mit mir“ zu „T. C. Boyle - Sprich mit mir / Talk to Me“ geändert.
  • dass er keine Antwort gibt, keiner Seite Recht gibt und die Antwort dem Leser selber überlässt

    Genau das finde ich so gut bei Boyle. Obwohl es auch gemein sein kann, wenn man sich von einem Autor eigentlich Hilfe erwartet und sie nicht bekommt. Ist mir bei "Wenn das Schlachten vorbei ist" ganz massiv aufgefallen.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Hilfe erwartet und sie nicht bekommt.

    Ja, stimmt.

    Ich fand es in diesem Roman hier fast quälend durch das besondere Ende, man hängt als Leser richtig in der Luft und - wie gesagt - kann gar nicht anders als darüber nachzudenken, was den Menschen denn nun zum Menschen macht bzw. wieso Sam - der sprechende, kommunizierende und denkende Affe mit einer heilsfähigen Seele - kein Mensch ist. Bzw. kein vollständiger ??? Mensch ist. :scratch:

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  • Die buchstäbliche Affenliebe der Protagonistin

    Erinnert mich inhaltlich an Peter Hoegs Roman „Die Frau und der Affe“. Wobei es dort ja um eine wirkliche Liebesgeschichte ging. Ich habe es nie gelesen, nur kurz reingeschaut, fand es aber damals äußerst merkwürdig.


    Boyle wandert aber auf die Wunschliste, danke fürs Vorstellen und für Deine Meinung.

  • Hm, es liegt wohl an mir aber Herr Boyle und ich werden nicht so richtig warm miteinander. Ausser "Die Terranauten", die mir sehr gut gefielen, konnte mich noch kein Buch von ihm auf Anhieb wirklich fesseln. Ich probiere es aber weiter, demnächst mit "Wenn das Schlachten vorbei ist" und "Wassermusik".

    Hier habe ich ca. ein Viertel gelesen und lasse es jetzt sein. Das eBook war nur aus der Onleihe, das gebe ich nachher zurück, da freut sich ein anderer Leser vielleicht. Irgendwie ist das Ganze so gar nicht mein Thema. Mir tut der Affe leid und ich habe richtig Angst davor, dass mit ihm etwas Schlimmes passiert und mag das Buch gar nicht zur Hand nehmen. :( Mich gruselt es auf ganz subtile Weise vor diesem Buch. Hört sich sicherlich seltsam an, ist aber so.

    Da habe ich derzeit auch zu viele andere Bücher welche ich lese und die mir gefallen als mich mit diesem selbst zu kasteien.

    Ich lasse es unbewertet, dazu habe ich zu wenig von dem Buch gelesen.

  • Ich habe den Roman sehr gerne gelesen. Es hat mich nicht nur unterhalten, sondern auch zum Nachdenken gebracht und zutiefst bewegt. :cry: Letztendlich ist es ein sehr trauriges Buch, wo die Folgen der Handlung mancher Protagonisten unausweichlich erscheinen. Ich fand es eindringlich, sehr emotional und spannend erzählt. Sodass man mit großem Interesse und bangem Gefühl das Leben von Sam dem Schimpansen und seiner Betreuerin Aimee verfolgt hat. Sehr gekonnt bringt der Autor für alle Menschen wichtige Fragen zur Sprache. Dieser Roman wird noch lange nachklingen.

    Es war ein Lese-Highlight für mich. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:


    Eines kann ich Dir verraten, ohne zu spoilern: es bleibt offen. Und das gefällt mir so gut: Boyle lotet das Thema aus und zeigt es in seiner Konsequenz. Und Du als Leser stehst dann am Ende des Buches da und machst Dir jede Menge Gedanken, die ans Eingemachte gehen.

    Liebe Drawe, ich habe dieses Zitat nach hier in Rezensionenthread verlegt, hoffe, du hast nichts dagegen. Ich bin mit dir nach dem Lesen insofern einverstanden, dass der Autor den Leser dazu bewegt sich viele Gedanken über wichtige Themen zu machen, man kommt nicht drum rum. Aber was den ersten Satz betrifft, so habe ich das anders empfunden.


    Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass so ein Buch jemanden kalt lassen könnte. Mich hat es zutiefst bewegt. Und einen bleibenden Eindruck hinterlassen. :thumleft: Sehr zu empfehlen!

    2024: Bücher: 73/Seiten: 32 187

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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  • Mir tut der Affe leid und ich habe richtig Angst davor, dass mit ihm etwas Schlimmes passiert und mag das Buch gar nicht zur Hand nehmen. :( Mich gruselt es auf ganz subtile Weise vor diesem Buch. Hört sich sicherlich seltsam an, ist aber so.

    Jessy, ich finde es nicht seltsam, aber ich habe so meine Vermutung woran es liegen könnte.

    Das Buch ist voll von drohendem Unheil, man weiß, dass einen tiefe Trauer in dem Zusammenhang treffen könnte, und man möchte sich vielleicht davon schützen, in dem man sich erst gar nicht auf die Geschichte einlässt. Das könnte ich mir als Erklärung vorstellen. Denn ich hatte auch immer so ein banges Gefühl, ich wollte zwar wissen, wie die Geschichte ausgeht, aber ich hatte Angst die weiterzulesen. :( Ich weiß natürlich nicht, ob ich richtig liege, aber das sind so meine Gedanken dazu. :friends:

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  • Das Buch ist voll von drohendem Unheil, man weiß, dass einen tiefe Trauer in dem Zusammenhang treffen könnte, und man möchte sich vielleicht davon schützen, in dem man sich erst gar nicht auf die Geschichte einlässt. Das könnte ich mir als Erklärung vorstellen. Denn ich hatte auch immer so ein banges Gefühl, ich wollte zwar wissen, wie die Geschichte ausgeht, aber ich hatte Angst die weiterzulesen. :(

    Ja, genau das meinte ich. Das hast Du gut ausgedrückt. :thumleft:

    Und Du weisst ja, ich mit meiner Angstmacke kann solche Bücher dann auch nicht weiterlesen. Bücher die mir, egal auf welche Weise subtiles Unbehagen und/oder Angst bereiten, die will und kann ich nicht lesen und die werden abgebrochen.

    Da warst Du mutig, dass Du durchgehalten hast und freut mich, dass das Buch trotzdem ein Leseerlebnis für Dich war ! :friends:

  • Aber was den ersten Satz betrifft, so habe ich das anders empfunden.

    "Offen" - da hast Du Recht: das kann sich nicht auf die Handlung beziehen, denn die wird geschlossen:

    Aber die Diskussion bleibt offen, Deine eigene Stellungnahme wird verlangt, und das finde ich in diesem Fall sehr schwierig. Jedenfalls ist es mir bis jetzt noch nicht gelungen.


    Wie gesagt: Es ist die Frage, was den Menschen denn eigentlich zum Menschen macht. Und diese Frage wird von Boyle wunderbar logisch durchkonjugiert, wenn er


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  • Aber die Diskussion bleibt offen

    Ja, das stimmt allerdings. Und es ist zwar keine neue Fragestellung in dem Weltgeschehen, aber er bringt es wunderbar zu Sprache und zwingt zum Nachdenken.


    drawe könntest du noch mal deinen Beitrag korrigieren und das Zitat von mir in Spoiler setzten :friends: denn ich wollte es so nicht hier im Thread stehen lassen.

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  • könntest du noch mal deinen Beitrag korrigieren und das Zitat von mir in Spoiler setzten

    Ich habe Deine Nachricht zu spät gelesen und kann den Beitrag nicht mehr bearbeiten.

    Tut mir leid. Da habe ich Deinen Spoiler zitiert und damit sichtbar gemacht, herrje... :pale:

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  • Ich habe Deine Nachricht zu spät gelesen und kann den Beitrag nicht mehr bearbeiten.

    Tut mir leid. Da habe ich Deinen Spoiler zitiert und damit sichtbar gemacht, herrje...

    ist nicht schlimm, ich frage bei unseren lieben Moderatoren

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  • Zu spät, schon erledigt ;)

    sehr schön, vielen lieben Dank :friends: Da in dem Absatz war doch zu viel verraten.

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  • Sprich mit mir


    T.C. Boyle ist der Meister der Erzählkunst und der schrägen, aber immer interessanten Themen.

    In ,,Sprich mit mir“ geht es um das Verhältnis zwischen Menschen und Menschenaffen, aber auch um viel mehr.

    Der Schimpanse Sam wird von dem Professor Guy Schemerhorn und seinen Assistenten wie ein Kind aufgezogen. Damit will der Wissenschaftler erforschen, wie weit die Kommunikation zwischen Mensch und Tier gelingt und zu welchen kognitiven Leistungen der Schimpanse in der Lage ist.

    Tatsächlich kann Sam in Gebärdensprache sagen, was er gerne essen möchte, am liebsten Pizza oder Cheeseburger, aber auch, wie er heißt oder sogar, dass ihm etwas Leid tut.

    Als die schüchterne Studentin Aimee, die ziel- und antriebslos ihr Studium absolviert, Sam und Professor Schemerhorn in einer TV-Show sieht, ist sie völlig fasziniert. Sie bewirbt sich als Assistentin für Sams Pflegfamilie und Schemerhorn erkennt sofort, dass Aimee ideal ist für seine Zwecke. Schon bei der ersten Begegnung mit dem Schimpansen wird deutlich, dass sich zwischen ihm und Aimee eine einzigartige Beziehung entwickelt. Aimee ist auch schnell bereit, ihr Studium auf Eis zu legen und sich voll und ganz der Betreuung von Sam zu widmen.



    Mich hinterlässt das Buch mit zwiespältigen Gefühlen. Sam schließt man sofort ins Herz, was auch daran liegt, dass Passagen aus seiner Perspektive geschildert werden. Doch die Erziehung Sams zu einem ,,Menschenkind“ wirkt verstörend, wenn man liest, wie er fernsieht, Süßigkeiten und Pizza isst und die Menschen um ihn herum mal mit seinen Gebärdensätzen erfreut, sie dann mit seinem wilden und tierischen Verhalten wieder völlig schockiert. Auch wenn dieses Experiment anders geartet ist als übliche Tierexperimente, ist es doch wieder der Mensch, der andere Kreaturen für seine Zwecke nutzt und missbraucht.


    Ein unterhaltsames, manchmal witziges, aber auch sehr nachdenklich stimmendes und trauriges Buch.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • In dem Erzähl-Band „Tod durch Ertrinken“, bei uns erschienen 1995, (Originaltitel „Descent of Man“ von 1979), findet sich unter dem Titel „Abstammung des Menschen“ eine Geschichte, in der ein männlicher Ich-Erzähler von der Liebesbeziehung zwischen seiner Frau und Konrad berichtet. Konrad ist ein Schimpanse.
    Liebe von, zu und mit Affen scheint also für Boyle ein gewichtiges Thema zu sein.


    Hier geht er einen Schritt weiter und lässt den Affen selbst zu Wort kommen: Menschlicher gehts nicht mehr. Dadurch fühlt der Leser so stark mit, dass das Weiterlesen stellenweise ans Unerträgliche grenzt. Entwickelt man als Leser nicht sogar eine Art Mitleid wie es im allgemeinen nur leidenden und bedrohten Kindern gilt?


    Boyle geht durch die Abschnitte aus Schimpansen-Sicht noch einen Schritt weiter als seine Figuren, die mit dem Affen leben. Während Guy und Aimee Gebärdensprache lehren und das Tier „nur“ darin kommunizieren kann, stattet Boyle ihn mit Menschengedanken in Menschensprache aus. Irgendwann fragt man sich: Wann darf der Schimpanse eigentlich wieder einfach ein Affe sein?


    Das Buch wirft eine Menge Fragen auf, mit denen Boyle seinen Leser nach altbekannter Manier allein lässt: Was trennt Tier und Mensch? Worin besteht überhaupt der ontologische Unterschied? Wo ist die Grenze für den Menschen, sich ein Tier vertraut zu machen? Darf er in den natürlichen Raum eines Tieres eingreifen? Wo endet Tierliebe und wird zu Tierquälerei?


    „Sprich mit mir“ ist ein Buch, das nicht arm an Provokationen ist. Als deren Höhepunkt und Gipfel der Vermenschlichung habe ich

    empfunden. Neu ist mir allerdings dieses Gefühl beim Lesen von Boyles Romanen nicht. Er hat schon einige Momente erschaffen, in denen ich nach Luft schnappen musste.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

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  • Als deren Höhepunkt und Gipfel der Vermenschlichung

    Das sehe ich auch so. Ich dachte beim Lesen immer "Also der wird doch nicht ..., das geht doch nicht..." - aber genau diese Provokation


    ist die logische Konsequenz der Geschichte. Das macht es ja so verstörend.

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

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  • die logische Konsequenz der Geschichte

    Im Nachhinein und mit etwas Distanz kann ich das auch so sehen, im Augenblick des Lesens war ich ... sprachlos ... baff ... auch empört. :-?

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  • Wenn ein Autor es schafft, ein Buch zu schreiben, in dem nicht nur einer der Protagonisten ein Schimpanse ist, sondern dieser auch in seinen eigenen Kapiteln selbst zu Wort kommt, dann ja wohl T.C. Boyle.

    Ich schätze den Autor und seine Geschichten und Erzählungen sehr für seine tiefgründigen Charakterstudien. Bei "Sprich mit mir" hatte ich genau damit jedoch meine Probleme. Die Kapitel, die mit der Erzählstimme des Schimpansen Sam erzählt werden, haben es mir schwer gemacht. Ich finde es großartig, dass der Autor sich daran gewagt hat, jedoch habe ich eine gewisse Distanz gespürt, wollte diese Kapitel nicht an mich heranlassen. Auch, weil sie den Unterschied zwischen Mensch und Tier so sehr verdeutlichen. Weil sie herausarbeiten, wie der Mensch seine Position und Stellung gegenüber den Tieren sieht.

    Daher war "Sprich mit mir" nicht immer leichte Kost, aber T.C. Boyle beleuchtet auch mit einem feinen Humor das Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Daher gibt es am Ende drei Sterne von mir.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de