Johan Huizinga - Herbst des Mittelalters

  • Das ausgehende Mittelalter, das Späte, wie man es nennt, steht beispielgebend für die Erwartung von etwas Kommenden, Neuerem, Besseren?

    Falsch, sagt Huizinga, das späte Mittelalter kündete von etwas Dahingehendem, von etwas Sterbendem.

    Es war der Abgesang einer einmaligen Daseinsform europäischer Kultur, in der Architektur, der darstellenden Kunst, der Dichtung.

    Vor Augen hat er dabei das Gebiet Burgunds zur Zeit Karls des Kühnen ( 1433-1477), so wie dieser von Rogier van der Weyden gemalt wurde:

    Der immer junge, kunstsinnige, gebildete Monarch, der König von Burgund, sozusagen als Sinnbild seiner Zeit.

    Es war eine farbige Welt, die Huizinga aufzeichnet, eine Welt der höfischen Dichtung, der epischen Stoffe, der Romanhaftigkeit der höfischen Lebensart.


    Das Ritterideal, im militärischen Sinne schon ausgemustert durch aufkommende Feuerwaffen, Landsknechtsstrategien und Massenheere, blühte noch einmal auf in der französisch - burgundischen Dichtung und Literatur, in rauschenden Festen und den Erhöhungen der höfischen Überlieferung.


    Ein " danse macabre", ein Totentanz, wie er als Motto ständig präsent war nach der Zeit der Pest, des "schwarzen Todes" seit 1350.

    Die spätmittelalterliche Kultur erfährt in ihrem Absterben noch einmal ihre höchste Blüte am glanzvollsten, reichsten Hof Europas.

    Den Tod fand dieser Märchenkönig dann ausgerechnet gegen ein plebejisches schweizerisches Volksheer, ein Gleichnis der Geschichte. Die " Entzauberung " der Welt, wie es Max Weber viel später ausdrückte.

    Der Herbst des Mittelalters war also zunächst einmal nicht der Beginn der Neuzeit, sondern das Ende einer grossen Epoche. Weit entfernt von nur in der " Mitte" zwischen zwei wichtigeren Epochen gewesen zu sein.

    Diesen Paradigmenwechsel stellt Huizinga in den Mittelpunkt seiner Betrachtung, die selbst kunstvoll, poetisch, in eindrucksvollen Farben gemalt daherkommt.

    Die Zeit des legendären Burgund war natürlich wie die Blüte des Rokoko im achtzehnten Jahrhundert eine Hochkultur für Wenige, war elitär und kannte keine Partizipation in Richrung des Bürgertums oder gar des einfachen Volkes. Schätzungen reden von wenigen tausend Menschen, die unmittelbar davon berührt wurden. Aber nun trifft diese Aussage auf fast alle höfischen Gesellschaften zu und ist so beliebig wie unergiebig.

    Tatsache bleibt, hier stellt sich ein Höhepunkt europäischer Kultur vor, der sich wie alle Höhepunkte dieser Art vor allem selbst feierte, aber auf unvergleichliche Art und Weise.


    Fazit:

    Ich darf den Grossmeister vorstellen:

    Johan Huizinga (1872-1945), in Groningen geboren, Präsident der niederländischen Akademie der Wissenschaften in Amsterdam und Historiker für das europäische Mittelalter.

    Generationen von Geschichtlern sind ausgebildet worden mit seinem Blick auf diese Zeit im Kopf. Sein Hauptwerk " Herbst des Mittelalters" ist und war absolutes Muss und der Standard in fast allen historischen Seminaren zum Mittelalter.

    Ich kann es vor allem auch den vielen FreundInnen des historischen Romans empfehlen, fehlt es dem Autor doch ebensowenig an Empathie für diese einmalige Epoche unserer Geschichte.

    Das Mittelalter " boomt" und niemanden würde das mehr freuen als Huizinga.

    Er hat zur "Ehrenrettung" dieser faszinierenden Epoche sehr viel beigetragen.

    Hier kann ich nichts anderes tun als fünf verdiente Sterne vergeben.:wink:

  • Sein Hauptwerk " Herbst des Mittelalters" ist und war absolutes Muss und der Standard in fast allen historischen Seminaren zum Mittelalter.

    Ist das immer noch so? Es ist doch erstaunlich, wie manche Werke ganze Generationen überdauern, und ich finde es gut, dass Du solche Werke hier vorstellst!

    Der Herbst des Mittelalters war also zunächst einmal nicht der Beginn der Neuzeit, sondern das Ende einer großen Epoche.

    Huizinga betont eher das Ende, wenn ich Dich richtig verstanden habe.


    In aller Bescheidenheit ein Vorschlag :winken: für Deine nächste Rezension:

    Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • 1.Großartig! Ebenfalls ein Klassiker, der sich immer zu besprechen lohnt. Übrigens spricht Huizinga zwar vom Herbst, meint aber im Grunde die Blüte, sein stets präsentes Understatement.:wink:

    2.Ist bei mir natürlich schon etliche Jährchen her :uups:, bei der Planung für das SS 2021 ist der Huizinga aber definitiv wieder dabei. Haben gerade darüber gebrütet.

    Viele Grüsse ,Dirk

  • Huizinga aber definitiv wieder dabei.

    Ich habe gerade gesehen, dass er neu übersetzt wurde - das sagt ja schon alles.

    (Ich habe das Buch nicht gelesen...:uups:)

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Wie sagt ein Freund von mir immer: "Mit jedem Tag erhöht sich die Zahl der Bücher, die ich nicht gelesen habe."

    Mir geht es genau so!!:wink:

    Huizinga aber definitiv wieder dabei.

    Ich habe gerade gesehen, dass er neu übersetzt wurde - das sagt ja schon alles.

    (Ich habe das Buch nicht gelesen...:uups:)