Thomas Reverdy – Ein englischer Winter / L‘ Hiver du mécontentement

  • Klappentext/Verlagstext
    England, 1978/79. Alles versinkt in Schnee und Chaos. Auf den Straßen türmt sich der Müll, es fahren weder Züge noch Busse. Die wildesten Streiks lähmen das Land und die Labour-Regierung taumelt - dem Empire hat endgültig die Stunde geschlagen. Keine gute Zeit, um sich zu verlieben, findet Schauspielerin Candice, die schnellste Fahrradkurierin Londons. Bis sie Jones begegnet, einem frisch entlassenen Musiker, der den harschen Zeiten auch nichts entgegenzusetzen hat. Inmitten der sich überall breitmachenden Kälte kämpfen die beiden jungen Leute um einen Platz in dieser Welt. Wiederholt sich die Geschichte gerade? Mit dieser Frage im Kopf hat Reverdy einen einfühlsamen, klugen Roman geschrieben. Seine engagierte Aueinandersetzung mit dem berühmt-berüchtigten »Winter des Missvergnügens« wurde zu Reverdys größtem Publikumserfolg und sie wurde mit dem Prix Interallié ausgezeichnet.


    Der Autor
    Thomas B. Reverdy wurde 1974 geboren, durchlebte, nach eigener Auskunft eine glückliche Kindheit inklusive humanistischer, aufklärerisch geprägter Erziehung und arbeitet heute als Lehrer in Seine-Saint-Denis. Reverdy lebt in Paris und ist Autor von sechs Romanen.


    Inhalt
    Im Winter 1978/79 erarbeitet sich die 20-jährige Schauspielschülerin Candice in einer Frauen-Theatergruppe ihre Rolle als Richard III. Sie führt dazu ein Werkstattbuch und diskutiert mit ihren Kolleginnen die Gemeinsamkeiten zwischen Richard und Politikern der Gegenwart. So fragt sich Candice, was eigentlich Leute von den Tyrannen vergangener Epochen unterscheidet, denen heute ganze Stadtviertel gehören. Ihren Lebensunterhalt verdient Candice als Fahrradkurierin bei City Wheelz, einer Firma, die als Reaktion auf den Zusammenbruch des öffentlichen Lebens in England durch zahlreiche Streiks gegründet wurde. Candice kennt ihre Stadt nicht wieder und ihre Eltern müssen damit rechnen, bald ihre Wohnung zu verlieren. Die Regierung Callaghan sah sich einer Stagflation, steigenden Preisen und daraus folgenden Streiks um Lohnerhöhungen gegenüber. Streiks der Bergarbeiter, in der Ölindustrie, im Öffentlichen Dienst und Demonstrationen der Ford-Arbeiter legten kurz vor Wintereinbruch das öffentliche Leben lahm. England stand am Abgrund und die euphemistische Bezeichnung „Winter of Discontent“ war nur ein weiteres Zeichen der Entfremdung zwischen Regierung und der arbeitenden Bevölkerung, die sich die Mieten z. B. in London nicht mehr leisten konnte. Wer in die Außenbezirke gezogen war, wurde von den Streiks nun hart getroffen und musste zusehen, irgendwie zur Arbeit zu kommen.


    Candice ist ruhelos, ständig in Bewegung, um nicht allein zu sein. Im Gegensatz zu ihr verharrt die britische Gesellschaft im Stillstand, unfähig ihre Konflikte zu lösen. Das Proben für „Richard III.“ hat die Schauspielerinnen mit dem Thema Verantwortung konfrontiert und so liegt es nahe, dass Candice sich an der passiven Haltung ihrer Mutter aufreibt, die die Gewalttätigkeit des Vaters duldete und ihre jüngere Tochter damit aus dem Haus trieb. Schließlich trifft Reverdys Heldin zufällig wieder auf jenen Jazzpianisten, der sich stets mit lausigen Jobs über Wasser gehalten hatte und damit stellvertretend für beide stehen kann.


    Fazit

    Auf Augenhöhe seiner Radfahrerin vermittelt Thomas Reverdy vor stetig wachsendem Chaos ein atmosphärisches Bild Londons. Den beispielhaften Niedergang Großbritanniens beschreibt der Autor in leicht zynischem Ton, in seiner Wirkung fast apokalyptisch. Jedes Kapitel wird von einem Songtitel der 70er Jahre eingeleitet. Die Playlist im Anhang dokumentiert auf anderer Ebene die Unzufriedenheit jener Epoche, die mit der Wahl der Regierung Thatcher erst den Anfang vom Ende einleitete. Wie Candice den Niedergang im Alltag und auf der Bühne erlebt, fügt sich zu einem zeitlosen Lehrstück.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Weber - Bannmeilen (Paris)

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Buchdoktor

    Hat den Titel des Themas von „Thomas Reverdy – Ein englischer Winter / L‘ Hiver de mécontentment“ zu „Thomas Reverdy – Ein englischer Winter / L‘ Hiver du mécontentement“ geändert.