Monika Helfer - Vati

  • Kurzmeinung

    mapefue
    Herausragender Kurzroman über die Geschichte einer Familie
  • Kurzmeinung

    Maesli
    Ein wunderbares Buch zum Innehalten
  • Klappentext:
    Ein Mann mit Beinprothese, ein Abwesender, ein Witwer, ein Pensionär, ein Literaturliebhaber. Monika Helfer umkreist das Leben ihres Vaters und erzählt von ihrer eigenen Kindheit und Jugend. Von dem vielen Platz und der Bibliothek im Kriegsopfer-Erholungsheim in den Bergen, von der Armut und den beengten Lebensverhältnissen. Von dem, was sie weiß über ihren Vater, was sie über ihn in Erfahrung bringen kann. Mit großer Wahrhaftigkeit entsteht ein Roman über das Aufwachsen in schwierigen Verhältnissen, eine Suche nach der eigenen Herkunft. Ein Erinnerungsbuch, das sanft von Existenziellem berichtet und schmerzhaft im Erinnern bleibt. „Ja, alles ist gut geworden. Auf eine bösartige Weise ist alles gut geworden.“ (von der Carl Hanser-Verlagsseite kopiert)


    Zur Autorin:
    Monika Helfer, geboren 1947 in Au/Bregenzerwald, lebt als Schriftstellerin mit ihrer Familie in Vorarlberg. Sie hat Romane, Erzählungen und Kinderbücher veröffentlicht, darunter: Kleine Fürstin (1995), Wenn der Bräutigam kommt (1998), Bestien im Frühling (1999), Mein Mörder (1999), Bevor ich schlafen kann (2010), Oskar und Lilli (2011) und Die Bar im Freien (2012). Im Hanser Kinderbuch veröffentlichte sie gemeinsam mit Michael Köhlmeier Rosie und der Urgroßvater (2010). Für ihre Arbeiten wurde sie unter anderem mit dem Robert-Musil-Stipendium, dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur und dem Solothurner Literaturpreis ausgezeichnet. Mit dem Roman Schau mich an, wenn ich mit dir rede (2017) war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert. Zuletzt erschien von ihr bei Hanser Die Bagage (Roman, 2020). (von der Carl Hanser-Verlagsseite kopiert)


    Allgemeine Informationen:
    zweiter Band der autobiographischen Erzählung
    Ich-Perspektive der Autorin
    ohne Kapiteleinteilung
    173 Seiten


    Meine Meinung:
    Eindrucksvoll macht Helfer wieder klar: Es wird niemandem je gelingen, einen anderen Menschen in- und auswendig zu kennen. Immer besitzt der andere weiße Flecke, die ihm allein gehören. So bleibt der Vater, der ohnehin gern zurückgezogen umgeben von Büchern lebt, zeitlebens ein Rätsel, und die Tochter setzt sich aus eigenen Erinnerungen, Gesprächen mit Geschwistern und Verwandten ein Bild zusammen – ein Bruchstück mit Rissen und freien Stellen.


    Während sie bei „Die Bagage“, dem Vorgängerband, der sich mit der Geschichte der Großeltern mütterlicherseits beschäftigt, die Passagen, die im dunklen liegen, an die sich niemand erinnert, mit angedeuteter Fiktion füllt oder offen zugibt, Hörensagen zu verarbeiten, bemüht sie sich in diesem Buch eher um getreue Abbildung der Realität. Auf der einen Seite sieht sie den Vater durch das Auge der Tochter, klar, davon kann sie sich nicht lösen, auf der anderen Seite versucht sie, ein authentisch-objektives Bild zu vermitteln.


    Nahe kommt der Vater dem Leser nicht. Weil er der Tochter nicht die Nähe gibt, die sie sich wünscht? Oder weil sie eine Kluft empfindet, hervorgerufen von dem Gefühl, in ihrer schmerzlichsten Zeit allein gelassen, abgeschoben worden zu sein?
    Wobei: Helfer klagt nicht an, sie macht keine Vorwürfe, sie erzählt, mehr nicht. Um die Emotionen, die dahinter stecken, die Verzweiflung

    weiß der Leser; wohltuend, dass die Autorin ihm diesen Part zutraut.


    Ihr Schmerz tritt offener zutage, wenn sie den Tod ihrer Tochter Paula erwähnt und ganz knapp ein paar Erinnerungen erzählt.


    Das Cover stammt ebenso wie das des ersten Bandes von Gerhard Richter aus seinen übermalten Fotografien. Inhaltlich lässt sich eine Beziehung herstellen: Ein reales Bild, das durch die Zeit, die verschiedenen Lesarten der Erinnerungen und die Zweifel am eigenen Gedächtnis verschwimmt.


    Ein sehr gutes Buch, das auf mich allerdings nicht den Sog von „Die Bagage“ ausübt. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Monika Helfer versucht in diesem Buch die Lebensgeschichte ihres Vaters nachzuzeichnen. Der Klappentext hat gewisse Erwartungen bei mir geweckt. Leider wurden diese nur halb erfüllt. Zu Anfang fand ich den Erzählstil der Autorin noch passend, doch im Verlauf des Buches brachte er mich den Figuren leider kein Stück näher. Eher im Gegenteil - ich hatte häufig den Eindruck, dass die Autorin wie aus weiter Ferne über ihren Vater erzählt. Für mich ist insgesamt nicht ersichtlich, wie sie zu ihrem Vater in den jeweiligen Situationen stand und jetzt rückblickend steht.

    Es gibt den zwar kriegsverserten, aber dennoch seinen Kindern zugewandten Vati. Dieser liest seinen Kindern vor, erklärt ihnen die Welt und nimmt Anteil an ihrem Leben. Er legt den Grundstein für eine glückliche Kindheit. Nach dem Tod der Mutter bricht auch für ihn eine Welt zusammen. Und er verschwindet für sehr lange Zeit aus dem Leben seiner Kinder. Diese werden bei verschiedenen Familienmitgliedern untergebracht und für die Autorin und ihre beiden Schwestern ist es wie der Umzug auf einen anderen Planeten. Auch hier bleibt die Autorin für mich seltsam distanziert. Ja, die Verhältnisse sind ärmlich, die Verwandschaft merkwürdig und das Leben nicht einfach. Es gibt viele Geschichten über das Leben in der Siedlung bei der Tante - aber wenig über die Gefühle, die die Autorin in dieser Zeit begleitet haben.

    Auch als der Vater wieder in das Leben der Kinder tritt, bleibt die Erzählung distanziert. Es ist vermutlich auch sehr schwierig, das Leben eines Menschen nachzuzeichnen, der lange Zeit abwesend war, über den selbst innerhalb der Verwandschaft kaum gesprochen wurde und an den sich das jüngste Kind kaum erinnern kann.


    Es gibt aber auch ein paar sehr schöne und leise Beschreibungen, die ich wirklich gelungen fand. Die haben nur leider sehr wenig mit dem Vati zutun. Das Buch hat mich verwirrt zurückgelassen. Was will dieses Buch mir erzählen? Für meinen Geschmack bemüht sich die Autorin etwas zu sehr um Neutralität. Keine Kritik, kein Wutausbruch - alles klingt wie eine Rechtfertigung. Teilweise sind die Zeitsprünge sehr groß und die in der Erzählung entstandenen Lücken brechen die aufgebaute Spannung wieder, ohne dass ganz offensichtliche Fragen überhaupt angesprochen geschweige denn geklärt werden.


    Mich hat die Lebensgeschichte von Monika Helfers Vater leider nicht gänzlich überzeugt.

  • Was weiß ich über meinen Vater?

    Diese Frage habe ich mir gestellt, nachdem ich dieses Buch gelesen hatte. Was weiß man eigentlich wirklich über die eigenen Eltern, ihren Lebenslauf, ihre Probleme, ihre Freuden und Sorgen? Als Kind ist man zunächst zu jung, um ihren Lebensweg zu erfassen, als junger Mensch ist man zu stark mit der eigenen Selbstfindung und Familiengründung beschäftigt, und danach kann es manchmal schon zu spät sein....

    Monika Helfer geht in diesem Buch der Frage nach, wie ihr Vater wirklich war und wie er sein Leben gestaltet hat. Dies ist nicht ihr erstes Buch, das sich mit Familienforschung beschäftigt, denn in 'Die Bagage' beschreibt sie bereits das Leben ihrer Großeltern. Diese hatten viele Kinder, und eines davon ist die Mutter der Autorin. Ich fand es sehr interessant, nebenbei zu lesen, wie es den Kindern in ihrem Leben ergangen ist.

    Josef, von seinen Kindern 'Vati' genannt, weil er das so wünscht und weil es modern ist, war im Krieg und trägt eine Beinprothese. Er ist belesen, intelligent und wurde schon als Kind respektiert. Aber er ist sehr verschwiegen, und deshalb muss die Autorin im Umfeld recherchieren, um sich ein nahezu fertiges Bild machen zu können. Josef lernte im Lazarett seine Frau kennen und lieben, mit ihr hat er insgesamt 4 Kinder, er wurde Verwalter in einem Kriegsopfererholungsheim in den Bergen, hatte somit einen verantwortungsvollen Posten und konnte seiner eigenen Famile dort ein schönes Leben bieten. Er hegt und pflegt die Bibliothek dieses Heimes und träumt davon, auch eines Tages eine solche zu besitzen. Dieser Wunsch führt zu einer krassen Entscheidung und verändert das gemütliche Familienleben. Die Familie lernt nun andere Lebensverhältnisse kennen, sehr beengt und eingeschränkt. Der Vater zerbricht daran.....

    Die Autorin erzählt ruhig und gelassen von den Höhen und Tiefen ihres Lebens im Hinblick auf den Vater und die anderen Familienmitglieder. Es gibt Phasen, in denen man Vatis Entscheidungen nicht versteht, aber sie bemüht sich stets, Vatis Beweggründe zu deuten und zu erklären. Sie zeigt keine Unzufriedenheit und spricht keine Vorwürfe aus. Bewundernswert!

    Historisch gesehen erleben wir die großen Entbehrungen der Nachkriegszeit mit, die engen Wohnverhältnisse, das kleine Budget, die strenge Erziehung der Kinder usw., was ich auch sehr eindrucksvoll fand.

    Der Schreibstil ist zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, kurze Sätze, Zeitsprünge und unbekannte Phrasen (österreichische Vokabeln!), aber man gewöhnt sich schnell daran.

    Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, es hat mich zum Nachdenken gebracht und nachgewirkt. Ich denke, im Leben meiner Eltern hätte ich noch vieles Wissenswerte finden können. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Sehr berührende Familiengeschichte


    Die Autorin Monika Helfer schildert in "Vati" die Geschichte ihres Vaters Josef. Josef ist in sehr erbärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Er war sehr intelligent und lernte schon Lesen, bevor er in die Schule gekommen ist. Er kommt sogar auf das Gymnasium. Aber bevor er die Matura machen kann, wird Josef als Soldat in den zweiten Weltkrieg eingezogen. Dort verliert er ein Bein und lernt im Krankenhaus Gretel kennen, die Mutter der Autorin.


    Der Schreibstil ist sehr angenehm und flüssig. Die Autorin erzählt nicht chronologisch, sondern macht mehrfach Zeitsprünge. Sie erzählt einzelne Episoden aus dem Leben ihres Vaters oder ihrer Kindheit. Es ist der Nachfolgeband zu "Die Bagage", in dem die Geschichte der Grossmutter von Monika Helfer erzählt wird. Mich hat das Buch sehr berührt und bewegt. Es hat mir die Schrecken des zweiten Weltkrieges, dessen Folgen und die Nachkriegszeit vor Augen geführt.


    Sehr lesenswerte bewegende Familiengeschichte.

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Nähe? Ferne?

    Sich dem eigenen Vater annähern zu wollen, stellt immer eine schriftstellerische Herausforderung dar, zumal, wenn der Erfahrungshintergrund dieser Figur uns Heutigen so fern gerückt ist. Kriegsteilnehmer und Kriegsversehrter, das hat, zusammen mit der sozial depravierten Herkunft, den Vater der Autorin zutiefst geprägt, und aufgrund der ähnlich determinierten Interessenlage, ihre von allen Kindern intensivste Bindung zu ihm bestimmt. Mit tiefer Einsicht und vollkommen unsentimental stellt sie dar, wie die verwehrten Bildungschancen der Herkunft und die schwere Behinderung den Vater daran hindern, seinen fundamentalen Interessen zu leben. Erschütternd, wie sie dem Leser vermittelt, wie unter diesen Umständen die Liebe des Vaters zu Büchern sich verdinglicht, diese geradezu zum Fetisch werden, so dass manche Verhaltensweisen nur als vollkommen irrational angesehen werden können. Einerseits verschafft seine genuine Verwurzelung in der Welt des Wissens dem Vater Halt, andererseits aber droht er an den Prüfungen, die das Schicksal ihm zumutet, zu zerbrechen. Beeindruckend, welcher betont schlichten, unaufgeregten Sprache sich Monika Helfer bedient, um einem Menschen, einem sozialen Milieu, einem historischen Panorama ein Denkmal zu setzen.

    Mein Urteil: 5 Sterne

  • In ihrem Roman „Vati“ hält Monika Helfer Rückschau auf das Leben ihres Vaters und ihrer Mutter, auf die Kinderjahre mit ihren Geschwistern, in der auch ihre Tanten und Onkeln eine wichtige Rolle spielten.

    Die Geschichte beginnt mit den Kinderjahren des Vaters. Er ist ein gscheiter Bub, dem die Mutter das Lesen beibringt und somit den Grundstein für seine Liebe zu den Büchern legt.

    Es folgen die Jugendjahre, der Krieg und die schwere Verletzung, die Liebe, ein Leben auf der Tschengla, der Absturz bis er noch einmal eine 2. Chance bekommt und sie ergreift.

    Wertvolle Bücher und bedeutende Werke prägen sein Leben, verändern es um es schlussendlich zu beenden.


    Meine Leseeindrücke

    Ich freute mich auf ein „kurzes“ Buch mit nur 176 Seiten. Lange habe ich gezögert, ob ich es überhaupt lesen soll, irgendetwas hielt mich von ihm fern. Aber schnell erkenne ich, dass das etwas ganz Persönliches ist, etwas was ich langsam lesen muss, mich konzentrieren muss auf die Geschichten, die Monika Helfer hier erzählt. Einiges kommt mir bekannt vor von Erzählungen meiner Mutter und ihrer Lieblingsschwester. Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugendzeit. Ob Südtirol oder Österreich, so unterschiedlich waren die Lebensbedingungen gar nicht. Und so lese ich das Buch mit zartem Schmerz in der Brust über eine Zeit die vorbei ist, unsere Eltern dennoch stark geprägt hat.


    Fazit

    „Vati“ von Monika Helfer ist ein wunderbares Buch zum Innehalten, zum langsam Lesen und zum Eintauchen in eine Zeit, die ich aus Erzählungen ansatzweise kenne. Wer Spannung und Action sucht, ist hier verloren. Das Buch wird oft als Fortsetzung von „Die Bagage“ genannt. Ich habe es nicht gelesen, werde das aber bald nachholen.

  • Monika Helfer ist eine österreichische Schriftstellerin, aufgewachsen in Vorarlberg, dem östlichsten Bundesland Österreichs. Er grenzt an die Schweiz und Deutschland. Sie beschreibt in VATI ihre Kindheits- bzw. Familiengeschichte.

    Das im Roman angesprochene Kriegsopfererholungsheim liegt auf TSCHENGLA auf 1220 müM., ist demnach auf eine Hochplateau im Brandnertal, zur Gemeinde 6707 Bürserberg gehörig. Mit dem Auto bequem zu erreichen über Lindau auf der E60/A14 bis Bludenz.

  • VATI ist die literarische Fortsetzung Monika Helfers Familiengeschichte, die mit „Die Bagage“ begonnen hat.

    Wer kennt seinen Vater wirklich, wer hat ihn je gekannt? Der eigene Vater ein Mysterium, oder in Wahrheit ein „bunter Mann“.

    „Nicht jeder Dreck, den man lesen könne, sei hintereinander gereiht schon eine Bibliothek“, sagt Vati auf die Frage, ‚was denn eine Bibliothek sei‘. Wie wahr.

    „Der Gegenstand (Buch) interessiert mich nicht. Was drinnen steht, habe ich nach der Lektüre im Kopf…“, sagt Monika Helfers Vati.


    VATI, die Geschichte von Vater, Mutter, Kind, den Geschwistern, aber auch von Helfers Mann und den Kindern, von ihrer Tochter Paula, die gestorben ist.

    Die Einzigartigkeit der Sprache von Monika Helfer ist bewundernswert, schön und eindringlich. Ich folgte ihrer Erzählung gerne. Wenn jemand eine Kindheit, eine solche Familie und diesen Vati hat, niemand kann sowas erfinden, dann muss daraus ein Roman geschrieben werden.


    Die Vorlage zum Cover stammt aus dem Bilderzyklus „Mutter und Kind“ mit dem Titel „S. mit Kind“ 1995 von Gerhard Richter, ein deutscher Maler, Bildhauer und Fotograf. Seine Werke zählen auf dem Kunstmarkt zu den teuersten eines lebenden Künstlers.

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