Melanie Dobson - Erinnerungen aus Glas / Memories of Glass

  • Kurzmeinung

    hennie
    Interessant zu lesen, aber an einigen Stellen für die 362 Textseiten zu viel gewollt
  • … so zart und klar und doch unzerbrechlich und unzerstörbar


    Zwei junge Frauen im Zweiten Weltkrieg, die sich selbstlos und mutig den Schwächsten annehmen und zur Rettung beitragen.


    Der Titel dieses Romans, dessen Ereignisse auf wahren Begebenheiten zurückzuführen sind, hat mich sofort angesprochen und mich zum Nachdenken gebracht und mich neugierig gemacht auf die Geschichte, die sich mir auf knapp 370 Seiten erschließt. Und ich muss sagen, ich wurde nicht enttäuscht. Ganz im Gegenteil – durfte ich doch wieder eine Geschichte in der Geschichte entdecken.


    Aber der Reihe nach:


    In zwei Handlungssträngen, beginnend mit einigen wenigen Seiten in Holland im Jahr 1933, in der ich den Beginn der Freundschaft zwischen den beiden Hauptprotagonistinnen, der neunjährigen Niederländerin Josefien, genannt Josie, und der nur um ein Jahr älteren Deutschen Anneliese, ebenfalls umbenannt zu Elsie miterleben kann. Um sie dann nur wenige Seite später und im Jahr 1942 wieder zu treffen. Beide im schwierigen und lebensbedrohlichen Alltag des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen treffen sie sich unerwartet wieder und – geprägt durch die praktizierten Grausamkeiten der Naziherrschaft – setzen sich mit all ihrer Kraft und auf verbotenen und verborgenen Wegen für die Rettung von jüdischen Kindern ein.


    Ergänzt werden diese Ereignisse gut 75 Jahre später durch eine zunächst völlig zusammenhanglose Reise der jungen, adoptierten Amerikanerin Ava nach Uganda. Als Direktorin einer gemeinnützigen Stiftung will sie sich dort einen persönlichen Eindruck über die Grundlagen des Förderantrags des Besitzers einer Kaffeeplantage mit angeschlossenem Waisenhaus verschaffen. Nicht ahnend, dass sich im Verlauf ihres Aufenthaltes und ihrer Recherchen eine Verbindung zwischen der Familiengeschichte des Kaffeeplantagenbesitzers und ihrer eigenen ergeben wird.


    Zwei Geschichten voller Dramatik und Spannung. Mit vielen (Familien-)geheimnissen und historischen Einblicken in die Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft der Bewohner eines Landes, das mir in dieser Form während des Zweiten Weltkriegs bisher noch nicht nahegebracht wurde.


    Der Roman liest sich, trotz des ernsten Themas hervorragend. Der einnehmende und fesselnde Schreibstil lassen kaum Pausen zu. Hinzu kommen noch Charaktere, mit denen man sich sofort identifizieren kann. Ihre Gedanken, Handlungen und auch ihr Verhalten sind überaus glaubwürdig und nachvollziehbar dargestellt. Man lebt die Zeit und die Ereignisse förmlich mit und hält dann doch immer wieder inne, um sich zu vergegenwärtigen, dass es sich um vergangene Realität und keine Fiktion handelt.


    Es war mir eine große Ehre, diesen Roman lesen zu können und empfehle ihn liebend gerne weiter.

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Melanie Dobson: Erinnerungen aus Glas“ zu „Melanie Dobson - Erinnerungen aus Glas / Memories of Glass“ geändert.
  • „Die Grenze ist überschritten, der Spiegel zerbrochen. Aber es reflektieren die Scherben.“ (Edgar Allan Poe)

    1942 Niederlande. Während eines unbefangenen Spiels mit ihrem Bruder Samuel und dem Nachbarsjungen Klaas 1933 lernt Josie die jüdische Bankierstochter Eliese kennen. Schon bald verbindet die beiden Mädchen eine enge Freundschaft. Doch der Nationalsozialismus streckt seine Fühler inzwischen auch in den Niederlanden aus, so dass Eliese nach ihrer Heirat nach England zieht und die Freundschaft zu Josie vorerst auf Eis liegt. Samuel arbeitet in der Bank, engagiert sich im Geheimen aber für den Widerstand, wofür er auch Josie als Botin einspannt, die in einer Kinderkrippe aushilft, die gegenüber einem alten Theater liegt. Eliese, die inzwischen mit ihrem kleinen Sohn nach Amsterdam zurückgekehrt ist, kümmert sich gezwungenermaßen in dem von Nazis umgebauten Theater um die Registrierung der jüdischen Bevölkerung, bevor diese ihrer Deportation entgegensehen. Josie kann das Elend kaum ertragen und beschließt alles zu tun, um wenigstens die Kinder zu retten…
    75 Jahre später reist die Amerikanerin Ava Drake als Stiftungsdirektorin der Kingston-Stiftung nach Uganda, um dort den Förderantrag von Landon West und seiner Bishara-Kaffeeplantage zu überprüfen. Sowohl West als auch das von ihm gegründete Kinderheim gewinnen schnell das Herz von Ava. Bei einem Zusammentreffen mit Landons 94-jähriger Großmutter erfährt Ava deren Lebensgeschichte, die eng mit der ihrer Familie verknüpft ist…


    Melanie Dobson hat mit „Erinnerungen aus Glas“ einen sehr anrührenden und spannenden historischen Roman vorgelegt, der sich an wahre Begebenheiten anlehnt und dem Leser eine atmosphärisch dichte und emotionale Geschichte präsentiert. Der flüssige, bildgewaltige und gefühlvolle Erzählstil lädt den Leser ein, sich zwischen unterschiedlichen Zeitebenen zu bewegen und dabei nicht nur in die Vergangenheit von Josie und Eliese einzutauchen, sondern auch die Gegenwart um Ava kennenzulernen. Über wechselnde Perspektiven ihrer Protagonisten bringt die Autorin ihre Handlung an den Leser, der sich erst einmal aufgrund der unterschiedlichen Handlungsorte sowie der vielen Namen orientieren muss. Doch einmal eingelesen, ist das Buch nicht nur ein wahrer Pageturner, sondern wartet durch die intensiven Beschreibungen auch mit einem tollen Kopfkino auf. Die Gefahr durch Nazis in den Niederlanden wird sehr plastisch beschrieben, die Angst der jüdischen Bevölkerung ist auch für den Leser spürbar ebenso wie die unterschiedlichen Handlungsweisen der holländischen Bevölkerung. Neben der Vergangenheit, in der Josie und Eliese für die Rettung von Kindern ihr Leben aufs Spiel setzen, lebt auch die Gegenwart von der spannenden Aufdeckung der Zusammenhänge, Verstrickungen und Geheimnisse, die jahrelang unter den Teppich gekehrt wurden, nun an die Oberfläche drängen und kein Stein mehr auf dem anderen lassen. Der christliche Glaube findet sich in dieser Geschichte nicht nur in der Nächstenliebe und der Hilfsbereitschaft wieder, sondern es geht auch um Vergeben und Verzeihen, was angesichts der Taten wohl das Schwierigste ist.


    Die Charaktere wurden facettenreich gestaltet und überzeugen durchweg mit ihren persönlichen Ecken und Kanten. Der Leser kann sich gut in sie hineinversetzen, mit ihnen bangen und mitfiebern. Josie ist eine kluge, etwas impulsive und emotionale Frau, die sich mutig und kämpferisch präsentiert. Eliese hat Angst um ihren kleinen Sohn, weshalb sie widerstrebend den Nazis zur Hand geht. Die Angst sitzt ihr dabei ständig im Nacken, dass auch sie bald zu den Deportierten gehören wird. Ava hat schon einige Schicksalsschläge erfahren müssen. Sie fühlt sich in ihrer neuen Familie noch nicht angekommen, angenommen sowieso nicht. Ihre Großmutter Marcella ist ein harter Knochen, die Patriarchin hat ihre Familie komplett im Griff. Landon ist ein sympathischer und selbstloser Mann, der fest in seinem Glauben verwurzelt ist.


    „Erinnerungen aus Glas“ ist eine berührende Geschichte über Freundschaft, Mut, Hilfsbereitschaft und Liebe, aber auch über Verrat, Gier und Vertuschung sowie die Folgen, die alte Taten im gegenwärtigen Leben haben. Absolute Leseempfehlung für ein echtes Highlight!


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    Bücher sind Träume, die in Gedanken wahr werden. (von mir)


    "Wissen ist begrenzt, Fantasie aber umfasst die ganze Welt."
    Albert Einstein


    "Bleibe Du selbst, die anderen sind schon vergeben!"
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    gelesene Bücher 2020: 432 / 169960 Seiten

  • Großes geschichtliches Thema


    Zu meinen Lieblingsgenres gehört die Art Literatur, zu der ich zunächst „Erinnerungen aus Glas“ rechnete (am Ende war es dann doch leider nicht ganz so rund für mich). Es ist die Historie, die auf zwei oder mehreren Zeitebenen spielt, welche mich begeistern kann. Wenn dann noch Familiengeschichte dazukommt, bin ich nicht zu halten.


    Im Juni 1933: In den Niederlanden, im kleinen Ort Giethoorn stellen Kinder im Spiel den Widerstandskampf gegen Spanien nach. Josie und Samuel, die Geschwister, und Klaas, der Sohn des Dorfarztes. Sie lernen bald darauf Eliese kennen, ein jüdisches, deutsches Mädchen. Sie ist 10 Jahre alt und mit dem Vater aus Deutschland geflohen und bei einer niederländischen Familie untergekommen. Erst neun Jahre später in Amsterdam erfolgt die nächste Begegnung mit den Protagonisten. Josie und Samuel sind inzwischen tatsächlich im Widerstand. Eliese hat einen kleinen Jungen, der ein Geheimnis bleiben muss. Der Vater heißt William Kingston und befindet sich in Amerika. Sie registriert in der Hollandschen Schouwburg die jüdischen Bürger aus dem Getto, bevor sie von Westerbork aus in die KZs abtransportiert werden. Zufällig trifft sie auf Josie, die im gegenüberliegenden Kinderheim arbeitet. Gemeinsam schmieden sie einen gefährlichen Plan...

    75 Jahre später prüft die junge Ava Drake als Direktorin der gemeinnützigen Kingston-Stiftung in Uganda die Hilfsprojekte von Landon West. Unerwartet ergibt sich eine Verbindung zwischen seiner und ihrer Familiengeschichte. Avas darauffolgende Recherchen bringen unfassbare Zusammenhänge ans Licht. Es ist eine Geschichte, die neben familiären Verknüpfungen, die tiefen und verbrecherischen Beziehungen zum Naziregime aufzeigen…


    Der Roman umspannt drei Kontinente und umfaßt einen zeitlichen Bogen, der von 1933/1942/1946 bis in die Gegenwart reicht. Bereits zu Beginn der Story wurde ich darauf vorbereitet, dass es massive Spannungen, tiefgreifende Konflikte in der superreichen Kingston-Familie gibt. Geld und Macht spielen immer noch eine große Rolle. Die wohltätige Stiftung ist der Deckmantel für eine ruchlose Vergangenheit.

    Es geht schnell, manchmal abrupt zwischen den Kapiteln in den Zeiten hin und her. In den Abschnitten ohne Zwischenüberschriften berichtet Ava aus der Ich-Perspektive. Durch sie wird der zeitliche Bogen von 1942 in die Gegenwart geschlagen. Immer mehr kommt über William Kingston, über sein mächtiges Glasimperium und seine unheilvollen, ungeheuerlichen Verstrickungen mit Hitler-Deutschland ans Tageslicht. Im Wechsel von Vergangenheit und Gegenwart wird über das perfide Tun der Nazis, über ihre perfekte, unmenschlich agierende Maschinerie, um die Juden in die Lager abzutransportieren, berichtet. Ava ist das Bindeglied zwischen den Generationen und ihre Nachforschungen decken große Teile der Wahrheit auf.


    Fazit:

    „Erinnerungen aus Glas“ war insgesamt interessant zu lesen, aber an einigen Stellen fand ich, dass Melanie Dobson für die 362 Textseiten zu viel gewollt hat! Weniger an verwandtschaftlichen Verstrickungen wäre gut gewesen! Einige Erläuterungen in Glossar-Form hätte ich gut gefunden (Puttkamer-Liste, Lager Westerbork, Ort Giethoorn...)

    Was mich verwunderte, war die häufige Ansprache an Gott, die nicht mehr zeitgemäße Ausdrucksweise. In der Vergangenheit und angesichts der unmenschlichen Umstände kann ich das verstehen, aber in der Gegenwart (bei Landon in Uganda) kommen mir die antiquierten, religiösen Formulierungen (bspw. „die Gnade und das Licht Gottes") wie aus der Zeit gefallen vor. Mein Leseeindruck wurde jedoch davon nicht wesentlich beeinträchtigt. :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: