Byung-Chul Han – Agonie des Eros

  • Original : Deutsch, 2012


    Erweiterte Ausgabe mit einem Vorwort von Alain Badiou, 2017


    INHALT :

    Der Eros gilt dem Anderen im emphatischen Sinne. In der Hölle des Gleichen, die unsere Gesellschaft zu werden droht, gibt es daher keine erotische Erfahrung. Der heutige Terror der Immanenz, der alles zum Gegenstand des Konsums macht, zerstört das erotische Begehren. Es ist ein fatales Kennzeichen der immer narzisstischer werdenden Gesellschaft, dass der Andere unbemerkt verschwindet. Die Müdigkeitsgesellschaft, in der man erschöpft von sich selbst ist, ohne sich zum Anderen hin befreien zu können, ist eine Gesellschaft ohne Eros.


    Alain Badiou führt in seinem nachdenklichen Vorwort, das hier erstmals auf Deutsch erscheint, Hans schlagende These fort und untermauert sie mit seiner eigenen Gegenwartsanalyse. (Quelle : Klappentext)


    M.E. läßt sich die sehr gute und verständliche Hin- und Ausführung von Badiou sehr gut NACH dem Lesen der sieben Hauptkapitel studieren !


    BEMERKUNGEN (ich werfe einfach mal einige Aussagen des Buches in den Raum) :


    - der Eros (eine auf den anderen gerichtete Liebe) steht laut Han heute unter Bedrohung. Er « braucht » den anderen, nicht im Sinne von « gebrauchen », sondern im Sinne einer Alterität. In der heutigen Gesellschaft aber stände diese in Gefahr, vom stets Gleichen überrannt zu werden, der Ablehnung des Anderen. Alterität verlangt Respekt und ein gewisse Distanz. Wie « verdingt » man den anderen nicht, wie es zB in « 50 Nuances de Grey » der Fall ist ?


    - das Sollen und Müssen ist durch das Können in seiner Allmächtigkeit ersetzt : wurde man eventuell früher ausgebeutet, so beutet sich der moderne Mensch selber aus und gelangt an die Grenzen seiner Kraft. Und was närrisch dran ist wäre das Gefühl, gleichzeitig frei zu sein, anstatt die Abhängigkeiten dadrin zu erkennen.


    - Suchen wir in der Beziehung nur noch die eigene Bestätigung, oder sind wir für ein Wechselspiel offen ?


    - heute wird der Eros nicht duch eine Angst vor/von Sex bedroht, sondern durch ein Zuviel an Pornographisierung und eine Banalisierung, die zum Verlust des Wertes selbst von Sex führen.


    - die unangemessen hohe Erwartung an den anderen und an das Leben im Paar ist ein Grund für steigende Enttäuschung


    - Erotismus wird gesteigert durch einen gewissen Mangel an Sichtbarkeit, durch die Gabe des Andeutens, durch Grenzen, Schwellen


    - auch im google-Zeitalter kann die Menge an Informationen nicht den (theoretischen) Überbau überflüssig machen : es bleibt eine Grundentscheidung zu fällen, eine eigene Entdeckung zu machen ! In dieser Suche nach dem « logos » oder der « sophia », ist der « Eros » unersetzbar.


    - - - - - - -

    Han arbeitet mit Bezügen aus Film, Musik und Literatur, was manchem Beispiele liefert.


    Seine Aussagen stehen im Indikativ, und werden kaum durch Zurückhaltung infrage gestellt. Dass ergibt einen Eindruck von scheinbarer Objektivität und Sicherheit oder auch zu großer Selbsteinschätzung. Wo bleiben die Grau- und Übergangszonen ? Manche Definitionen hätten eventuell mehr ausgearbeitet werden müssen, da sie vielleicht nicht unserem allgemeinen Sprachempfinden entsprechen. Wenn der Begriff « Depression » als Ausdruck einer kaputten Gesellschaft angewandt wird muss man sich fragen lassen, ob damit tatsächlich alle Erscheinungen von Depression betroffen sind.


    Aaaber dieses kleine Buch ist reich an Gedankengängen, die ein Lesen wert sind ! Ich empfand es als anregende Lektüre.


    AUTOR :

    Byung-Chul Han, geboren 1959 in Seoul/Südkorea, ist ein deutscher Autor und Essayist sowie Professor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin. Er studierte zunächst Metallurgie in Korea, dann Philosophie, Germanistik und katholische Theologie in Freiburg im Breisgau und München. Nach seiner Habilitation 1994 in Freiburg mit der Studie „Heideggers Herz. Zum Begriff der Stimmung bei Martin Heidegger » lehrte er Philosophie an der Universität Basel. 2000 habilitierte sich Byung-Chul Han an der Universität Basel. Anschließend war er bis 2010 Privatdozent am dortigen philosophischen Seminar. Im selben Jahr wechselte er an die Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, an der er bis 2012 als Professor für Philosophie und Medientheorie tätig war. Seit dem Wintersemester 2012 lehrt er Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin. 2015 erhielt er Le Prix Bristol des Lumières. 2016 wurde ihm der Salzburger Landespreis für Zukunftsforschung verliehen.


    Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Philosophie ab dem 18. Jahrhundert im Allgemeinen, die Ethik, die Phänomenologie, die Ästhetik sowie die Sozial-, Kultur-, Religions- und Medienphilosophie.


    Herausgeber : Matthes & Seitz Berlin; 1. Edition (13. Oktober 2017)

    Sprache: : Deutsch

    Taschenbuch : 94 Seiten

    ISBN-10 : 3957572770

    ISBN-13 : 978-3957572776

    Abmessungen : 9.8 x 1 x 18.2 cm

  • Die Thesen bzw. Denkanstöße, die Du hier beispielhaft erwähnst, finde ich sehr interessant. Ich denke auch, dass sich die Stellung und der Umgang mit Erotik in der Gesellschaft in den letzten hundert Jahren mehrmals sehr stark gewandelt hat. Ich werd mir das Buch daher merken.