Stephan Zantke - Wenn Deutschland so scheiße ist, warum sind Sie dann hier?

  • Kurzmeinung

    Bridgeelke
    Der Titel ist mehr ein 'Köder'; inhaltlich geht es mehrheitlich um andere Probleme unseres Rechtsstaats
  • Kurzmeinung

    Emili
    Ein Einblick in das System der Rechtsprechung. Überzeugend, realistisch und interessant.
  • Klappentext


    Eigentlich ist Stephan Zantke bloß ein einfacher Strafrichter in Zwickau. Doch Ende 2017 machte er europaweit Schlagzeilen. Vor seinem Gericht stand ein libyscher Flüchtling. Die Liste schwerwiegender Vorwürfe gegen ihn war lang. Als der Angeklagte über „Scheißdeutschland“ schimpfte, fragte Zantke: „Wenn es bei uns so scheiße ist, warum sind Sie dann hier?“ Der Satz machte Karriere. Dass die medialen Reaktionen so heftig ausfielen, zeigt, dass Zantke einen Nerv getroffen hatte. Die Frage war ein Ausdruck seines angestauten Ärgers angesichts einer Vielzahl von Kriminellen, die nach und nach den Respekt vor der Justiz und dem Staat verlieren.

    In diesem Buch berichtet Zantke von seinen drastischsten Fällen. Von einem 14-jährigen Jungen, der es schaffte, eine ganze Ortschaft in Angst zu versetzen. Von einer Bande, die sich darauf spezialisierte, Rentner zu überfallen. Zantke gibt Einblicke in deutsche Parallelwelten und kriminelle Milieus. Er zeigt, wie nah uns das Verbrechen eigentlich ist. Und wie machtlos der Staat oftmals bleibt. Der Richter wirft einen schonungslosen Blick auf eine überforderte Justiz und Kriminelle, die sich die Schwäche des Staates zunutze machen. Eine nachdenklich stimmende Analyse. Und ein Plädoyer für ein überfälliges Umdenken.


    Meine Buchbewertung


    Eigentlich wollte ich keine Rezension zu diesem Buch schreiben. Ein bisschen befangen bin ich ja, da ich Herrn Zantke als Kollege aus dem Gericht kenne. Dennoch verdient es dieses Buch, hier unbedingt erwähnt zu werden. Der nächste Punkt, der mir wirklich schwer gefallen ist, war die Wahl der richtigen Rubrik, wo dieses Buch hingehört. Einfach Erzählung? Nein. Politik? Schon gar nicht. Statt dessen bin ich sicher, dass genau diese Rubrik absolut passt. Weltsicht. Ohne Frage gehört es genau hierher.


    Im Grunde gibt es nur 2 kleine Kritikpunkte, die keine wirkliche Kritik sind, aber wären die nicht, würde ich jedem Deutsch- oder Ethiklehrer im Gymnasium empfehlen, dieses Buch im Unterricht zu behandeln. Allen Eltern würde ich es ohnehin empfehlen. Ein bisschen hat das Buch etwas von einem modernen Stubelpeter. In vielen kleinen Geschichten wird erzählt, was passieren kann, wenn man in diese oder jene Situation gerät. Natürlich ist dies mit der Botschaft verbunden, diese Situationen idealer Weise zu vermeiden. Und das Ganze bewusst ausgewogen aus der Sicht eine politisch neutralen Richters. Was kann passieren, kommt man die ultrarechte Szene? Was kann passieren, kommt man in die ultralinke Szene? Was passiert im Trinkermilieu und was in der Drogenszene? Kommt man aus einem "guten" Elternhaus oder nicht? Niemand kann sicher sein, dass alles gut ausgeht. Und hinsichtlich der Titelstory zeigt es, was mit frustrierten, nichtintegrierten Migranten passieren kann? Auch das gehört zu unserer Wirklichkeit. Es macht keinen Sinn, soetwas zu verschweigen.


    Alle Geschichten haben viel Lehrreiches und wären aus dem Grunde für Schulstoff aus meiner Sicht bestens geeignet - aber nur für ältere Schüler. Leider kommt nun der Wehrmutstropfen - aber Herr Zantke hat es ja schließlich auch nicht als Jugendbuch geschrieben. Es sind 3 Kapitel drin, die einfach aus meiner Sicht zu heftig wären, um die Jugendlichen damit zu konfrontieren. Vielleicht sehe ich das auch zu streng, aber insbesondere die Fälle von sexuellem Missbrauch sind schon unfassbar grausam. Der 2. Minikritikpunkt ist der Buchtitel, aber auch das ist meinem persönlichen Geschmack geschuldet. Wer hätte gedacht, dass sich hinter dem Titel so vielfältige Fälle verbergen? Man hätte eher mehr das polarisierende Titelthema erwartet. Aber tatsächlich biete das Buch deutlich mehr Vielfalt, als der Titel vermuten lässt.


    In der Summe wirken sich diese 2 kleinen Anmerkungen nicht auf die Sternvergabe aus. Der Inhalt des Buches ist von Anfang bis Ende hochinteressant und trägt durch seine geschickte Aufteilung der Fälle zum besseren Verständnis der Arbeit bei Gericht bei. Die einzelnen Geschehnisse werden zumeist aus Sicht des Täters und aus Sicht des Opfers dargestellt. Im Anschluss ist vom Gang der Gerichtsverhandlung samt Urteil zu lesen. Je nach Geschmack kann man dieses Buch fasziniert in einem Ritt durchlesen oder (wie ich sowas gerne mache) sich täglich eine spannende und für sich gekapselte Ration eines separaten Falles vornehmen.


    Insofern - vielen Dank Herr Zantke für diese Buch! Allen Lesern spannende Stunden!

  • Meine Buchbewertung


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    Im Grunde gibt es nur 2 kleine Kritikpunkte, die keine wirkliche Kritik sind, aber wären die nicht, würde ich jedem Deutsch- oder Ethiklehrer im Gymnasium empfehlen, dieses Buch im Unterricht zu behandeln. Allen Eltern würde ich es ohnehin empfehlen. Ein bisschen hat das Buch etwas von einem modernen Stubelpeter. In vielen kleinen Geschichten wird erzählt, was passieren kann, wenn man in diese oder jene Situation gerät. Natürlich ist dies mit der Botschaft verbunden, diese Situationen idealer Weise zu vermeiden. Und das Ganze bewusst ausgewogen aus der Sicht eine politisch neutralen Richters. Was kann passieren, kommt man die ultrarechte Szene? Was kann passieren, kommt man in die ultralinke Szene? Was passiert im Trinkermilieu und was in der Drogenszene? Kommt man aus einem "guten" Elternhaus oder nicht? Niemand kann sicher sein, dass alles gut ausgeht. Und hinsichtlich der Titelstory zeigt es, was mit frustrierten, nichtintegrierten Migranten passieren kann? Auch das gehört zu unserer Wirklichkeit. Es macht keinen Sinn, soetwas zu verschweigen.

    Das ist eine verbreitete, populistische Forderung, aus der ich schließe, dass die Person sich noch nicht mit Lehrplänen und -Inhalten befasst hat. Als Schülermutter hätte ich in beiden (Abitur-)Fächern etwas dagegen einzuwenden, dass für den Unterricht ohne Kenntnis des Literaturangebots ein "beliebiges Buch zum Thema" als Schullektüre gewählt wird. Gymnasiallehrer tun das zum Glück auch selten. Wenn ein Schüler das Buch von sich aus als Referatsthema vorschlagen würde, wäre das etwas anderes. Da nicht wenige Schüler außer der reinen Schullektüre nicht lesen, erfordert die Auswahl einer Klassenlektüre etwas mehr Literatur- und Buchmarktkenntnis.

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

    :musik: --


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Meine Buchbewertung


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    Im Grunde gibt es nur 2 kleine Kritikpunkte, die keine wirkliche Kritik sind, aber wären die nicht, würde ich jedem Deutsch- oder Ethiklehrer im Gymnasium empfehlen, dieses Buch im Unterricht zu behandeln. A

    Das ist eine verbreitete, populistische Forderung, aus der ich schließe, dass die Person sich noch nicht mit Lehrplänen und -Inhalten befasst hat. Als Schülermutter hätte ich in beiden (Abitur-)Fächern etwas dagegen einzuwenden, dass für den Unterricht ohne Kenntnis des Literaturangebots ein "beliebiges Buch zum Thema" als Schullektüre gewählt wird. Gymnasiallehrer tun das zum Glück auch selten. Wenn ein Schüler das Buch von sich aus als Referatsthema vorschlagen würde, wäre das etwas anderes. Da nicht wenige Schüler außer der reinen Schullektüre nicht lesen, erfordert die Auswahl einer Klassenlektüre etwas mehr Literatur- und Buchmarktkenntnis.

    Dem muss ich ganz klar widersprechen. Ich würde sagen, die Schlussfolgerung ist etwas verfrüht gezogen worden. Insbesondere ist man heutzutage mit der Kategorisierung "populistisch" schon ganz schön inflationär unterwegs. Genau das ist weder das Buch und schon gar nicht meine Rezension. Ich würde sogar soweit gehen, dass die kategorische Ablehnung fast schon in eine populistische Ecke wandert. Erstens geht mein Junior im Moment ebenfalls aufs Gymnasium. Wir befassen uns viel mit Literatur und Lehrplänen. Abgesehen davon, stamme ich aus einer Lehrerfamilie, bei der nicht nur die Eltern, sondern sehr viele andere Familienmitglieder ebenfalls Lehrer sind.

    Zweitens sind viele Schulklassen irgendwann auch im Rahmen des Unterrichts bei verschiedenen Gerichtsverhandlungen als Gäste anwesend. Hier würde sich das als Begleitliteratur durchaus teilweise (in Auszügen) empfehlen. Das Buch erläutert nämlich, warum ein Gericht diese und jene Fakten berücksichtigt, wie das Urteil entstand und was nicht berücksichtigt werden konnte. Für das allgemeine Rechtsempfinden und für das Verständnis unseres Rechtssystems ist das durchaus hilfreich.


    Und nicht zuletzt habe ich ja gerade geschrieben, dass ich aus genannten Gründen dieses Buch ja eben nicht als Schulliteratur empfehle. Daher finde ich es schon merkwürdig, dass das nicht gesehen wurde.

  • Zitat

    Dem muss ich ganz klar widersprechen. Ich würde sagen, die Schlussfolgerung ist etwas verfrüht gezogen worden. Insbesondere ist man heutzutage mit der Kategorisierung "populistisch" schon ganz schön inflationär unterwegs. Genau das ist weder das Buch und schon gar nicht meine Rezension.

    Ich habe weder das Buch noch deine Rezension als populistisch bezeichnet, sondern die theoretische Forderung, ein Buch könnte/sollte Schullektüre werden.

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

    :musik: --


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Zitat

    Dem muss ich ganz klar widersprechen. Ich würde sagen, die Schlussfolgerung ist etwas verfrüht gezogen worden. Insbesondere ist man heutzutage mit der Kategorisierung "populistisch" schon ganz schön inflationär unterwegs. Genau das ist weder das Buch und schon gar nicht meine Rezension.

    Ich habe weder das Buch noch deine Rezension als populistisch bezeichnet, sondern die theoretische Forderung, ein Buch könnte/sollte Schullektüre werden.


    Aber das ist doch auch nicht populistisch.


    Erstens habe ich das ja nicht gefordert. (siehe vorstehend) Und zweitens muss aber doch generell erlaubt sein, über soetwas nachzudenken, Auch in den Lehrerkonferenzen und allen anderen Stellen wird doch über soetwas diskutiert und nicht zuletzt haben Lehrer auch eine gewisse Freiheit, für bestimmte Themen bestimmte Bücher zu wählen. Diskussionen sollten doch erlaubt sein. Natürlich kann am Ende dann rauskommen, man entscheidet sich für was Anderes. Das ist doch ok.

  • Deine Rezension ist sehr gut,

    weil Dir dabei in Anbetracht des schwierigen Themas eine nüchterne und abgewogene Einschätzung gelang.

    Für fruchtlose Populismusdebatten jedenfalls zu schade.Populistisch ist alles oder nichts und das ist kein ernsthafter Ansatz,die Argumentation drohte abzufallen.

    So war meine nicht ganz ernst gemeinte Polemik zu verstehen.In aller Freundschaft,H.:wink:

  • Deine Rezension ist sehr gut,

    weil Dir dabei in Anbetracht des schwierigen Themas eine nüchterne und abgewogene Einschätzung gelang.

    Für fruchtlose Populismusdebatten jedenfalls zu schade.Populistisch ist alles oder nichts und das ist kein ernsthafter Ansatz,die Argumentation drohte abzufallen.

    So war meine nicht ganz ernst gemeinte Polemik zu verstehen.In aller Freundschaft,H.:wink:

    Alles gut, Ich bin immer für Diskussionen offen. Ich habe auch kein Problem damit, wenn man etwas anders sieht als ich. Das darf doch auch jeder.

    :winken: