Joachim Meyerhoff - Hamster im hinteren Stromgebiet

  • Klappentext:
    Was passiert, wenn man durch einen gesundheitlichen Einbruch auf einen Schlag aus dem prallen Leben gerissen wird? Kann das Erzählen von Geschichten zur Rettung beitragen? Und kann Komik heilen? Nachdem der Erzähler Joachim Meyerhoff aus so unterschiedlichen Lebenswelten berichtet hat wie einem Schüleraustausch in Laramie, Amerika, dem Aufwachsen auf einem Psychiatriegelände, der Schauspielschule und den liebesverwirrten Jahren in der Provinz, gerät der inzwischen Fünfzigjährige in ein Drama unerwarteter Art. Er wird als Notfall auf eine Intensivstation eingeliefert. Er, der sich immer durch körperliche Verausgabung zum Glühen brachte, die »blonde Bombe«, für die Selbstdetonationen ein Lebenselixier waren, liegt jählings an Apparaturen angeschlossen in einem Krankenhausbett in der Wiener Peripherie. Doch so existenziell die Situation auch sein mag, sie ist zugleich auch voller absurder Begebenheiten und Begegnungen. Der Krankenhausaufenthalt wird zu einer Zeit voller Geschichten und zu einer Zeit mit den Menschen, die dem Erzähler am nächsten stehen. Er begegnet außerdem so bedauernswerten wie gewöhnungsbedürftigen Mitpatienten, einer beeindruckenden Neurologin und sogar wilden Hamstern. Als er das Krankenhaus wieder verlassen kann, ist nichts mehr, wie es einmal war. Joachim Meyerhoff zieht alle literarischen Register und erzählt mit unvergleichlicher Tragikomik gegen die Unwägbarkeiten der Existenz an. - von der kiwi-Verlagsseite kopiert


    Zum Autor:
    Joachim Meyerhoff, geboren 1967 in Homburg/Saar, aufgewachsen in Schleswig, war vierzehn Jahre lang Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters. In seinem sechsteiligen Zyklus »Alle Toten fliegen hoch« trat er als Erzähler auf die Bühne und wurde zum Theatertreffen 2009 eingeladen. 2007 wurde er zum Schauspieler des Jahres gewählt. Für seinen Debütroman wurde er 2011 mit dem Franz-Tumler-Literaturpreis und 2012 mit dem Förderpreis zum Bremer Literaturpreis ausgezeichnet. Im September 2016 erhielt er den Nicolas-Born-Debütpreis, den Euregio-Schüler-Literaturpreis, im Januar 2017 die Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz. Im Mai 2017 wurde Joachim Meyerhoff in der Sektion Darstellende Kunst in die Akademie der Künste aufgenommen und von der Fachzeitschrift Theater heute zum Schauspieler des Jahres 2017 gewählt. 2018 erhielt er für sein Prosawerk den Jonathan-Swift-Preis für Satire und Humor. Seit 2019 ist Joachim Meyerhoff Ensemblemitglied der Berliner Schaubühne. - von der kiwi-Verlagsseite kopiert


    Allgemeine Informationen:
    5. Teil der autobiographischen Trilogie „Alle Toten fliegen hoch“
    Ich-Erzählung des Autors
    320 Seiten


    Meine Gedanken zum Buch:
    „Joachim Meyerhoff befriedigt konkurrenzlos ein tief verankertes menschliches Grundbedürfnis, das im Grund bloß verzweifelt nach Geschichten hungert – und nach jemandem, der sie eloquent zu erzählen weiß“, wird die österreichische Zeitung „Standard“ im Klappentext von Band 1 zitiert. Demzufolge beginne ich meine Rezension zu Band 5 mit demselben Zitat wie die zum ersten Band.


    Ich habe Meyerhoff viermal laut applaudiert, hatte nur wenige Details zu bekritteln und halte bis heute das Ende von „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ für einen der stärksten literarischen Texte über sterben, loslassen und annehmen, den ich je gelesen habe. Nun steht der Tod vor seiner eigenen Tür, und wieder sind es Worte, aus denen er Geschichten formt, die ihn überleben lassen. In den ersten Nächten rekapituliert er Erlebnisse, Anekdoten und Reisen und hält so seine Angst vor den Schlaf, in dem ihn einer zweiter Schlag unbemerkt und tödlich treffen könnte, in Zaum.


    Aufs Neue hat Meyerhoff mich gut unterhalten (so gut wie halt eine Erzählung um einen Hirnschlag unterhalten kann), und wieder gefällt mir seine individuelle, ironische und lebhafte Sprache.
    Dennoch entdecke ich in diesem Buch eine Distanzlosigkeit, die mich bisweilen abstößt: Sind die Einzelheiten, auch die unappetitlichen, so wichtig, dass z.B. Ausscheidungen und Geruch haarklein beschrieben werden müssen? Wie steht es um die Krokodilstränen eines Mannes, der seine Frau und seine Kinder wegen einer neuen Liebe verlässt, die er bei der schönsten Frau gefunden hat, die er je gesehen hat und deren Vollbusigkeit er lobt? Ein toller Hecht scheint er zu sein, dass sogar die neurologische Oberärztin vermutlich seinetwegen unter dem Kittel Abendgarderobe trägt. Meyerhoff und die Frauen – super, dass alle von ihm, dem bekannten Schauspieler so begeistert sind, dass er seiner Bekanntheit pflegerische Vorteile verdankt.


    Laut den letzten Seiten begann er, dieses Buch auf dem Weg nach Hause zu schreiben, nachdem er aus der Klinik entlassen war. Ich bin in puncto Autobiographie eine Verfechterin der Distanz: Aus der Ferne lassen sich emotionale Augenblicke deutlicher und signifikanter betrachten und leichter sortieren in das, was erzählt werden kann und das, was man lieber für sich behält.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:


    Hier findet sich ein Interview von Denis Scheck mit dem Autor über dieses Buch.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Joachim Meyerhoff“ zu „Joachim Meyerhoff - Hamster im hinteren Stromgebiet“ geändert.
  • Ein toller Hecht scheint er zu sein, dass sogar die neurologische Oberärztin vermutlich seinetwegen unter dem Kittel Abendgarderobe trägt. Meyerhoff und die Frauen –

    Ja, da gebe ich dir Recht, Marie . Das ist auch der Grund, warum mir "Die Zweisamkeit der Einzelgänger" nicht so gut gefallen hat - weil er sich sehr gern als - wie du so schön schreibst - toller Hecht darstellt und weil es in diesem Buch praktisch um nichts anderes geht. Andererseits finde ich den Aspekt, dass er das Einzelzimmer bekommt, weil er berühmt ist, sehr ehrlich von ihm und es wird halt wirklich so sein, dass berühmte Menschen oft im Vorteil sind, wenn es um die Verteilung von Annehmlichkeiten geht. Traurig, aber wahr.


    Was mich sehr erstaunt hat, ist die Beschreibung dieser Intensivstation. Ich meine, bitte wo ist dieses Krankenhaus?! Irgendwo in der hinteren Mongolei? Es gibt doch bitte in Österreich keine Krankenhäuser, in denen die Betten nur durch Vorhänge abgetrennt sind und wo man direkt bei den Patienten vorbeilatscht um aufs Klo zu kommen. 8-[


    Ich bin ja in der glücklichen Situation, noch nie eine Intensivstation von innen gesehen zu haben, aber ein wenig steriler und diskreter hätte ich mir das schon vorgestellt.


    Grundsätzlich ist es bei mir ja so - und das habe ich schon ca. 1000 Mal geschrieben; tut mir leid, wenn ich mich wiederhole: Ich muss Charaktere in Büchern nicht mögen, ich muss sie nicht sympathisch finden und ich muss nicht jede Entscheidung, jede Aussage nachvollziehen können, damit mir das Buch gefällt. Für mich war "Hamster im hinteren Stromgebiet" ein Jahreshighlight und hat mich genauso begeistert wie die ersten drei Bände der "Alle Toten fliegen noch"-Reihe.

  • Ich muss Charaktere in Büchern nicht mögen

    Ich auch nicht, aber für mich ist es ein Unterschied, ob es sich um einen fiktiven Protagonisten handelt oder um das autobiographische Ich.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Ich habe Joachim Meyerhoff bei mehreren Lesungen und oft im Theater erlebt und stimme der Aussage zu, was die beschriebene Distanzlosigkeit betrifft. Die ihn auf der Bühne auszeichnet, auf dem Podium beim Lesen, bei After-Show Diskussionen im Theater, also immer, wenn er als Autor bzw. Schauspieler aufritt. Auch in seinen vorherigen Büchern war das ja so, er lässt uns nah an sich heran. Auch wenn man berücksichtigen muss, dass seine Bücher immer noch Romane sind in dem Sinne, dass er Dinge und Situationen hinzufügt, weglässt oder anders schildert als sie sich zugetragen haben.

    Ungeachtet des Wahrheitsgehalts seiner Romane, ich liebe seine Offenheit und die Fähigkeit über sich selbst zu lachen, egal wie ernst die Situation ist. Oder wenn er davon erzählt, dass er eine Frau verlässt, um mit einer anderen zu leben. Das ist schon auch mutig, weil man schnell für etwas verurteilt wird, obwohl so viele Menschen es von sich selbst kennen: Liebe kommt, und Liebe geht. Mir hat daran gefallen, wie er sich bemüht, trotzdem Vater seiner Töchter zu bleiben.

    Was ihn auszeichnet ist, dass er sich und seinen Gefühlen so nahe ist und daher so gut darüber sprechen, schreiben oder spielen kann. Das ist es, was die Menschen spüren, und dafür lieben sie ihn. Wo er auch ist, zaubert er den Menschen ein Lächeln aufs Gesicht.


    Eine der Episoden aus diesem Buch, die mir am besten gefallen haben ist die: Es ist an seinem Entlassungstag aus dem Krankenhaus. Er sitzt auf einer Bank und wartet, dabei fällt sein Blick auf einen Mann, der auf der anderen Straßenseite versucht, einen Tisch auf einem Fahrrad zu transportieren. Es gelingt ihm lange nicht, den Tisch so zu befestigen, dass er losfahren kann. Aber irgendwann klappt es dann doch, und er fährt davon. Da musste ich lauthals lachen, so komisch ist das geschrieben. Ich glaube, jeder hat schon mal so eine Alltagsbeobachtung gemacht. Aber sie so detailliert und witzig zu beschreiben, das ist wenigen gegeben. Diese Episode zeigt, was ihn als Schriftsteller ausmacht.


    !!! Ich bin ein Riesenfan von Meyerhoff, falls das noch niemand gemerkt hat !!!

    signed/eigenmelody

    Dear Life,

    When I said "Can my day get any worse?" it was a rhetorical question, not a challenge.

    -Anonymous