N. K. Jemisin - Zerrissene Erde/The Fifth Season

  • Wir befinden uns in einer düsteren Welt, die an Zyklen von Zerstörung und Wiederaufbau gewohnt ist und für diese wiederkehrenden Naturkatastrophen sogar eine eigene Bezeichnung, "season", eingeführt hat. Vor dieser unwirtlichen Kulisse verfolgen wir drei Handlungsstränge:


    Essun ist verzweifelt. Ihr Ehemann hat ihren kleinen Sohn getötet und ist nun spurlos verschwunden, ebenso ihre Tochter. Sie verlässt ihr Zuhause und begibt sich auf eine Reise ins Ungewisse. Schon beim Aufbruch liegt eine Vorahnung von drohendem Unheil in der Luft, und tatsächlich sieht sie sich unterwegs mit zahlreichen Gefahren konfrontiert und kann sich nie sicher sein, wem sie vertrauen kann.


    Damaya wird aus einem lieblosen Elternhaus geholt, wo sie als "Orogene" mit der Fähigkeit, mit den Kräften der Natur in Kontakt zu treten und diese zu beeinflussen, von der eigenen Familie gefürchtet ist. Zunächst glaubt sie, sie würde verkauft, doch dann erfährt sie, dass sie im Fulcrum eine reguläre Ausbildung erhalten soll, um ihre besonderen Fähigkeiten in geordnete Bahnen zu lenken. Das ist zwar eine ungeahnte Chance für Damaya, die zuletzt von ihren Eltern im Stall eingesperrt wurde, doch wirklich glücklich ist sie im Fulcrum nicht, wo sie stets Außenseiterin bleibt.


    Syenite bricht mit einem höchstrangigen Mit-Orogene zu einer Hilfsmission auf und hat gleichzeitig den Auftrag, sich von ihm schwängern zu lassen, um Nachwuchs von bester Qualität sicherzustellen. Sehr begeistert sind sie davon beide nicht, und doch entsteht eine gewisse Bindung zwischen den beiden, nachdem sie einige schwierige Situationen gemeinsam gemeistert haben.


    N. K. Jemisin entwirft im Auftaktband zu ihrer Broken-Earth-Trilogie eine komplexe, düstere Welt, die wie eine pessimistische Zukunftsvision unserer Erde in einigen hundert Jahren anmutet, in der man sich fatalistisch mit periodisch wiederkehrender Zerstörung abgefunden hat und auf die nächste solche Phase stets vorbereitet ist.


    Die Trilogie spielt zwar in einer erfundenen Welt, legt den Finger aber in zahlreiche Wunden der heutigen irdischen Gesellschaft wie Rassismus, Ungleichheit, Ausbeutung, Zerstörung der Natur und Klimawandel, ohne dass es lehrerhaft und bemüht wirkt. In der Klassengesellschaft des Buches herrscht die Vorstellung vom idealen Menschen vor, die umso verbreiteter ist, je höher die Klasse, und geprägt von unverhohlener Diskriminierung gegenüber den Orogenes bis hin zum Lynchmord. Es scheint auf den ersten Blick völlig unverständlich, warum man den Orogenes mit solchem Misstrauen begegnet, statt sich ihre Fähigkeiten zunutze zu machen - doch Diversität funktioniert in unserer eigenen Welt ja leider auch nur sehr bedingt.


    Jemisin lässt sich Zeit, Personen und Gegebenheiten wie Geographie und das Magiesystem der Orogenes vorzustellen, was auf den ersten etwa 100 Seiten mehr Fragen aufwirft als beantwortet (vor allem, wenn man wie ich das Glossar im Anhang erst am Schluss entdeckt :D ).


    Doch auch wenn zunächst die Fragezeichen über dem Kopf der Leser*innen kreisen, entwickelt das Buch schnell eine große Faszination, denn es ist hochspannend, einfallsreich und gespickt mit beißendem, düsterem Humor. Typische Motive aus Dystopien und Fantasyepen sind zwar deutlich erkennbar, aber was uns hier serviert wird, ist nicht der x-te fade Abklatsch, sondern eine moderne, frische Neuinterpretation, sehr am Puls der Zeit.


    Der Schluss ist ein ziemlich fieser Cliffhanger und macht sofort Lust auf Teil 2, den ich auch bereits bestellt habe.


    (Nur eins verstehe ich wie so oft nicht: warum man im Deutschen nicht der Titelgestaltung und dem Originaltitel folgt und dafür ein kitschiges Bild und einen kitschigen Titel verwendet. Und warum zur Hölle "Die große Stille" als Titel der Trilogie?)

  • KF_Maynard : das Original ist schätzungsweise unschlagbar (wobei ich auch mal in die deutsche Übersetzung reinlinsen werde, falls sie mir in die Hände fällt, weil mich interessiert, wie gut Jemisins Sprachstil ins Deutsche übertragen wurde). Ich hoffe, das Buch gefällt Dir auch so gut wie mir.