Tanja Paar - Die zitternde Welt

  • Die zitternde Welt von Tanja Paar beschreibt die Familiengeschichte eines ungewöhnlichen Paares. Maria reist 1896 hochschwanger dem Vater ihres Kindes, Wilhelm nach Anatolien hinterher und beginnt dort mit ihm ein neues Leben in wilder Ehe. Ein Zitat aus dem Buch beschreibt meiner Meinung nach die Beziehung besonders gut: "Maria war wie der Drache in der Luft, er ihr Gewicht am Boden. Dazwischen eine dünne Schnur, die manchmal gefährlich surrte und sie doch hielt und ihr Richtung gab. Ohne ihn, das wusste sie, wäre sie abgehoben und zerschellt. (S.105)"


    Auf nur 300 Seiten bringt uns Tanja Paar die Lebensgeschichte der beiden mit eindringlichen Szenen und Dialogen nah. Die ausgewählten Szenen sind reduziert auf das Wesentliche, jede trägt dazu bei einen Charakter kennenzulernen. Für mich war das Buch eine Liebe auf den zweiten Blick, im ersten Teil musste ich noch warm werden mit dem Erzählstil der Autorin. Während der erste Teil vor allem das Leben von Maria und Willhelm beschreibt, die in Anatolien trotz aller Unterschiede ein glückliches Leben aufgebaut haben, entfaltet sich im zweiten Teil der tragische Teil der Geschichte und der Blick richtet sich auf das Leben der Kinder. Zwei Weltkriege beeinflussen das Geschehen stark, doch manchmal entscheiden kleine Momente über das Schicksal.


    Die zitternde Welt ist kein Buch, das man so nebenher liest, viel steht zwischen den Zeilen. Vor allem der zweite Teil hat mich jedoch in seinen Bann gezogen. Das Cover finde ich sehr passend gewählt: Es zeigt einen auf dem Kopf stehenden Orangenbaum und auch für Maria steht die Welt im Buch plötzlich auf dem Kopf.

  • Das große Glück in Anatolien und sein drastisches Ende

    Maria ist schwanger und möchte sich nicht den Erniedrigungen aussetzen, die in ihrem kleinen Heimatdorf auf sie warten, denn der Vater des Kindes hat sich überraschend nach Anatolien begeben, um am Bau der Bagdadbahn mitzuwirken. Ausgestattet mit einem starken Willen und einer gehörigen Portion Mut beschließt die Hochschwangere, Wilhelm in Anatolien zu suchen und ihn mit der Situation zu konfrontieren. Hier findet diese Frau meinen höchsten Respekt, denn wir befinden uns in der Zeit um 1900, als Frauen in der Gesellschaft eine untergeordnete Rolle zugewiesen bekamen und sich zu fügen hatten.

    Maria erreicht ihr Ziel, ein kleines Dorf in Anatolien, und eine traumhafte Zeit beginnt: ein großes Haus, Bedienstete, ein schöner Garten, Kindersegen, ein eigenes Pferd usw. Wilhelm hat es zwar nicht leicht mit dieser rebellischen Frau, aber er liebt sie und sorgt für sie und die Kinder. Maria ist klug und stark, sie agiert in Ruhe, um ihre Ziele zu erreichen. In ihrer Ruhe liegt die Kraft!

    Der erste Teil des Buches beschreibt dieses herrliche Leben in Anatolien, in dem es Höhen und Tiefen gibt, wo aber die Lebensfreude Marias deutlich spürbar ist.

    Alles gerät jedoch ins Wanken, als der erste Weltkrieg ausbricht und das Verbleiben im osmanischen Reich unmöglich wird. Maria und Wilhelm haben Angst um die Zukunft ihrer wehrpflichtigen Söhne und verschaffen ihnen eine neue Identität, wodurch der Fortbestand der Familie zu zittern beginnt. Es wird viel schlimmer als erwartet....die beiden Söhne erleiden einen totalen Identitätsverlust. Türke? Franzose? Deutscher? Erich und Hans haben keine Wurzeln mehr und verlieren sich selbst. Hans überlebt den Krieg nicht, Erich bleibt körperlich unversehrt, ist aber ein seelisches Wrack.

    Der ganze zweite Teil des Buches dreht sich überwiegend um Erich und seine Versuche, im Leben wieder Fuß zu fassen. Hier hätte ich gern noch mehr Informationen zu Marias Entwicklung gelesen, denn sie entwickelt sich zu einer gehässigen, tyrannischen und lethargischen Frau. Gern hätte ich mehr darüber erfahren, wie es dazu kommen konnte. Dazu werden leider nur Andeutungen gemacht.

    Der Schreibstil der Autorin ist sehr ansprechend und flüssig, die Charaktere der einzelnen Protagonisten sind präzise gezeichnet, so dass man sie leibhaftig vor Augen und im Kopf hat. Sehr informativ fand ich den historischen Hintergrund, denn über diese Zeit und die politischen Entwicklungen, besonders im Nahen Osten, wusste ich nicht viel. Hier hat die Autorin intensive Recherchearbeit geleistet.

    Alles in allem: Eine Familiensaga der etwas anderen Art, sehr lesenswert und informativ, auch wenn es nicht um den Zusammenhalt der Familie geht, sondern um ihr Zerbrechen!

    LG

  • Ein Familienportrait vor dem Hintergrund vieler Schicksalsschläge

    Maria, eine waschechte Österreicherin bemerkt das sie bald ein KInd bekommen wird. Als sie erfuhr das sie schwanger ist, begibt sie sich auf den Weg zu ihrem Liebhaber nach Anatolien. Wilhelm arbeitet dort für die Eisenbahngesellschaft, die das Ziel verfolgt, eines Tages von Istambul bis nach Bagdad Schienen zu verlegen um das osmanische Reich befahrbar zu machen und so Güter- und Personentransporte verstärkt zu ermöglichen.

    Doch es kommt anders. Weder Maria, noch die Eisenbahner rechneten mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs und so zerplatzt der Traum mit der Eisenbahn das Land zu befahren. Jedoch wird auch Marias Familie durch diese neue Situation auf eine harte Probe gestellt und zerbricht beinahne ganz daran.


    Die Autorin schreibt mit einer Begeisterung diese Geschichte und bringt dem Leser das Weltkriegsszenario näher. Durch die Familiengeschichte, die sich durch das gesamte Buch zieht, erhält man private Einblicke in die politische Situation, erfährt aber auch von den Protagonisten Leid, Schmerz, Kummer und Vorfreude, Euphorie und innere Zerrissenheit. Dieses Buch hat mich mitgerissen und gibt Einblick ein die eigene Seele, denn was Maria spürt und fühlt fühle und spüre ich auch, denn es zieht mich praktisch ins Buch hinein. Durch die Geschichte sieht man Maria zuerst als eine eigenständige Frau, die weiß was sie will, denn es hätten bestimmt nicht viele den Weg auf sich genommen, um auch noch schwanger zu dem Vater des Kindes zu gelangen, der 1000e Kilometer entfernt ist. Sie hat anfangs Probleme, sich den Vorstellungen der Anatolier anzugleichen und den Sitten anzupassen. Später wird das Familienportrait auch weitergezeichnet, indem man auch die erwachsenen Kinder ins Buch aufgenommen hat. So ist es ein Bild über eine recht ungewöhnliche Familie, die viele Kriesen meistern muss.

    Auf den rund 300 Seiten bekommt man Einblicke in die Hauptpersonen und kann sich gut in sie hineinversetzen, da sich Maria nicht als Frau respektiert fühlt, das geht Frauen auch in der heutigen Zeit noch so. Als Wilhelms Traum von der Eisenbahn zerbricht, stirbt ein Teil seines Herzens. Auch in der heutigen Zeit können nicht alle Träume in Erfüllung gehen und so ist das Buch trotzdem aktuell geschrieben. Auch die Schicksalsschläge, die die KInder erreichen und betreffen beschreiben Kriesen und Probleme der Familie.

    Meiner Meinung nach ist es ein sehr lesenswertes Buch, das durch die ungewöhnliche Familiensituation und den Hintergrund des ersten Weltkriegs spannend und interessant gezeichnet ist.

  • Anatolien am Ende des 19. Jahrhunderts: Hochschwanger mit dem ersten Kind ist die junge Maria, als sie im Osmanischen Reich ankommt. Sie ist auf eigene Faust von Wien aus ihrem Verlobten Wilhelm Paar nachgereist, der als Ingenieur an dem Bau der Bagdadbahn arbeitet. Es wird nicht das letzte Kind der beiden bleiben, die fernab ihrer Familien eine neue Heimat finden. Doch für Maria, Wilhelm und ihre Nachkommen hält das Schicksal noch mehrere Prüfungen bereit...


    „Die zitternde Welt“ ist ein Roman von Tanja Paar.


    Meine Meinung:

    Der Roman ist in zwei Teile untergliedert, die wiederum aus mehreren Kapiteln und Absätzen bestehen. Im ersten Teil wird aus den Perspektiven von Maria und Wilhelm erzählt, und zwar im Wechsel. Der zweite Teil legt den Fokus auf ihren Sohn Erich, während seine Geschwister und seine Eltern deutlich weniger Raum in der Geschichte einnehmen. Der Roman endet mit einem Epilog. Die Handlung erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte. Immer wieder finden zeitliche Sprünge statt, wobei es keine einheitlichen Zeitangaben gibt, was die Orientierung erschwert. Hilfreich ist dagegen eine abgebildete Landkarte.


    Der Schreibstil ist eindringlich, einfühlsam und - dank treffender Metaphern und Vergleiche - anschaulich. Gut gefallen hat mir auch, dass mehrere Briefe eingestreut sind.


    Die Protagonisten sind keine typischen Sympathieträger. Marias selbstbewusste und scheinbar kaum erschütterliche Art sowie ihr Mut zu Beginn der Geschichte stechen allerdings positiv hervor. Alle Figuren werden authentisch gezeichnet. Tiefe Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt von Maria, Wilhelm und Erich lassen den Leser mit diesen drei Charakteren mitfühlen. Sohn Hans und Tochter Irmgard bleiben leider etwas blass.


    Inhaltlich ist die Geschichte trotz der nur knapp 300 Seiten sehr vielschichtig. Es geht um Freiheit und Selbstbestimmung, um Familie und Generationenkonflikte, um Heimat und Identität, um Krieg und Umbrüche.


    Nebenbei erfährt der Leser einiges über die politischen und kulturellen Umstände in der heutigen Türkei rund um das Fin de Siècle und die ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts. Gerne habe ich auch vom Bau der Bagdadbahn gelesen, einem Projekt, das mir bis dato fremd war. An mehreren Stellen zeigt sich die fundierte Recherche der Autorin, die gekonnt fiktive Figuren mit realen Begebenheiten verknüpft.


    Vor allem im ersten Teil werden mehrere Fragen aufgeworfen, die erst Stück für Stück beantwortet werden. Die Autorin versteht es, mit vagen Andeutungen und Auslassungen viel Spielraum für eigene Interpretationen und Spekulationen zu lassen und Spannung zu erzeugen. Besonders in der ersten Hälfte konnte mich die Geschichte fesseln. Etwas schwächer ist dagegen nach meinem Empfinden der zweite Teil, der durch zu große zeitliche Sprünge stellenweise ein wenig fragmentarisch wirkt und ein paar Längen aufkommen lässt.


    Das Cover hat keinen direkten inhaltlichen Bezug, gefällt mir aber dennoch sehr gut. Der Titel ist durchaus treffend formuliert.


    Mein Fazit:

    „Die zitternde Welt“ von Tanja Paar ist ein historischer Roman, der sich auf erfrischende Art von anderen Büchern des Genres abhebt. Eine ebenso unterhaltsame wie lehrreiche Lektüre mit nur kleineren Schwächen, die eine ungewöhnliche Familiengeschichte zu bieten hat.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Historischer Roman und ungewöhnliche Familiengeschichte


    Ich lese sehr gern historische Romane und außerdem ungewöhnliche Familiengeschichten. In diesem Buch habe ich gleich beides in einem bekommen. Es spielt vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts bis in die vierziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts.


    Die Familie, um die es geht, hat ihre Wurzeln in Österreich-Ungarn. Wilhelm, ein junger Ingenieur, geht nach Anatolien, ins damalige Osmanische Reich, um am Bau der Bagdadbahn mitzuarbeiten. Allerdings lässt er seine Verlobte Maria zurück, ohne ihr mitzuteilen, wo genau er ist. Er hatte sich vorgestellt, zunächst Geld zu verdienen und dann als Mann, der ihr etwas bieten kann, zurückzukehren.


    Doch darauf wartet Maria nicht. Sie reist ihm hinterher, macht ihn ausfindig und steht eines Tages hochschwanger vor seiner Tür im anatolischen Dorf Bünyan. Ihre Kinder werden dort geboren und die Familie findet dort eine richtige Heimat. Allerdings können sie nicht für immer bleiben, so verschlägt es sie an verschiedene Orte. Jedes Familienmitglied bekommt dabei seine ganz eigene Geschichte und alle hängen sie natürlich zusammen. Das Buch führt uns durch das Osmanische Reich bzw. die spätere Türkei und über deren Grenzen hinaus und auch nach Österreich.


    Dass Maria das inoffizielle Familienoberhaupt ist, steht von der ersten Szene an fest. Trotzdem bekommt jedes Familienmitglied in diesem Roman seinen ganz eigenen Handlungsraum. Die Wechsel zwischen den Perspektiven sind sehr gut gewählt.


    Die Autorin hat einen eingängigen und fesselnden Schreibstil, ich würde sogar sagen, mehrere Schreibstile, je nachdem um welche Person es gerade geht. Dadurch ist dieser Roman besonders abwechslungsreich. Immer wenn ich einen Handlungsabschnitt bzw. ein Kapitel zu Ende gelesen hatte, war ich gleich neugierig auf das nächste.


    Was mir auch sehr gut gefallen hat, ist die Karte ganz hinten im Buch. Dort sind der Verlauf der Bagdadbahn und verschiedene Orte, die im Roman vorkommen, dargestellt. Ich habe zwischendurch immer wieder gern dort hineingeschaut.


    Fazit: Ein rundum gelungenes Werk. Wer historische Romane oder ungewöhnliche Familiengeschichten mag, wird es lieben.


    Bewertung: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: