David Grossman - Was Nina wusste / Iti Ha-Chaijm Messachek Harbej

  • Kurzmeinung

    Bridgeelke
    Weder Schreibstil noch Handlung konnten mich begeistern
  • Kurzmeinung

    Squirrel
    Teils schwierig zu lesen, fordernd, aber trotzdem lesenswert
  • Wie ein Geheimnis gleich 3 Generationen vergiftet

    Selten ist es mir so schwer gefallen das Gelesene in Worte zu fassen. Nach dem ich die Geschichte von Vera und ihrer Familie las, die sich an wahren Begebenheiten orientiert. Auch wenn das Buch „Was Nina wusste“, ist der Titel doch ein stückweit irreführend. Denn die eigentliche Hauptrolle spielt hier Vera und wie das Schicksal mit ihr spielte. Man lernt Vera als eine lebenslustige, freundliche und von allen geachtete alte Frau kennen. Wobei ihre Tochter Nina dies doch vehement bestreitet würde. Doch sie hat alle Gründe dafür. Denn Vera lüftet ihr düsterstes Geheimnis erst am Ende ihres Lebens. Jedoch hat dieses ihr dunkelstes Geheimnis eine verheerende Wirkung auf ihre Familie. Denn eigentlich war Vera mit ihren ersten Mann Milos und ihrer kleinen Tochter Nina sehr glücklich. Bis sie die Aufmerksamkeit des Geheimdienstes auf sich zog. Nicht genug das sie Jüdin und ihr Mann ein Partisan war. Als ihr Mann verhaftet wird und dann plötzlich umkommt sieht Vera das Unglück schon kommen und schafft es gerade noch ihre Tochter zu einer Freundin zu schicken bevor sie abgeholt wird und Verhören unterzogen wird. Sie wird vor eine Entscheidung gestellt, infolge derer sie auf eine Insel mit einem Gulack gebracht wird. Als nun ihre Tochter zu ihrem Geburtstag kommt ihr offenbart, dass sie schwer erkrankt ist, überschlagen sich die Ereignisse förmlich. Sohn, Enkeltochter, Tochter und Vera begeben sich auf eine Reise in die Vergangenheit und lüften das Geheimnis, was ihre ganze Familie über Jahrzehnte vergiftet hat.



    Der Autor schafft es den Leser förmlich in diese Familie zu integrieren. Schon nach wenigen Seiten fühlt man sich als Familienmitglied. Wobei man als Leser quasi durch die Seiten geführt wird und höllisch aufpassen muss wo man sich gerade befindet. Denn der Autor schafft einen fließenden Übergang von Vergangenheit und Gegenwart teilweise sogar innerhalb eines Satzes. Mir hat der Schreibstil wirklich sehr gefallen auch wenn er die Wahrheit über Vera dem Leser am Ende wie eine Abrissbirne um die Ohren gehauen hat.



    Die Hauptrolle neben Vera spielen hier eindeutig ihre Familie, ihr Sohn, Tochter und Enkelin sowie auch ihre beiden Männer. Ich gebe es zu Vera war mir anfangs mit am sympathischsten, ihre fröhliche und positive Einstellung und direkte Art hat diese Frau in mein Herz gelassen. Wohingegen Tochter und Enkelin nun ja. Gili hätte ich am liebsten einmal mehr den Kopf gewaschen und gesagt Mädel schau doch mal über den Tellerrand. Sie benimmt sich mit ihren fast 40, wie ein bockiger Teenager ganz und gar nicht Erwachsen und so unglaublich wütend auf ihre Mutter Nina. Sie sieht sie Größtenteils scheinbar gar nicht als Mensch sonder eher als eine steinerne Figur. Wobei ihr Hass, denn nichts anderes brodelt in ihr durchaus nachvollziehbar ist. Wenn eine Mutter ihr Kind im Kleinkindalter einfach so verlässt. Welches Kind währe da nicht sauer.



    Dadurch das der Autor Vera als strahlende liebenswerte Figur aufbaut und sie vor allem im ersten Teil des Buches quasi als eine wirklich nette Person inmitten einer großen Familie darstellt. Kann man gar nicht anders als sie zu mögen. Auch als ihre Tochter dann auftaucht und hier und da Spitzen schmeißst, runzelt man nur verwirrt die Stirn und meint, ok ihr Verhältnis war wohl nicht das beste und wie Gili dann auch noch voller Hass ihre Mutter schier entmenschlicht ja da kommt man ins Grübeln. Die schöne Fassade der Familie ist doch nur ein Trugbild. Aber das ist nur ein Vorgeschmack auf die Abrissbirne mit der der Autor dann aufwartet und die Vergangenheit aufwirbelt und die Familie dadurch befreit. Doch wer denkt die Handlung wird chronologisch erzählt der irrt gewaltig. Als Leser wird man hin und hergeworfen. Ist man im einen Moment im hier und jetzt findet man sich nur wenige Zeilen später oder aber im gleichen Satz in einer Vergangenheit wieder, die einen mal fassungslos mal sprachlos oder aber nur einfach verstört zurücklässt.



    Fazit: Selten hat mich ein Roman so zurückgelassen. Ich finde ihn wirklich klasse und bin beeindruckt allein durch die Ausdruckskraft und Wirkung, die er hinterlässt aber eben auch Fassungslos, wie übel das Leben manch einen mitspielen kann. Von daher gibt es eine ganz klare Leseempfehlung. Ein wirklich toller Roman der einen so schnell nicht mehr loslässt.

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Darum gehts:

    Drei Frauen – Vera, ihre Tochter Nina und ihre Enkelin Gili – kämpfen mit einem alten Familiengeheimnis: An Veras 90. Geburtstag beschließt Gili, einen Film über ihre Großmutter zu drehen und mit ihr und Nina nach Kroatien, auf die frühere Gefängnisinsel Goli Otok zu reisen. Dort soll Vera ihre Lebensgeschichte endlich einmal vollständig erzählen. Was genau geschah damals, als sie von der jugoslawischen Geheimpolizei unter Tito verhaftet wurde? Warum war sie bereit, ihre sechseinhalbjährige Tochter wegzugeben und ins Lager zu gehen, anstatt sich durch ein Geständnis freizukaufen? "Was Nina wusste" beruht auf einer realen Geschichte. David Grossmans Meisterschaft macht daraus einen fesselnden Roman. - Amazon

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    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • "Was Nina wusste" von David Grossman ist ein sehr lesenswerter Roman, den ich uneingeschränkt empfehlen kann.


    Das Buch handelt von drei Generationen: Vera, ihrer Tochter Nina und deren Tochter Gili. Nicht unbedeutend sind auch Veras zwei Ehemänner und Gilis Vater. Vera ist mittlerweile 90 und der Roman startet an ihrer Geburtstagsfeier. Vera hat ein bewegtes Leben hinter sich. Unter anderem war sie auf der Gefängnisinsel Goli Otok im Umerziehungslager interniert und hat aus dieser Zeit tiefe seelische Narben, die so weitreichend sind, dass auch die nächsten Generationen nicht nur davon betroffen, sondern ihrerseits verletzt sind. Der Roman behandelt die Geschichte dieser Menschen, dieser Verletzungen und in gewisser Weise deren Aufarbeitung.

    Das Buch beruht auf den realen Ereignissen um Eva Panić-Nahir. Sie hat David Grossman ihre Lebensgeschichte selbst erzählt und ihn zu diesem Roman inspiriert.


    Auch wenn der Roman ernste und beängstigende Themen anspricht, so habe ich ihn doch niemals als entmutigend empfunden. Grossman versteht es wie immer eindrucksvoll die Leserin und den Leser in die von ihm geschilderte Welt der Protagonisten mitzunehmen. Schon nach wenigen Seiten habe ich einen emotionalen Bezug zu den Figuren entwickelt. Vera erschien schon allein durch die für sie verwendete Ausdrucksweise ihrer wörtlichen Rede - man liest quasi ihren ungarischen Akzent mit - lebhaft vor meinen Augen.

    Schnell ist man im Sog der Geschichte und fragt sich was das Familiengeheimnis ist, was genau passiert ist, wieso die Dinge so sind wie sie sind und ob es nicht einen Weg gibt um die Situation für alle zu verbessern.

    Der Aufbau des Romans, von Auftakt bis Schlusspunkt, ist punktgenau getroffen; an keiner Stelle war die Geschichte mir zu schnell oder zu langsam. Und obwohl die Figuren alle ihre Ecken und Kanten haben, keine fand ich ausschließlich sympathisch, macht genau dies den Reiz aus. Gili als Tochter von Nina beziehungsweise Enkelin von Vera ist die Identifikationsfigur der Geschichte. Durch die Art und Weise der Erzählung teilt man ihre Überzeugungen, zweifelt man mit ihr, leidet mit ihr, befreit sich mit ihr,...

    Ich empfand den Roman trotz, oder auch wegen, seiner ernsten Grundthematik als fesselnd und erschütternd. Erschütternd auf eine gute Art und Weise, denn manche Bücher sind dazu geschrieben um uns wachsen zu lassen. :)

  • Über den Autor:
    David Grossman wurde am 25.01.1954 in Jerusalem geboren. Er hat Philosophie und Theater an der Jüdischen Universität studiert und danach u.a. als Korrespondent und Moderator für die israelische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Kol Israel gearbeitet. Er lebt heute mit seiner Frau in einem Vorort von Jerusalem.
    Bekannt wurde er u.a. als Friedensaktivist, der sich in seinen Büchern auch kritisch mit dem Nahost-Konflikt auseinandersetzt. Er weiß auf einer persönlichen Ebene, wovon er redet, denn einer seiner Söhne fiel 2006 im Südlibanon. Eines seines bekanntesten Werke ist „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“, das diese Thematik des Verlusts aufgreift.


    Buchinhalt:
    Drei Frauen – Vera, ihre Tochter Nina und ihre Enkelin Gili – kämpfen mit einem alten Familiengeheimnis: An Veras 90. Geburtstag beschließt Gili, einen Film über ihre Großmutter zu drehen und mit ihr und Nina nach Kroatien, auf die frühere Gefängnisinsel Goli Otok zu reisen. Dort soll Vera ihre Lebensgeschichte endlich einmal vollständig erzählen. Was genau geschah damals, als sie von der jugoslawischen Geheimpolizei unter Tito verhaftet wurde? Warum war sie bereit, ihre sechseinhalbjährige Tochter wegzugeben und ins Lager zu gehen, anstatt sich durch ein Geständnis freizukaufen? "Was Nina wusste" beruht auf einer realen Geschichte. David Grossmans Meisterschaft macht daraus einen fesselnden Roman.
    (Quelle: Amazon)


    Das Buch umfasst 352 Seiten und wurde von Anne Birkenhauer hervorragend übersetzt. Woran ich das festmache? Man hört die Protagonistin mit Akzent im Kopf reden, auf eine derart lebensnahe Weise, dass ich vor der Übersetzerin nur den Hut ziehen kann.


    Meine Meinung:
    Schicksale und Entscheidungen prägen Menschen und ganze Familien, ob im Guten oder Schlechten. Eine schwerwiegende Entscheidung Veras kurze Zeit nach dem Krieg prägt ihre ganze Familie, denn sie zieht Folgen nach sich für ihr eigenes Leben sowie das ihrer Tochter und beeinflusst noch die Enkelin. Welche Entscheidung das ist, offenbart sich erst nach und nach in einer stilistisch wunderbaren Erzählung, die genauso nach und nach die Brutalität des Lebens vor, während und nach dem 2. Weltkrieg auf dem Balkan, im damaligen Jugoslawien unter Tito, offenbart.


    War mir anfangs Vera noch sehr sympathisch, ihr Verhalten ihrem zweiten Mann und dessen Sohn Rafael gegenüber und ganz besonders ihr enges Verhältnis zu ihrer Enkelin Gili, so bekam diese Sympathie doch immer mehr Sprünge und hat mich am Ende des Buches ganz verlassen.
    Nein, sympathisch ist mir am Ende keine der handelnden Personen mehr – weder Vera mit ihrem zeitweilig grausamen Schicksal, noch die Tochter Nina,


    Alle zeigen sehr manipulatives Verhalten und benehmen sich zeitweilig wie die Kinder, die man schütteln möchte. Aber Vera möchte man nicht nur schütteln, ganz besonders dann nicht, wenn sie sich so herablassend ihrer Tochter gegenüber zeigt. Und wenn auch viele denken mögen, dass Vera ihre Entscheidung aus Liebe getroffen hat, so empfinde ich diese Entscheidung als egozentrisch und egomanisch so wie ich Vera insgesamt als sehr egomanisch und ungerecht empfinde. Ja, diese Frau hat viel durchgemacht in ihrem Leben – das Leben von Eva Panic-Nahir ist klar und deutlich wiedergegeben von David Grossman, der mit Eva bekannt war und von ihr die Erlaubnis erhielt, ihre Lebensgeschichte niederzuschreiben. Aber das bedeutet nicht, dass man die Frau – im Gegensatz zu Grossman – mögen und ihre Entscheidung verstehen und nachvollziehen können muss. Nein, am Ende der Geschichte mag ich keine der handelnden Personen mehr leiden.


    Aber das Ganze ist so intensiv und fordernd geschrieben, dass David Grossman daraus ein absolut lesenswertes Buch geformt hat, das einen beim Lesen nicht mehr loslässt.

    Diesen englischsprachigen Artikel über Eva Panic-Nahir in der El-Haaretz habe ich beim ersten Mal noch registrierungsfrei lesen können, jetzt leider nicht mehr. Aber vielleicht kann ja jeder diesen Artikel beim ersten Anwählen lesen, weshalb ich ihn hier mal verlinkt habe.

  • Nein, am Ende der Geschichte mag ich keine der handelnden Personen mehr leiden.

    Je älter ich werde, umso sehr mag ich gerade solche Geschichten, bei denen ich mich nicht jemandem identifizieren kann oder sollte, sondern die solche gemischten Charaktere bieten.

    Ich habe das Buch auch hier liegen und bin nun sehr neugierig.

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • drawe Ich denke, Dir wird das Buch genauso gut gefallen wie mir - auch bei mir bedeutet es ja nicht, dass mir das Buch nicht gefallen hätte nur weil mir die handelnden Personen immer unsympathischer werden. :wink:

  • auch bei mir bedeutet es ja nicht, dass mir das Buch nicht gefallen hätte nur weil mir die handelnden Personen immer unsympathischer werden. :wink:

    So hatte ich Dich auch nicht verstanden - eher anders herum. Eine realistische Schwarz-Weiß-Grau-Zeichnung der Figuren gefällt Dir wohl auch besser als

    eine triviale Rosarot-Gloriole!:lol:

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Dir wird das Buch genauso gut gefallen wie mir

    Das hast Du richtig gesehen.

    Übrigens ließ sich der link problemlos öffnen, und ich habe die Geschichte der Vorbild-Figur mit Interesse gelesen.


    Insgesamt lässt mich der Roman aber mit einer Gänsehaut zurück. Zum ersten Mal höre ich von diesen Umerziehungslagern unter Tito, die dem berüchtigten System an Straflagern unter Stalin, dem GULAG, kaum in etwas nachstehen. Vielleicht in der Sinnlosigkeit der Arbeit, die die Frauen verrichten müssen - ich weiß es nicht.

    Was mir aber am meisten Gänsehaut macht, ist die Härte der alten Frau, der Großmutter. Nach wie vor hat sie keinen Zweifel an der Richtigkeit ihrer Entscheidung, die ich persönlich sehr schlecht nachvollziehen kann. Hier folgt der Autor der Vorbild-Figur Eva.

    Aber Grossman dreht die Schraube noch ein bisschen weiter. Vera, die Großmutter, hat auch keinen Zweifel, obwohl sie sehr wohl erkennt, wie sehr ihre Entscheidung die Familie bis in die dritte Generation (so steht es ja schon in der Bibel, im Alten Testament, und das müsste sie als Jüdin besser kennen als ich ......) traumatisiert hat, belastet hat, für Unglück sorgt.

    Diese Erweiterung gibt dem Roman erst Tiefe, finde ich, und hebt ihn über die Nacherzählung eines besonderes Schicksals hinaus.


    Für beide Frauen aber gilt: sie schaffen hier ein Heldenbild von einem toten (!) Menschen, dem ich persönlich nicht folgen kann - weil es mit dem Verrat des eigenen Kindes bezahlt wird.


    Ein sehr lesenswerter Roman.

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Überzogene Emotionalität - nicht glaubwürdig

    Der Erzähleingang geriert sich als eine Art literarischer Schnitzeljagd – der Leser ist aufgerufen, minutiös alle Hinweise auf Zeitgefüge, wechselnde Perspektiven, bewusste Verrätselungen in eine sich beständig erweiternde Struktur zu integrieren, in der Erwartung, dass am Ende das eigene Durchdringen und Verstehen eines komplexen biographischen Gefüges stehen werden.


    Das Ergebnis ist ein verstörendes Panoptikum: der Roman präsentiert ein Familiengeflecht von lauter Versehrten. Tuvia und Rafi, gezeichnet durch das Leiden und Sterben von Frau und Mutter. Vera, die auch noch nach 12 Jahren den Selbstmord ihres Ehemannes in den Fängen des Geheimdienstes nicht verkraften kann und für die ihre Beziehung zu diesem Mann immer noch relevant ist, trotzdem aber gewillt ist, eine neue Bindung einzugehen. Andererseits ist sie nicht in der Lage, ihrer offenbar schwer traumatisierten Tochter eine Stütze zu sein. Nina erscheint in diesem Tableau als der kaputteste Charakter. Die Last ihrer Erlebnisse, die der Leser bis zu dieser Stelle kaum erahnen kann, zerstört ihr Leben und das der Menschen, die sich ihr nahe fühlen. Kaum verwunderlich, dass auch Gilis Entwicklung von Anfang an unter einem dunklen Stern steht. Offenbar droht auch Rafi an seiner unauslöschlichen Liebe zu ihr zu zerbrechen. Letztlich ist es nicht nachvollziehbar, dass Vera so überaus positiv geschildert wird. Innerhalb der Kibbuz-Gemeinschaft fungiert sie als heißgeliebte Matriarchin, die Liebe und Lebenslust ausstrahlt. Dass sie sich berufen fühlt, an Rafi Gutes zu tun, während sie das Leiden der eigenen Tochter zu ignorieren scheint, setzt diese Figur in ein schiefes Licht.


    Vollkommen verknäuelte Familienbeziehungen endlich einmal aufarbeiten zu wollen, bevor es zu spät ist, das ist eine sehr private Sache. Aber einen guten Dokumentarfilm zu drehen, ist eine öffentliche Veranstaltung. Beides miteinander zu verknüpfen, wirkt geradezu obszön, eine Form von Prostitution, die intimsten Geheimnisse von Menschen der eigenen Familie derartig verfügbar zu machen.


    Der Roman kulmuliert in der gemeinsamen Reise dreier Generationen, und plötzlich zündet ein emotionales Feuerwerk. Die Beschreibung der Zärtlichkeiten zwischen Mutter Vera und Tochter Nina während der Autofahrt streifen hart die Grenze zum Kitsch. Und wie plakativ, dass im Kontrast draußen ein Unwetter tobt. Und dass Nina ihre Familie über das Fortschreiten ihrer Demenzerkrankung informiert, legt ja noch eine Schippe drauf in der Darstellung dieser an Konflikten mehr als reichen Familie. Klar, irgendwie muss es ja motiviert werden, dass der Fokus von der übermäßig idealisiert geschilderten Liebesbeziehung zwischen Vera und Milosch auf das unausweichliche Schicksal Ninas verlegt wird. Aber dass diese jauchzende Darstellung der Liebesgeschichte der Eltern so plötzlich eine Kehrtwende in Ninas Gefühlshaushalt hervorrufen soll, ist doch eine sehr gewagte Idee. Dysfunktionale Familienverhältnisse, traumatische Erlebnisse muss man aushalten können, in der Realität, als Autor, als Leser. Am plausibelsten erscheint noch die Figur der Gili, die es nicht geschafft hat, sich radikal von diesem für sie toxischen Familienverband loszusagen. Ihre Überlebensstrategie scheint in der Verschanzung hinter einer zynischen Diktion, einem schnodderigen Tonfall zu liegen, die sie weitaus jünger erscheinen lässt als ihr tatsächliches Alter. Stattdessen ist sie mit ihren neununddreißig Jahren immer noch abhängig von der Anerkennung durch den Vater Rafi - ergreift sogar einen Beruf, der sie auch in diesem Bereich in seinem Dunstkreis hält - nährt ihren Hass auf Nina und vergöttert die Großmutter, deren Idealisierung gänzlich unglaubwürdig ist. Ausgerechnet sie als das erste Opfer der politischen Verhältnisse soll gänzlich unversehrt aus allem erlittenen Leid hervorgegangen sein und ihre Vitalität und Menschenliebe ungebrochen wie eine Monstranz vor sich hertragen?


    Fazit: Ist es die Ansiedelung dieses Romans im mediterranen Kulturkreis, die eine solche überhitzte emotionale Gestimmtheit vorherrschen lässt? Dass sich am Schluss sich so alles in Wohlgefallen auflöst, die Beteiligten sich ihre Wunden lecken und offenbar zu dem Schluss kommen, dass alle sich furchtbar lieb haben, das entbehrt doch aller Plausibilität.


    Grossman, solch ein gewaltiger Name in der Literaturszene – geschenkt. Was Nina wusste – ein insgesamt enttäuschendes Lektüreerlebnis.


    Mein Urteil: 2 Sterne