Gabriel Krauze - Who They Was

  • In “Who They Was” erzählt der Autor von seinem Jugend Jahren in South Kilburn. Einer Wohnsiedlung im Londoner Stadtteil Brent, die berüchtigt ist für hohe Kriminalität und rivalisierende Gangs.


    Gabriel Krauze war dabei aber nicht nur Zeuge der Gewalt, mit der die Menschen dort täglich Leben müssen, er hat aktiv mitgemacht. Er schildert seine Beteiligung an Messerstechereien, Raubüberfällen, Drogenhandel und dessen Konsum. All dies, während er parallel an der Uni Englisch studiert.


    Zitat vom Autor.

    Zitat

    One of the things is: the character is not a fictional character, it's me. Like, the character of Snoopz is me. Of course there are aspects of it that have been fictionalised – but it’s real.

    Und diese Authentizität ist auf jeder Seite zu spüren. Auf keiner Seite hat man das Gefühl, das der Autor sich diese Geschichten ausgedacht hat, während er zu Hause am sicheren Schreibtisch saß. Da gibt es keinen Moment in dem man denkt, das ist jetzt aber ganz schön weit hergeholt.


    Es gibt mehrere Elemente die Krauze benutzt um diese „Echtheit“ das Ganze Buch über aufrecht zu erhalten. Da ist zum einen der Anfang des Buches. Der Autor stellt sich nicht erst vor und führt den Leser langsam in die Gegebenheiten ein. Gleich vom ersten Satz an, ist man mittendrin in einem Raubüberfall und das Adrenalin steigt einem beim Lesen ins Blut.


    Und dieses Adrenalin verlässt einen so schnell nicht wieder. Sowie die Menschen die in diesem Viertel leben, ist man auch als Leser ständig auf der Hut. Die alltägliche Gewalt dort ist so greifbar. Ein falscher Tritt, ein missverstandener Blick und schon wähnt man das Messer auf sich zukommen. Und diese Gewalt oder die Angst davor, endet nie. Non-Stop. Non-Stop. Non-Stop.


    Man spürt als Leser wie unglaublich anstrengend es für den Geist sein muss, ständig auf der Hut zu sein. Nie die Gedanken einfach schweifen lassen zu können, sobald man vor die Haustür tritt. Und auch in seiner Wohnung sich nie zu 100% sicher zu fühlen.


    Dann gibt es da die Sprache in diesem Buch. Eine Mischung aus Londoner Straßen Dialekt, jamaikanischem Patwah und US Rap Slang. Halt die Sprache, die Krauze und der Rest des Viertels spricht und die genauso niedergeschrieben wurde. Da wurden die Dialoge nicht ins Queens English übersetzt, damit eine größere Leserschaft abgegriffen werden kann. Entweder man kommt damit zurecht oder das Buch ist halt nichts einen.


    Hier ein kleines Beispiel. Ein Dialog nachdem der Autor (Snoopz) jemanden fürs anrempeln im Park niederstechen wollte, und diese Person am Arm erwischt hat.

    Zitat

    We’re laughing and Mazey says Snoopz is on a mad ting and I’m like fuck dat is he mad? Walking into a man like some dickhead, and Spooks says how can a man turn round and start chatting shit after he blatantly barged you? Fuck dat eedyat ting and I say exactly fam, I seen how you turned round quicktime and we laugh. Bimz says ah it’s all gonna be peak now, this is long this is long – we know they’re gonna phone jakes on man and when the feds come, if we’re still around, everyone’s getting shift.

    Dann sind da die ellenlangen Sätze und das Seiten oft nur einen oder auch mal gar keine Absatz haben. Als Leser hat man nicht so oft Gelegenheit eine Pause einzulegen, genau wie die Bewohner von South Kilburn dies auch nicht oft können. Überhaupt sorgt die Struktur und auch der Flow der Sprache dafür das man als Leser regelrecht eingesaugt wird in das Buch.


    Nicht jeder Begriff sagt einem als Leser (außer du wohnst in der Gegend) etwas, wobei das meiste aber aus dem Zusammenhang heraus selbst erklärend ist. Für den Rest greift man dann halt zwei –dreimal zum Urban Dictionary.


    Aber die Sprache des Buches ist nicht nur authentisch und hat einen tollen Rhythmus. Immer wieder bekommt man als Leser wunderschöne Sätze/Metaphern serviert.


    Hier ein paar Beispiele.

    Zitat

    We are basically all products of each moment in our lives, sometimes becoming things we never knew we could be. When I go pen I’m gonna have to fold up all these other parts of myself and stash them away in the caves of my being. Then again people say there are so many parts to you, all these different sides to a person – the side that plays the piano, the side that writes and wants to write more, the side that thinks about ancient aliens creating the human race, the side that wants to shank man up and rob the rich and do this gang ting – but it’s not really different sides or parts or pieces. It’s all just part of a whole. One thing. It’s like imagine a gigantic column; you can’t ever see all the way around it in one go, so people only ever get to see the side that’s in their immediate view.

    Bei der Beschreibung der Hochauskomplexe.

    Zitat

    They tower above, pouring blue shadow all over you if you get too close and you can feel the coldness breathing off the rusty concrete and the silence straining to burst from all the windows.

    Über die Monotonie im Gefängnis.

    Zitat

    Always time to kill. Nothingness is long. Turns the day long. Makes it drip, but as it drips down, it doesn’t separate from its source, like honey or golden syrup, a long sticky string, and you’re waiting for the thinnest part of the drip to finally break and separate so the drop can hit the floor. But it doesn’t.

    Und zum anderen ist da die Frage der Einsicht. Wäre dies eine frei erfundene Geschichte, dann gäbe es diesen einem Punkt zum Ende hin, wo der Protagonist den Spiegel vorgehalten bekommt und er sich endlich schuldig fühlt, für die schlimmen Dinge die er anderen angetan hat.


    Dies kommt hier nicht vor. Dieses Buch strotzt nur so vor Gewalt, aber Reue darüber ist nicht zu finden. Und auch dies fühlt sich so echt an. Denn es soll nicht heißen, das die Personen die an diesen Taten beteiligt waren, nicht viele Jahre später Schuldgefühle haben. Aber zu dem Zeitpunkt der Verbrechen, empfindet dies niemand. Und warum auch. Die meisten fühlen sich wohl eher selbst als Opfer und nicht als Täter. Opfer einer Gesellschaft die sich kein bisschen für sie interessiert. Wo direkt vor deiner Haustür jemand erschossen werden kann und nicht nur ist es keine Zeile auf Seite 17 der lokalen Zeitung wert, sondern nicht einmal die Kripo kommt um zu ermitteln. Wo der Imbiss Besitzer um die Ecke nicht die Polizei ruft wenn in seinem Laden jemand von einer Gang zusammengeschlagen wird, sondern er einfach nur im Anschluss zum Mopp greift um das Blut aufzuwischen.


    Was interessiert mich also die Person, der ich gerade die Cartier Uhr klaue, soll sie sich doch eine neue kaufen. Und wenn der Typ meint in meinem Park eine Abkürzung nehmen zu müssen , ist er halt selber schuld. Wie dämlich kann man schließlich sein.


    Es gibt Stimmen die dem Buch vorwerfen Gewalt zu verherrlichen. Dem Stimme ich nicht zu. Krauze beschreibt die Realität, so wie er sie erfahren hat. Es handelt sich nicht um Fiktion, in der Gewalt als Stilmittel benutzt wird um den Plot voranzutreiben oder die Figuren in einem bestimmten Licht dastehen zu lassen.



    Aus einem Interview mit Krauze.

    Zitat

    Everything in the book actually happened in one way or another, otherwise I wouldn't be able to tell this story. Names have been changed and certain details of events have been changed to protect myself and others legally. But by using the power of literature - of the novel form - I have been able to convey the unrestrained truth of a world that is often hidden, misinterpreted, even fetishised, and usually always observed from a detached distance.


    Und dies ist teils einfach durch Google zu bestätigen. Über die Großrazzia oder auch den Mord an einer jungen Frau, gibt es zahlreiche Zeitungsartikel.


    Das Werk hat keinen klassischen Plot, es gibt also auch nichts was man Spoilern müsste. Es zeigt dem Leser eine Parallelgesellschaft. Ein London das man als Tourist nie zu Gesicht bekommt, von dem aber auch die meisten Bewohner der Stadt selbst nicht mehr wissen, als einen Bogen darum zu machen. Ein Ort der seine eigenen Regeln und Gesetzte hat und in dem man nichts verloren hat, sofern man diese nicht kennt.


    In einem Interview mit Vice sagte der Autor über sein Buch.

    Zitat

    And you’re not supposed to like it. You’re not supposed to read my book and be like, this is great. No, you’re supposed to feel horrified. I want to give people adrenaline rushes when they’re reading my book – the type of adrenaline rush you get when something bad is about to happen, when you get those butterflies that make you feel sick.


    Das hat Krauze bei mir auf jeden Fall geschafft. Dies ist die Art von Buch über das man noch lange nachdenkt, nachdem man es zugeschlagen hat.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:


    Aufgrund des Slangs, der sich durch das Ganze Buch zieht, bin ich mir sicher das es nie eine deutsche Übersetzung geben wird.