Ivan Ertlov - Zwergenstahl & Drachenfeuer

  • Kurzmeinung

    ViktoriaScarlett
    Ich küre dieses Buch zu meinem ersten Jahreshighlight von 2021.
  • Beschreibungstext:


    „Krieg! Wir ziehen endlich in den Krieg!“
    So tönt es an allen Ecken und Enden des mächtigen Königreichs Farank. Zwerge liefern die neuesten Kanonen, Heerführer versammeln ihre Armeen, um Richtung Norden zu marschieren. Das Ziel ist die freie Stadt Hamb, Handelsmetropole am kalten Meer. Regiert von Königin Aidasha, der unsterblichen Wasserhexe, letzter Zufluchtsort für mutanderverseuchte Kreaturen ohne Sanktion.
    Drachen, Albrae, Werwesen und Meeresungeheuer stehen treu an der Seite der Hexe, machen Hamb zu einem mehr als nur würdigen Gegner für Farank.
    Doch dessen König will eigentlich gar keinen Krieg, sieht dem Blutvergießen mit Grauen entgegen. Heimlich startet er einen letzten Versuch, den Frieden zu wahren – Klingensänger Halbar soll vermitteln. Gemeinsam mit einer spitzohrigen Botschafterin der Tha und einem alten Bekannten macht er sich auf den Weg in den hohen Norden …

    Ein verfluchter Krieger, ein Dämonenkind, das andere dämonische Geschöpfe jagt.
    Eine mysteriöse Botschafterin aus einem fernen, unermesslich reichen Land.
    Ein zwielichtiger Magier, der dem Bösen nicht abgeneigt scheint.
    Zusammen müssen sie einen Krieg verhindern, der die Alte Welt in eine neue Finsternis stürzen könnte.
    Doch manchmal verstecken sich die Feinde des Friedens in den eigenen Reihen ...


    - Quelle: Amazon.de


    Meine Analyse:


    Nachdem dieser Roman auf der Novelle "Halbar von Malan" aufbaut, war meine Erwartungshaltung irgendwo zwischen "gedämpft" und vorsichtig optimistisch angesiedelt. Denn das kurze Büchlein war bis auf eine herrlich farbenfrohe Beschreibung Mailands in der postapokalyptischen Fantasywelt und einige gut choreographierte Kämpfe doch eher konservativ gestrickt. Ich erwartete also ein eher klassisches Fantasyabenteuer, vielleicht mit einigen Schenkelklopfern aufgelockert.

    So kann man sich irren.

    Denn Ertlov, der mit seiner teils knallharten, teils aberwitzigen Comedy-SF "Mutation" 2019 einige Buchpreise abräumte und monatelang diverse Bestsellerlisten bei Amazon anführte, stürzt sich mit einer ähnlichen "was solls!" Mentalität in die Fantasy. Nur diesmal viel eleganter, anspruchsvoller und geschmeidiger ausformuliert. Das geschickte Spiel mit der Erwartungshaltung der Leser beginnt schon beim Cover, das genau so auch auf einem billigen 90er Jahre Heftroman prangen könnte. Es suggeriert Trash, während der Inhalt meilenweit davon entfernt ist - und viele Details des Bildes haben in der Handlung eine manchmal amüsante, manchmal ernste Bedeutung.
    Die Erzählung selbst präsentiert sich auf den ersten Blick als spannende Heldenreise, ein Zugeständnis an das in Punkto Leservorstellungen immer noch sehr konservative Genre. Das ist aber auch schon der einzige Kompromiss. Denn während uns die Story durch eine Unzahl bizarrer, spannender, nachdenklich machender Begegnungen jagt, wird gekonnt jede Regel gebrochen, wie "klassische Fantasy auszusehen hat". Oder zumindest gebogen. Etwas, dem Buch gut tut und frischen Wind in eine Nische der Phantastik trägt, in der oft sehr vertraut vorkommende Stories in einander ähnelnder Art und Weise abgehandelt werden.

    Klingensänger Halbar, der verfluchte Nachfahre dämonischer Krieger, funktioniert von Anfang an im Tandem mit dem Schwarzmagier Yorrick von Dornbarn, eigentlich einem Erzfeind seiner Art. Auch ihre weiteren Begleiter, Mitglieder einer Truppe, die verzweifelt versucht, den Krieg zwischen Farank (Frankfurt) und Hamb (Hamburg) zu verhindern, bekommen Tiefe, Ecken und Kanten.

    Die Geschichte ist spannend, es gibt gute Wendungen, beeindruckende Charaktere (die Königin von Hamb, die schwarze Generälin Faranks, die Drachin) und Kämpfe in einer Intensität, die man so zuvor kaum gelesen hat. Oder noch nie.

    Am Besten ist allerdings der Humor gelungen, auch wenn er nur die zweite Geige spielt. Denn er spielt sich ausschließlich im Kopf des Lesers ab, zieht seine Schlagkraft aus dem Wissen des Rezipienten, der seine eigene (unsere) Welt hier in der Fantasy widergespiegelt sieht. Das hat bis jetzt nur ein anderer Autor so gut hinbekommen, und sein Name war Terry Pratchett. Klischees werden liebevoll aufgegriffen, als solche ad absurdum geführt, Stereotype entweder lächelnd oder brutal zerschlagen. Die vierte Wand fällt nie, auch wenn Yorrick (einer der spanndendsten Romancharaktere der letzten Jahre) manchmal kurz davor ist, diese zumindest zu erahnen. Eine großartige Erzählung, sowohl sprachlich als auch inhaltlich.

    Über den Schluss kann man streiten - oder muss es sogar, in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft, die derzeit angegriffen wird. Hier wird die Geschichte endgültig politisierend, polarisierend - aber letztendlich befriedigend aufgelöst.

    Mein Fazit:


    Seit "Wachen, Wachen" von Terry Pratchett hat mich kein Fantasyroman mehr so mitgenommen und beeindruckt wie "Zwergenstahl & Drachenfeuer". Puritanischen Genre-Gatekeepern wird das eine oder andere Unikum vielleicht ein Dorn im Auge sein, aber auch diese können sich wahrscheinlich der Gesamtwirkung nicht entziehen. Trotzdem will ich nicht die absolute Höchstnote vergeben - denn der Autor schreibt hier teilweise für einen idealen Leser oder eine ideale Leserin, die es so nicht gibt. Intelligenz, Sprachkenntnis und vor allem eine umfassende, breite Allgemeinbildung samt Vertrautheit mit der Popkultur werden vorausgesetzt, um wirklich alle Finessen mitzubekommen. Oh, es ist sicher auch für jeden 08/15 Fantasy Fan unterhaltsam, spannend und "gut" bis "sehr gut", aber mehr Spaß macht es, wenn man alle Anspielungen und Seitenhiebe versteht.

    Daher "nur" :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: von :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:.

  • Mein Fazit:


    Seit "Wachen, Wachen" von Terry Pratchett hat mich kein Fantasyroman mehr so mitgenommen und beeindruckt wie "Zwergenstahl & Drachenfeuer".
    (...)
    Daher "nur" :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: von :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:.

    Das ist ein Wahnsinns Kompliment, für das ich mich nur tausendmal bedanken kann.

    Gewiss, normalerweise stehe ich solchen Vergleichen skeptisch gegenüber - aber als Pratchett-Fan seit Studentenzeiten und kurzzeitiger beruflicher Kollaborateur mit dem zu früh von uns gegangenen Meister kann ich hier nur dankend nicken.
    Was den "Punkteabzug" betrifft - das kann ich nachvollziehen. Einige meiner Stammleser haben inzwischen regelrechte Wettbewerbe laufen, wer als erster ALLE Anspielungen und Referenzen in einem neuen Buch entdeckt. "Zwergenstahl & Drachenfeuer" hat noch niemand vollständig geknackt, der aktuell Führende liegt bei 37 Punkten :lol:


    Ansonsten bitte ich meine längere Abwesenheit hier zu verzeihen, ich bin hauptberuflich (naja, eher aufenthaltsgenehmigungsberuflich, inzwischen wirft das Schreiben mehr ab) ziemlich gut eingespannt.

  • Der Auftakt der Reihe las sich so flüssig, dass das Lesen beinahe zu einer Sucht wurde und ich das Buch nur schwer zur Seite legen konnte. Weshalb das so war erfährst du spoilerfrei unten im Text.


    Meine Meinung zum Cover:

    Das Cover von Band 1 ist ein richtiger Hingucker. Ich war sofort Feuer und Flamme für die Lebendigkeit der gewählten Motive. Nach dem Lesen weiß ich, wer darauf zu sehen ist und finde die Darstellung gelungen. Die Düsternis passt zudem zur Gefahr, die über allen Beteiligten schwebt.


    Meine Meinung zum Inhalt:

    Ursprünglich hatte ich geplant, nur kurz in dieses Buch hineinzulesen und dann bei einem anderen Buch weiterzulesen. Doch ich konnte nicht, weil mich das Buch gefangen hielt. Ehe ich es mich versah, hatte ich schon knapp 100 Seiten geschafft. Durch die absolut fesselnde Erzählweise und dem hochrangig interessanten Plot, musste ich wissen wie es weitergeht.


    Mit der Ausarbeitung seiner Fantasy-Welt hat mich Ivan Ertlov überrascht und zugleich begeistert. Schon zu Beginn gefielen mir die Details, die ich mehr und mehr erfuhr. Seine Beschreibungen der Orte, der Gegenstände, der Geschehnisse und der Hintergründe sind äußerst bildhaft. Er erfand eigene Völker, die nach dem Fall entstanden (z.B. die mutanderverseuchte Kreaturen). Werwesen und vieles mehr offenbarten sich. Irgendwann in Hamb hatte ich ein Aha-Erlebnis. Ich weiß nicht mehr genau an welchem Punkt, doch plötzlich begriff ich, warum die Reihe zur postapokalyptischen Fantasy gehört. Schon geschehene Ereignisse liefen mit einer neuen Sicht erneut vor meinem inneren Auge ab. Die Begriffe und Namen, die zuerst erfunden wirkten, bekamen eine neue Bedeutung. Das Ganze erhöhte meine Begeisterung um ein Vielfaches. Ich sah die Dinge nun anders und doch gleich. Die Idee dazu muss man erst mal haben. Ivan Ertlov hat das wunderbar umgesetzt. Im Folgenden machte es mir riesigen Spaß, weitere Orte und Gegenstände zu entdecken und zu benennen.


    Halbar gehört wohl zu meinen liebsten Protagonisten. Trotz seines Blutfluches und seiner Abstammung befindet sich sein Herz am richtigen Fleck. Seine Kämpfe zeugen von grandiosem Können. Er ist wahrlich ein Klingensänger. Doch auch sein Verstand ist messerscharf und er besitzt sehr viel Wissen. Von Yorrick wusste ich lange Zeit nicht, was ich von ihm halten soll. Ich hatte irgendwie den Eindruck, dass er etwas verbirgt. Nach meinem „Aha-Erlebnis“ sah ich ihn plötzlich mit anderen Augen. Kyara ist eine Tha und ganz anders als ich erwartet hatte. Mit ihrer Eigenart muss man wohl erst klarkommen, dennoch ist sie sympathisch. Im Verlauf tauchen viele weitere Figuren auf. Sogar ein Drache ist zu finden, doch ist er keine „typischer“. Die Wasserhexe gehört zu jenen, die sich ebenso ganz anders zeigen, als ich als Leserin erwartet hatte. Doch allesamt haben ihre Persönlichkeit mit einer Vergangenheit. Einer der neuen Begleiter ist mir besonders ans Herz gewachsen.


    Die Suche nach der Wahrheit brachte viele coole Elemente mit sich, wie z.B. Informationen über Hayadag. Gegen Ende bekam die Geschichte einen kleinen Science-Fiction Touch. Die Wendung hat mich überrascht, doch passte sie sehr gut ins Geschehen, weil sie kurioserweise so realistisch wirkte. Kurz zuvor hatte ich schreckliche Angst um die Protagonisten, besonders um einen ganz Bestimmten. Mitfiebern? Ist sowas von garantiert. Schlussendlich endet dieses Buch nicht wie man zuerst denkt. Mir selbst hat das richtig gut gefallen. Ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Band.


    Mein Fazit:

    Der Autor hat mich mit seinem ersten richtigen Fantasy-Roman komplett begeistert. Die postapokalyptische Fantasy-Welt ist hervorragend ausgearbeitet und birgt Überraschungen mit beeindruckenden Erkenntnissen. Ich bekam in eindrücklichen Szenen viel Hintergrundwissen zu lesen, das gekonnt mit dem Geschehen verwoben war. Als Leserin kam ich voll auf meinen Kosten, weil ich alles darin fand, was ich an Fantasy so sehr liebe: ein aufregender Plot, starke und eindrucksvollbeschriebene Wendungen, Persönlichkeiten mit Tiefe, eine aussagekräftige Welt und vieles mehr. Um meine Begeisterung mit den richtigen Worten zu krönen: Ich küre dieses Buch zu meinem ersten Jahreshighlight von 2021.


    Ich vergebe 5 von 5 möglichen Sternen!


    Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Meinung wurde dadurch nicht beeinflusst!